Kenner & Sammler |
MV Agusta GP-Rennmaschinen-Sammlung von Robert Iannucci
Der Boxer, der ein
180-Grad-V-Vierzylindermotor war!
Ein eher
spontaner Besuch beim "Team Obsolete" in New York wurde
Anfang
1994 für Winni Scheibe zum journalistischen Highlight. In der
Team- Werkstatt in
Brooklyn präsentierten sich neben der sensationellen
Honda RC164 überraschend 350er und 500er
MV Agusta GP-Werksrenner
sowie ein MV-GP-Prototyp für die Königs-Klasse. Diesem außergewöhnlichen
Renntriebwerk hat Martin Kott in dem "Jahresrückblick MV Agusta Club Deutschland e.V. 2009"
einen Artikel gewidmet. Ein Bericht von Winni Scheibe und Martin Kott.
Text: Winni Scheibe, Martin Kott
Fotos: Winni Scheibe, Bernd Fischer, Werk
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MV Agusta Werksrenner mit 500er
Vierzylindermotor.
Robert "Rob" Iannucci, Ralph "Bohni"
Bohnhorst, Nobby Clark

MV-Agusta "Pseudoboxer" für die 500er WM
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Erinnerungen an 1994 von
Winni Scheibe |
Eine ganz wichtige Quelle für uns Journalisten
sind Insider-Informanten. Sie berichten über Dinge, die man nie oder kaum
erfahren würde. Manchmal bekommt man aber auch aus dem Freudeskreis
heiße Tipps gesteckt. Ende 1993 erzählten mir Stephan Elisat, in der
Szene als Doc-E. bekannt, von einem gewissen Robert "Rob" Iannucci in
New York. Rob besäße die erste 250er
Sechszylinder-Honda RC164 Werksmaschine. Mit
dieser Wunderwaffe sollte damals Jim Redman
noch in letzter Minute im Herbst 1964 für Honda den 250er WM-Titel erobern. Und
weil der New Yorker Rennstallbesitzer diesen einmaligen GP-Racer in seinem Team Obsolete
bei Oldtimer-Veranstaltungen rund um die Welt demnächst einsetzen
wollte, hätte er keinen geringeren als den legendären Rennmechaniker
Nobby Clark aus Südafrika
für die Instandsetzung angeheuert. |

Restauration der 250er Honda RC164

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Nun ist New York nicht gerade um die Ecke, und auf
gut Glück reist eigentlich keiner mal eben in die USA. Doch dann ging
alles Schlag auf Schlag. Kurz vor Weihnachten 1993 fragte mich Ralph "Bohni"
Bohnhorst, ein Freund von Doc-E., Ex-Gespannrennfahrer und Ducati-Händler in Braunschweig, ob
ich ihn zum Ducati-Tuner
Eraldo Ferracci
nach Philadelphia in Pennsylvania begleiten möchte. Bei dieser
Gelegenheit könnten wir auch das Team Obsolete in New York besuchen,
machte Bohni mir die Reise schmackhaft. Das klang verlockend. Als Rob
Iannucci mir auf meine Anfrage via Fax mitteilte, dass er sich auf
unseren Besuch freue, organisierte ich noch auf die Schnelle einen
Besuch im Harley-Davidson Werk in
York/Pennsylvania. Schließlich
sollte sich die 14tägige USA-Reise für mich journalistisch
rundherum lohnen.
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Es war an einem Samstagnachmittag, Ende Januar 1994.
In Rob Iannuccis Racing-Werkstatt, irgendwo in einem Hinterhof von
Brooklyn/New York, herrschte Hochbetrieb. Einer seiner Leute rangierte
mit einem Gabelstapler Kisten in die Halle. Rob begrüßte uns wie
alte Freunde, bot uns Kaffee an und zeigte auf die zum Teil
schon
ausgeräumten Verschläge in seiner Werkstatt: "Endlich sind sie da, meine
MV-Schätze."
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Was wir nun erleben durften, sollte sich fest ins
Gedächtnis einbrennen. Der Team-Chef führte uns durch seine geheiligten
Hallen. Sie waren
vollgestopft mit Ersatzteilen, Werkzeugen, Motoren und Ex-Werksrennmotorrädern von BSA,
Triumph, Matchless, Norton, Honda,
Harley-Davidson, Ducati, Benelli, AJS und seit Neuestem eben auch von MV Agusta. Er
stellte uns Nobby Clark vor, der mit der Restauration der Honda
RC164 beschäftigt war. Dann deutete Rob auf den Motor mitten im
Raum und guckte uns
fragend an, so als wolle er uns testen, ob wir wissen, was das wohl für ein
Triebwerk sei. Bohni und ich lachen und wir antworten fast wie aus einem
Mund: "Das ist der MV-GP-Boxer-Motor." |
Der Boxer, der ein 180-Grad-V-Vierzylindermotor war!
Rückblick 1976 - Ausblick 2012...?
Von Martin Kott
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So wie ihn die Fans über Jahre kannten und
verehrten.
"Ago" auf der fast unschlagbaren MV Agusta
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Nürburgring,
29. August 1976,
Großer Preis von Deutschland. Giacomo "Ago" Agostini nagelte mit seiner 500er Vierzylinder-MV Werksmaschine in der ersten fliegenden
Runde eine 9.01.10 Zeit auf den Asphalt der Nordschleife und lag damit
schon neun Sekunden vor Teuvo "Teppi" Länsivuori auf der schnellen
Square Four RG500 Suzuki. Diesen Vorsprung baute er bis in die dritte
Runde auf 14 Sekunden aus. Es fing nun immer heftiger an zu regnen und
keiner der etablierten Partizipanten konnte ihm auf der wunderschön
brüllenden Viertakt-MV folgen. Nach sieben Runden überquerte
"Ago" als
Sieger mit einem Vorsprung von fast einer Minute die Ziellinie vor Marco Lucchinelli auf Suzuki. Pat Hennen wurde ebenfalls auf Suzuki Dritter.
Das war der 270. Grand-Prix-Sieg und damit auch der letzte einer MV
Agusta.
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Rückfällig!
1975 würde Giacomo Agostini mit der Yamaha-Werksrennmaschine 500er
Weltmeister.
1976 startete er beim Nürburgring GP noch mal für MV Agusta und siegte.
Weltmeister in der Königs-Klasse wurde 1976 jedoch Barry Sheene auf Suzuki
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Der große Rivale von Ago:
Phil Read 1973 und 1974 Weltmeister auf der 500er MV Agusta
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Barry "Bazz" Sheene wurde
in der Saison 1976 auf seiner - ihr ahnt es schon - Suzuki RG500XR 14
(XR = eXperimental Racer 14=Einsatzzeit 1974 - 1977 Square Four
4 x
Drehschieber 7-port Cylinder ca. 100 bhp) Weltmeister in der "Königs-Klasse". Er verzichtete auf einen Start auf der Nordschleife, da er
schon genügend WM-Punkte gesammelt hatte. "Bazz" lehnte aus
Sicherheitsgründen Rennen auf Strecken wie der Isle of Man und eben auch
der Nordschleife ab. Beachtenswert: Er hat als Brite an keinem Manx-Grand-Prix auf der
Isle of Man bei der "TT"
teilgenommen. Ich persönlich hatte zweimal das große Vergnügen, ihn in
privater Atmosphäre zu treffen. Er war für mich einer der größten Racer
aller Zeiten und in Verbindung mit seinem Vater Frank Sheene als
Mechaniker ein Meilenstein in der Geschichte des GP-Sports. Er überlebte
grausame Unfälle (Daytona) und starb letztlich am
10. März 2003
an einer heimtückischen Krankheit.
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Barry Sheene
500er Weltmeister 1976 und 1977 auf Suzuki |
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MV Agusta
zog sich Anfang 1977 vom werksunterstützten
GP-Motorradrennsport zurück. Hauptursache war wohl die Tatsache, dass
sowohl die italienische Regierung, die nun die Aktienmehrheit der Firma
hielt, nicht mehr bereit war, den Rennsport zu finanzieren. Und Graf
Corrado Agusta, der nicht so Motorrad-rennverrückt war wie sein
verstorbener Bruder Domenico, wollte die benötigten
Mittel nicht länger aus dem Privatvermögen finanzieren.
Dies war -
betrachtet man einmal die Situation in der Rennabteilung in Cascina
Costa - sehr schade, denn bereits 1975 tat sich dort Erstaunliches. Im
Motorrad-Rennsport der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre war die technische
Entwicklung deutlich anders strukturiert als heute. Die Ideen für ein
Fahrzeugkonzept entstammten meist einer einzelnen Person, oder sagen wir
einiger weniger Spezialisten.
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Ab Mitte der 1970er Jahre wurde die Suzuki
RG500 in der Königs-Klasse zum Maß der Dinge
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Was war in
den vergangenen Jahren nach Phil Reads 500er Weltmeisterschaft 1973 und 1974 mit dem MV
Vier-Zylinder-Reihenmotor passiert? Zweitakter der Marken Yamaha und
Suzuki beherrschten die 350er- und 500er-Klasse. Aber auch die Erfolge
von KÖNIG mit dem unvergessenen Kim Newcombe in
der 500er WM waren beachtlich. Diese Motorräder waren
im Verhältnis zur MV sehr leicht und hatten einen entscheidenden
Vorteil: Sie waren mittlerweile trotz Literleistungen von weit über 200
PS wirklich standfest und waren nun auf Grund des niedrigen
Schwerpunktes (Zweitakter haben nun mal keine schweren Ventiltriebe mit
zwei Nockenwellen, 16 Ventilen nebst Zahnradkaskade zum Antrieb derselben unter ihrem mit 20-25 Litern gefüllten Kraftstoffbehältern)
deutlich im Vorteil, was die Handlichkeit betraf. Genau das war damals das
Problem der Viertakt-Reihen-Vier-Zylinder-MVs. Das früher so homogene
Fahrverhalten der MVs blieb im wahrsten Sinne des Wortes auf der
Strecke! Obwohl Leistung in der letzten Entwicklungsstufe (ca.110 PS bei
14.500 1/min =220 PS/L) wirklich vorhanden war – aber eben auch nicht
mehr standfest.
Guter Rat
war teuer und ist meist selten. Sollte man einen Two-Stroker bauen?
Damit hatte man aber überhaupt keine Erfahrung und eine Entwicklung
hätte Jahre in Anspruch genommen. Außerdem hätten sowohl die Mitarbeiter
in der Rennabteilung als auch die vielen Fans der Marke dies wohl als
Hochverrat empfunden. Erste Anmerkung: Arturo Magni behauptete Anfang
der 1970er Jahre: "Ein Zweitakter werde niemals eine 500er Weltmeisterschaft
gewinnen". Er sollte sich täuschen! Zweite Anmerkung: Interessant ist in
dieser Beziehung, dass Cagiva Ende 1979 mit einem GP 500 ccm
Vier-Zylinder-Zwei-Takt-Reihenmotor und vier horizontalen Drehschiebern
experimentierte. Der Vater von Valentino, Graciano
Rossi, führte Fahrversuche auf dem Autodromo Santa Monica (Misano)
durch. Viele ehemalige Mitarbeiter aus der MV Rennabteilung waren an
diesem Projekt beteiligt.
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MV Agusta 500 Vierzylinder-Werksmaschine.
"Ago" als Gastfahrer im Team Obsolete in Daytona Beach
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Neue Ideen
mussten her. Und die kamen in Person von Ingenieur Dr. Bocchi. Dieser
machte aber zunächst einen Fehler, der auch heutzutage im Rennsport nur
allzuoft begangen wird. Er bekämpfte die Symptome, nicht aber die
Ursache. Neue Fahrgestelle wurden in Rekordzeit gebaut, getestet und
genauso schnell wieder verworfen. Man denke nur an den "Monocross"-Rahmen
von 1975, der zwar sehr fortschrittlich war, das Fahrverhalten aber eher
verschlechterte denn verbesserte. Das Konzept der ruhmreichen
MV-Vier-Zylinder-Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen in Verbindung mit dem
Reihenmotor war ausgereizt und damit nicht mehr konkurrenzfähig.
Dottore
Bocchi machte dann das einzig Richtige: Er entwickelte einen komplett neuen
Motor in Kombination mit einem neu designten Gitterrohrrahmen. Bocchi
ist zu dem Zeitpunkt kein unbeschriebenes Blatt in der langen Tradition
italienischer Vier-Takt-Motorenbaukunst. Er erlernte sein Handwerk bei
keinem geringeren als Enzo Ferrari in Maranello. Dort war er unter
Leitung des ebenso genialen wie temperamentvollen Mauro Forghieri
maßgeblich an Entwicklung und Bau des Zwölf-Zylinder-Motors FERRARI-312
B (B = Boxer bzw. Pseudoboxer) beteiligt. Die Bezeichnung Boxermotor ist
hier aber etwas irreführend, doch dazu später mehr. Für
Automobilinteressierte hier jedoch die für einen Saugmotor
beeindruckenden Leistungsdaten:
Bauart:
180°V-12-Zylinder
Gaswechsel:
24 Ventile/je Zylinder-Bank
zwei obenliegende Nockenwellen
Bohrung x
Hub: 78,5 x 51,5 mm
Leistung:
460 PS / 12.500 1/min 153 PS/L
Hubraum:
2990 ccm (entspricht der Formel für Saugmotore 1975)
Einsatz:
Formel 1
Fahrer:
Niki Lauda
Genau auf
diesen Motor besann sich Bocchi nun bei MV Agusta:
Einen für
die damalige Zeit ultra-kurzhubig ausgelegten wassergekühlten
180°-V-Vier-Motor mit insgesamt vier zahnradgetriebenen obenliegenden Nockenwellen.
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V-Motor ist
somit die richtige Bezeichnung, da die beiden gegenüberliegenden
Pleuel/Kolben von einem gemeinsamen Hubzapfen angelenkt werden. Der
Motor baut dadurch sehr schmal. Beim Boxermotor wirkt dagegen jedes Pleuel auf
einen eigenen, um 180° versetzten Hubzapfen. Ein echter Vier-Zylinder-Boxermotor
ist so das phantastische GL-1000-K0-Triebwerk der Honda Gold Wing von 1974.
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In der
Ausführung besticht der Motor, wie immer bei den MV-Rennmotoren, mit
einem für Sandgussformteile sehr feinen Finish. Alle Motordeckel und die
Ölwanne scheinen aus einer speziellen Magnesiumlegierung gefertigt zu sein. Das
eigentliche Kurbelgehäuse mit integrierten Zylindern und die Zylinderköpfe sind jedoch aus
Aluminiumguss. Prototypenstadium eben. Auffällig auch die vier Dell`Orto-Vergaser in Fallstromanordnung mit einem Venturi Ø von 33
Millimeter, die speziell für diesen Motor vom italienischen Vergaserhersteller
angefertigt worden sind. Man beachte die nahezu waagerecht liegenden
Schwimmerkammern. Diese Anordnung wurde nur möglich durch den für die
Zeit extrem engen Ventilwinkel von 2 x 12 Grad. Die infolge steiler Ein-
und Auslasskanäle langen Ventilschäfte enden direkt unter den
korrespondierenden Tassenstößeln. So ließ sich ein kompakter Brennraum
realisieren. Apfelbeck lässt grüßen!
Gezündet
wurde mit einer kontaktlosen Zündung aus dem Hause Dansi, die auf der
rechten Motorseite angeordnet war und mit halber Kurbelwellendrehzahl
lief. Auf der linken Seite saß die Trockenkupplung,
die das unter dem Kurbelgehäuse positionierte
Zweiwellenkassettengetriebe in Rotation versetzte. Den sekundären
Endantrieb erledigte eine Rollenkette. Der Motor
war als sogenannter "Stressed Member" mittragend in die Struktur des
Gitterrohrrahmens integriert. Als Einbaulage des Motors bot sich
aufgrund der Kettenflucht zum Hinterrad der Längseinbau an (d.h.
Kurbelwelle 90 Grad gedreht zur Fahrzeuglängsachse).
Um die
Positionierung des Motors entwickelte sich im Rennstall allerdings ein heftiger
Streit. Arturo Magni plädierte für eine Montage nach BMW-Art. Dies hätte
aber - sollte der Sekundärtrieb über Ketten bewerkstelligt werden - eine
Leistung fressende Kraftflussumlenkung in Form eines Kegelradgetriebes
notwendig gemacht. Oder dachte Arturo Magni gar an einen Kardanantrieb zum
Hinterrad? Dieser hätte dann einen 90-Grad-Winkeltrieb am Hinterrad
erfordert.
Waren die schlechten Erfahrungen der Formel-750 Maschine
der 200 Meilen von Imola 1972 schon in Vergessenheit geraten?
MV-Werksfahrer Alberto Pagani konnte sich dort im entscheidenden Zeittraining nicht für das
Rennen qualifizieren. Giacomo Agostini hielt sich im Rennen zwar zunächst einige
Zeit auf Platz 2 hinter Bruno Spaggari auf der Königswellen-Ducati, gab
dann aber offiziell wegen Zündungsschaden auf. Der wahre Grund war aber
wohl die Unfahrbarkeit des auf Basis der MV Agusta 750 S gebaute
Rennmotorrads, das zwar im Straßentrimm einen zügigen Fahrstil erlaubte,
aber von einem echten Racer Lichtjahre entfernt war. Wolfgang Gruber
bezeichnete in seinem Buch: Formel 750 "Die Klasse der Asse" die MV dann
auch sehr abfällig als "Schraubendampfer". Der wahre Grund für die
Aufgabe ist eher auf die heftigen Kardanreaktionen und in deren Folge
mangelndem Speed zurückzuführen. Rocky Agusta, Sohn von Conte
Corrado, leitete die Einsätze der Formel 750, agierte aber nicht mit
glücklicher Hand. Wäre sein Onkel Domenico zu diesem Zeitpunkt noch am
Leben gewesen, er hätte mit Sicherheit einen seiner berüchtigten
Tobsuchtsanfälle bekommen! Dazu ist anzumerken, dass die
Formel-750-Motorräder laut Definition des Reglements der F.I.M./A.M.A.
der sogenannten "Transatlantischen Formel" auf serienbasierten
Motorrädern aufgebaut werden mussten. MV Agusta hielt sich an das Reglement
– wie andere Hersteller auch. Als da waren: Norton (Commando), Ducati
(750 S), Suzuki (GT 750 – der "Wasserbüffel"), Kawasaki (H2),
BSA-Triumph (Rocket/Trident) - um nur die wichtigsten zu nennen.
Gewinnen konnte
das Frühjahrs-Rennen
1972
Paul Smart,
ein sensationeller Erfolg, der für ihn und vor allem für
Ducati in die Geschichte
einging.
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"200-Meilen-Rennen von Imola"
1972

Bruno Spaggiari # 9 und Paul Smart # 16
(Foto: Ducati)
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Doch nun
zurück zum 500 ccm-GP-Motor, ich schweife vom Thema ab,
das bemängelte zu
meiner Schulzeit schon meine Deutschlehrerin.
Obwohl die Formel 750 eine
hochinteressante Geschichte ist...
Vielleicht im nächsten Rückblick!
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Einiges am neu entwickelten MV-Halblitermotor
schien leistungsfördernd zu sein.
Bauart:
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Enger
Ventilwinkel ergibt kompakte Brennräume, dadurch eine hohe Verdichtung
möglich
-
Effizienter Massenausgleich des Kurbeltriebs
-
Sehr
niedriger Schwerpunkt des Motorrades
-
Motor
tragend in die Rahmenstruktur integriert
-
Schneller
Motorwechsel möglich, Rahmen unten offen
Wasserkühlung:
-
konstante
Leistung über die Renndistanz bei gleichbleibender Motortemperatur
-
Enge
Kolbeneinbauspiele für gute Abdichtung im Zylinder
-
Nur einen Verdichtungs- und
Ölabstreifring zur Reduzierung der Verlustreibleistung
Es gibt aber natürlich auch Nachteile der
Konstruktion:
-
Höheres Eigengewicht des Motors durch
die Peripherie der Wasserkühlung: Kühler, Wasserpumpe usw.
-
Einige Bauteile sind doppelt vorhanden,
wie vier Nockenwellen und deren Antriebe
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Der
Motor lief bald auf dem Prüfstand und er entwickelte glaubhafte 110 PS in der
ersten Ausführung. Diese sollte in einer geplanten zweiten Version mit
einer mechanischen Bosch-Einspritzanlage auf ca.130 PS gesteigert
werden. Was ich persönlich für unrealistisch halte, denn die mechanische
Vier- Stempel-Hochdruckpumpe der Saugrohreinspritzung, die nötig war, um
den hohen hydraulischen Zerstäubungsdruck aufzubauen, hatte damals noch
eine sehr hohe Leistungsaufnahme und somit einen verhältnismäßig
schlechten Wirkungsgrad.
Helmut Fath
testete mit Paul Smetana Ende der 1960er Jahre ein ähnliches System unter
der Leitung von Dr. Peter Kuhn in seiner Vier-Zylinder
"URS" (URS waren die
ersten drei Buchstaben seines Heimatortes "Ursenbach" im
Odenwald), rüstete aber nach vielen Problemen auf japanische
Keihin-Vergaser um.
Soweit
sollte es aber bei MV gar nicht mehr kommen, denn die F.I.M. verschärfte
Mitte des Jahres 1976 die Geräuschvorschriften in der Motorrad-WM, und MV Agusta stellte das
Projekt ein. Eine weitere Dämpfung der Abgasanlage war nicht ohne
erhebliche Leistungsreduzierung vertretbar. So wanderte der Motor ohne
jemals eine Testfahrt, geschweige denn ein Rennen bestritten zu haben,
nicht einmal ins Werks-Museum, sondern verschwand irgendwo zwischen Gallerate
und Mailand in einem Holzverschlag und geriet in Vergessenheit.
Das war´s
also für die Rennabteilung. MV Agusta Reparto Corse
ist Geschichte! GP-Vier-Takt Rennmotorräder der 500er Klasse sind
Geschichte!
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Honda NR 500
(Foto: Werk)
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Den
einzigen ernsthaften Versuch einen 500-ccm-Vier-Takter auf die
Rennpisten der Welt zurückzubringen, startete Honda 1979 mit der NR 500,
ein V4-Renntriebwerk mit Ovalkolben - und scheiterte kläglich. Es
wurden Millionen Yen in die Entwicklung versenkt, um festzustellen, dass
mit der Drei-Zylinder-Zwei-Takt-Rennmaschine NS 500 unter
Freddie Spencer der lang
ersehnte 500er-Titel 1983 für Honda relativ leicht zu erkämpfen war. |
Robert Iannucci erhielt 1986 den Zuschlag für
einige komplette Drei- und Vier-Zylinder-Rennmaschinen
und für den Pseudoboxer
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Robert "Rob" Iannucci
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Star-Fahrer im "Team Obsolet"
Giacomo Agostini und
Jim Redman
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1986
geschah in Italien aber noch einmal etwas eigentlich Unvorstellbares. Einige erinnern sich vielleicht noch an die große Verkaufsanzeige in der
Zeitschrift "Das MOTORRAD". Die Werksmaschinen aus der MV-Agusta-Rennabteilung
sollten versteigert werden! Der New Yorker Rechtsanwalt Robert Iannucci,
motorradverrückt und Besitzer des Team Obsolete, erhielt
den Zuschlag für einige komplette Drei- und Vier-Zylinder-Rennmaschinen
und eben auch für den Pseudoboxer mit dem liegenden Vier-Zylinder aus
besagtem Holzverschlag. Ob der MV-Boxer jedoch jemals in einem
fahrtüchtigen Rennmotorrad zu bestaunen sein wird, steht in den Sternen,
und Rob Iannucci weiß es selbst am aller wenigsten.
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Die Vision
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EICMA
Milano 2012: Franz Josef Schermer, Winni Scheibe, Waldemar Schwarz,
Martin Kott, Harald Widerroder, Utz Raabe, Harald Groß und Georg Irrgang
stehen, nein sie knien, weinend vor der neuen, soeben von Valentino Rossi
enthüllten und auf einer Drehscheibe stehenden, langsam
rotierenden, angestrahlt von zig Energiesparleuchten
MV Agusta V 588 VELOCE.
Dahinter
auf einer Handballfeld großen Videowand (LED-Technik) die technischen
Daten:
Liegend,
längs eingebauter 180 Grad V 4 Motor Saugmotor, wassergekühlt, Kühler
oberhalb der vorderen Zylindereinheit
Verdichtung
12:1
Hubraum 588
ccm
Leistung
139,8 PS bei 12.500 1/min
Max.
Drehmoment 73 Nm bei 9.250 1/min
vier radial
angeordnete Ventile
Tassenstössel
zwei obenliegende
zahnradgetriebene Nockenwellen pro Zylinderkopf
Trockensumpf-Schmierung
Magneti-Marelli-Einspritzanlage, zwei G-Kats, 18g/100km CO2
Trockenkupplung
6-Gang
Kassetten Getriebe
Kettenantrieb
Gesamtgewicht trocken 135 kg
Fahrfertig
169 kg
Gitterrohrrahmen/Motor tragend integriert
Goldfarbene,
geschmiedete Aluminiumräder im Dreispeichen Design
Reifen-Dimension vorne: 110/65 Dunlop Qualyfier MK VIII R7 CT
Reifen-Dimension hinten: 170/60 DUNLOP Qualyfier MK XX R5 CT
Die Form
der natürlich Rosso/Argento lackierten Maschine besticht und polarisiert
wie damals die Präsentation der F4. Manche sprechen von Retro-Look.
Begriffe wie Delphin-Verkleidung oder Megaphone fallen. Tatsächlich
wirkt das Motorrad unglaublich zierlich.
Dem
Racevirus verfallenem Betrachter stechen sofort einige Details besonders
ins Auge. Der runde Scheinwerfer wird durch eine gelb lackierte und
mittels zweier Schnellverschlüsse fixierten, ovalen Abdeckung aus Carbonfaser abgedeckt. Aus dem gleichen Werkstoff sind Tank, Höcker und
die zweiteilige Verkleidung gefertigt. Alle Beleuchtungseinrichtungen
sind so in den "Shape" integriert, dass nichts herausragt. Die
Solositzbank verbirgt hinter sich den Tank der Trockensumpfschmierung,
die beiden oberen Rahmenrohre werden als Vor- und Rücklaufleitung
genutzt! Die Batterie befindet sich schwerpunktgünstig hinter dem Motor
unterhalb der über Excenter einstellbaren konventionellen
Zweiarmschwinge. FORCELLA ITALIA steht erhaben auf der neuentwickelten
Teleskopgabel mit Titan-Nitrit beschichteten Standrohren. Neben dem mit
einem Monza-Cap abgedeckten Öleinfüllstutzen im Höcker positioniert sich
ein kleines Handrad zur gemeinsamen hydraulischen Einstellung der
Federvorspannung der filigranen Federbeine aus dem Hause CERIANI. Druck
und Zugstufe lassen sich über kleine Stellschrauben direkt an den
Federbeinen justieren.
Vierkolben.-Bremszangen der Marke LOCKHEED umschließen die beiden Silizium
beschichteten kreisrunden innenbelüfteten Carbon-Bremsscheiben der Marke
"Elaborazione GIOVANNI-MAGNI".
Das Racing-ABS am Vorder- und Hinterrad gehört zur Serienausstattung.
Ein großer
Drehzahlmesser mit schwarzem Zifferblatt, weißen Zahlen von 4.000 bis
14.000 und rotem Zeiger dominiert das spartanische Cockpit, das
ansonsten nur noch ein kombiniertes Wasser-/Öltemperatur-Instrument
beherbergt. Das ist echter italienischer Race-Spirit. Mehr braucht kein
Mensch! Rundenzeiten werden vom guten Kumpel oder der Ehefrau in der
Boxengasse genommen.
Und beim
Stichwort Boxengasse komme ich zum ernsten Teil der Neuvorstellung, das
Zauberwort lautet:
KIT per TRANZFORMATIONE
Die schon
in der Straßenausführung aus Edelstahl gefertigten, gefälligen
Schalldämpfer werden gegen eine Vier-in-vier-Megaphon-Anlage aus 0,8
Millimeter Titanblech (hydroformed, einteilig je Dämpfer) ersetzt, je
zwei Rohre enden in etwa in Höhe der oberen und unteren
Stoßdämpferbefestigungsaugen, auch die MARELLI-Einspritzbrücken wandern
auf die Werkbank. Sie werden ersetzt durch eine offene "pro Jet" Racing-Einspritzanlage. Die im Tank integrierte Airbox lässt
sich samt dem nun überflüssigen Kabelbaum mit wenigen
Handgriffen demontieren. So verschwindet das nervige Gehacke beim
Gasanlegen und die besonders bei Rennstrecken-Betrieb unangenehmen
Lastwechselreaktionen. Ein vierfach Bowdenzug Gasgriff (jawoll –
TOMMASELLI steht drauf) ersetzt den "Drive by wire"-Lautstärkeregler.
Eine
Carbonschatulle mit der notwendigen Software liegt dem Kit bei. Fast
schon selbstverständlich gehören ein echtes Racing-Getriebe und
ausreichend Ritzel und Kettenräder sowie eine ultraleichte Rennkette zum
Kit.
Auch ein Satz DUNLOP-Rennslicks,
aufgezogen auf Magnesiumfelgen incl. Reifenwärmern, gehört zum
Lieferumfang. Alle Kit-Teile sind in einer stabilen Aluminiumbox für den
Transport zur Rennstrecke sicher untergebracht. Der Kit ist im Kaufpreis
erhalten.
Ich
persönlich würde mir solch eine neue MV sofort ohne nachzudenken
bestellen, denn so sehe ich ein gelungenes Nischenprodukt, das sich zwar
nicht in großen Stückzahlen verkaufen lässt, aber in Kleinserie,
natürlich bei entsprechendem Preis kostendeckend zu produzieren wäre.
Und von meiner Sorte gibt es weltweit einige unheilbar kranke
Kradfahrer!
Es wäre
sogar denkbar, dass Jonas Folger in der Klasse 600 Supersport den
WM-Titel ins Visier nimmt.
Der Preis:
geschätzte 64.000 Euro. Aber das Leben ist so kurz wie die
Hunaudie`res-Gerade in Le Mans!!
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