Motorrad-Marken

Ducati 750 SS
Baujahr 1972

"Königlicher Exote"

Im Frühjahr 1972 beim "200 Meilen Rennen von Imola" war
es die Sensation schlechthin. Überlegen gewann Paul Smart mit
der neuen Könisgwellen-Ducati 750 Desmo das Formel-750-Rennen.
Zur Ehre dieses Erfolges baute Ducati eine limitierte Anzahl
der "Imola-Replica".

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Fromm, Werk, Archiv




Mit großem Tam-Tam verkündete im Februar 1972 die Pressestelle vom Autodrom "Dino Ferrari" in Imola, dass beim traditionellen Frühjahrsrennen erstmals in Europa ein "Formel-750-Rennen" stattfinden sollte. Dieses nach amerikanischem Vorbild, der sogenannten "Daytona-Formel", organisierte 200-Meilen-Rennen war für seriennahe Maschinen bis 750 ccm Hubraum ausgeschrieben. Viele namhafte Teams und bekannte in- und ausländische Starrennfahrer gaben ihre Nennung ab. Ganz vorne in der Starterliste ließ sich MV Agusta einschreiben. Mit den neuen 750er Vierzylinder-Maschinen schickten die MV-Bosse siegessicher Weltmeister Giacomo Agostini und Alberto Pagani ins Rennen. Moto Guzzi engagierte den Haudegen Jack Findlay; Daytona-Sieger Don Emde reiste aus Amerika mit seiner Gus-Kuhn-Norton an; die englischen Rennfahrer Phil Read, Peter Williams und Tony Rutter kamen mit den schnellen John-Player-Nortons; alle Register zog die BSA- und Triumph-Rennabteilung und entsandte die erfolgreichen 750er Dreizylinder-Maschinen mit den Piloten Ray Pickrell, Percy Tait, Toni Jeffries, John Cooper und Bob Heath; der Italiener Walter Villa setzte darüber hinaus eine 750er Dreizylinder-Daytona-Triumph ein. Roberto Gallina, Bill Smith, Roberto Buscherini, Vasco Loro, Luigi Anelli, Silvio Grassetti und John Williams schoben neue Vierzylinder-Honda CR750 an den Start; Eric Offenstadt, Dave Simmonds und Cliff Carr steuerten die wilden 750er H2R Dreizylinder-Zweitakt-Kawasakis, und Ron Grant versuchte sein Glück mit der 500er Zweizylinder-Zweitakt-Suzuki. Ebenfalls mit von der Partie waren Hans-Otto Butenuth und Helmut Dähne mit ihren Boxer-BMW's.


"200-Meilen-Rennen von Imola" 1972


Bruno Spaggiari # 9 und Paul Smart # 16
(Foto: Ducati)


Paul Smart # 16
(Foto: Ducati)


Paul Smart
(Foto: Ducati)


Sieger:
Paul Smart
(Foto: Ducati)

Gegen diese Armada von hochkarätigen Werksmaschinen und Spitzenfahrern wollte ein Mann antreten, der soeben eine beachtenswerte Maschine entwickelt hatte. Gemeint ist Fabio Taglioni. Motorräder aus Italien waren schon immer etwas ganz Besonderes. Jedoch bei keiner anderen Marke, ganz gleich ob Moto Guzzi, MV Agusta, Laverda, Moto Morini, Gilera, Aermacchi, Benelli oder Motobi ist der Firmenname mit einer einzigen Person so eng verbunden wie bei Ducati. Chefingenieur Fabio Taglioni hat von 1954 bis 1982 maßgeblich die technische Entwicklung im Ducati-Werk beeinflusst. In dieser Zeit konstruierte der geniale Techniker über 1000 (!) Motoren. Sein Einfallsreichtum reichte vom Einzylinder-Diesel-Aggregat bis zum gewaltigen 1200er Vierzylinder-V-Motor. Höhepunkt der schöpferischen Tätigkeit und Krönung seiner Konstruktions-Kunst wurde die im November 1970 auf dem Mailänder Salon vorgestellte neue Ducati 750 GT. Im Vergleich zu anderen damaligen Sportmaschinen wirkte die Ducati ausgesprochen zierlich. Verantwortlich für das Erscheinungsbild war der neu entwickelte 90-Grad-Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, der längs im Fahrwerk eingebaut war. Zwar waren Motorräder mit V-Motoren bereits von Harley-Davidson, Vincent, Indian und Jap bekannt, doch ein modernes Sportbike mit V-Motor mutete für Fachleute und Fans vorerst äußerst exotisch an. Ducati-Entwicklungsleiter Fabio Taglioni hatte das Triebwerk auch nicht genau senkrecht in den Rahmen gesetzt, sondern, um eine bessere Kühlung zu erreichen, den Motor um 30 Grad nach vorn geneigt.  






Aber nicht nur die Optik, auch die technische Ausführung des Motors hatte es in sich. Die Pleuel liefen auf einem gemeinsamen Hubzapfen, und die stabile Kurbelwelle war drehzahlfest in vier Kugellagern gelagert. Bohrung und Hub betrugen 80 x 74,4 mm, aus denen sich 748 ccm Hubraum ergab. Jeden Zylinderkopf hatte Taglioni mit einer Nockenwelle ausgestattet, die jeweils über eine Königswelle und insgesamt neun Kegelräder angetrieben wurden. Die zwei Ventile pro Zylinder wurden konventionell über Kipphebel betätigt, und für die Aufbereitung des Kraftstoff-Luftgemisches waren zunächst zwei Amal-Concentric-Vergaser, die ab 1973 durch Dell`Orto-Vergaser ersetzt wurden, zuständig. Um den Motor möglichst kompakt zu gestalten, ordnete Fabio Taglioni die beiden Wellen des Fünfganggetriebes übereinander an. Der Antrieb zum Hinterrad erfolgte über eine Rollen-Kette. Gestartet wurde der Motor via Kickstarter. Auch das Fahrwerk zeigte einige Finessen. Der Rahmen war unten offen, der Motor diente als mittragendes Teil. Ab der Serienproduktion der 750 GT im Sommer 1971 sorgte am vorderen Speichenrad eine hydraulisch betätigte Scheibenbremse mit 280 Millimeter Durchmesser und im hinteren Speichenrad eine Simplex-Trommelbremse für die Verzögerung. Aus dem agilen Kraftpaket zauberte Ducati-Chefkonstrukteur Taglioni etwa 45 PS, was der nur 195 Kilogramm schweren unverkleideten Maschine zu einer Höchstgeschwindigkeit von knapp 180 Stundenkilometern verhalf. Ein Wert, der damals den 750er Fans den Atem stocken ließ. 



(Foto: Fromm)

Nun wäre Ducati aber nicht Ducati, wenn dieses Motorrad nicht auch für den Renneinsatz prädestiniert gewesen wäre. Bereits in den fünfziger und sechziger Jahren erzielte das italienische Werk mit seinen legendären Einzylinder-Königswellen-Maschinen mit desmodromischer Ventilsteuerung bei nationalen und internationalen Rennen zahlreiche Erfolge. Einen besseren Zeitpunkt wie das "200-Meilen-Rennen von Imola" hätte sich Fabio Taglioni für die Rennpremiere seiner Königswellen-Ducati kaum wünschen können. Doch bis es so weit war, wurde das Triebwerk zunächst mächtig in die Mache genommen. Die Zylinderköpfe bekamen die Ducati-bekannte desmodromische Ventilsteuerung, scharfe Rennockenwellen und Doppelzündung. Für die Gemischaufbereitung sorgten zwei mächtige 40er Dell'-Orto-Vergaser, die Serienauspuffanlage wurde gegen offene Megaphon-Rohre ersetzt. Alle Mühen lohnten sich, das Triebwerk brachte 86 PS bei 8800/min und im Rennstress ließ sich der Motor kurzzeitig sogar bis 10.000 überdrehen.

Insgesamt wurden in der Rennabteilung zehn dieser nur 162 kg schweren Serienrennmaschinen gebaut. Genug Material um die Werksfahrer Bruno Spaggiari, Ermanno Giuliano und Alan Dunscombe zu versorgen. Doch Ducati-Boss Fredmano Spairani wollte für das Prestige-Rennen unbedingt einen zusätzlichen Top-Piloten engagieren. Jedoch vergeblich. Weder Renzo Pasolini, noch Barry Sheene und selbst Jarno Saarinen waren weder für Geld noch gute Worte für einen Start auf der neuen Duc zu begeistern. Wenige Tage vor dem Rennen ließ sich der Engländer Paul Smart überreden. Aber auch er traute der Maschine nichts zu.

 


(Foto: Werk)


Markenzeichen:
Königswellen und desmodromische Ventilsteuerung


Ganz anders seine Meinung nach dem Training. Vor über 70.000 Zuschauern hatte der Brite die schnellste, sein Teamkollege Bruno Spaggiari die zweitschnellste Trainingszeit gefahren. Beim Rennen konnten die Ducatifahrer das Kunststück wiederholen. Paul Smart siegte, Bruno Spaggiari belegte den zweiten Platz. Die Sensation war perfekt.



Käuflicher "Café Racer" 1972:
Ducati 750 SS
(Foto: Archiv)

Nach diesem Erfolg gab es überhaupt keine Frage, den Ducati-Fans eine Imola-Replica als Straßenmaschine anzubieten. Jede der zunächst auf 25 Stück limitierten Ducati Desmo 750 Super Sport, insgesamt wurden es dann aber doch rund 400 Maschinen, wurden in der Rennabteilung mit größter Sorgfalt per Hand zusammengebaut. Um das Gewicht möglichst niedrig zu halten, fertigte man die rahmenfeste Oberteilverkleidung, Tank, Seitenabdeckungen und Sitzbank aus GFK. Der auf den Straßenbetrieb abgestimmte Motor brachte 73 PS bei 8000/min, genug Leistung, um das rund 200 kg-Bike auf knapp 220 km/h zu beschleunigen.



Kraftmeier: 73 PS bei 8000/min

Italo-Fans, die sich für das Meisterwerk von "Dottore" Fabio Taglioni interessierten, mussten knapp 10.000 Mark auf die Ladentheke blättern. Als Gegenwert bekamen sie ein exklusives Sportbike. Wie damals die Ducs allerdings die Zulassungshürde geschafft haben, bleibt bis heute ein Rätsel. Ohne nachträgliche Phon-Reduzierung der Conti-Tüten lag die Schalldämpfung weit über dem, was die Polizei erlaubte. Serienmäßig hatte die Maschine weder Blinklichtanlage noch Rückspiegel. Auch der originale Kunststofftank - er hatte auf beiden Seiten eine transparente Benzin-Anzeige - wurde sicherlich von keiner deutschen TÜV-Stelle abgenommen. Günstigen Ersatz bot der Stahlblechtank der 750 Sport. 




Doch sei es, wie es will. Ducati hatte mit der 750er Super Sport bewusst ein Bike auf die Räder gestellt, das die Grenze für ein zulassungsfähiges Straßenmotorrad wohlweislich erreichte - wenn nicht sogar überschritt. Kompromisslos für Sportfahrer! Und so darf auch kein tourentauglicher Komfort erwartet werden. Das Fahrwerk gab und gibt auch heute keinen Anlass zur Kritik. Absolut spurtreu, sehr kurvenwillig, aber "hart und gerecht" sind die Tugenden vom unten offenen Stahlrohrrahmen. Auch die Sitzposition hält, was sie verspricht: Rennsport pur. Die Stiefel stehen auf den zurückgelegten Fußrasten, die Sitzbank hinter dem langen Tank bietet nur für eine Person Platz, und die Stummellenker sind direkt an die 38 Millimeter starken Gabel-Standrohre unterhalb der oberen Gabelbrücke angeschraubt. Für die "Renn-Replica" waren diese "Eckdaten" ein unabdingliches Muss. Daher wundert es auch nicht, dass Langsamfahrt zur Qual wird. Das Gewicht des Oberkörpers muss voll von den Oberarmen abgestützt werden. Erst wenn alle Geschwindigkeitsbegrenzungen hinter Ross und Reiter liegen, die Fuhre ordentlich auf Trab kommt, wird der Oberkörper vom Fahrtwind entlastet, und es kommt Fahrfreude auf. Und derer hat die "Desmo" reichlich zu bieten. Die Laufruhe und der Durchzug des Königswellen-Motors kann auch heute noch begeistern. Ist das Triebwerk auf Betriebstemperatur, hängt es richtig gierig am Gas. Besonders angenehm - schon wegen des lauten Sounds - ist es, dass sich das Sportmotorrad auch mit wenig Drehzahlen fahren lässt. Ohne sich beim Gasgeben zu verschlucken, dreht der Königswellen-Motor gleichmäßig hoch und beschleunigt die Schose in 4,5 Sekunden auf 100 km/h und in 10 Sekunden auf 160 Sachen. Richtig zu Haus fühlt sich die Ducati auf einsamen, verwinkelten Landstraßen. Auf der Suche nach der nächsten Kurve werden die Geraden zur "Ewigkeit". Waren bei Produktionsbeginn der 750er Super Sport die doppelte Scheibenbremsanlage am Vorderrad das Maß der Dinge, ist im Vergleich zu modernen Bikes für die Dosierung viel Handkraft erforderlich, doch noch immer sorgen die Stopper für nachhaltige Verzögerungswerte. Hat man sich aber auf die Motorcharakteristik "eingeschossen", wird vor den Kurven der Gashahn einfach zugedreht, der V-Motor sorgt für die nötige Verzögerung und nach dem Knick wieder beschleunigt. Es gibt nur wenige Sportmaschinen, die sich mit soviel "Dampf aus dem Keller" fahren lassen und in der Summe aller Eigenschaften ein so unvergleichbares Fahrerlebnis vermitteln.



(Foto: Fromm)

Die Ducati 750 "Desmo" Super Sport war das erste käufliche Superbike. Bei ihrer Galavorstellung beim 200-Meilen Rennen von Imola im Frühjahr 1972 hatte die Königswellen-Ducati dem Rest der Welt die Nase gezeigt. Wie zukunftsweisend die Motorkonstruktion von Fabio Taglioni war, zeigten die Rennerfolge der modernen wassergekühlten, desmodromischen Vierventil-Ducatis in den letzten Jahren.

Text-Archiv: Ducati Klassiker

Bild-Archiv: Ducati 750SS


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