Lexikon


Geschichte der englischen Motorradindustrie
bis in die 1980er Jahre


"...auch die Beatles waren einst die Größten..."

Englische Bikes haben jahrzehntelang den Markt beherrscht.
Als urige Dampfhämmer, pfeilschnelle Sprinter, schicke Ladys.
Die Motorradindustrie war allerdings maßlos arrogant, selbstherrlich
und stockkonservativ und das hat ihr letztendlich den Hals gebrochen.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv


BSA
Briten-Bikes für Gentlemans and Ladys


Einst waren sie die Größten. Und selbstsicher behauptete sogar einer von ihnen, sie seien "bekannter als Jesus". Gesagt hatte das John Lennon von den Beatles. Kein Zweifel, man kannte die "Pilzköpfe" überall und das weltweit. Ihr Zusammenhalt dauerte leider nur rund zehn Jahre, ihre Songs werden dafür nicht vergessen. Die Beatles stellten Musikwelt und Jugend auf den Kopf, sie prägten eine ganze Generation. 
Vergleichbares passierte Mitte der Sechziger in der Motorradszene. Auf einmal war mächtig was los. Wer sich dafür begeisterte, wurde ebenfalls neu geprägt. Motorräder waren plötzlich keine billiges Verkehrsmittel mehr oder "arme-Leute-Fahrzeuge", Motorradfahren bedeutete Freiheit, Abenteuer und Unabhängigkeit. Ein neuer Lebensstil war geboren.


Vincent
500er-Sportmaschine 1950: Vincent Comet

Für manche war es aber auch ein Ausbruch aus dem bürgerlichen Spießertum. Posthum hatten alle gleich ihr Fett weg, sie waren als Halbstarke und Rocker verschrien, als Schwiegersohn wollte sie keiner haben.

Triumph


BMW
BMW R 50/3 von 1950


Bei uns fuhr man BMW, NSU, Horex, Adler und Zündapp. Es waren mühevoll hergerichtete Maschinen, die eigentlich schon längst auf den Schrottplatz gehörten. Die echten Traummaschinen kamen dagegen aus England. Die 500er, 650er und 750er Modelle trugen klangvolle Namen, die für Respekt und Ehrfurcht sorgten. Zum Beispiel die BSA Gold Star, Road Rocket, Thunderbolt und Spitfire, die Triumph Tiger, Trophy und Bonneville, die Norton Manx, Atlas und Commando, dann die Royal Enfield Bullet und Interceptor und natürlich die Velocette Venom Thruxton.


BSA A 65 Rocket


Velocette Venom Thruxton 500


BSA Spitfire
BSA A 65 SS Spitfire MK IV Special


BSA Métisse
Café-Racer: BSA-Métisse


Und dann gab es noch die sogenannten Café Racer, Bikes, die ausschließlich nur fürs Schnellfahren gebaut wurden. Bekannte Hersteller waren Dresta, Seeley und die Rickman Brothers mit ihrer Métisse.


Vincent
1000er HRD-Vincent Black Shadow


Andere englische Bikes waren dagegen in den Sechzigern bereits schon Legende, allen vorweg Vincent mit der sagenumwobenen 1000er Black Shadow und der Black Lightning. 


Bike von der grünen Insel waren einst weltweit Marktführer

Britische Bikes beherrschten den Weltmarkt, sie gab es überall. In Nord- und Südamerika, im Orient, in Südafrika, in Indien, in Australien und natürlich in Europa. Nur bei uns waren sie rar, meist kannte man sie nur aus der Motorrad-Zeitung. Es gab kaum Importeure, Service und Ersatzteilversorgung waren mies und obendrein waren sie auch noch viel zu teuer. Was blieb, war die Träumerei.  
An der weltweiten Markposition wagte keiner zu rütteln. Die Engländer selbst am allerwenigsten. Doch die Zeichen der Zeit standen gegen das Imperium. Die Nachfrage ging von Jahr zu Jahr rapide zurück, viele Fabriken mussten die Tore für immer schließen. Steinalte Technik, mangelhaftes Management, immer wieder Streiks und daraus resultierende Lieferschwierigkeiten sowie falsche Modellpolitik vergraulte die Kundschaft. 



Auch in Japan waren Triumphs beliebt


Um wirtschaftlich überleben zu können schlossen sich Norton, Triumph und BSA zusammen. Vergeblich wie wir heute wissen, den Anschluss hatten die Engländer total verschlafen. Jede verkaufte Maschine wurde als Erfolg gewertet und wenn gar nichts mehr ging, erinnerte man sich allzugerne an die goldenen Fünfziger. 
In den Sechzigern und Anfang der Siebziger war vom dicken Motorradgeschäft in Europa allerdings noch keine Rede. Nach den Umsatzrekorden in den Fünfzigern sollte der zweite "Boom" ja erst noch kommen. Nur wenige Händler konnten sich über Wasser halten. Dafür war der Zusammenhalt draußen auf der Straße um so größer, man hielt zusammen wie Pech und Schwefel. Kamen sich Motorradfahrer entgegen, hob man zum Gruß die Hand. Aber meist blieb man stehen, um ausgiebig "Benzin" zu reden. Die Zeit der Beatles und die damalige Motorradfahrerei hatten viel gemeinsam. Beatfans mussten ihre langmähnige Weltanschauung erklären, die Jugend motzte auf, widersprach den Eltern, jeden Tag wurden neue Erfahrungen gemacht, ständig etwas Neues durchgeboxt und immer und überall diskutiert, über Gott und die Welt, schließlich gab es ja so viel zu verbessern. 



Kult-Film: "The Wild One"
(Foto: Archiv)

Wer Motorrad fuhr, wurde von der Gesellschaft als armes Schwein oder Verrückter abgestempelt. Den Bikern war das aber egal. Sie wussten genau, was sie machten und was sie wollten. Mit Autos hatten sie nichts am Hut, von der Vierradmasse wollten sie sich abheben. Es gab eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen alt und jung. Die Jugend hatte plötzlich neue Ideale: die Beatles machten Revolution und das völlig gewaltfrei! Motorradfahrer schwärmten für schwere englische Maschinen und verehrten die GP-Stars Mike Hailwood, Jim Redman, Phil Read und Bill Ivy.



Honda-Starpilot: Jim Redman
(Foto: Archiv-Redman


Ende der Sechziger veränderte sich die Welt

Wer damals ans Motorrad glaubte, sollte Recht bekommen. Doch diese Chance hatte die englische Motorradindustrie total verpasst, sie war Anfang der Siebziger restlos pleite. Die neuen Bikes kamen von Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki aus Japan und die Oberhämmer hießen CB 450, CB 750 Four, 500 H1 "Mach III", Z 900 "Z1", GT 750 "Wasserbüffel" und XS 650. Es kam aber noch viel schlimmer. Den "good old British Bikes" weinte kaum einer eine Träne nach und die Engländer selbst am wenigsten. Dabei waren sie einst die Größten...


Honda CB 750
1968 Meilenstein in der Motorradgeschiche: Honda CB 750 Four 


Englands letzter Versuch:
BSA Rocket3
BSA A 75 R Rocket3


Triumph Trident
Triumph T 150 Trident


Triumph  X75
Triumph X 75 Hurricane


England wurde vor rund 100 Jahren zur "Motorradinsel"

Dass man es tatsächlich einmal so weit bringen würde, daran dachte im Vereinigten Königreich vor rund 100 Jahren wohl kaum einer. Als nämlich um die Jahrhundertwende die ersten Motorräder über englische Holperstraßen knatterten, musste vor jedem "Teufelsgerät" eine Person mit roter Fahne herlaufen. Zum Glück wurde das "Red Flag Act"-Gesetz bald abgeschafft, dafür galt ab 1903 ein generelles Speedlimit von 20 mph, etwa 32 km/h. Doch die technische Entwicklung war nicht mehr zu stoppen. Zu den Motorradpionieren der ersten Stunde gehörten ab 1901 Royal Enfield, ab 1902 Triumph, ab 1904 Scott und Velocette, ab 1905 Matchless, ab 1907 Douglas, ab 1908 Norton, ab 1909 Brough Superior und AJS und ab 1910 BSA. Alle samt und sonders Motorradwerke, die in die Geschichte eingehen sollten. Doch bis es soweit war, mussten man die Käuferschaft erst von der Qualität überzeugen. Und das ließ sich natürlich am besten mit Sporterfolgen erreichen. Rennen auf öffentlichen Straßen waren aber verboten und abgesperrte Strecken gab es noch nicht. Bis auf eine Ausnahme, die Isle of Man. Die Regierung der kleinen Insel in der Irischen See hatte den wirtschaftlichen Nutzen von diesen Großveranstaltungen erkannt, schnell erließ man ein Sondergesetz. 1907 wurde die erste TT, die Tourist Trophy, veranstaltet - sie gibt es bis heute. Wer die TT gewinnt, kann sich als weltbester Rennfahrer fühlen. Die Sieger werden als Helden verehrt.



Rudge-TT-Prospekt
(Foto: Archiv)

Triumph-Werk in den 20er Jahren
(Foto: Triumph)


Schließlich ist die TT die schwerste, aber auch gefährlichste Rennstrecke der Welt. Der gut 60 Kilometer lange Rundkurs führt durch Ortschaften, vorbei an Steinmauern und Felswänden, durch Alleen und über Berge. Gefürchtet ist das Wetter. Scheint an der Küste die Sonne, kann es in der Bergregion regnen, Nebel ist das Schlimmste. Allerdings kein Grund zum Abbruch, schließlich müssen alle Fahrer da durch. 
Für die englische Motorradindustrie diente die TT über Jahrzehnte als knallharte Teststrecke. Maschinen, die diese Prüfung bestanden, ließen sich wie warme Semmeln verkaufen. Der Grundstock für den einmaligen Aufstieg und unvergleichbaren Weltruf wurde auf der TT gelegt. Motorradbau und sportlicher Wettkampf wuchsen auf der grünen Insel zu einer unzertrennlichen Einheit zusammen. Und wenn es nicht bei der TT war, dann bei gewaltigen Langstreckenfahrten quer durchs Land oder dem legendären Geländemarathon, den "Six Days".
Dieser Wettstreit setzte sich im Serienmaschinenbau fort. Jede Firma versuchte die stärksten und schnellsten Maschinen zu bauen. Spitzenreiter im Powermatch waren Brough Superior und Vincent. Beide Firmen brachten 1937 Sportmaschinen mit 1000er V-Motor auf den Markt. Die Brough leistete 48 PS,
die Vincent 45 PS, beide waren gut 170 km/h schnell. In der damaligen Zeit ein unvorstellbares Tempo, nirgendwo auf der Welt gab es schnellere Motorräder. Andere englische Hersteller wollten nachziehen, doch dann funkte der Zweite Weltkrieg dazwischen und man hatte plötzlich ganz andere Sorgen.


Vincent-Macher (Foto: Archiv)


1937 schnellstes Serien-Bike: Vincent A-Twin


Nach Kriegsende setzte die englische Industrie kaum verändert, ihre längst zur Tradition gewordene, Motorradfertigung fort. Typisch hierfür waren die kernigen Ein- und Zweizylinder-Viertaktmotoren mit 350, 500 und 650 ccm Hubraum. Das Vierganggetriebe werkelte in einer separaten Schaltbox hinter dem Motor, der Primärantrieb hatte ein eigenes Gehäuse, aber auch Zündmagnet und Lichtmaschine waren in der Regel außerhalb vom Motor platziert. Die Straßenlage war vorbildlich und die Bremsen erste Sahne. Fachleute sprachen ehrfürchtig von der "klassischen englischen Motorradbaukunst". Nicht ohne Grund. Die Ladies konnten es mit allen aufnehmen. Sie waren schneller als die amerikanische Indian oder Harley-Davidson, flotter und handlicher als die große Zündapp oder BMW, und die Italiener hatten eh nur kleine Hüpfer im Angebot. Optik, Motorklang, Fahrgefühl und Fahrerlebnis waren einzigartig, englische Bikes waren das Maß der Dinge. Und dann gab es noch Vincent. Diese Marke war der Rolls Royce unter den britischen Bikes. Nach einem ausgeklügelten Baukastensystem produzierte Philip C. Vincent ab 1946 sauschnelle 500er Einzylindermaschinen und 1000er Sportmotorräder. Die 55 PS starke 1000er Black Shadow war 1948 mit 200 Stundenkilometer das schnellste Straßenmotorrad der Welt. 

Was in der 1000 Vincent tatsächlich steckte, bewies am 13. September 1948 Rollie Free. Lediglich mit Helm, Badehose und Schlappen bekleidet raste er, flach auf einer 80 PS starken Black Lightning liegend, über den Bonneville-Salzsee. Sein Mut wurde belohnt, mit 241,85 km/h stellte Rollie Free einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf.



Speedman: Rollie Free
(Foto: Archiv)


Vincent forderte im Serienbau einen enormen Qualitätsstandard. Seine Motorräder waren schließlich die stärksten, schnellsten und teuersten Bikes, die es damals zu kaufen gab. Trotz des hohen Preises musste Vincent aber bei jeder Maschine kräftig zuschießen. Bereits 1950 war seine Firma mit 2,2 Millionen Mark verschuldet. Nach Brough Superior, die 1940 dicht gemacht hatte, war Vincent 1955 an der Reihe. Zwei der berühmtesten englischen Motorradmarken waren zur Geschichte geworden.



Triumph-Fahrer Ray Pickrell 1972 auf der TT
(Foto: Archiv)


Bei den großen Herstellern BSA und Triumph lief das Geschäft dagegen auf Hochtouren, sie brachten es weltweit sogar zum Marktführer. Neben dem Binnenmarkt waren die USA Hauptabnehmer Nummer eins. Auch die anderen Firmen wie Norton, AJS, Matchless, Royal Enfield und Velocette profitierten, wenn auch nur kurz, von der regen Nachfrage. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hatte die Jugend das Motorrad nämlich als neues Spielzeug entdeckt. Ein gewaltiger Boom war ausgebrochen, ganz Amerika schien motorradverrückt. In der Zeit, als bei uns kein Mensch mehr etwas vom Zweirad wissen wollte, begann in den Staaten dieser Modetrend. Zwar hatten die Amis noch Harley-Davidson, doch von diesem Eisenhaufen wollte kein Biker was wissen. Auch kein Wunder. Bereits mit einer 500er Triumph ließ sich jede Harley nass machen. Und da der Schrei nach mehr Power und mehr Speed immer größer wurde, legten die Briten einige Briketts nach. Sie machten sich die Sache allerdings ziemlich einfach. Anstatt neue Maschinen auf den Markt zu bringen, frisierten sie lediglich die Zweizylinder-Motoren. 

Im Laufe der Zeit wuchs der Hubraum von 650 auf 750 ccm und später auf 850 ccm. Man erhöhte die Verdichtung und bestückte die Zylinderköpfe mit zwei Amal-Vergasern. Mit diesem Tuning kletterte die Leistung der Norton Commando 850 auf beachtliche 58 PS. Das brachte immerhin eine Spitze von 190 Sachen. Kaum langsamer war die 650er BSA Spitfire mit 55 PS, sie lief 185 km/h und die 750 Triumph Bonneville mit 53 PS kam immerhin noch auf 175 Stundenkilometer.



750er Triumph Bonneville von 1987


Ein Spaß, der allerdings einen hohen Wegzoll forderte. Die Motorvibration stieg ins Unerträgliche, von Zuverlässigkeit und Laufleistungen konnte bald keine Rede mehr sein. Wer mit seiner Lady zurechtkommen wollte, musste was vom Schrauben verstehen. Pannen bei der Ausfahrt gehörten bald zum Alltag. Dazu waren die Triebwerke meist undicht, die Öllache unter dem Motor wurde zum "Markenzeichen" eines englischen Bikes. Da es aber (noch) nichts Vergleichbares gab, störte das vorerst keinen. Im Prinzip wäre es bis ans Ende der Welt so weiter gegangen. Doch plötzlich standen die Japaner da. Allen voran Honda, erst mit der CB 72 und 1965 mit der CB 450.
Die Briten waren geschockt. Zwar versuchten sie sich mit fadenscheinigen Ausreden rauszureden und behaupteten "so ein hochtouriger Motor hält nie" und "wer will die komplizierte Technik warten", im Prinzip war ihr Ende jedoch absehbar. Aufgeschreckt von der japanischen Offensive stürzte man sich bei BSA und Triumph ins Volle und baute ganz schnell neue 750er Dreizylindermaschinen. Ab 1968 gab es von BSA die A75R Rocket und von Triumph die T 150 Trident, sowie etwas später den ersten Softchopper X 75.



Softchopper X 75


Selbstgefällig lehnten sich die Manager zurück, klopften sich gegenseitig auf die Schulter und waren sich sicher, es den Japaner in letzter Minute noch gezeigt zu haben. Doch Pustekuchen! Die nächste Überraschung stand bereits vor der Tür. Ende 1968 präsentierte Honda die CB 750 Four, ein Vierzylinder-Bike, das zunächst speziell für den US-Markt bestimmt war. Jetzt konnten die Tommys endgültig einpacken. Der amerikanische Markt war bald fest in japanischer Hand. Und als auch noch Dick Mann 1970 mit der CB 750-Serienhonda das berühmte 200-Meilen-Rennen in Daytona gewann, war das neue Motorradzeitalter endgültig angebrochen. Die britische Motorradindustrie war am Ende. Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki hießen die neuen Favoriten. Daran änderte auch der legendäre Daytona-Sieg von Dick Mann 1971 auf der 750er Dreizylinder-Werks-BSA nichts mehr. BSA ging 1973, Triumph 1983 Pleite und von allen anderen Marken existierte lediglich nur noch der Mythos.



Werks-Rocket von Dick Mann


Zum Schluss noch eine Frage? Und was haben ausgerechnet die Beatles mit der Sache zu tun. Ganz einfach. Ex-Beatle George Harrison war Motorrad-Fan und Busenfreund von Barry Sheene und der war 1976 und 1977 auf Suzuki 500er Weltmeister. Aber das ist jetzt auch schon viele Jahre her. Beide leben inzwischen auf  "cloud nine" und auch sie werden wir nie vergessen.


Text-Archiv: Triumph


Home