Lexikon


Japanische Motorrad-Importeure in Deutschland

"Die gelbe Gefahr"


Das "Wirtschaftswunder" brachte Deutschland Wohlstand und das Automobil.
Vom Zweirad wollte in den 1960er Jahren keiner mehr etwas wissen. Ein ganzer Industriezweig ging Pleite. Fast. Das Motorradgeschäft war nämlich nicht tot,
sondern lag nur im Koma.
Soichiro Honda hatte bereits im Mai 1961 in Hamburg
die "European Honda Motor Trading GmbH" eröffnet.
1964 verkaufte Yamaha ihr
erste Bike bei uns und Phil Read wurde erster Yamaha-Weltmeister. Als man das bei uns merkte, redeten plötzlich alle von der "gelben Gefahr". 

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Louis, Röth, Archiv, Werk



Honda Super Cub C100 von 1958
Die erste Honda Super Cub kam 1958 auf den Markt. Das leichte Viertakt-Kraftrad
mit Beinschild entwickelte sich zum erfolgreichsten Fahrzeug der Geschichte.
Bis Ende 2010 liefen weit über 60 Millionen Exemplare vom Band!
(Foto: Honda)

Anfang der Sechziger drehte sich die Welt plötzlich anders. Nichts schien mehr so, wie es einmal war. Jugendliche ließen sich die Haare lang wachsen, trugen abgewetzte US-Parkas, liefen in Bluejeans herum, hörten moderne Rock-, Pop- und Beat-Musik. Der Nachwuchs muckte auf, gab Widerworte, ließ sich nichts mehr gefallen. Schuld an allem waren die Beatles. Mit ihrer Musik verdrehten sie den Kids die Köpfe, riefen zur gewaltfreien Revolution auf:  "All you need is love".


In den 60er Jahren war Detlev Louis in Hamburg der größte Motorradhändler in Deutschland 
und ab 1968 auch noch Kawasaki-Importeur

(Foto: Louis)

Nichts half dagegen, weder Schimpfe noch Strafe, noch Zureden oder gute Worte. Ein noch nie dagewesener Generationskonflikt war im Gange. Die Eltern verstanden plötzlich die Welt nicht mehr, aus ihrer Sicht war "Hopfen und Malz" sowieso verloren.
Dabei meinten sie es doch nur gut. Schließlich sollten ihre Kinder es doch einmal besser haben. Die kargen Nachkriegsjahre waren überstanden, es ging steil bergauf. Alle Welt sprach vom "Deutschen Wirtschaftswunder", endlich konnte die Bevölkerung sich wieder etwas leisten. Das Fernsehen eroberte das Wohnzimmer, die Urlaubsreise ging nach Italien. Die Zeiten, bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zur Arbeit fahren zu müssen, waren Gott sei Dank vorbei. Von den alten Knatterbüchsen wollte keiner mehr etwas wissen. Der erste Kleinwagen stand vor der Tür. Ihm folgte ein VW Käfer, später ein Opel Rekord.


Ende der 50er Jahre war Motorradfahren out...

... zum Zeichen des Wohlstandes wurde das Auto: Opel Rekord von 1957

Dabei war West-Deutschland in den Fünfzigern weltgrößter Motorradhersteller. In dieser Blütezeit waren über 2,2 Millionen Maschinen zugelassen, dieser Bestand rutschte bis Mitte der Sechziger allerdings auf 415.000 Motorräder ab - absolut gesehen. Doch der Schein trügte, 1964 ließen sich nur noch knapp 8000 und 1967 sogar nur noch 4000 (!) Neumotorräder verkaufen. Und von den ehemalig 40 großen Motorradmarken gab es nur noch BMW, Maico, Hercules und Zündapp. Viele der einst ruhmreichen Namen waren in Konkurs geschlittert, andere hatten sich rechtzeitig anderweitig orientiert. Wie es um die Branche stand, brachte der eben noch agierende Motorradmarktführer NSU in Neckarsulm 1966 unverhohlen zum Ausdruck: 
"...NSU wird nie wieder Motorräder bauen, die Zukunft gehört dem Auto..." . 
Wer etwas auf sich hielt, trug Hut, fuhr Automobil, hatte ein Dach über dem Kopf, die Klamotten blieben sauber. Die anderen auf ihren stinkenden Mühlen wurden
mitleidig belächelt oder als
"arme Schweine" bezeichnet.


NSU Max


Inzwischen waren die Beatles weltberühmt. John Lennon behauptete sogar, sie seien "bekannter als Jesus". Die Jugend hatte sich immer noch nicht beruhigt, und wenn man schon damals bei uns gewusst hätte, was zur gleichen Zeit in den USA los war, dann gute Nacht. Dort nämlich hatte eine neue Generation das Motorrad als Spielzeug entdeckt. Für Spaß, Sport, Abenteuer und Freizeit. Aber auch ein bisschen zum Ausbruch aus der verspießten bürgerlichen Gesellschaft: "born to be wild". Es gab allerdings auch etwas Positives am Spektakel, quer durchs Land war ein gewinnträchtiger Motorradmarkt am Aufkeimen. Verantwortlich waren diesmal jedoch nicht die vier "Pilzköpfe" aus Liverpool, sondern die japanische Motorradindustrie, allen vorweg Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki.


Die erste Honda fuhr 1959 über Deutsche Straßen

In Deutschland lag das Zweiradgeschäft derweil am Boden. Nur noch wenige Werkstätten konnten sich mit ihrer Arbeit über Wasser halten, Zukunftsperspektive: trostlos. Ungeachtet dessen hatte Soichiro Honda bereits im Mai 1961 in Hamburg die "European Honda Motor Trading GmbH" eröffnet. Hierbei handelte es sich um eine 100prozentige Werksniederlassung des japanischen Stammhauses. Die Order an die Mitarbeiter war unmissverständlich: "Erobert den europäischen Markt". Kein einfaches Unterfangen, schließlich stand Motorradfahren in der Beliebtheitsskala ganz unten.


Honda-Werksteam 1959 bei der TT... 

...und später der erfolgreiche Werksfahrer und sechsfache Weltmeister Jim Redmann
(2 Fotos: Archiv-Honda)

Vollkommen unbekannt waren Honda Motorräder bei uns allerdings nicht. Sportfans und TT-Besucher wussten längst, dass beim populären Rennen auf der Isle of Man 1959 das japanische Werk in der 125er Klasse die Team-Wertung gewonnen hatte. Bereits zwei Jahre später hatten 1961 Tom Phillis die 125er und Mike Hailwood die 250er Straßenweltmeisterschaft gewonnen und Werksfahrer Jim Redman ging mit seinen sechs WM-Titeln in die Geschichte ein. Für die erste Honda auf deutschen Straßen sorgte Franz Steib, auch als Seitenwagen-Steib bekannt. Ende 1959 ließ er eine 250er Zweizylinder C71 nach Nürnberg kommen. Das Bild, wie der japanische Flitzer via Seilzug in seine Werkstatt gehievt wurde, ging in die Motorradgeschichte ein.

Offiziell zu kaufen gab es Hondas ab Frühjahr 1960. Um den Import kümmerte sich der Hamburger Motorradhändler Karl Heinz Meller. Vom großen Geschäft konnte dabei aber kaum die Rede sein. Bis das japanische Werk gut ein Jahr später die Sache selbst in die Hand nahm, ließen sich nur wenige Maschinen an den Mann bringen. Aber auch bei Honda selbst klappte es vorerst kaum besser. Schließlich begann man bei der Stunde Null. Es wurden engagierte Mitarbeiter benötigt, es musste ein Verwaltungsapparat organisiert werden und natürlich brauchte man landauf,
landab Vertragshändler. 


1959: erste 250er Honda in Deutschland


1963: Honda-Händler Fritz Röth mit
Honda CL77 

(Foto: Röth)


Zu den ersten gehörten Spaett in München, Bruno Lippke in Kempten, Umbeer in Karlsruhe, Kannenberg in
Berlin und Fritz Röth in Hammelbach. Dennoch, immer wieder war immense Überzeugungsarbeit erforderlich. Kaum ein Werkstattmann und noch viel weniger die Motorradfahrer auf der Straße trauten den hochtourigen Zweizylinder-Viertaktmaschinen etwas zu. Es konnte ja soviel kaputt gehen, wie und wer sollte dann das Motorrad reparieren und von woher sollte man die Ersatzteile bekommen. Skepsis und Misstrauen waren groß.

Die kleine 125er CB92 Super Sport leistete beachtliche 15 PS bei 10500/min und die 250er CB72 Super Sport brachte es immerhin auf 24 PS bei 9000/min. Kein Wunder also, dass bei uns die Experten von hochgezüchteter Renntechnik sprachen. Unterstützt wurde diese Meinung von Cheftester Ernst "Klacks" Leverkus der Fachzeitung "DAS MOTORRAD". Über die 125er schrieb er: "...Lässt sich solch eine Leistung überhaupt aus so einem kleinen Uhrmacher-Motor mit seiner Kompliziertheit bei Massenherstellung herausholen... ?" Und über die CB72 hieß es: "...Es waren nicht allein die 24 bis 25 PS, es war dazu noch das wirklich sportliche Aussehen, die Details einer echten Straßensport-Maschine, die nicht nur wegen einer Menge Chrompofel oder wegen eines montierten Renn-Lenkers so getauft worden war...". Im Vergleich dazu waren die 250er BMW und NSU Max  "brav" und "bieder" und mit ihren gerade mal 18 PS einfach lahme Gäule...



1959: Honda CB92, 125 ccm und 15 PS
(Foto: Honda)




1964:Honda CB72, 250 ccm und 24 PS


Drei Jahre nach Honda kamen 1964 die ersten Yamahas zu uns

Dreh- und Angelpunkt des Motorradgeschäftes war alle zwei Jahre die IFMA in Köln. Für den zweitgrößten japanischen Motorradhersteller Yamaha sollte 1964 der Einstand in Deutschland erfolgen. Gezeigt wurden drei Zweitakt-Modelle: Die 250er DS-3 mit Zweizylinder-Motor, die 80er YG-1 und das Moped YF-1 mit Einzylinder-Triebwerk. Zuständig für die Präsentation war das japanische Handelshaus Mitsui GmbH mit Sitz in Düsseldorf.


Yamaha 125 AS-1

Für alle, die sich damals für Motorräder interessierten, gehörte die IFMA zum Pflichtprogramm. So auch für den Allgäuer Honda-Händler Bruno Lippke. Der Kemptener war von den Yamahas dermaßen begeistert, dass er sich gleich auf der IFMA um einen Händlervertrag bewarb. Als erster Yamaha-Händler Deutschlands schrieb Bruno Lippke somit Geschichte. Aber das war längst nicht alles. Zwischen der Mitsui GmbH und dem Allgäuer entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit. Bevor man nämlich die Yamahas überhaupt verkaufen konnte, mussten sie erst die TÜV-Hürde meistern. Auf Grund der geringen Stückzahl war an eine ABE (Allgemeine Betriebserlaubnis) jedoch noch lange nicht zu denken. Und so musste jede Maschine mit hohem Zeit- und Arbeitsaufwand für die Erstellung des erforderlichen Mustergutachtens beim TÜV vorgeführt werden. Hierfür war Motorradspezi Lippke genau der richtige Mann, schon bald kümmerte er sich um sämtliche technische Belange.
Den Aufbau des Händlernetzes übernahm derweil die deutsche Mitsui GmbH, eine Tochtergesellschaft der Mitsui & Co. Ltd. in Tokio, die mit weltweit mehr als 200 Niederlassungen zu einem der größten japanischen Handelsunternehmen zählte. Zu den Yamaha-Vertragshändlern der ersten Stunde gehörten Karl Emonts in Köln, Klaus Verworner in Berlin sowie Aermacchi-Importeur Witzemann in Karlsruhe. Bereits 1966 gab es bundesweit 23 Vertragshändler, die rund 200 Maschinen an Yamaha-Zweitaktfans verkauften.
Motorräder verkaufen, warten und reparieren war in jener Zeit aber meist mehr als nur "ein Geschäft" machen. Einige Händler waren aktive Rennsportler, andere sah man regelmäßig bei bekannten Motorradtreffen und andere engagierten sich in Clubs oder Vereinen. Bei vielen floss "Benzin in den Adern", sie hatten ihr Hobby zum Beruf gemacht. Und da die ganze Branche noch im Aufbau steckte, zählte jede Person, die sich für die Sache einsetzte. Um so tragischer war für die Mitsui der plötzliche Tod von Bruno Lippke.
Ersatz, aber nicht nur das, sondern auch noch einen außerordentlich engagierten Nachfolger, fand man in Manfred Weihe. Der Motorradhändler aus Löhne/ Westfalen war einer der ersten Yamaha–Besitzer in Deutschland, seit 1964 fuhr er eine DS-3. Ab 1966 kümmerte sich sein Betrieb um die gesamte technische Abwicklung einschließlich der TÜV-Zulassungen sowie der Ersatzteilversorgung.


Rennveranstaltungen lockten in den 1960er Jahren hunderttaussende Schlachtenbummler zu den GP-Läufen

Für zunehmenden Bekanntheitsgrad der japanischen Motorradmarken sorgte 1964 die Straßen-Weltmeisterschaft. Das packenste Duell in der 250er Klasse hieß Jim Redman, auf der hochtourigen DOHC-Vierzylinder-Werks-Honda gegen Phil Read, auf der simplen Zweizylinder-Zweitakt-Werks-Yamaha. Was zunächst kaum jemand für möglich hielt, wurde am Ende der Saison wahr. Als erster Yamaha-Weltmeister und 250er Champion konnte sich Phil Read in die WM-Chronik eintragen lassen. Honda, damals bereits weltgrößter Motorradhersteller, fraß sich vor Ärger ein Loch in den Bauch. Wie schlagkräftig der Yamaha-Twin sogar gegen die brandneue 250er DOHC-Sechszylinder-Werks-Honda war, bewies Phil Read im folgenden Jahr. 1965 holte er sich und für Yamaha erneut den 250er WM-Titel.


Die schnellste 250er kam 1966 von Suzuki.
Um den Import kümmerte sich Capri Agrati in Köln


D
as Racingflair übertrug sich automatisch auf die Straßenmodelle. Wer Mitte der Sechziger ein sportliches Motorrad fahren wollte, kaufte eine 250er Zweitakt-Yamaha. Große Auswahl gab es allerdings auch nicht. Bis auf eine Ausnahme, die T20 von Suzuki. Diese 250er hatte es faustdick hinter den Ohren. Man sprach von 30 PS, 160 km/h Spitze und wie ein echtes Rennmotorrad verfügte sie über ein Sechsganggetriebe. Klacks testete den Feuerstuhl auf der Nordschleife und kam zum Schluss:
"Die schnellste 250 ccm-Serienmaschine, die ich bis heute auf dem Nürburgring gefahren habe". Das war im Herbst 1966. Um den Import kümmerte sich die als Garelli-Spezialist bekannte Kölner Firma Capri Agrati. Dieser Betrieb war jedoch weder eine Suzuki-Werksniederlassung noch ein Tochterunternehem eines japanischen Industriegiganten. Als privater Importeur versuchte Capri Agrati so gut wie es ging die Suzuki A100, T20 und T500 Titan per Einzelabnahme im Direktverkauf unters Volk zu bringen. Ein Händlernetz war so gut wie nicht vorhanden. Was den Kölner Grossisten aber auch nicht weiter störte, denn mit den rund 60 verkauften Maschinen im Jahr hielt er gerademal seinen eigenen Betrieb am Laufen.
Der Vollständigkeit halber sei aber noch erwähnt, dass auch die Firma Beckmann in Frankfurt mit Suzuki Motorrädern handelte. Dabei beschränkte man sich jedoch nur auf die kleinen A50 und A100 Modelle.


Suzuki-Prospekt  1967 von Capri Agrati
(Suzuki-Prospekt)


Suzuki A100

Honda SS50
(Foto: Honda)


Honda CB450



Hond S800


B
ei Honda in Hamburg liefen die Geschäfte zunehmend besser. Das Angebot umfasste 1966 fünf Maschinen: Die SS50, S90, CB125, CB250 und seit neuestem die CB450. Galt Mitte der Sechziger 500 ccm als magische Zahl für schwere Maschinen, begnügte sich Honda mit exakt 445 ccm. Und trotzdem, die CB450 war ein richtiges Motorrad, 200 kg schwer und über 170 Sachen schnell. Eine echte Sensation waren die Drehstabfedern anstelle sonst üblicher Ventilschraubenfedern im DOHC-Zylinderkopf des 43 PS starken Viertakt-Twins. Mit dieser Leistung ließen sich sogar Motorradfahrer in der Königsklasse über 500 ccm locker nass machen. Mit der Honda CB450 begann eine neue Zeitrechnung, manche sprachen sogar vom "Meilenstein" in der Motorradgeschichte.
In der Straßen-WM hatte Honda bereits Geschichte geschrieben. Von 1961 bis 1967 heimste das Werk insgesamt sechzehn (!) Titel ein. Einen in der 50er, vier in der 125er, fünf in der 250er und sechs in der 350er Klasse. Dafür aber keinen in der 500er Klasse. Frustriert darüber, aber auch um sich verstärkt dem Autogeschäft zuwenden zu können, zog man sich Ende 1967 aus dem GP-Sport zurück. Mittlerweile war der Name Honda nämlich auch in der Vierradbranche zum Begriff geworden. Mit den heute legendären Sportwagen S600 und S800 Coupé machte man den Anfang. Inzwischen war in der Hamburger Niederlassung Wolfgang Murrmann tätig, er verkaufte das erste japanische Auto an einen deutschen Kunden.


In Punkto Service mussten die Japaner zunächst viel lernen



Honda C100 Super Cub 50 Prospekt von 1961

Hamburg, auch "das Tor zur Welt" genannt, hatte Soichiro Honda mit Absicht als europäischen Firmensitz ausgesucht. Einmal lag es für die Verwaltung zentral und zum anderen hatte man den Hafen direkt vor der Tür. Alle Lieferungen, ganz gleich ob Motorräder, Autos oder Ersatzteile kamen nämlich via Schiffscontainer auf dem Seeweg in die Metropole. Von Tempo war hierbei aber keine Rede. Bestellte zum Beispiel ein Händler Ersatzteile, die im Hamburger Lager nicht vorrätig waren, wurde der Auftrag zunächst in der Zentrale bearbeitet, dann nach Japan weitergeleitet, dort wieder durch zig Hände gereicht, die Teile herausgepickt, verpackt und bei der nächsten Lieferung mit aufs Schiff gegeben. Und das konnte dauern. Meist Monate, manchmal aber auch ein halbes Jahr. Längst rannte der verzweifelte Hondafahrer seinem Händler die Bude ein und der, weil ihm nichts anderes mehr einfiel, erfand die Ausrede: "...das Schiff ist untergegangen...".
Bei den anderen japanischen Firmen war es allerdings kaum anders, auch da dauerte es oft ewig, bis die Teile rankamen.


(Foto: Röth)

Ende der Sechziger war sowieso noch vieles anders. Technische Schulungen erfolgten in den jeweiligen Verkaufsgebieten direkt vor Ort. Es wurde ein Gaststättenraum angemietet, die Händler aus dem Umkreis eingeladen und die Motoren auf dem Tisch auseinander und wieder zusammengeschraubt. Etliche Händler kutschierten selbst zum Importeur um ihre bestellten Maschinen abzuholen.


Ab 1968 nun auch Kawasaki in Deutschland


Achtung Suchtgefahr:
Kawasaki A1, 250 ccm und 31 PS


Neben der Honda Niederlassung gab es an der Alster einen weiteren Importeur, der damals gleichzeitig auch größter Motorradhändler Deutschlands war, die Firma Detlev Louis in der Rentzelstraße 7. Hier hatte man sich auf englische Bikes spezialisiert, allen vorweg BSA. Anfang der 1960er Jahre war die englische Edelmarke sogar weltweit größter Motorradhersteller. Die Geschäftsräume bei Louis waren modern und großzügig eingerichtet, kein Vergleich zu vielerorts üblichen Hinterhofschrauberbuden, die es noch zur Genüge gab. Als hanseatischer Kaufmann hatte Detlev Louis seinen Betrieb picobello durchorganisiert. Diese Gründlichkeit war offensichtlich auch japanischen Geschäftsleuten aufgefallen. Ende 1967 standen jedenfalls plötzlich drei Herren aus dem Land der aufgehenden Sonne im Geschäft. Was sie auf dem Herzen hatten, teilten sie Detlev Louis unumwunden mit, sie suchten für Deutschland einen potentiellen Kawasaki Importeur.

Der Vollständigkeitshalber sei jedoch  erwähnt, dass das Versandhaus Neckermann in Frankfurt bereits 1966 einige der kernigen 650er Kawasakis
W1 Viertakt-Twins nach Deutschland importiert hatte. Zu den ersten Vertragshändlern gehörte damals
Anton Wolf aus Seligenstadt. Bis 2005 blieb Anton Wolf der japanischen Marke treu. In der Szene machte er sich
als der "Kawa-Toni" einen Namen.



Anton "Kawa-Toni" Wolf


Schnell wurden sich die Asiaten und Detlev Louis handelseinig und bereits ab Frühjahr 1968 konnte der Hamburger fünf Kawasaki Modelle anbieten: F2 175, A1 250 Samurai, A7 350 Avenger, W1 650 und W2SS 650. Bei der F2 handelte es sich um die 175 ccm drehschiebergesteuerte Einzylinder-Zweitakt-Einstiegsdroge in die Kawa-Welt. Einstiegsdroge deswegen, weil die beiden anderen Zweitaktgeschosse A1 und A7 süchtig machen konnten. Süchtig nach Beschleunigung und Geschwindigkeit. Die 250er A1 leistete 31 PS und war knapp 170 km/h schnell, die 350er A7 mit satten 42 PS rannte sogar 185 Sachen. Nachdem Klacks im Sommer 1968 die A1 getestet hatte, hielt er mit seiner Meinung natürlich nicht hinter dem Berg: "...Diese Drehschieber aber hatten unsere Motorradbegeisterten schon wieder ganz wild gemacht, und es wehten gleich die tollsten Sagen durch die Lande, so dass in den Gesprächsrunden plötzlich die schlitzgesteuerten Zweitakter von Suzuki und Yamaha unter ferner liefen eingestuft waren. Mensch, zwei Drehschieber! Für jeden Zylinder einen - ! Das klang nach verkappter Rennmaschine...". 



Kawasaki 650 W2SS


Genau das Gegenteil waren die 650er W1 und W2SS. Hierbei handelte es sich um freche BSA A7 Kopien, die in Japan zwar hohes Ansehen genossen, sonst allerdings nur müdes Lächeln verursachten. Mit den Zweitaktern ließ sich ein gutes Geschäft machen, von den 650er Dampfhämmern brachte man nur sieben Fahrzeuge an den Mann.
Bei der Zulassung, auch die Kawas mussten jeweils per Einzelabnahme durch den TÜV gebracht werden, und dem Vertrieb profitierte Detlev Louis von seiner langjährigen Erfahrung mit den englischen Bikes. Ein Teil der Händlerschaft ließ sich als Kawasaki-Partner gewinnen, andere wurden angeworben. Zu den Pionieren gehörten Spaett in München, Heinrich Ronsdorf in Schwelm, Reinhard Scholtis in Köln, Motorrad-Bangert in Bielefeld und Motor-Rauscher in Weißenberg.


Optisch wie eine BSA A7, in Wirklichkeit aber die Kawasaki W1 und W2

Bürgerschrecken der 70er Jahre:
Die Kawasaki 500 H1 "Mach III"


Der Name Kawasaki stand von Anfang an für starke und schnelle Maschinen. Es sollte aber noch dicker kommen. Anfang 1969 brachten die Japaner die 500 H1 "Mach III" auf den Markt. Wieder ein Zweitakt-Geschoss, nun aber mit 500er schlitzgesteuertem Dreizylinder-Motor, 50 PS stark und 200 km/h schnell. Wau! Schon am 16. April scheuchte Klacks eine Testmaschine von Detlev Louis über den Nürburgring. Es war die "stärkste Serien-500er, die der Markt zu bieten hatte". Auch kein Wunder, denn "...aus dem Stand kam man bis 100 km/h in einer Zeit unter fünf Sekunden... " und "...was natürlich einen gewitzten Fahrer notwendig machte, der mit dem aufsteigenden Vorderrad fertig werden konnte...". Etwas Vergleichbares hatte es bisher noch nicht gegeben. Ein Straßenrennmotorrad für Jedermann, und das zu einem Preis von nur 4300 Mark.


Als 1969 Honda die CB750 Four auf den Markt brachte,
sprach die Welt vom "Meilenstein" in der Motorradgeschichte


Honda-Mann der ersten Stunde:
Wolfgang Murrmann


Das war aber längst nicht alles, was 1969 auf uns zukam. Zeitgleich hatte Honda die CB750 Four fertig. Bereits Anfang 1968 war die Honda-Niederlassung von Hamburg nach Offenbach-Rumpenheim umgezogen. Verantwortlich für den Motorradbereich war inzwischen bereits erwähnter Wolfgang Murrmann. Im Vergleich zu heute waren Ende der Sechziger pompöse Pressevorstellungen kein Thema. Ganz im Gegenteil. Als im Februar 1969 die erste CB750 Four nach Rumpenheim kam, durfte, oder anders gesagt, sollte keiner damit fahren. Sie war als Ausstellungsmaschine bei den Händlern bereits fest verplant. Doch irgendwie hatte es Klacks spitz bekommen. In einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" und dazu bei Schneetreiben jagte der Obertester die taufrische Maschine über die Autobahn. In seinem Bericht schrieb er "vom Ritt auf einer Apollo-8-Rakete", schwärmte von der sagenhaften Beschleunigung, dem vibrationsarmen Motorlauf des Vierzylindertriebwerkes und der scharfen Scheibenbremse am Vorderrad.


Mit der 650 XS1 brachte Yamaha 1970 ihr erstes Viertakt-Bike

Jetzt fehlte eigentlich nur noch Yamaha mit einer heißen Neuigkeit. Und die kam Anfang 1970 in Form der XS1. Nach britischem Vorbild hatten die Yamaha Techniker ihr erstes Viertakt-Motorrad als 650er OHC-Parallel-Twin konzipiert. Diese XS1 mit einer wunderschönen Duplex-Trommelbremse im Vorderrad sollte allerdings das einzige Exemplar bleiben, das nach Deutschland kam. Um so verständlicher, dass sich die Mitsui Leute kaum für einen Testbericht begeistern konnten. Dennoch schaffte es Klacks mit einer List die Herrschaften samt des neuen Dampfhammers an den Nürburgring zu locken: Ein Baron Rothschild aus Paris wollte unbedingt die neue Yamaha Probe fahren. Anstelle des superreichen Adligen stand jedoch Klacks am verabredeten Treffpunkt. Nachdem die Finte aufgeflogen war, lachten alle und Manfred Weihe stellte sich sogar spontan als Fotomodell zur Verfügung.



Yamaha 650 XS1


Anfang der 1970er Jahre begann ein neuer Motorrad-Boom


Das neue Jahrzehnt hatte gut begonnen. Motorräder genossen langsam aber sicher einen anderen Stellenwert. Es waren keine "arme-Leute-Fahrzeuge" und "alte Stinkemöhren" mehr, sondern Sportgeräte, mit denen sich in der Freizeit tolle Abenteuer erleben ließen. Für die Heizerfraktion gab es die Kawasaki Mach III, für die Gentlemen die Yamaha XS2, Nachfolgerin erwähnter XS1 und wer Business-Klasse fahren wollte, stieg auf die Honda CB750 Four. Denn dieses Motorrad setzte tatsächlich neue Maßstäbe und wurde so zum ersten "Meilenstein in der Motorradgeschichte". Eine Vierzylinder-Großserienmaschine mit so geballter Technik hatte es schließlich noch nie gegeben. In einer Zeit, als "Schrauben am Straßenrand" noch gang und gäbe war, überzeugte die CB750 Four durch unverwüstliche Zuverlässigkeit. Wolfgang Murrmann hoffte im ersten Jahr 30 CB750 verkaufen zu können, am Ende waren es fast 400 Maschinen. Aber auch nur deswegen, weil man einfach nicht mehr herbei brachte.



Vorstellung der neuen Suzuki GT750
Gunter Sachs, links und Fritz Röth, rechts
(Foto: Archiv-Röth)


Wo man ganz und gar nicht in die Puschen kam, war bei Suzuki. Capri Agrati in Köln wurstelte vor sich hin, nichts ging. Was die Marke unbedingt brauchte, war schleunigst ein neuer Importeur. Die Weichen hierfür waren bereits Ende 1969 gestellt. Fritz Röth, wir kennen ihn bereits als einen der ersten Honda Händler, hatte sich seit 1964 als Moto Guzzi Importeur einen guten Namen gemacht. Gemeinsam mit Frankonia-Inhaber Wildberger, er war für den Suzuki-Import in der Schweiz zuständig, reiste der Odenwälder nach Hamamatsu ins Suzuki-Stammwerk. Als er zurückkam, war der Vertrag unterschrieben. Da aber gut Ding Weile braucht, dauerte es noch bis Ende 1971, bis die Firma Zweirad Röth in Hammelbach offiziell als Suzuki Generalimporteur starten konnte. Für die Saison 1972 standen acht Modelle im Angebot. In der Viertelliterklasse gab es den Twin T250, dann folgten die Dreizylinder-Modelle GT380, GT550 und GT750, auch als "Wasserbüffel" bekannt. Sondermodelle waren die RV50 und RV90, niedliche Knubbel-Bikes mit dicken Ballonreifen. Für die aufkommende Geländefraktion gab es die Enduros TS125 und TS250. Den Vertrieb verknüpfte man mit den rund 100 Moto Guzzi-Vertragshändlern. Alle Suzukis wurden von Zweitaktmotoren angefeuert, die robust, langlebig und unkompliziert waren. Und wenn doch mal etwas kaputt ging, waren sie schnell repariert. Beispielhaft war das Baukastensystem, es sparte bei den Händlern Lagergröße und Kosten für die Ersatzteile.


Suzuki GT380
(2 Suzuki-Prospektfotos)

Suzuki RV50


Nun waren die "vier großen" eigentlich komplett. Honda in Rumpenheim bei Offenbach, der Yamaha-Vertrieb im Hause Mitsui in Düsseldorf, die Technik bei Manfred Weihe in Löhne, Kawasaki bei Detlev Louis in Hamburg und seit neuestem Suzuki bei Fritz Röth im Odenwald. Doch das eigentliche Geschäft ging jetzt erst richtig los. Ein wahrer Motorrad-Boom war entstanden, kaum ein anderer Wirtschaftszweig konnte von Jahr zu Jahr über 200 Prozent Zuwachsrate vermelden. Da kam keiner mit, weder BMW noch die italienische, und die englische Motorradindustrie schon ganz und gar nicht. Die waren eh schon pleite. Und weil das Ganze für die Europäer so fürchterlich schlimm war, sprach man plötzlich von der "gelben Gefahr".
D
er japanische Vormarsch war jedoch nicht mehr zu bremsen. 1974 wechselte Honda zum zweiten Mal den Geschäftssitz und zog von Rumpenheim nach Offenbach in die Sprendlinger Landstraße 166. Ende 1975 kündigte Kawasaki Detlef Louis den Importeursvertrag und eröffnete ab 1976 eine eigene Werksniederlassung in Frankfurt, die seit 1981 in einem Neubau in Friedrichsdorf beheimatet ist. Bei Suzuki sollte der Auftritt der Japaner noch etwas dauern. Zunächst verlagerte Fritz Röth 1976 den Importsitz auf Drängen des Mutterhauses in Japan von Hammelbach nach Heppenheim und gründete die "Suzuki Motor Deutschland". Aber bereits am Ende der Saison stieg Röth, mehr oder weniger unfreiwillig, aus dem Geschäft aus. In Japan war man nämlich der Meinung, mit einem neuen Partner mehr Motorräder in Deutschland verkaufen zu können. In der deutschen "Suzuki Motor Handels GmbH", die zu 50 Prozent von Otto de Crignis, dessen Familie ein großes Autohaus in München besaß, und zur anderen Hälfte vom niederländischen Suzuki Importeur Louwman gehalten wurde, wehte ab 1977 ein frischer Wind.
R
ückwirkend darf aber von der Arbeitsdevise "Quantität statt Qualität" gesprochen werden. Bei über 60 Modellen verloren nicht nur die Händler, sondern auch die Macher in der Zentrale, die inzwischen in München residierte, den Überblick. Ab Anfang der Achtziger rutschte "die große Suzuki-Familie", wie zu Röths Zeiten immer gesagt wurde, immer tiefer in die Kriese. Als Ausweg blieb nur der Eingriff vom Stammwerk. Ab Oktober 1984 kam das Management direkt aus Japan und brachte mit einem kleinen Stab engagierter Mitarbeiter die neugegründete "Suzuki Motor GmbH Deutschland", nun wieder mit Sitz an der Bergstraße, in frisches Fahrwasser. Der Erfolg spricht für diese Entscheidung.
Bei Yamaha blieb im Prinzip eigentlich alles, wie es immer war. Nur, die Technische Abteilung und die Verwaltung haben mittlerweile ihre neuen Büros in Neuss bezogen.
Trotz der gewaltigen Expansion auf dem deutschen Motorradmarkt sind einige  ehemaligen "Macher" bis auf den heutigen Tag ihrem Beruf treu geblieben. Manfred Weihe ist Vizepräsident der "Yamaha Motor Deutschland GmbH" in Neuss, die Firma Detlev Louis in Hamburg gehört zu den größten Motorradzubehörgrossisten in Europa und Fritz Röth pflegt weiterhin sein erfolgreiches Motorradgeschäft mit Importhandel verschiedener Marken in Hammelbach im Odenwald.

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