Kawasaki 650 W1 /
W2
"Copy-Rider"
In den sechziger Jahren war England
weltgrößter Motorradhersteller.
Kein Wunder, wenn die Bikes von
der grünen Insel allerortens als
Vorbilder dienten. Weltmeister
im "Abkupfern" westlicher Maschinen
waren damals die
Japaner. Wer`s nicht glaubt, braucht nur die
Geschichte über die
650er W1 von Kawasaki lesen.
Text: Winni
Scheibe
Fotos: Scheibe, Kawasaki-Archiv, Honda-Archiv
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Bei uns beginnt für die meisten
Biker die Zeitrechnung für japanische Motorräder Mitte bis Ende
der sechziger Jahre. Für manche begann 1965 der Startschuss mit
der Honda CB450, für andere im gleichen Jahr mit Suzukis T250,
Yamaha Fans erinnern sich an die 350er DS-3, und im
Kawa-Lager wird bei Nennung der 500 H1 "Mach III" vor Freude in die Hand geklatscht. Was allerdings
vor dieser Zeit in Japan abging, wissen die wenigsten.
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Honda CB450
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Kawasaki H1 500 Mach III
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Nach dem Zweiten Weltkrieg teilte sich Japan
mit Deutschland das gleiche Schicksal. Das Inselreich lag in
Schutt und Asche, der Wiederaufbau kam ähnlich flott wie bei uns
in die Gänge, und bald gab es im Nipponland weit über 100
Motorradhersteller. Sie hießen Asaki, Bridgestone, Cabton,
Meihatsu, Marusho, Meguro, Misima, Rikuo, Riruo, Lilac, Fuji und
Gasuden, um hier nur einige zu nennen. Im Prinzip durfte es den
Motorradfans in der restlichen Welt allerdings schnuppe sein. Die
Feuerstühle gab es außer in Japan nirgendwo zu kaufen, denn an
den Export dachten die japanischen Hersteller noch lange nicht.
Zunächst galt es, den eigenen Markt zu versorgen. Die Nachfrage
war gewaltig. Und so blieben die Motorräder mit 125, 250, 350 und
500 Kubik im Land der aufgehenden Sonne. Bereits Mitte der
fünfziger Jahre betrug die Jahresproduktion über 200.000
Einheiten, Tendenz steigend.
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BMW-Nachbau: Marusho 500
(Foto:
Kawasaki-Archiv)
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Welche Motorräder es in
Amerika, England, Italien oder Deutschland gab, wusste man in
Japan sehr wohl. Doch zu haben waren sie nicht. Damit die
Bevölkerung nämlich treu und brav Produkte "Made in
Japan" kaufte, hatte die Regierung in Tokio ein Wirrwarr von
Gesetzen, Verordnungen, Einfuhrzöllen und strengen
Devisenbestimmungen erlassen. Diese kaum überwindbaren
Importbarrieren dienten als Schutz für die eigene Wirtschaft.
Allerdings mit einer Ausnahme. Benötigte ein heimischer
Hersteller für "Studienzwecke" dieses oder jenes
Modell, entwickelte der Behördenapparat plötzlich eine
erstaunliche Aktivität. Nicht selten übernahm das jeweils
zuständige Ministerium sogar sämtliche Kosten für die
Beschaffung des Objektes.
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Soichiro Honda
(Foto:
Honda-Archiv)
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Honda Cub 50
(Foto:
Honda-Archiv) |
Der mit Abstand erfolgreichste Mann in der
japanischen Motorradindustrie war Soichiro Honda. Mit pfiffigen
Mopeds, allen vorweg der 50er "Cub", eroberte er
zunächst den eigenen Markt und später, mit einem umfangreichen
Modellprogramm, den Weltmarkt. Zweitgrößter Motorradhersteller
hinter Honda war in dieser Zeit Meguro. Eine Firma, die auf eine
lange Zweiradtradition zurückblicken konnte. Bereits in den 30er
Jahren produzierte das Werk robuste und zuverlässige Motorräder.
Beim damaligen Einzylinder-Viertakt-Topmodell war eine enge
Verwandtschaft zur englischen 500er Velocette unverkennbar. Gleich
nach dem Krieg lief die Motorradfertigung bei Meguro wieder an.
Auffällig waren weiterhin die technischen Ähnlichkeiten mit den
Bikes aus "Good Old England". Und so wundert es auch
nicht, dass der neue 500-OHV-Twin K1 "Stamina", der Ende
1959 auf den Markt kam, ausgerechnet der 500er BSA A7 zum
Verwechseln ähnlich war. Im Prinzip eine freche Kopie. Allerdings
keine 100prozentige. Die Meguro-Techniker hatten die Lady nämlich
nicht einfach abgekupfert, sondern ihre "K1" sehr
sorgfältig "neu konstruiert". Die Gehäusehälften
waren passgenau gefertigte Gussteile, so dass der Motor
tatsächlich "öldicht" wurde. Statt der britischen
"Mischlagerung" lief die dreiteilige Kurbelwelle in
Wälzlagern, die Pleuelfüße in Nadellagern. Für den Zündfunken
sorgte eine 12 Volt Batterie-Spulenzündanlage mit
Unterbrecherkontakt, und eine Blinkanlage gab es auch schon. Das
aber tatsächlich "Revolutionäre" waren die metrischen
Gewinde und Schlüsselweiten. Für die Inspektionsarbeiten
brauchten die japanischen Fachwerkstätten also nicht extra
englisches Zollwerkzeug kaufen.
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Das Vorbild: BSA 500 A7 von 1961
Japanische Lady: Meguro 500 K2 von 1965
(Foto:
Kawasaki-Archiv)
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In dieser Zeit gab es in Japan
an jeder Ecke eine Motorradfirma. Viele Manufakturen bauten
allerdings nur Fahrgestelle. Den erforderlichen Motor und alle
weiteren Sachen bezog man von Zulieferfirmen. Andere wiederum
hatten sich auf die Fertigung von Triebwerken spezialisiert. Auch
bei Kawasaki, ein gigantischer Industriekonzern, der mit der
Produktion von Schiffen, Hochseetankern, Lokomotiven und
Flugzeugen groß geworden war, gab es eine Abteilung, in der man
Motorradtriebwerke baute. Allerdings nicht, weil bei den
Kawasaki-Managern "Motorradblut" in den Adern floß,
sondern als Notlösung. Nach Kriegsende hatten die alliierten
Siegermächte der japanischen Industrie verboten, Flugzeuge zu
bauen. Um aber im Kawa-Werk diese freien Kapazitäten auszulasten,
wurden die Produktionsanlagen kurzerhand auf die Herstellung von
Zwei- und Viertakt-Motorradaggregaten mit 60, 150 und 250 ccm
umgestellt. Für diesen neuen Geschäftszweig hatte das
Unternehmen 1952 die Tochter-Firma Meihatsu gegründet.
Hauptabnehmer der Einbauaggregate war Fuji, IMC und Gasuden. Es
sollte allerdings nicht ausschließlich beim Bau von Triebwerken
bleiben. Kaum zwei Jahre nach der Gründung von Meihatsu fertigte
man einen 60 ccm Roller. 1954 folgte das erste Meihatsu Motorrad
mit 125 ccm Zweitakt-Triebwerk.
Gemessen an den Aktivitäten des
Mutterhauses tauchten die Umsätze von Meihatsu in der jährlichen
Bilanz jedoch weit hinter dem Komma auf. Kawasaki gehörte bereits
damals zu den ganz großen Konzernen in Japan, in der breiten
Öffentlichkeit war der Name jedoch kaum bekannt. Diesen
Imagemangel wollte man mit einem verstärkten Engagement im
Zweiradbereich verändern. Denn über Motorräder wurde gesprochen
und motorsportliche Ereignisse in den Zeitungen abgedruckt. Als
Werbeträger waren sie geradezu ideal. Bestes Beispiel hierfür
war ja Honda. Jeder im Land kannte diese Firma. Um den mühseligen
Weg der jahrelangen Entwicklungs- und Testphase abzukürzen,
beschloss Meihatsu, alias Kawasaki, Anfang der sechziger Jahre mit
Meguro gemeinsame Sache zu machen. In Akashi wurden die beiden
Firmen unter einem Dach vereint und produzierten ab dieser Zeit
Motorräder von 50 bis 500 ccm. Das Topmodell war besagte K1, die
nun die neue Typenbezeichnung K2 und den Kawasaki-Namenszug am
Tank trug. Als Sonderausführung für den Polizeidienst gab es
parallel zunächst die K1P und später die K2P.
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Dream-Bikes in den
USA:
650er Dampfhämmer von BSA und Triumph
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Großes Vorbild für die
einheimische Motorradindustrie war Honda. Nicht nur, dass
Soichiro Honda landauf, landab fast in jedem Ort seine Maschinen
verkaufte, er exportierte die Fahrzeuge auch in die USA. Ein
Markt, dem die Zukunft gehören sollte. Bei Kawasaki roch man
ebenfalls das Geschäft und gründete Ende 1964 in Los Angeles
eine Werksniederlassung. Kurz darauf folgte ein Verkaufsbüro in
Chicago. Um den amerikanischen Markt "zu erforschen",
exportierten die Manager aus Akashi zunächst das 125er
Einzylinder-Zweitakt-Modell. Mit dieser Maschine ließ sich jedoch
kein amerikanischer Biker hinter dem Ofen hervorlocken. Im Land
der unbegrenzten Möglichkeiten waren Motorräder nämlich keine
"Butter und Brot Fahrzeuge", sondern Hobby,- Spaß,-
Freizeit- oder Sportgeräte. Hinzu kam der Prestigewert. Unter 500
Kubik ging nichts. Hoch im Kurs standen die englischen 650er
Modelle von Triumph und BSA.
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W1-Motor
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Nun wäre Kawasaki allerdings
nicht Kawasaki, würde man sich mit der Situation einfach
abfinden. Etwas Superlatives, Einzigartiges und Extravagantes musste her. Ein
Bike, das schneller und stärker als die Maschinen
der Konkurrenz war, - ein Image, das Kawa bis zum heutigen Tag
pflegt. Für dieses Vorhaben brauchten sich die Manager aber
nichts Neues einfallen zu lassen, man bediente sich einfach aus
der eigenen Modellpalette. Der 500er K2 Motor wurde frisiert und
die Fahrzeugoptik geliftet. Um den Hubraum aufzustocken, setzten
die Techniker in Akashi den Bohrer an und vergrößerten den
Zylinderinhalt von 497 auf 624 ccm. Auch der Zylinderkopf wurde in
die Mache genommen. Die Verdichtung erhöhte man von 8,5 auf 8:7
und konnte so die Motorleistung von 33 auf 50 PS steigern.
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(Zeichnung: Kawasaki-Archiv)
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(Zeichnung: Kawasaki-Archiv) |
Optisch und bei einigen Details
musste sich die
K2 einen Rundumschlag gefallen lassen. Eine Duplex-Trommel mit 200
mm Durchmesser im Vorderrad, schlanke Chromschutzbleche, eine
modifizierte Telegabel mit Faltenbälgen über den Standrohren,
ein neuer Lampentopf mit eingebautem, kombinierten
Tacho-Drehzahlmesser- Instrument sowie eine komfortable Sitzbank
waren die herausragenden Änderungen. Die frischgebackene 650er
bekam den Namen: Kawasaki W1.
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Stolz wie Oskar präsentierte
man das neue Topmodell im Oktober 1965. Doch die westliche
Fachwelt konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. Die Ähnlichkeit
zur BSA A7 war immer noch zu offensichtlich. Aber nicht nur das.
Inzwischen hatte BSA die A7 und A10 Modellreihe längst gegen die
A65 Generation mit dem neuen Blockmotor ersetzt. Den Kawa-Leuten
war das aber egal. Ab 1966 stand die W1 erst bei den japanischen
und bald darauf bei den amerikanischen Händlern in den
Schaufenstern. In Japan wurde sie zum Knüller. Es gab nichts
Vergleichbares. Wer mit der W1 unterwegs war, war im wahrsten
Sinne des Wortes "King of the Road". Das Motorrad genoss
hohes Ansehen, nicht zuletzt, weil auch die Polizei mit der in Schneeweiß lackierten W1P ihre Dienstfahrten erledigte. Ganz
anders in den USA. Hier holte sich der "Copy-Rider"
Plattfüße. Die amerikanischen Biker waren clever genug, um sich
kein X für ein U vormachen zu lassen. Nicht nur, dass die 650er
Kawa wie ein altes englisches Bike aussah, sie fuhr sich auch so.
Der Motor produzierte kräftige Vibrationen, das Fahrwerk war
knüppelhart abgestimmt, und hinsichtlich des Handlings waren die
echten englischen Maschinen spürbar einfacher zu bewegen.
Obendrein war jede aktuelle BSA oder Triumph auch noch schneller.
Aber das war nicht der wirkliche Ausschlag für den Misserfolg in
den Staaten. Die Ansprüche an ein modernes Bike hatten sich seit
einiger Zeit grundlegend gewandelt. Die "echte
Männermaschine" war nicht mehr der beinharte Donnerbolzen,
der sich ausschließlich nur via Kickstarter in Gang bringen ließ
und an jeder Ecke repariert werden musste; was neuerdings zählte,
war Komfort, Zuverlässigkeit, seidenweicher Motorlauf und
spritzige Beschleunigung. So wie es die Honda CB72 und CB450,
aber auch die agilen 250er Zweizylinder-Zweitakt-Geschosse von
Yamaha und Suzuki vormachten. Gegen diese Heizerkisten wirkte die
W1 wie ein antiquares Rauhbein.
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Donnerbolzen: W1
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Schwestermodell mit zwei Vergasern: W1SS |
Pfeilschnelle 250er: Kawasaki A1
von 1966
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Kawasaki erkannte die fatale
Fehleinschätzung des US-Marktes und reagierte umgehend. Noch im
gleichen Jahr brachte das Werk die A1 Samurai, einen 31 PS starken
250er Zweizylinder-Zweitakter, unters sportbegeisterte Bikervolk.
Ihr folgte die 350er Avenger mit 42 PS und Ende 1968 die
berühmt-berüchtigte H1 "Mach III" mit dem 60 PS
starken Dreizylinder-Zweitakt- Triebwerk. Auf einmal war der Name
Kawasaki in aller Munde. Der junge japanische Motorradhersteller
wurde zum Inbegriff agiler Zweitaktmaschinen. Die Samurai, Avenger
und Mach III waren phantastische Sportler, mit denen sich locker
jeder dicke Hobel verblasen ließ. Es waren rassige
"Rennmaschinen mit Straßenzulassung", die haargenau die
Träume damaliger Motorradfahrer erfüllten...
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Racing-pur: 250er mit 31 PS!
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Männerspaß: Kernige Japan-Twins |
Der Viertakt-Twin blieb
allerdings weiterhin im Programm, und wurde von Jahr zu Jahr immer
etwas verbessert. Die Modelle hießen W1, W1SS, W2SS und W2TT
Scrambler,
1970 folgte auf die W2SS die W1SA "Grand Touring". Im
Prinzip war es allerdings kein neues Motorrad, nur einige
Detailmodifikationen waren beachtenswert, denn Leistungs- und
Fahrwerksdaten blieben über die gesamte Bauzeit unverändert. Die
wichtigste Änderung war, dass der Schalthebel nun links saß und
das Pedal für die Hinterradbremse rechts. Als letzte
"Evolutionsstufe" in der W-Baureihe kam 1973 die W3
"650 SS" auf den Markt, „veredelt" mit
Instrumente, Tank, Telegabel einschließlich Scheibenbremsanlage
und Federbeine von der Z 900 "Z1". Ende 1974 stellte
Kawasaki die Produktion der W-Generation ein. Gut zehn Jahre war
der Schüttelbock im Angebot und rollte 26289 Mal vom
Fertigungsband in Akashi. Abgesehen vom japanischen Markt blieb
sie allerdings weitgehend unbekannt. Berühmt wurde Kawasaki durch
die H1 "Mach III" und Z 900 "Z1".
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Kawasaki W2SS von 1968
Kawasaki W2TT Scrambler
(Foto:
Kawasaki-Archiv)
Kawasaki W3
(Foto:
Kawasaki-Archiv) |
Technische Daten
Kawasaki W1 (W2SS in Klammern)
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Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Motor; eine Zahnrad
getriebene,
untenliegende Nockenwelle; Stößel; Stoßstangen; Kipphebel; zwei
Ventile pro Zylinder; dreiteilige Stahlkurbelwelle, wälzgelagert;
Pleuelfüße nadelgelagert; Hubraum 624 cm3; Bohrung x Hub 74 x
72,6 mm; PS 50 bei 6500/min (53 bei 7000); max. Drehmoment 5,7 bei
5500/min (5,7 mkg bei 5500); Verdichtung 8,7:1 (9:1); Vergaser ein
Mikuni-Vergaser VM 31, Ø 31
mm (zwei Mikuni-Vergaser VM 28, Ø
28 mm); Schmierung Trockensumpfschmierung 3 Liter SAE 30
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(W1SS-Triebwerk
mit zwei Vergasern)
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Elektrik:
12 Volt Batterie-Spulen-Zündung mit Unterbrecherkontakt
Getriebe:
Primärantrieb über Duplexkette; Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad;
Klauen geschaltetes Vierganggetriebe; Sekundärantrieb über Kette; Kickstarter
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Klassisches Getriebe mit
Rechtsschaltung
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Fahrwerk:
Doppelschleifenrohrrahmen; Telegabel, Hinterradschwinge; zwei
Federbeine
vorn: Duplex-Trommelbremse; Ø 200mm
hinten: Simplex-Trommelbremse Ø
180 mm
Bereifung: vorn 3.25-18 4PR
hinten 3.50-18 4PR (vorn 3.25-19 4PR; hinten 4.00-18
4PR)
Tankinhalt 15 Liter; Leergewicht 181 kg
Spitze:
180 km/h (185 km/h)
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(Foto: Kawasaki-Archiv) |
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