Sport


Besuch der Kenny-Roberts-Ranch 1992

"Rush Hour im Cowboy District"


Wenn bei uns im Januar kein Mensch ans Motorradfahren denkt,
glühen in Kalifornien die Motoren. Genauer gesagt in Hickman,
auf der Ranch von Kenny Roberts. Weitab vom "weltlichen Rummel"
bereiten sich hier schnelle Asphalt-Cowboys auf die bevorstehende
Rennsaison vor. Das Zauberwort für den Spaß heißt: "Dirt-Track".
Neben den amerikanischen GP-Stars Wayne Rainey, John Kocinski und Randy Mamola machten sich bei meinem Besuch im Januar 1992 auch namhafte Asphalt-Cowboys aus Europa auf der Ranch fit.
Zum Beispiel Ralf Waldmann, Stefan Prein, Udo Mark,
Oliver Petrucciani und Stephane Mertens.

Text&Fotos: Winni Scheibe



"Als ob es um die Wette geht"
Dirt-Track Training bei Kenny Roberts







500er Weltmeister Wayne Rainey


500er Vize-Weltmeister Randy Mamola



250er Weltmeister John Kocinski


Kenny Roberts Jr


Die Kenny-Roberts-Ranch ist ein Privat-Anwesen




Trainings "Spielwiese" so weit das Auge reicht




Die Ranch ist aber eigentlich kein öffentliches Trainingslager, sondern Kenny Roberts Privat-Anwesen. Die auf dem weiträumigen Gelände, in Amerika ist alles viel größer und weiter als bei uns, angelegten Dirt-Track und Moto-Cross-Strecken hat der dreifache 500 ccm Weltmeister im Prinzip nur für sich selber, seine rennbegeisterten Söhne Kenny Jr und Curtis sowie die Piloten aus seinem Team angelegt. Doch wenn die Sponsoren bitten, kann der "Motor-Rancher" kaum "nein" sagen. Doch damit keine falsche Hoffnung aufkommt, ohne gute Beziehungen und das nötige Kleingeld läuft für Außenstehende nichts.



"Herr im Ring"
AMA Dirt-Track-Champion und dreifacher 500er Weltmeister Kenny Roberts (rechts im Bild)

Ralf Waldmann, 1991 dritter in der 125er WM, ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei Roberts auf der Ranch. Der 25jährige Ennepetaler startet heuer auf einer 125er A-Kit-Honda im Zwafink-Racing-Team. Den Ausflug nach Amerika ermöglichte Hauptsponsor Marlboro. Nach einer von Stürzen geprägten `90er Saison mit dem bescheidenen 23. Schlussrang in der 125er WM, etablierte sich Ralf Waldmann in der vergangenen Saison zum Top-Piloten in der Achtelliter Klasse und wurde der Senkrechtstarter schlechthin. GP-Sieg in Hockenheim und Assen, sowie der 3. Platz in der WM-Endabrechnung lassen für die bevorstehende Weltmeisterschaft einiges an Hoffnung aufkommen. Damit sich die Erwartungen erfüllen, nimmt Waldmann die Saisonvorbereitung entsprechend ernst.


125er GP-Star Ralf Waldmann


Werkstattpause




"Team-Deutschland"
Ralf Waldmann, Udo Mark, Stefan Prein



Stefan Prein, Ralf Waldmann, Udo Mark





Stefan Prein, Little Kenny, Ralf Waldmann                     



Hausherr Kenny Roberts


Yamaha XS650 Dirt-Track Rennmaschine von Kenny Roberts



Die Ranch von King Kenny gilt als Geheimtipp. In der Winterpause wird hier Dirt-Track gefahren. Eine Sportart, die bei uns nur wenige kennen. In den Staaten aber gehört Dirt-Track zu den beliebtesten Motorradsportarten überhaupt. Und genau aus diesem Metier kommt der Großmeister. Bevor er als 27jähriger 1978 in den GP-Rennsport einstieg, war er zweifacher amerikanischer AMA-Grand-National-Champion im Dirt-Track. Die höchste Auszeichnung, die ein Driftakrobat in den Staaten erreichen kann



Inspekteur Ralf Waldmann


Gemeinsam mit seinem Honda-Markenkollegen Stefan Prein mietete sich Ralf Waldmann für den ganzen Januar im Red Lion Hotel in Modesto ein und kurvte jeden Tag, außer Sonntags, wenn auch auf der Ranch die Motoren ruhen, auf das etwa 25 Kilometer außerhalb gelegene Areal. Auf die Frage nach seinen Eindrücken kann der Deutsche GP-Star seine Begeisterung kaum zurückhalten. "Während der Rennsaison habe ich Wayne Rainey, John Kocinski oder Kenny Roberts höchstens mal im Fahrerlager beim Vorbeigehen gesehen. Hier aber hantieren wir alle gemeinsam an unseren Trainingsmaschinen herum, reden über Gott und die Welt, und beim Dirt-Track oder Moto-Cross Training geben sie einem Tipps, als ob man schon jahrelang mit ihnen befreundet ist. Das ist schon ein tolles Gefühl", schwärmt der sympathische Honda-Pilot weiter. "Aber auch die Art und Weise, wie cool es hier abgeht, hat mich beeindruckt", fährt der redegewandte Rheinländer fort. "Jeder ist für die Vorbereitung seiner Bikes selbst verantwortlich, selbst
Wayne Rainey schraubt an seiner Maschine. Erst wenn die täglichen Wartungsarbeiten an den Bikes erledigt sind, beginnen wir mit dem Training. Für das Dirt-Tracken werden ganz bewusst die kleinen 100 ccm Honda eingesetzt. Zuerst dachte ich, die Roberts-Truppe will mich auf den Arm nehmen, doch als ich King Kenny und Wayne Rainey mit den Mini-Bikes rumheizen sah, und ich wenig später selber mit dem Dirt-Track Training begann, änderte sich meine Meinung sehr schnell. Gerade mit den nur 10 PS starken Mini-Bikes muss man immer voll konzentriert und am Limit fahren, ansonsten sind die anderen auf und davon. Und um richtig driften zu lernen muss man das Gas stehen lassen. Wird beim Dirt-Track die Reaktionsfähigkeit trainiert", plaudert Waldmann weiter aus dem Nähkästchen, "dient das Cross-Training zur Verbesserung der Kondition."


Ralf Waldmann


Stefan Prein

Ebenfalls im Januar mit von der Partie war sein Schweizer Team-Kollege Oliver Petrucciani. Der 22jährige Mechaniker aus Losone startet ab diesem Jahr in seiner ersten Vollprofisaison. Im Zwafing-Racing-Team beteiligt er sich neben Ralf Waldmann in der 125-WM auf einer Honda. Bereits im Dezember war Petrucciani für 25 Tage zum Dirt-Track und Moto-Cross Training auf der Ranch. Im Gedrängle der Driftakrobaten zeigte sich sein Trainingsvorsprung deutlich. Ob beim reinen Dirt Track, wenn nur im Oval gefahren wird, oder beim "TT" - Dirt-Track mit Moto-Cross Einlagen - konnte der junge Schweizer mit den amerikanischen Profis gut mithalten.



Oliver Petrucciani folgt Kenny "Little Kenny" Roberts


Der Schweizer Honda-Pilot verrät: "Für mich ist besonders das Dirt-Track Training wichtig. Diese Art von Motorradbeherrschung ist bei uns ja vollkommen unbekannt. Aber gerade der Umgang mit den Mini-Bikes schärft das Reaktionsvermögen ungemein. Dazu macht das Training riesigen Spaß."


Entgegen Helmut Bradl, der sein eigenes Trainingskonzept bevorzugt, absolviert Stefan Prein vom HB Racing Team Germany zum zweiten Mal ein vierwöchiges Trainigsprogramm auf der Roberts Ranch. Genau wie im vergangenen Jahr wählte der Wuppertaler Honda-Pilot den Januar für die Reise nach Kalifornien.

"Hier, weitab vom täglichen Organisationsstress, kann ich mich vier Wochen lang in Ruhe auf die Saison vorbereiten," beschreibt der wortgewandte Profi-Rennfahrer die Situation. "Wenn wir täglich zwischen vier und sechs Stunden mit den Maschinen durchs Gelände gepflügt sind, gehts abends noch mal für ein bis zwei Stunden in die Muckibude. Danach wird noch etwas TV gesehen, und der Tag ist gelaufen. Außer ein paar guten Restaurants hat Modesto ja nichts zu bieten."


Stefan Prein



Chefmechaniker Udo Mark


Auch zum zweiten Mal war Superbike Champion Udo Mark auf der Ranch. Für den Mitsui-Werksfahrer ist das Dirt-Track Training für das Reaktionsvermögen und die Crossfahrerei für die Kondition wichtig. "Im Gegensatz zu den 125er Rennfahrern, bei denen die Drifterei nicht so häufig vorkommt, profitiere ich bei den Superbikerennen enorm von der Dirt-Track Technik. Wenn das Hinterrad meiner Superbike Yamaha in der Kurve wegschmiert, halte ich die Maschine jetzt viel gekonnter unter Konntrolle. Habe ich mich früher in diesen Augenblicken erschrocken, beginnt es mir heute Spaß zu machen, im Drift um die Ecken zu biegen."



Udo Mark


Wer dem schlanken Superbike-Piloten im Fahrerlager begegnet, traut ihm sicherlich diese Fähigkeit kaum zu, doch im direkten Vergleich mit Randy Mamola oder auch Dirt Track Künstler "Little Kenny" braucht sich Udo Mark nicht zu verstecken. Dass dieses Fitnessprogramm aber dennoch Risiken birgt, bekam Udo Mark nach dreiwöchigem Rumtoben plötzlich zu spüren. Nach ausgiebigem Dirt-Track Training konnte er nach dem Absteigen von seinem Mini-Bike nicht mehr auftreten. Sein rechtes Knie bereitete ihm enorme Schmerzen. Zum Glück war Wayne Raineys privater Physiotherapeut Dean Miller auf der Ranch, der sogleich Mark unter seine Fittiche nahm. Nach gründlicher Untersuchung konnte Dean Miller zum Glück keinen Bruch feststellen. Mark war ja weder gestürzt, noch sonst, wie beim Dirt-Track Training üblich, gerempelt worden.
Da nach der Behandlung die Schmerzen sich kaum linderten, entschied sich Udo Mark, nach Deutschland zurückzufliegen.



Physiotherapeut Dean Miller bei Udo Mark im "Einsatz"



Stephane Mertens

Genau wie Udo Marks Superbike-Kollege ist auch Stephane Mertens von den speziellen Fahrübungen  überzeugt. Der vierte in der Superbike-WM war bereits vier Mal bei King Kenny. "Reines Konditionstraining reicht heute nicht mehr aus, um sich optimal auf die Rennsaison vorzubereiten", weiß der Ducati-Werksfahrer zu berichten. "Die abwechselnden Dirt Track und Moto-Cross Rennen, die wir uns ständig gegenseitig liefern, machen nicht nur riesigen Spaß, sondern lassen ein ganz anderes Gefühl zum Motorradfahren entstehen. Wenn ich Anfang März mit dem Training auf meiner Ducati beginne, bin ich körperlich in absoluter Top-Form und kann mich viel schneller auf das Eingewöhnen und Abstimmen der neuen Maschine konzentrieren."

Nach einem Jahr Abstinenz wird Randy Mamola in diesem Jahr wieder im GP-Zirkus auftauchen. Im Yamaha-B-Team von Kenny Roberts wird er sicherlich nicht nur für gute Showeinlagen, sondern auch für respektable Ergebnisse sorgen. Damit er die Saison topfit antreten kann, lässt der immer für einen Scherz aufgelegte "Hansdampf-in-allen-Gassen" keinen Tag aus, um sich mit den Rennkollegen bei jeder Gelegenheit zu messen.


Randy Mamola



Randy Mamola zeigt den Freunden, wo es lang geht.
Gleich rechts am Hinterrad Oliver Petrucciani, daneben innen Little Kenny.
Hinten Stefan Prein (gelber Helm) und Ralf Waldmann

Erstaunlich gut hat sich Wayne Rainey von seinem katastrophalen Trainingssturz von dem letzten 500er-GP 1991 in Malaysia erholt. Zwar humpelt der zweifache Weltmeister noch augenscheinlich, doch wenn der Champion auf dem Dirt-Track Bike sitzt, lässt er keine Zweifel aufkommen, wer der Herr im Haus ist. Selbst wenn sich King Kenny unter die Dirt Tracker mischt, hat der immer noch in Topform befindliche Teamchef und Ex-Weltmeister das Nachsehen.



Wayne Rainey



"Herr im Haus"
Wayne Rainey



John Kocinski

Nur John Kocinski hält sich aus dem Gerangel heraus. Wenn sein Team-Partner Wayne Rainey auf der Driftstrecke übt, schwingt sich Heißsporn Kocinski lieber auf die  Yamaha Moto-Cross Maschine. "Beim harten Offroad-Bolzen bekomme ich viel eher die Kondition, die ich brauche, um perfekt mit der 500er GP-Rennmaschine umzugehen", meint der immer korrekt gekleidete Kalifornier, "außerdem treffe ich Wayne auf der Rennstrecke, da werden wir ja sehen, wer dieses Jahr schneller ist."

 



Luftikus John Kocinski



Tschüss bis zum nächsten Jahr!


Text-Archiv: Sport


Home