Dass es
allerdings einmal so weit kommen würde, daran hat vor gut 80
Jahren in München sicherlich niemand gedacht. Mit Motorrädern
hatten die 1916 gegründeten Bayerischen Flugzeugwerke (BFW),
aus dem aber schon 1917 die Bayrischen Motoren Werke (BMW)
hervorgingen, (noch) nichts im Sinn. Man baute zunächst
erfolgreich leistungsstarke Flugmotoren, daher auch das
Firmenzeichen, es symbolisiert einen drehenden
Flugzeug-Propeller. Im Zweiten Weltkrieg (1914 bis 1918) war das
Werk mit Rüstungsaufträgen voll ausgelastet und wenn es nach
der Firmenleitung gegangen wäre, hätte dies auch bis ans Ende
der Welt so weiter gehen können. Doch Deutschland verlor den
Ersten Weltkrieg und nach dem Versailler Friedensvertrag vom 28.
Juni 1919 wurde der Bau von Flugzeugen verboten. Bei BMW dachte
man rasch um und begann die Produktion von Fahrzeugmotoren, von
denen sich das Motorradtriebwerk "M 2 B 15" zum
erfolgreichsten mauserte. Landauf, landab entstanden in dieser
Zeit eine Vielzahl kleiner und großer Motorradfirmen, die
Nachfrage nach motorisierten Untersätzen war gewaltig, und der
Weg zum eigenen Motorrad war bei BMW dann eigentlich nur noch
ein Katzensprung.
Verantwortlich für das Projekt war BMW Chefkonstrukteur Max
Friz. Der hochbegabte Flugmotoreningenieur und begeisterte
Motorradfahrer schuf Anfang der 20er Jahre ein Motorrad, das
sich im Grundkonzept bis in den heutigen Boxer-Maschinen
wiederfinden lässt. Den Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor mit
Seitensteuerung setzte Max Friz quer in den stabilen
Doppelrohrrahmen, eine gleichmäßige Fahrtwindkühlung beider
Zylinder war so gewährleistet. Ähnlich wie im Automobilbau
übernahm eine Einscheiben-Trockenkupplung den Kraftschluss zum
direkt am Motorgehäuse angeblockten handgeschalteten
Dreiganggetriebe. Die Fortsetzung des Kraftflusses über eine
Kardanwelle zum Hinterrad bot sich bei diesem Bauprinzip
förmlich an. Etwas bescheiden klang die Leistungsangabe von 8,5
PS für den 500er Boxermotor. Dagegen überzeugten die
Fahrleistungen. Die nur 122 kg schwere R 32 kam auf Tempo 95 und
dank niedrigem Motorschwerpunkt war das Handling ausgesprochen
gut.
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BMW R 32 von 1923
(Foto: BMW)
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Als BMW im
Oktober 1923 auf dem Pariser Salon die R 32 vorstellte, waren
Fachleute und Motorradfans geplättet. So ein Motorrad hatte die
Welt noch nicht gesehen, die Maschine war tadellos verarbeitet,
bestach durch eine klare Linienführung und wurde schon bald als
Motorrad "wie aus einem Guss" bezeichnet.
Nach diesem
Streich ging es Schlag auf Schlag. Um die Qualität der neuen
Maschine unter Beweis zu stellen, wurde der Motor mit
ohv-Ventilsteuerung modifiziert und als Sportmaschine R 37 mit
16 PS für Straßenrennen und Geländewettbewerbe eingesetzt.
Nach dem Gewinn der Goldmedaille bei den Prestige trächtigen
"Sixdays" in Buxton 1926 schrieb die englische Presse:
"BMW Motorräder sind jeder britischen Maschine weit
voraus."

(Foto: BMW) |
Um der gewaltigen
Nachfrage gerecht zu werden, wurde das Werk erweitert, bereits
1928 waren 2800 Mitarbeiter bei BMW beschäftigt. Im gleichen
Jahr präsentierten die Münchner die neuen 750er Modelle R 62
mit sv-Motor und R 63 mit modernem ohv-Triebwerk. Für die
damals steuer- und führerscheinfreie Klasse bis 200 ccm Hubraum
brachte man 1930 die 6 PS starke R 2 auf den Markt. Neben der
ständigen Weiterentwicklung der Triebwerke kümmert man sich
auch um die Verbesserung der Straßenlage. Als erste
Motorradfirma führt BMW 1935 die hydraulisch gedämpfte
Telegabel ein, das Hinterrad bleibt dagegen weiterhin
ungefedert. Aber schon 1938 spendierte man dem Hinterrad die
sogenannte Geradwegfederung. Bis Anfang des Zweiten Weltkrieges
umfasste das BMW Programm Einzylinder-Maschinen mit 200, 250 und
300 ccm, die Boxer-Baureihe hatte 500, 600 und 750 ccm. Ende
1938 rollte die 100.000ste BMW aus der Münchener
Fertigungshalle. Der Sieg von BMW-Werksfahrer Georg "Schorsch"
Meier 1939 bei der Senior-TT auf der Isle of Man ging ebenfalls
in die Geschichtsbücher ein.

Legende: Georg
"Schorsch"
Meier
(Foto:
BMW) |
Genau wie im
Ersten Weltkrieg war BMW auch im Zweiten Weltkrieg vorrangig als
Rüstungsproduzent von Flugmotoren sowie großvolumigen
Militär- und Behördenkrädern tätig. In den über ganz Europa
verzweigten BMW-Betrieben waren in den Jahren 1943/44 mehr als
47.000 Mitarbeiter beschäftigt. Nach Ende des Zweiten
Weltkrieges im Mai 1945 begann man bei BMW mit der Stunde Null
und bis die erste Nachkriegs-Zweifünfziger auf den Markt kommen
sollte, wurde es Ende 1948. Anfang 1950 folgte dann die 500er
Boxer-Maschine R 51/2 und wenig später die große Schwester R
67 mit 600 ccm. In nur vier Jahren hatte man das Werk wieder
aufgebaut, die Belegschaft war auf 8720 Mitarbeiter gewachsen
und man hatte inzwischen 17000 Maschinen gebaut.
Auf den Vorkriegslorbeeren sowie den Erfolgen im Wiederaufbau
konnte und durfte sich BMW allerdings nicht ausruhen. Die
Konkurrenz schlief nicht, besonders im wichtigem Exportland
Amerika waren englische Maschinen gefragt wie noch nie zuvor.
BMW blieb natürlich weiterhin dem Boxer-Motor treu, dafür
bekam 1955 die 500er R 50 und 600er R 60, aber auch die 250er R
26 Einzylinder-Maschine, ein neues Doppelschleifen-Fahrwerk
spendiert. Das Vorderrad wurde nun von einer Langarmschwinge mit
zwei Federbeinen, das Hinterrad von einer Zwei-Armschwinge
ebenfalls mit zwei Federbeinen, geführt. Die Kardanwelle hatten
die BMW-Techniker in dem rechten Schwingenholm untergebracht.
Das neue "Vollschwingen"-Fahrwerk eröffnete den BMW
Fahrern einen bis dahin nicht gekannten Fahr- und Reisekomfort.
In den USA nannte man die neuen BMWs ehrfurchtsvoll "King of
the Road", in ihrer Heimat wurden sie aber schon bald von
anderen Motorradfahrern wegen ihres "schwingenden"
Federkomforts als "Gummikühe" veräppelt. Topmodell in
der "Vollschwingen"-Baureihe wurde 1960 die 42 PS starke
und gut 180 km/h schnelle
R 69 S. |

250er-Motor
(Foto:
BMW)

BMW R 69 S |

1967: BMW-Motorrad-Werk
in Berlin-Spandau
(Foto:
BMW) |
Neben der
Motorradfertigung hatten sich die Bayern mittlerweile auch als
Autohersteller einen guten Namen gemacht. War in den 50er Jahren
mit Motorrädern noch gutes Geld zu verdienen, änderte sich 10
Jahre später der Markt grundlegend, wer etwas auf sich hielt,
stieg ins Auto. 1968 rollten 5074 und 1969 gerade noch 4701
Maschinen aus dem Werk, wovon ein Großteil in den Export ging.
Insgesamt ließen sich bei uns in diesem Jahr nur lediglich 4863
Neuzulassungen registrieren. Der Motorradmarkt war tot.
Für die
Münchner eigentlich kein Grund an der unrentablen
Zweiradfertigung weiterhin fest zu halten. Doch der
Motorradbazillus saß tief, besonders bei Helmut Werner Bönsch.
Der Technische Direktor konnte die Firmenleitung zum Weiterbau
des Motorradprogramms überzeugen. Für dieses Vorhaben wurde am
1. September 1968 eine eigene BMW-Vertriebs GmbH für den neuen
Motorradbereich gegründet und die komplette Fertigung ins
BMW-Zweigwerk nach Berlin-Spandau verlegt. Im Herbst 1969 konnte
man die taufrischen Modelle R 50/5, R 60/5 und R 75/5
präsentieren. Die nach Baukastensystem neukonstruierten Kräder
zeigen weiterhin die BMW-typischen Merkmale: luftgekühlter
Zweizylinder-Boxermotor, Kardanantrieb, komfortables Fahrwerk
mit Telegabel und Schwinge. Rückblickend hat BMW genau das
Richtige gemacht.
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BMW R 100 RS von 1978 |
Anfang der 70er
Jahre schwappte nämlich der Motorradboom von den USA nach
Europa über. Die damalige Jugend war schier verrückt nach
starken und schnellen Maschinen. Die heißesten Kisten kamen aus
Japan, von Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha. Sportsfreunde,
die es aber etwas ruhiger angehen lassen wollten, kauften sich
eine neue BMW.
Über 25 Jahre
widmete man sich bei BMW fortan um die Weiterentwicklung der
zwei-Ventil-Boxer Modelle. Im Laufe der Zeit stieg der Hubraum
bei der R 90 S auf 900 ccm und 1976 bei der R 100 RS sogar auf
1000 ccm. Als weltweit erstes Großserienmotorrad hatte der
Sporttourer R 100 RS eine Vollverkleidung. Zwei Jahre später
folgte das ebenfalls 90 PS starke Schwestermodell R 100 RT. Es
war ein komfortabler "Reise-Tourer", wie sich dies
eingeschworene BMW-Fans schon lange gewünscht hatten. Mit
Zubehör-Packtaschen ausgestattet wurde die RT zum idealen
Luxusdampfer.
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Stollenreiter: BMW R 80 G/S von
1981 |
Ende der 70er
Jahre war unter den japanischen Herstellern ein regelrechtes
Leistungswettrüsten ausgebrochen. Denken wir nur an die beiden
über 100 PS starken Sechszylinder Big-Bikes Z 1300 von Kawasaki
und CBX 1000 von Honda. Dazu kam eine schier unüberschaubare
Modellvielfalt in allen Klassen. Ganz anders bei BMW, das
Angebot bestand aus der R 45, R 65, R 80/7, R 100 T, R 100 RS
und R 100 RT. Alle mit Zweiventil-Zweizylinder-Boxer-Motoren und
Kardanantrieb, dazu in Ausstattung und Styling grundsolide. Von
Hypersportlern, Enduros oder gar Softchoppern keine Rede, wer
eine BMW kaufte, bekam etwas Bodenständiges.
Um so mehr überraschte im September 1980 die Vorstellung der R
80 G/S. Mit dieser großvolumigen Boxer-Enduro überbot BMW
sämtliche damals auf dem Markt angebotenen 500er
Einzylinder-Enduros. Das 50 PS starke Off-Road Bike mit
beachtenswerter Monolever-Einarmschwinge und mit nur einem
Federbein machte mit seinen großzügig bemessenen Federwegen im
Gelände einen bravourösen Eindruck. Doch ihre wirkliche
Stärke zeigte die G/S auf der Straße. Dank breitem
Geländerlenker, niedrigem Fahrzeuggewicht und tadellosem
Handling fuhr sich die Enduro mitten ins Herzen der
Tourenfahrer.
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Highlight in der
"K-Modellreihe": BMW K1
(Foto:
BMW) |
Zwar hatte BMW
nun zu den biederen Straßenmodellen eine echte Modellvariante,
der 1982 sogar die Straßenversion R 80 ST folgte, doch im
Vergleich zu den aktuellen japanischen Sport- und
Tourenmaschinen war BMW mit dem hubraum- und leistungsstärksten
Boxer-Motor der R 100 RS und R 100 RT, mit jeweils 1000 ccm und
90 PS, an die Grenze einer sinnvollen Weiterentwicklung
gestoßen.
BMW brauchte schleunigst ein neues Motorrad. Hatten die
japanischen Hersteller mit quereingebauten
Vierzylinder-Reihenmotoren den Markt fest im Griff, fanden die
Bayern mit dem "Compact Drive System" eine ganz andere
Lösung. Das 1000er 90 PS dohc-Vierzylinder-Triebwerk lag flach
unter dem Tank, das Fünfganggetriebe war direkt am Motor
angeblockt und via Kardanwelle, die in der
Monolever-Einarmschwinge lief, gelangte der Kraftfluss ans
Hinterrad. Diese Bauform war zunächst für manche
gewöhnungsbedürftig und hatte auch gleich den Spitznamen
"fliegender
Ziegelstein" weg. Dafür wurde die 1983 präsentierte K 100
in der BMW-Geschichte zum Meilenstein. Neben der Boxer und
Enduro-Baureihe konnten die Münchner mit Produktionssitz in
Berlin nun eine neue, eigenständige Modellreihe anbieten. Und
der Erfolg gab ihnen Recht. Neben der K 100 gab es die K 100 RS,
bereits 1984 folgte die K 100 RT und 1986 die K 100 LT als
damaliger Luxustourer. Für die 750er Klasse brachte BMW 1985
die K 75 C und K 75 S auf den Markt, denen später auch eine K
75 RT folgen sollte. 1996 lief die K 75-Serie allerdings wieder
aus.
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BMW R 1100 RS mit Kat und
ABS
(Foto: BMW) |
Ganz anders in
der Vierzylinder-Baureihe. Ab 1988 gab es die K 100 RS und
K 100
LT als weltweit erstes Serienmotorrad auf Wunsch mit ABS. Die
Sensation in diesem Jahr war jedoch die K 1, eine bis heute
jedoch umstrittene vollverkleidete Vierzylinder-Sportmaschine,
die bis 1993 angeboten wurde. Neben dem ABS-Sicherheitsaspekt
machte man sich bei BMW auch hinsichtlich der
Umweltverträglichkeit große Gedanken. Waren Ende der 80er
Jahre im PKW-Bereich G-Kats längst zur Selbstverständlichkeit
geworden, suchte man auf Grund von fehlender Gesetzgebung diese
Abgasentgiftung bei Motorrädern vergeblich. Bei BMW wartete man
nicht auf Entscheidungen in Bonn und reagierte. Ab 1991 konnten
die Vierventil-Vierzylindermodelle mit G-Kat geordert werden und
schon 1992 wurde jede zweite Vierventil-BMW mit Katalysator
verkauft.
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Das Ende der
traditionellen Boxer-Modelle schien mittlerweile besiegelt. Doch
weit gefehlt. Die Bayern ohne Boxer-Motorrad - unvorstellbar!
Rund zehn Jahre Entwicklungszeit investierten die Münchner in
die neue Vierventil-Boxer-Generation, die ab 1993 zunächst als
R 1100 RS zu haben war. Aber nicht nur das 90 PS
Einspritz-Triebwerk, auch das Gitterrohr-Fahrwerk mit der
Telelever Vorderradführung und Paralever-Einarmschwinge war
neu. Nach Beginn der K-Serie 1983 hatte BMW 1993 mit den neuen
Boxer-Modellen einen weiteren Meilenstein in der
Firmengeschichte gesetzt. Aber längst nicht genug. Für
BMW-Einsteiger führte das Werk im gleichen Jahr den Single F
650 ein. Und wem auch dieses Bike immer noch zu groß und schwer
war, der konnte ab 2000 in den BMW Roller C1 steigen.
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(Foto: BMW)
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Grund zum
Feiern hat BMW 2003: das Werk wird 80 Jahre alt. Um die Zukunft der
deutschen Traditionsmarke braucht man sich keine Sorgen zu
machen. In der Saison 2001 wurden immerhin weltweit 84.700
Maschinen an Kunden ausgeliefert. Und wer sich auch für "Gestern"
interessiert, kommt im BMW-Museum in München voll auf seine
Kosten. |

Boxer Prachtstück im BMW
Museum |
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