Fahrberichte


Honda CBF600S mit ABS

"Der kleine Prinz"

Es gibt Motorräder, die gibt es einfach. Sie sind
unspektakulär und unauffällig. So wie ein VW Golf oder
Toyota Corolla. Sie verkaufen sich wie warme Semmeln,
sind zuverlässig und halten bei guter Pflege eine Ewigkeit.
Das ist nicht schlimm, ganz im Gegenteil, es beruhigt.
Die Honda CBF600S ist genau so ein Bike. Eigentlich brauchte
man darüber kein Wort verlieren, wir machen es trotzdem.

Text&Fotos: Winni Scheibe 



Es gibt Motorräder, die gehen einem nicht aus dem Kopf. Erinnerungen an sie sind im Hinterstübchen abgespeichert und bei gewissen Anlässen kommen sie einem wieder in den Sinn. Gemeint ist aber nicht die Honda CBF600S, sondern die Kawasaki Z650. Dieses Vierzylinder-Bike wurde im Sommer 1976 im schottischen Edinburgh ausgewählter Presse vorgestellt. Für das Fachblatt MOTORRAD war Peter Limmert mit von der Partie. Gestandene Windgesichter werden sich sicherlich noch gut an das Urgestein erinnern. Peter Limmert hat damals einen sensationellen Artikel verfasst, allerdings nicht über die Vorzüge der tollen neuen Kawasaki, sondern über die Qualitäten des schottischen Whisky und Lobster. Grund dafür hatte er allemal. Die Kawasaki war nämlich rundherum ein perfektes Bike, alles funktionierte, der Motor surrte wie eine Turbine, das Fahrwerk  war eine Wucht und die Bremsen einfach Klasse. Nach der Testfahrt konnte er nur absteigen und sagen: OK! Nicht mehr und nicht weniger. Und weil das Bike eben so perfekt war, das war vor rund 30 Jahren längst nicht immer so, schrieb Peter Limmert lieber über die schottische  Lebensqualität, den guten Lobster und den ausgezeichneten Whisky. So war er, jetzt lebt er im Ruhstand, ob er sich noch an die "schottischen Nächte erinnern kann"?
Peter Limmerts Fahreindruck von der Kawasaki Z650 in Schottland 1976 steht in MOTORRAD 19/1976.

In die Geschichte ist besagte Z650 dennoch eingegangen. Einen Tag nach dem berühmten 200-Meilen-Rennen von Daytona stellte Kawasaki im Frühjahr 1977 mit der Z650 im ultraschnellen Speedway drei Weltrekorde für die Klasse bis 750 ccm auf. Die neuen Werte waren:   
  6 Stunden ein Schnitt von 205,8 km/h 
12 Stunden ein Schnitt von 196,7 km/h 
24 Stunden ein Schnitt von 194,6 km/h


Suzuki GS 750
Suzuki GS750 "1000km-Vollgasfahrt"
(Suzuki-Werbung)


An diese Zeit kann ich mich noch gut erinnern. Damals war ich nämlich in der Technischen Abteilung bei Suzuki Motor Deutschland in Heppenheim beschäftigt und betreute zeitgleich einen Weltrekordversuch mit der neuen GS750. Nach dem Erfolg von Kawasaki haben wir die Rekordfahrt allerdings abgeblasen und einen "1000-km Vollgastest" im Contidrom gefahren. 


Alles Könner:
Honda CBF600S mit ABS


So und was hat das nun alles mit der Honda CBF600S zu tun. Nichts! Die Geschichte ist mir nur auf  der ersten Fahrt mit der neuen Honda wieder eingefallen. So oder ähnlich muss es nämlich auch meinem lieben Kollegen Peter Limmert 1976 in Schottland ergangen sein. Man fährt durch die Gegend, genießt die Strecke und die wunderschöne Landschaft und das Bike unter einem funktioniert. So perfekt, dass einen nichts stört oder aufregt, aber auch nichts vom "Hocker reißt". Damit ich bitte  nicht falsch verstanden werde, diese Einschätzung soll keine Respektlosigkeit vor der japanischen Ingenieursleistung sein, vielmehr ist es als Anerkennung zu verstehen. 
Vor der Honda war ich nämlich mit der Buell Firebolt XB12R unterwegs. Krasser können die Gegensätze kaum sein. Die Buell ist eine Fahrmaschine, ein Kraftrad, ein Straßenfeger oder auch ein 100prozent individuell-Bike, das eigentlich mit keiner anderen Maschine verglichen werden kann und darf. Die Sitzposition ist extrem sportlich, der Motor rau aber herzlich und das Chassis verlangt vom Fahrer, dass er weiß, wohin er will. Buell fahren heißt Emotionen ausleben. Diskussionen über Sinn und Zweck sind zwecklos, entweder man mag dieses amerikanische Superbike oder man mag es nicht. 



Japanische Motorenbau-Kunst
Vierzylinder-DOHC-Triebwerk mit Vierventil-Technik


Und dann auf die Honda. Welch Luxus. Man setzt sich drauf, alles stimmt, alles passt. Die Sitzposition ist aufrecht, fast schon gemütlich moderat und genau so, als wolle man ganz weit wegfahren, aber abends mit den Freunden noch viel Spaß erleben. An die hochtourige Motorcharakteristik hat man sich schnell gewöhnt. Will man mit der 600er flott vorwärts kommen, klettert die Drehzahlmessernadel schon mal über die 10.000er Marke. So sind halt die Japaner, kleiner Hubraum, ordentlich Leistung und hohe Drehzahl. 
Im alltäglichen Straßenverkehr bedeutet dies jedoch noch längst nicht, dass man nur ständig volle Lotte kurz vor dem Drehzahlbegrenzer seinen Fahrspaß ausleben kann. Das 78 PS starke Vierzylinder-Triebwerk hat Schmackes aus dem Keller. Problemlos lässt sich im großen Gang durch Ortschaften zuckeln, nach dem Ortschild wird der Gashahn aufgedreht und ab geht die Post.  In Sachen Vierzylinder-Motorenbau und Motorabstimmung macht Honda so leicht keiner etwas vor. Das Gesamtpaket ist harmonisch und durchdacht. 




Als ausgewogenes Mittelklasse-Bike brachte Honda 2004 die CBF600 mit ABS auf den Markt. Auf Anhieb etablierte sich bei uns der Flitzer als bestverkauftes Motorrad.  Die CBF600 ist das Naked-Bike in der Modellreihe, der CBF600S hat Honda eine Halbverkleidung spendiert, nennen wir sie Sport-Tourer. Die Verkleidung schützt vor lästigem Fahrtwind, bei zügiger Reise auf der Autobahn eine dankbare Einrichtung. Aber nicht nur daran hat Honda gedacht. Wer mit der CBF600S auf große Fahrt gehen möchte, kann aus dem reichhaltigen Zubehör wählen. In die Seitenkoffer, Topcase und Tankrucksack lässt sich etliches unterbringen. 
Längst noch nicht zum Standard gehören im Motorradangebot Verstellmöglichkeiten für die Ergonomie. Je nach Fahrergröße und eigenen Bedürfnissen lassen sich Windschutzscheibe, Lenkerstellung sowie Sitzbankhöhe variren.
Wahlweise gibt es die 600er für Führerscheineinsteiger mit 34 PS.  




Noch nicht vor all zu langer Zeit wurde landläufig die Meinung vertreten, ein ABS habe nur an teuren Reisemaschinen etwas zu suchen. Honda beweist mit der CBF600-Baureihe das Gegenteil. Preislich lässt es sich sehr wohl machen und der Kunde nimmt es gerne an. Was es mit dem ABS auf sich hat, haben wir in einem großen ABS-Thema ausführlich besprochen, siehe Link. 


Zweikreis-ABS


Kommandozentrale:
ABS-Kontrollleuchte links im Bild

(Link zur ABS-Story)


Fazit

Die Honda CBF600S wird gerne als Neu- und Wiedereinsteiger-Maschine bezeichnet. Wer sich in der Materie noch nicht so auskennt, könnte im ersten Moment meinen, richtige Motorräder fangen ganz woanders an. Damit tut man der 600er aber Unrecht. Mit ausgezeichneten Fahreigenschaften, einfachem Handling dazu 600 ccm Hubraum, 78 PS Spitzenleistung, 219 kg Leergewicht und einer Höchstgeschwindigkeit von gut 210 Stundenkilometern braucht sich die CBF600S nicht zu verstecken. Motorradexperten, die dieses Potential ausschöpfen können, sind flott bis sehr flott unterwegs. Und wer gemütlich unterwegs sein möchte, kommt auch auf seine Kosten. Mit der CBF600S ABS ist Honda mal wieder ein toller Wurf gelungen und genau solche Maschinen braucht der Markt!


Technische Daten
Honda CBF600S ABS
Modelljahr 2005


Motor:
Flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, zwei obenliegende Nockenwellen, Leistung 57 kW (78 PS) bei 10.500/min, 
max. Drehmoment 58 Nm bei 8000/min.
Bohrung x Hub 65 x 45,2 mm, Hubraum 599 ccm, Verdichtung 11,6:1,  
vier Flachschiebervergaser, Transistorzündung, U-Kat. 
E-Starter, Sechsganggetriebe, Endantrieb über O-Ring-Kette

Fahrwerk:
Mono-Backbone-Stahlrahmen, 41 mm Telegabel, Federweg 120 mm. 
Schwinge mit Monoshock-Federbein, Federweg 125 mm. 
Bereifung vorn 120/70ZR17, hinten 160/60ZR17. 
Vorne Doppelbremsscheibe Ø 296 mm, hinten Scheibenbremse Ø 240 mm,
Zweikreis-ABS. 
Radstand 1480 mm, Sitzhöhe 785 mm. Tankinhalt 19 Liter. 
Gewicht vollgetankt 219 kg, zulässiges Gesamtgewicht 404 kg

Höchstgeschwindigkeit:  210 km/h

Preis: 7090,00 Euro


Text-Archiv: Fahrberichte


Home