Fahrberichte


Buell X1 Lightning
Modelljahr 1999

"Misses X"

Die Buell X1 Lightning ist der Individualist unter den
aktuellen Sportmaschinen. Und weil das amerikanische Bike
lediglich eine klitzekleine Bikini-Verkleidung schmückt,
ließen wir unserer Phantasie freien Lauf...

Text&Fotos: Winni Scheibe

 

 

Sportmaschinen sind im erlauchten Kreis der Knieschleiferfraktion genau definiert. Es sind leistungsstarke und pfeilschnelle Superbikes vom Schlag einer Honda CBR900RR, Yamaha R1, Suzuki GSX-R 750 Kawasaki ZX-9R und selbstverständlich die Ducati 996 sowie Aprilia RSV Mille. Diese vollverkleideten Renner, mit tiefen Stummellenkern und hinten liegenden Fußrasten sind einzig und allein nur für eins auf die Welt gekommen: Um mit ihnen bergauf, bergab, durch Kurven oder wenn es mal ein Stück geradeaus geht, das Optimum an Geschwindigkeit herauszuholen. Wer das bestreitet, lügt! Und die, die angeblich "vernünftig fahren", sind Hasenfüße, oder sie trauen sich einfach nicht oder ihnen ist der Führerschein zu kostbar, doch das ist wiederum eine ganz andere Geschichte. 


Pfeilschnell: Honda CBR900RR


Legende: Ducati 916

In diese Speed-Elite platzt urplötzlich ein amerikanisches Bike mit dem schier unaussprechlichen Namen: Buell, sprich "bjul".



Die Aufregung ist berechtigt. Denn Buell selbst behauptet ja, es wäre eine Sportmaschine. Doch da lachen die Hühner. Wo um Himmelswillen haben die Amis nur die Sportlichkeit versteckt. Im aufgemotzten 1200 Harley-Davidson Sportster-Motor bestimmt nicht. Eine schlanke Rennverkleidung sucht man ebenfalls vergeblich und die Lenkstange könnte glatt von einer Tourenmaschine geklaut sein. 
Eigentlich wäre das Thema "Fitness auf zwei Rädern" bereits hier abgeschlossen und wir könnten uns den schönen Dingen im Leben zuwenden. Zum Beispiel dem Motorradfahren im ureigentlichen Sinne. Ohne Firlefanz, mit Technik zum Durchgucken, also ohne das Plastikgerödele drum herum, mit bequemer Sitzposition, aufrecht die Nase im Wind, mit einem exzellenten Fahrwerk und einem Motor, der aus jeder Lebenslage mit mächtig Dampf vorwärts schiebt. Und wo gibt es solch ein Bike? Nun, bei Buell. 




Doch so einfach darf man sich die Sache nun auch wieder nicht machen. Naked- oder Muscle-Bikes werden im Allgemeinen diese Typen genannt und von dieser Sorte tummeln sich mittlerweile ziemlich viele auf dem Markt.  Aber genau so etwas will die Buell nicht sein, Buell pflegt bewusst die sportliche Note. Und das führt wiederum zum Verwechslungschaos mit den Athleten wie Ducati 996 und Co. 
Die Buell ist nämlich weder Naked-Bike noch Supersportler. Die Buell ist eine "Fahrmaschine". Und weil es diese Schublade noch nicht gibt, wird das Bike einfach zu den Sportlern geschoben.




Unbedarfte packen sich jetzt natürlich an den Kopf und fragen berechtigterweise: "Was soll dieser Definitionskram eigentlich? Motorräder sind doch sowieso alle gleich." Schön, wenn es so wäre, dann führen wir nämlich alle MZ. Zum Glück ist es aber anders und es gibt für jeden Geschmack und für jedes Interesse ein passendes Bike.  
Und mit der Buell wird nun eben ein neues Kapitel aufgeschlagen, das der "Fahrmaschine".
Was damit gemeint ist, lässt sich leicht erklären. Da wäre zunächst das 1200er Harley-Triebwerk. 


Ein gewaltiger V-Motor, der für die Buell X1 von serienmäßigen 58 PS auf beachtliche 90 PS getunt wurde. Verantwortlich für mehr Leistung und Drehmoment sind unter anderem die "Thunderstorm"-Zylinderköpfe, Benzineinspritzanlage, erleichterte Kurbelwelle und Sportnockenwellen. Dieser Nachhilfeunterricht hat aus dem Motor ein gewaltiges Kraftpaket gemacht, das gierig am Gasgriff hängt, seinen Ursprung jedoch nicht verleugnet, nämlich einer großvolumigen amerikanischen Antriebsmaschine, rau aber herzlich. Kein anderer Motor auf der Welt hat diesen Charakter.




Weil der Motor beim Motorrad zwar immer noch das Wichtigste ist, aber eben nicht alles, baut Erik Buell einiges drumherum. Einen federleichten Gitterrohrrahmen, moderne Upside-down-Gabel, Alu-Schwinge, Dreispeichen-Gußräder, vorne und hinten je eine Scheibenbremse, Tank und Sitzbank, nicht mehr und auch nicht weniger und das auch noch rigoros aufs Wesentliche beschränkt. Ausnahmslos, das bedeutet auch klitzekleine Lenkerverkleidung und spoilerähnliche Bugverkleidung unterm Motor. Fertig! 


Das Design der Buell ist gewöhnungsbedürftig, keine Frage. Aber auch mit Absicht so gewollt. Denn kein anderes Sportbike diente irgendwie als Vorbild, weder aus England, noch aus Italien und schon ganz und gar nicht aus Japan. Firmenchef Erik Buells Philosophie lautet: Zentralisierung der Massen, Stabilisierung des Fahrwerks und Minimierung der ungefederten Massen. Alles, was wiegt, ist im Fahrzeugmittelpunkt platziert. Und das gibt der 220 kg schweren Maschine ein außergewöhnlich einfaches Handling. Im Fachjargon gesprochen, sie fährt sich wie ein Moped, nur mit dem kleinen Unterschied, ein Moped mit 90 PS! Doch bevor es losgeht, muß die X1-Fahrmaschine erst startklar gemacht werden. Eine Zeremonie, die sich lediglich auf zwei Bedienungsabläufe beschränkt: Zündung einschalten und Anlasserknopf drücken. Spontan nimmt der Einspritzmotor seine Arbeit auf, schüttelt sich zunächst, wird aber mit zunehmender Drehzahl ruhiger. Von nervenden Vibrationen bleibt der Pilot weitgehend verschont, das Triebwerk hängt nämlich in Gummielementen, der Tatendrang des Kraftmeiers kommt aber trotzdem gut rüber. Man spürt buchstäblich, was unter einem abgeht, nicht störend, eher beruhigend und  Vertrauen erweckend.

Und das wirkt sich wiederum auf die Fahrweise aus. Hektik und Stress kommen erst gar nicht auf, es geht souverän und überlegen zu. Und genau dazu passt auch die Sitzposition. Nicht verkrampft, nicht zusammengefaltet, nicht zurückgelehnt. Man fühlt sich auf Anhieb wohl, braucht keine "Eingewöhnungszeit", aber was noch viel wichtiger ist, nie kommt das Gefühl "überfordert" zu sein auf. Mensch und Maschine werden im Nu zu einem. Das Chassis ist sportlich hart abgestimmt, an der Bremsanlage gibt es nichts auszusetzen, lediglich die Übersetzung ist etwas zu lang ausgelegt.

Auf dieses niedertourige Fahren muss man sich erst einstimmen, langweilig ist es aber nicht. Schließlich bestimmt man selbst, wie schnell und wohin man fährt. Mit einer Fahrmaschine, bei der nicht das Ziel, sondern der Weg dahin das Erlebnis ist. Wer diese Abenteuer kennen lernen möchte, sollte sich schleunigst beim nächsten Buell-Händler zur Probefahrt anmelden. Spätestens nach dem Ausflug müsste eigentlich jedem klar sein, was mit dem Begriff "Fahrmaschine" gemeint ist. Ein bisher nicht gekanntes Fahrerlebnis, aufs Wesentliche bestimmter Fahrspaß, unvergleichbar, und noch dazu voller Dynamik und Sportlichkeit.




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