BMW mit König-Bootsmotor
Werksgeheimnis
Eine BMW mit wassergekühltem
Vierzylinder-Zweitakt-Boxermotor?
Das glaubt einem doch kein Mensch!

König-BMW 350 Sport
(Foto:
Archiv-Biedermann)
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Aus der Serienfertigung der 120er BMW mit
Zweizylinder-Zweitakt-Boxermotor wurde 1947 nichts. Über das
Versuchsstadium kam die R10 nie hinaus, kaum jemand kann sich
an diese Maschine erinnern. Auch die 350er und 500er BMW mit
König-Bootsmotor blieben Anfang der siebziger Jahre nur
Prototypen. In der BMW-Firmen-Chronik tauchen sie bis zum
heutigen Tag nicht auf.
Text: Winni
Scheibe
Fotos: Scheibe, Biedermann, Loth, BMW
Wir danken Martin Biedermann, BMW Berlin, für die freundliche
Unterstützung |
Anfang der Siebziger
wurde Markentreue noch groß geschrieben. Das galt besonders für die
BMW-Fraktion. Zweitakter oder gar Maschinen aus Japan waren für sie kein
Thema. Die Windgesichter schworen auf ihre Schwingen-Modelle, junge
Motorradfahrer begeisterten sich für die neue Boxer-Reihe. Und das
wollte etwas heißen. Das Motorradgeschäft lag nämlich am Boden,
obendrein hatte es ein unsäglich schlechtes Image. Wäre es nach
Meinung der Bevölkerung gegangen, hätte man Motorräder sowieso schon
längst verbieten müssen. So weit brauchte es aber erst gar nicht zu
kommen. Einst weltgrößte Motorradhersteller, waren die deutschen Werke
inzwischen in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht.

BMW R 50 |

Münch-4 TTS 1200 |
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Lediglich BMW und
Friedel Münch bauten noch schwere Krafträder. Handelte es sich bei der
Münch Mammut im Wesentlichen um eine handgefertigte Kleinserie, stand
bei BMW bedeutend mehr auf dem Spiel. Das Münchener Unternehmen
erreichte 1966 mit 144.788 verkauften Autos einen Rekordabsatz, die
Motorradproduktion belief sich dagegen nur auf ganze 4701 Maschinen.
Trotzdem glaubte man weiterhin ans Zweiradgeschäft. Und was das für
die Zukunft bedeuten sollte, präsentierten die Bayern 1969 mit der
neuen /-5 Boxer-Modellreihe. Zeitgleich wurde von der Firmenleitung die
komplette Motorradherstellung nach Berlin-Spandau verlagert. Für die
Fangemeinde draußen auf der Straße bedeutete dies allerdings keinen
Beziehungsabbruch, für sie blieb alles beim Alten, sie huldigten
weiterhin ihrem bayerischen Viertakt-Boxer.
Wer damals
Motorrad fuhr, fuhr sowieso nicht, weil er sich kein Auto leisten
konnte, sondern aus Idealismus, Überzeugung und natürlich aus Spaß an
der Freude. Ähnlich verhielt es sich mit den Leuten, die in der Branche
ihr Geld verdienten. Bei den Mitarbeitern im neuen BMW-Motorradwerk in
Berlin war es sogar noch einmal etwas ganz Besonderes. Pioniergeist und
Aufbruchstimmung prägten das Betriebsklima. Man war mächtig stolz
darauf die BMWs bauen zu dürfen. Viele kannten sich in der Szene
bestens aus, waren selbst begeisterte Motorradfahrer. Und wie es damals
in diesen Kreisen üblich war, wurde natürlich viel darüber
diskutiert, was man anders und besser machen könnte. An Ideen und
Einfallsreichtum mangelte es weiß Gott nicht. Einen direkten Einfluss
auf die Herstellung hatte man aber nicht. Konstruktion, Entwicklung und
Versuch der BMW Motorräder waren nämlich weiterhin in München
beheimatet.
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Maß der Dinge: König-Rennboote
(2 Fotos: Archiv-Loth)
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Neben BMW gab es Anfang
der Siebziger einen weiteren Motorradproduzenten in Berlin: den
Bootsmotorenhersteller König. Schon 1967 hatte Peter Köster,
allerdings auf Eigeninitiative, einen modifizierten 500er
Vierzylinder-Zweitakt-Rennboot-Boxermotor von König in sein Renngespann
gebaut. Wenig später bastelte der Berliner Karl-Heinz Woide das nur 55
kg schwere 500er Boxer-Triebwerk in das abgeänderte Fahrwerk seiner
BSA-Gold-Star. Diese handwerklichen Leistungen beeindruckten Firmenchef
Dieter König. Bisher wurden seine Drehschieber gesteuerten
Hochleistungs-Zweitaktmotoren ausschließlich auf dem Wasser verwendet.
Und das mit großem Erfolg. Dieter König selbst war Deutscher Meister,
neunmaliger Europameister und zweifacher Weltmeister. Eine bessere
Werbung für seine Triebwerke konnte er sich kaum wünschen. Wer im
schnellen Wassersport siegreich sein wollte, kam um die Berliner
Power-Aggregate nicht herum.
Dass seine Motoren auch
auf der Straße kräftig mitmischen konnten, davon war Dieter König
schnell überzeugt. Das erste brauchbare Straßenrennmotorrad wurde
Anfang 1969 gemeinsam mit dem Rüsselsheimer Lizenzfahrer Rolf Braun
gebaut. Von einer echten König-Rennmaschine konnte aber erst ab 1970
gesprochen werden, als der unvergessene Neuseeländer Kim Newcombe als
Konstrukteur, Test- und Rennfahrer in die Firma kam. Bis Mitte der
Siebziger entstanden über 100 König-Renntriebwerke für Solo- und
Gespannmotorräder. In nationalen und internationalen
Straßen-Meisterschaften gewann man zahlreiche Titel, 1973 wurde Kim
Newcombe in der 500er Klasse Vize-Weltmeister, 1975 und 1976 Rolf
Steinhausen Gespannweltmeister.
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Ab 1967 wurden die bayrischen BMW
Maschinen in Berlin gebaut
(Foto: BMW)
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Nun aber wieder zurück
nach Spandau. Königs Rennaktivitäten wurden von Ernst Milarch, im
BMW-Werk für die Montage verantwortlich, mit größter Aufmerksamkeit
verfolgt. Er hatte seinen Beruf bei DKW von der Pike auf gelernt, sein
Meisterstück war ein Wankelmotor. Seine Arbeit bei BMW änderte
allerdings nichts an seiner großen Zweitakt-Leidenschaft. Und so darf
es auch nicht weiter wundern, dass Ernst Milarch und Dieter König, die
sich längst gut kannten, 1972 auf die "verrückte Idee" kamen,
den wassergekühlten Vierzylinder-Zweitakt-Boxermotor in die neue BMW R90/6 zu bauen.
Ein Markt für agile
Zweitakt-Maschinen war schließlich vorhanden. Deutschland erlebte
gerade seinen zweiten Motorradboom, hauptsächlich verursacht durch die
Invasion japanischer Marken. Vertraute Honda auf Viertakt-Bikes, waren
es bei den drei anderen japanischen Werken hauptsächlich
Zweitakt-Maschinen. Man erinnere sich nur an die Yamaha RD 350 oder die
Suzuki Modelle GT 380, GT 550 und GT 750, den legendären "Wasserbüffel",
und dann gab es noch die berühmt-berüchtigten Zweitaktraketen 500 H1
"Mach III" und 750 H2 "Mach IV" von Kawasaki.
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Suzuki GT750J von 1972
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Die beiden
Zweitakt-Experten Ernst Milarch und Dieter König waren sich einig,
dagegen müsste man schleunigst etwas unternehmen. Und was die Japaner
können, war man überzeugt, könne man schon lange. Bei der nächsten
Gelegenheit trug Montageleiter Milarch seine Idee dem Berliner
BMW-Geschäftsführer Prof. Kramm vor. Der Vorschlag stieß auf
Interesse und nachdem das OK aus München gekommen war, gab Kramm
grünes Licht.
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Vierzylinder-Zweitak-König-Motor
(Foto: Archiv-Biedermann) |

BMW mit
Vierzylinder-Zweitakt-Boxermotor
(Foto: Archiv-Biedermann) |
Mit Martin Biedermann,
damals für die Lackierung verantwortlich, und Horst Wall, er war für
die Instandhaltung zuständig, fand Milarch zwei engagierte und
fachkundige Mitstreiter. Nun darf man sich allerdings nicht vorstellen,
dass ab sofort sämtliche Arbeit links liegen gelassen wurde um sich nur
noch um die Realisierung der Zweitakt-BMW zu kümmern. Im Prinzip war
und blieb es das "Privatvergnügen" der drei BMW Mitarbeiter.
Diskutiert, konstruiert und geschraubt wurde nach Feierabend und am
Wochenende. Die "Entwicklungswerkstatt" richtete sich das Team in
einem alten Betriebsgebäude ein, das nach Beendigung der Aktion
abgerissen wurde. Was dem Elan allerdings keinen Abbruch tat.
Schließlich war es nicht nur eine gewaltige technische Herausforderung,
die Berliner wollten den Münchnern Kollegen auch beweisen, dass sie
sehr wohl alleine etwas Neues auf die Räder stellen konnten. Und wie
das auszusehen hatte, darüber war man sich schnell einig. Die
Sportmaschine sollte den 350er, die Tourenmaschine den 500er
Vierzylinder-Boxermotor bekommen. Mit einfach ins Fahrwerk hängen, war
es natürlich nicht getan. Im Gegensatz zum 740 mm breiten BMW-Boxer,
maß der König-Motor zwar nur 380 mm, dafür brauchte man aber
unbedingt einen Zwischenadapter, um den Vierzylinder ans BMW-Getriebe
anflanschen zu können. Das war schon deswegen wichtig, weil außer
Motor und Nebenaggregaten möglichst viele Komponenten von der BMW R90/6 beibehalten werden sollten.
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Das Werk ist vollbracht:
Martin Biedermann, Ernst Milarch, Horst Wall |

Prototyp 350er BMW-König Sport:
Ernst Milarch auf Testfahrt
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Prototyp: 500er BMW-König Touring
(3 Fotos: Archiv-Biedermann)
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Für die Berliner
Motorradkonstrukteure kein Hexenwerk. Der R90-Rahmen wurde kurzerhand
zersägt und mit Zwischenrohren um 60 mm verlängert. Die eigentliche
Herausforderung war allerdings, die hochgezüchteten Renntriebwerke so
abzustimmen, dass im öffentlichen Straßenverkehr eine problemlose
Fahrbarkeit überhaupt möglich wurde. Die mit Methanol betriebenen
Bootsmotoren waren nämlich auf Spitzenleistung ausgelegt, das 350er
Aggregat brachte 95 PS und der 500er Motor sogar 150 PS. Anstelle des
über einen kleinen Zahnriemen angetriebenen Drehschieber-Einlasses
kamen Yamaha-Membraneinlässe zum Einsatz. Nach anfänglichen Versuchen
mit Bing-Gleichdruck-Vergasern entschied sich das Team für einen
Solex-Fallstrom-Doppelvergaser. Ebenfalls sehr aufwendig gestaltete sich
der Bau und das Abstimmen der neuen Auspuffanlage. Bei Zweitakt-Motoren
ist das sowieso eine Wissenschaft für sich. Der Anlasser wanderte
unter, die Drehstromlichtmaschine über den Motor. Wahlweise ließen
sich die Motoren mit 1:50 Mischungsschmierung oder mit Ölpumpe und
Getrennt-Schmierung betreiben, den reibungslosen Kühlkreislauf besorgte
eine elektrische Wasserpumpe. Alle Mühen sollten sich lohnen, die 350er
Sport leistete 50 PS, die Tourenversion kam auf 62 PS. Soviel Leistung
hatte noch nicht mal die gefürchtete 500er Kawasaki "Mach III".
"Als ob es gestern
gewesen wäre, kann ich mich noch genau an die erste Testfahrt mit der
350er erinnern," verrät Martin Biedermann beim Recherchieren zum
Bericht. "Das Handling der nur 170 kg schweren Zweitakt-BMW war
phantastisch, sie ließ sich wie ein Moped fahren. Die Maschine ging ab
wie eine Rakete und ohne Anstrengung kam sie auf 200 Stundenkilometer.
Die 500er war nur 5 kg schwerer, überzeugte durch ein enormes
Durchzugsvermögen und war dabei immer noch unheimlich spritzig."
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Nach rund einem Jahr
waren beide Prototypen 1973 fertig. Biedermann, Milarch und
Wall, kurz "BMW", konnten ihre
"Krammasaki" einer offiziellen
Delegation aus München präsentieren. Die Leute aus der
Entwicklungsabteilung und dem Vorstand staunten nicht schlecht,
überzeugen ließen sie sich allerdings nicht: "Zu BMW gehört ein
Viertakt-Boxermotor, so wie zur Weißwurst die Brezel", so ihre
einstimmige Meinung. In Serie wurde die BMW-König also nie gebaut.
Dafür bekam als Anerkennung für seine Leistungen jeder vom "BMW-Team"
eine silberne Armbanduhr überreicht. Und das ist schließlich auch
etwas!
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