Technik


Ventilspiel einstellen

"Bitte Diskretion wahren!"

Zu den regelmäßigen Inspektionsarbeiten gehört die Kontrolle
des Ventilspiels. Wird die Wartung vernachlässigt, kann es zum
Motorschaden kommen, eine kostspielige Reparatur ist die Folge.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Zeichnungen Werk



Klassische BSA ohv-Viertakt-Einzylindermotor


Von den verschiedenen Verbrennungstriebwerken ist zweifellos der Viertakt-Otto-Motor der technisch aufwändigste. Genügen beim Zweitaktmotor lediglich drei bewegliche Teile - Kurbelwelle, Pleuel und Kolben - um das Triebwerk zum Laufen zu bringen, ist der technische Aufbau eines Viertaktmotors bedeutend komplizierter. Für die Steuerung sind nämlich Ventile erforderlich. Je nach konstruktivem Aufbau verfügt ein Viertaktmotor über eine oder mehrere Nockenwellen. Den Antrieb der Welle übernimmt eine Rollenkette, ein Zahnriemen, eine Königswelle, Stirnräder oder Schubstangen. Von der Nockenwelle aus wird die Bewegung mittels Stoßstangen, Kipp- oder Schlepphebel, oder Tassenstößel an die Ventile weitergegeben.


Ventilsteuerung

"i.o.e. System"

"i.o.e" - "inlet over exhaust"
(wechselgesteuerter Motor)
Einlass- über Auslass-Steuerung.
Untenliegende Nockenwelle, stehendes Auslassventil,
Einlassventil wird über Stoßstange und Kipphebel betätigt


"sv-Motor"


 "s.v.-System" - "side valves"
Seitliche Ventile oder auch Seitensteuerung genannt.
Einlass- und Auslassventil stehen "auf dem Kopf" und werden direkt
von der untenliegenden Nockenwelle betätigt.

ohv-System

ohc-System


"overhead valves" 
oder 
"von oben hängende Ventile".  Ein- und Auslassventil hängen im Zylinderkopf und werden  über Kipphebel und Stoßstangen von der Nockenwelle betätigt. 


ohc = overhead camshaft oder: oben liegende Nockenwelle. Das Ventil wird von der Nockenwelle aus über einen  Schlepphebel betätigt


Hier wird das Ventil über Tassenstößel

 betätigt

"Desmo"

Desmodromische Ventilsteuerung = Ventil-Zwangsbetätigung.
Das Ventil wird zwangsweise von einem Kipphebel geöffnet und von einem 
Schließhebel wieder geschlossen.


Für die pünktliche Versorgung der Brennräume mit frischem Kraftstoff-Luftgemisch und dem zuverlässigen Ausstoß der verbrannten Abgase sind die Ventile verantwortlich. Standardtriebwerke haben pro Zylinder ein Einlass- und ein Auslassventil. Moderne Triebwerke verfügen inzwischen über drei Ventile (zwei Einlass- und ein Auslassventil) oder über vier Ventile (zwei Einlass- und zwei Auslassventile) pro Zylinder. Hochleistungs-Triebwerke können fünf Ventile (drei Einlass- und zwei Auslassventile) pro Zylinder aufweisen und die Honda NR 750 mit Ovalkolben hat sogar acht Ventile pro Brennraum, die für den Gaswechsel garantieren.

dohc-System

dohc = double overhead camshaft oder: zwei obenliegende Nockenwellen.
Yamaha-Fünf-Ventiltechnik.

Legen die Motoreningenieure bei der Konstruktion eines Triebwerkes größten Wert darauf, dass alle beweglichen Bauteile mit möglichst wenig Spiel laufen (Toleranzen werden in Hundertstel gemessen), ist zwischen dem Ventil und seiner Betätigung ein gewisses Spiel nicht nur erwünscht, sondern sogar nötig. Man spricht vom "Ventilspiel".


"High-Tech-Triebwerk"
Honda VFR

Warum gerade hier ein Spiel vorhanden sein muss, lässt sich leicht erklären. Im Prinzip sind die unterschiedlichen Temperaturen und Materialien hierfür ausschlaggebend. Kommt das Triebwerk auf Temperatur, erwärmen sich die Ventile viel schneller als der gesamte Motorblock. Aber auch im Fahrbetrieb unterliegen die Ventile einer viel höheren Temperatur als die anderen Motorbauteile. Die Einlassventile werden bis 500 Grad und die Auslassventile sogar bis über 800 Grad heiß. Bei fast allen Motoren ist der Zylinderkopf aus Aluminium und die Ventile sind aus hochwertigem Stahl gefertigt. In der Praxis bedeutet das, dass sich der Zylinderkopf mehr ausdehnt als die Ventile. Diesem unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten wird mit dem Ventilspiel Rechnung getragen.



Ventilbetätigung bei einem BMW-Boxermotor


Damit fürs Ventileeinstellen alles gut zugänglich ist, werden der Tank abgenommen,
Kerzen herausgedreht und die Ventildeckel abgenommen.

Wäre kein Ventilspiel vorhanden, könnte es bei betriebswarmen Motor passieren, dass das Ventil nicht mehr exakt schließt. Die Folge wäre, dass der Motor unter Leistungsverlust leiden würde, und als nächster Schritt die Ventile überhitzen und verbrennen können. Nur Ventile, die einwandfrei schließen, können den Brennraum hundertprozentig abdichten und ihre hohe Temperatur über die Ventilsitzringe an den Zylinderkopf ableiten. Aber auch zuviel Spiel ist gefährlich und macht sich im "Ventilklappern" bemerkbar. Die Steuerzeiten sind jetzt ungenau, die Motorleistung kann sich verringern, frühzeitiger Verschleiß ist vorprogrammiert. Wie groß das Ventilspiel sein muss, steht im Handbuch oder ist in der Fachwerkstatt zu erfragen. Die Werte liegen meist bei 0,10 bis 0,20 mm fürs Einlassventil und 0,15 bis 0,30 mm fürs Auslassventil. Bei modernen Triebwerken mit obenliegenden Nockenwellen und Tassenstößeln kann das Ventilspiel etwas geringer sein, grundsätzlich muss man immer die Herstellerangaben befolgen. Je nach Inspektionsintervall muss dieses Spiel geprüft und gegebenenfalls neu eingestellt werden.



Zuerst wird das Ventilspiel geprüft. Der Kolben muss auf "OT-Zündung" stehen.
In dieser Position sind beide Ventile (Ein-und Auslass) 100%ig geschlossen.

Wer das Ventilspiel selber einstellen will, benötigt außer gut sortiertem Werkzeug nur noch eine Fühlerlehre. Für diese Arbeit muss das Triebwerk abgekühlt sein, nur in Ausnahmefällen wird das Spiel bei warmem Motor kontrolliert. Da beim Abnehmen des Ventildeckels die Dichtung beschädigt werden kann, ist es ratsam, vorher schon eine neue zu besorgen. Alte Dichtungsreste sind sorgfältig zu entfernen. Um für diese Wartungsarbeit die Kurbelwelle besser drehen zu können, empfiehlt es sich, die Zündkerzen herauszudrehen. Grundsätzlich darf nur an der Kurbelwelle, nie aber an der Nockenwelle gedreht werden! Damit man beim Einstellen von Mehrzylindermotoren nicht durcheinander kommt, sollte man mit dem ersten Zylinder beginnen. Die Kurbelwelle wird nun so gedreht, dass der Kolben auf "OT- Zündung" steht. In dieser Position sind Ein- und Auslassventil geschlossen.


Muss das Spiel korrigiert werden, wird die Kontermutter gelöst und mit
 dem Einstellschräubchen das exakte Spiel eingestellt.
Nach dem Festkontern unbedingt das Spiel noch einmal kontrollieren.

Mit der Fühlerlehre wird nun zwischen Ventilschaft und dem Kipp- oder Schlepphebel das Spiel geprüft. Lässt sich die Fühlerlehre nur schwer oder gar nicht durchziehen, ist das Spiel zu eng. Ist beim Durchziehen wenig oder kein Widerstand zu spüren, ist das Spiel zu weit. In beiden Fällen muss das Spiel neu eingestellt werden. Hierzu wird die Kontermutter vom Einstellschräubchen gelöst und die Einstellschraube so gedreht, bis die Lehre sich "satt" durchziehen lässt. Hat man die Einstellschraube wieder gewissenhaft gekontert, wird zur Sicherheit das Spiel noch einmal geprüft. Für den nächsten Zylinder wird der Kolben ebenfalls auf "OT-Zündung" gestellt und das Ventilspiel geprüft.


Dichtungsreste müssen gut entfernt werden.

Bei Motoren mit obenliegenden Nockenwellen und direkter Ventilbetätigung wird das Spiel zwischen Nocken und Tassenstößel gemessen. Deutlich muss der höchste Nockenpunkt um 180 Grad zur Stößelfläche zeigen. In dieser Position ist gewährleistet, dass das Ventil geschlossen ist. Das Prüfen des Spiels erfolgt genau wie oben schon beschrieben, nur wenn man es einstellen muss, lässt es sich nicht so einfach korrigieren. 


Mit einem Spezialwerkzeug wird bei dem Kawasaki-Triebwerk das Tassenstößel herabgedrückt. Jetzt kann man den Einstellshim herausnehmen.


Bei dieser Ventilsteuerung wird das Spiel nämlich durch unterschiedliche Einstellplättchen (Shims) erreicht. Auch benötigt man fast immer Spezialwerkzeug, um die Tassenstößel herabzudrücken und die Plättchen herauszunehmen. Liegen diese "Shims" unterhalb des Tassenstößels, muss sogar die Nockenwelle ausgebaut werden. Selbstschrauber, die dieses Werkzeug und die Einstellshims nicht haben, können zwar das Spiel prüfen, für das korrekte Einstellen müssen sie sich aber mit dem Bike in die Fachwerkstatt begeben.


Fachchinesisch oder die geläufigen Abkürzungen

i.o.e = inlet over exhaust oder: Einlass- über Auslass-Steuerung

ws = wechselgesteuert

sv = seitengesteuert

ohv = overhead valves oder: von oben hängende Ventile

ohc = overhead camshaft oder: oben liegende Nockenwelle

dohc = double overhead camshaft oder: zwei obenliegende Nockenwellen

desmo = desmodromische Ventilsteuerung


Text-Archiv: Technik


Home