Technik


Kunststoffe - im Wandel der Zeit

"Plastikbomber"

Das Material, aus dem die Sachen gefertigt sind, ist teuflisch gut.
Es ist kostengünstig, haltbar und rostet nicht. Gemeint sind Bauteile
aus "Plastik". Ein Ausdruck, den Fachleute allerdings überhaupt nicht
gerne hören. Doch welcher Biker ist schon Kunststoffexperte?

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv Redman


Zeitmaschine - aber: Spitzname "Joghurtbecher"

Triumph ist mächtig stolz auf ihre Bonneville. Keine Verkleidung stört den Blick auf den wunderschönen Twin-Motor, das Outfit ist klassisch und die Speichenräder sind stilvoll. Ein Motorrad wie aus Chrom und Stahl, und das in einer Zeit, wo "light" in ist. Wer es nicht glauben will, darf ruhig mal aufs vordere Schutzblech klopfen - die Betonung liegt auf "blech" - , kein schnöder Plastik, sondern echt Stahl!



Moderner Klassiker: Triumph Bonneville


Anfang der 70er Jahre war die Motorradindustrie mächtig stolz. Erstmals im Großserienbau waren Radabdeckungen, Seitendeckel, Scheinwerfergehäuse und Instrumentenhalterungen aus Plastik. So wurde jedenfalls dieser neumoderne thermoplastische Kunststoff im umgangsüblichen Sprachgebrauch genannt. Ein Werkstoff, der bald nicht mehr wegzudenken war und immer häufiger Verwendung fand als Blinklichtschalter, Luftfilterkasten, Kettenschutz, Sitzbank und zu guter Letzt sogar als Touren- und Sportverkleidungen.



Kawasaki Z 900 "Z1" von 1973. Seitendeckel und Bürzel aus "Plastik"


BMW R 100 RS von 1977. Erstes Serienbike mit Vollverkleidung

Und weil vom Motorrad nun bald kaum noch mehr etwas zu erkennen war und man nur noch auf "Plastik" guckte, erhielten diese Flitzer schnell den Spitznamen "Joghurtbecher". Joghurtbecher deswegen, weil die Verkleidungen eben aus dem gleichen Werkstoff wie besagte Quarkbottiche waren.
Doch bei aller Häme, dieser Kunststoff verfügt über beachtenswerte Eigenschaften. Er ist schlag-unempfindlich, elastisch, federleicht, pflege- und wartungsfrei, rostet nicht, die Farbe ist mit eingefärbt und hält ewig, und die Herstellungskosten, da Massenproduktion, sind sehr günstig. Doch Plastik, oder richtig gesagt Kunststoff, ist nicht gleich Kunststoff. Die im Fahrzeugbau eingesetzten Materialien werden in zwei Gruppen, "duroplastische Kunststoffe" und „thermoplastische Kunststoffe", unterteilt.


"Duroplastischer Kunststoff"

Anno 1907 hatte Leo Hendrik Baekeland durch Kondensation von Formaldehyd und Phenol das Phenolharz (PF) erfunden. 1910 gründete er die Bakelite Gesellschaft mbH in Erkner bei Berlin, und damit war das Unternehmen weltweit der erste Hersteller vollsynthetischer Kunststoffe. Der Handelsname war "Bakelit", gleichzeitig bürgerte sich im Sprachgebrauch der Name „Bakelit" aber auch als Bezeichnung für andere Kunststoffe ein. Dieser duroplastische Kunstharz war transparent oder gelb-braun gefärbt, dunkelte aber mit der Zeit nach und hatte einen langanhaltenden stinkenden Geruch, war hart und spröde, verfügte dafür aber über gute Isolationsfähigkeit. Darüber hinaus war er als Pressmischung bestens zur Produktion von Massengütern geeignet. Und somit wurde er ein ideales Herstellungsmaterial für Bauteile in der Elektrotechnik, z. B Gehäuse, Schalter und Trägerplatten. Beim Hantieren dieser relativ leichten Bauteile bedurfte es allerdings gewisser Sorgfalt. Das spröde Material zerbrach bei unsachgemäßer Behandlung und war für eine Reparatur nicht schweißbar. Ein weiterer Nachteil war die geringe Temperaturbeständigkeit. Wurde der Kunststoff über längere Zeit hoher Temperatur ausgesetzt, verkohlte er. 
Diese grundlegende Erfindung war Basis für weitere Entwicklungen duroplastischer Kunststoffe, deren Boom in den 30er Jahren stattfand, die unter anderem als Ergebnis Polyester und 1934 Epoxydharze hervorbrachten. Massive Konkurrenz bekamen die duroplastischen Kunststoffe 1934 durch die Entwicklung der thermoplastischen Kunststoffe, die ab 1942 in den USA kommerziell produziert wurden, sich aber noch nicht durchsetzen konnten. Wir kommen später darauf zurück.
Und so blieben Bauteile aus "Bakelit" bis einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg im Gebrauch. Im Motorradbereich tauchten Anfang der fünfziger Jahre duroplastische Kunststoffe zur Herstellung von Faserverbundwerkstoffen auf.

Ab dieser Zeit gab es den legendären Cromwell-Halbschalenhelm aus diesem glasfaserverstärkten Polyesterharz, kurz GFK. Das Außenmaterial bestand aus mehreren Schichten Glasfasergewebematten, die mit Kunstharz getränkt waren. Die GFK-Schale wurde handlaminiert und zeigte hervorragende Eigenschaften. Sie war außergewöhnlich stabil, unempfindlich gegen Witterungseinflüsse und Lösungsmittel, ließ sich individuell lackieren und nach Lust und Laune mit Aufklebern dekorieren. Heute hat die "Knalltüte" Kultstatus.


Honda-Star: Jim Redman
(Foto: Archiv Redman)


Als erster Motorradhersteller verwendete Vincent den modernen Werkstoff. Um seine Maschinen "salonfähig" zu machen, sprich das Image des schmuddeligen und ölverschmierten Motorradfahrers aus der Welt zu schaffen, hatte der clevere Edelradhersteller 1954 die beiden 1000er Tourenmodelle Black Knight und Black Prince mit wahrlich futuristischen GFK-Verkleidungen ausgestattet.



Vollverkleidete 1000er Vincent Black Prince von 1954


Die vollverkleideten Maschinen waren allerdings der Zeit um Lichtjahre voraus, keiner wollte sie, sie wurden zum Flop. Ende 1955 schloss die englische Nobelmarke für immer die Tore.
Im Rennsport hatte man ebenfalls GFK entdeckt. Sitzbänke, Radabdeckungen, Tanks und Verkleidungen setzten hinsichtlich Leichtbauweise neue Maßstäbe. Heute ist dieser Werkstoff in allen möglichen Bereichen nicht mehr wegzudenken.
Die Herstellung dieser Bauteile erfolgt, ganz gleich ob in aufwändiger Einzelanfertigung oder Kleinserie, immer per Handarbeit und ist relativ teuer.

GFK Bauteile werden in Handarbeit hergestellt - GFK-Matten werden handlaminiert


Voraussetzung für die einwandfreie Ausführung dieser Leichtbauteile ist penible Sauberkeit, sorgfältige Arbeitsweise und das entsprechende Know-how. Ohne handwerkliches Geschick und hinreichende Erfahrungen geht hier nichts. Die einzelnen Arbeitsgänge zur Herstellung eines GFK-Bauteiles muss man sich folgendermaßen vorstellen. Von einem Originalbauteil oder einem Holz- oder Gipsmodell wird eine Negativform aus GFK gemacht. Diese Form muss jedoch äußerst stabil sein und haargenau dem Original entsprechen. Damit das neue Kunststoffteil eine absolut glatte Oberfläche bekommt, ist es erforderlich, dass die Innenseite in der Negativform spiegelglatt ist. Um später das Bauteil problemlos aus der Form zu bekommen, wird die Fläche zunächst gleichmäßig mit einem Trennmittel eingestrichen und danach die erste Harzschicht - sie ist die Deckschicht oder Grundierung für die Oberfläche des in Arbeit befindlichen Bauteiles - aufgetragen. Je nachdem welcher Harz mit welchem Härter verwendet wird, muss der Kunststoff 15 bis 60 Minuten antrocknen. Im nächsten Arbeitsgang wird eine weitere Harzschicht aufgetragen und die erste Glasfasermatte in die Negativform "laminiert". Hierbei ist es wichtig, dass die Lage faltenfrei in der Form liegt und gleichmäßig mit Harz durchtränkt wird. Wie viel Lagen anschließend weiter dazukommen, ist von der Verwendungsart abhängig. Das Laminieren verlangt vom Kunststoffbauer viel Geschick und eine saubere Arbeitsweise. Nur wenn alle Lagen gleichmäßig mit Harz durchtränkt sind, ist gewährleistet, dass die Wandstärke über das gesamte Bauteil verteilt immer gleichmäßig verläuft und es später die geforderte Stabilität besitzt.


GFK-Matten


AFK-Matten


CFK-Matten


GFK- CFK- und AFK-Matten


Neben den Glasfasermatten (GFK) gibt es mittlerweile auch Aramid/Kevlargewebe (AFK), Hybrid-Gewebe (Kohlenstofffaser/Kevlargewebe - C-Faser) oder die sündhaft teure CFK, die zur Herstellung von handlaminierten Kunststoffbauteilen benutzt wird. Da es sich bei diesen Materialien allerdings um High-Tech Produkte handelt, ist kaum zu befürchten, dass jemand seine Norton Manx mit einer Rennverkleidung aus C-Faser "veredelt". Alle Bauteile, die in diesem handwerklichem Verfahren hergestellt wurden, lassen sich nach einer Beschädigung mehr oder weniger problemlos reparieren.


"Thermoplastischer Kunststoff"

Ebenfalls "Plastik", aber von einem ganz anderem Schlag, ist der thermoplastische Kunststoff. Zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel die Polycarbonate. Der Boom dieses Werkstoffs begann Mitte der sechziger Jahre.


Da für jedes Bauteil aber ein entsprechendes Formwerkzeug gebaut werden muss, rentiert sich ihre Herstellung nur in großer Menge. Thermoplastische Bauteile sind daher immer Massenprodukte. Als Basismaterial dienen Granulate, die in computergesteuerten Fertigungsmaschinen zu einer breiigen Kunststoffmasse erhitzt und anschließend in die geschlossene Form unter Zufuhr von hohem Druck (mehrere Tonnen) eingespritzt werden. Vom Lichtschalter bis zur mächtigen Tourenverkleidung, vom Motorradhelm bis zum Topcase werden Gegenstände aus Thermoplasten hergestellt. In den meisten Fällen kommen die Bauteile, abgesehen von benötigten Bohrlöchern und Dekors, fix und fertig aus den Fertigungsmaschinen.

 


Helme aus Thermoplast werden maschinell hergestellt



Gab es jahrelang kaum eine Möglichkeit, thermoplastische Bauteile zu reparieren, lassen sich mittlerweile Risse und Brüche durch moderne Schweißverfahren wieder zusammenflicken.


"Das Kunststoff Ein-Mal-Eins"

Duroplastische Kunststoffe

Glasfaserverstärkter-Kunststoff (GFK) Bauteile aus GFK lassen sich in Einzelanfertigung oder Kleinserie herstellen. Die Preise für diese Bauteile werden maßgeblich von der aufgewendeten Arbeitszeit bestimmt. Die Materialkosten sind nicht so teuer. GFK-Bauteile werden handlaminiert, sind einfach weiterzuverarbeiten und lassen sich in jeder Farbe lackieren.

Anwendungsbeispiele:
Radabdeckungen, Verkleidungen, Sitzbänke, Abdeckungen, Tanks und Motorradhelme. GFK-Bauteile lassen sich problemlos (aus Sicherheitsgründen keine Helme!) reparieren.



Tank-Sitzbankkombination aus GFK


Aramidgewebeverstärkter- Kunststoff (AFK)

Bauteile aus Aramid, auch Kevlar genannt (Kevlar ist ein Markenname der Firma Du Pont), sind gegenüber GFK leichter, bruchfester und schlagzäher. Die Herstellung erfolgt in der gleichen Arbeitsweise wie GFK. Aramidbauteile lassen sich in jeder Farbe lackieren.

Anwendungsbeispiele:
Airbox, Verkleidungen und Radabdeckungen, Aramidgewebe dient auch als Schleifschutz unter den Protektoren in der Lederkombi oder als Kombi-Obermaterial.
Aramid-Bauteile lassen sich nicht so einfach reparieren, da die Faser beim Schleifen und Schneiden ausfranst.


Hybrid-Gewebe (Aramid-Kohlenstoff-Fasern)

Dieses Gewebe ist eine Mischung aus Aramid und C-Faser. Je nach Verwendung ist die Zusammensetzung der beiden Faseranteile unterschiedlich. Kohlefaser ist superleicht, hochzugfest und besitzt eine hohe Steifigkeit, hat aber eine geringe Bruchdehnung und ist spröde. Dieses Manko fängt das Aramidgewebe auf, es ist schlagzäh und schleiffest.

Bauteile aus Hybrid-Gewebe sind passgenau und stabil. Durch die hochwertigen Eigenschaften des Materials sind weniger Lagen erforderlich, was wiederum bedeutet, dass das Bauteil bei gleicher Stabilität weniger Gewicht auf die Waage bringt. Die Bauteile werden ebenfalls handlaminiert und je nach Einsatzzweck lackiert.

Anwendungsbeispiele:
Radabdeckungen, Verkleidungen, Sitzbänke, Airbox und Felgen.
Kunststoffbauteile aus Hybrid-Gewebe lassen sich recht problemlos reparieren.


Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff (CFK)

Neben Glasfaser, Aramid und Hybrid-Gewebe hat die C-Faser inzwischen einen hohen Stellenwert eingenommen. Sie ist das High-Tech Material unter den Kunststoffen und entsprechend teuer. Der große Vorteil ist das geringe Gewicht. Die Elastizität von C-Faser-Bauteilen wird durch die Faserrichtung bestimmt. Bauteile aus diesem Material können in Faserrichtung hoch belastet werden. Quer zur Faserrichtung besteht allerdings Bruchgefahr. Aufgrund dieser Eigenschaft müssen die Kräfte, die auf das Bauteil wirken, unbedingt bekannt sein.
Bauteile aus C-Faser lassen sich lackieren, werden es aber kaum, da die schwarze Fadenstruktur High-Tech und kompromisslosen Leichtbau sichtbar macht.

Anwendungsbeispiele:
Radabdeckungen, Verkleidungen, Räder, Tanks, Sitzbänke, Hinterradschwingen und Rahmen. C-Faserteile lassen sich reparieren.

 

 


CFK-Einarmschwinge


Thermoplastischer Kunststoff

Thermoplastische Kunststoffprodukte werden immer unter Temperatur und hohem Druck maschinell hergestellt. Für jedes Bauteil ist eine kostspielige Stahlform erforderlich. Thermoplastische Bauteile lassen sich individuell einfärben oder nachträglich lackieren, sind gegenüber Bauteilen aus Stahl um ein Vielfaches leichter, Temperatur und UV-Licht beständig, beidseitig glatt, 100prozentig baugleich sowie passgenau, sie sind pflege- und wartungsfrei. Auf Grund der Massenfertigung lassen sich selbst hochkomplizierte Bauteile kostengünstig herstellen.


Anwendungsbeispiele:
Scheinwerfergehäuse, Lichtschalter, Radabdeckungen, Spiegelgehäuse, Seitendeckel, Verkleidungen, Sitzbänke Heckbürzel, Luftfilterkasten, Kettenschutz, Sicherungskasten, Topcase, Motorradhelme, Packtaschen und vieles mehr. Zerbrochene Bauteile lassen sich nur mit einem speziellen Schweißverfahren (aus Sicherheitsgründen keine Helme!) reparieren.


Text-Archiv: Technik


Home