Individualismus
wird in der Motorrad-Szene ganz groß geschrieben. Zwar gibt es
längst für jeden und alles genau das passende Gefährt, aber
auch das reicht scheinbar immer noch nicht aus. Stangenware ist
nämlich mega-out. Es wird auf- und abgerüstet, getunt und
veredelt. Ganz gleich ob Chopper, Tourer, Sportler, Enduro oder
Klassiker. Ein Tun, von dem eine gewaltige Zubehörbranche
profitiert! Nun ist es mit bloßem An- oder Umbau aber nicht
getan. Um dem Bike letztendlich auch noch optisch eine ganz eigene
Note zu geben, ist natürlich eine tolle Lackierung etwas ganz
Wichtiges. Aber auch hier haben sich die Ansprüche gehörig
gewandelt. Die Zeiten, dass jede Farbe erlaubt war, Hauptsache sie
ist schwarz, sind längst vorbei. Bunt, möglichst grell oder
gleich ein kunstvolles Airbrush ist angesagt.
"Airbrush", was soviel wie "Luftpinsel" bedeutet,
ist eigentlich ein alter Hut. Genau genommen gab es so etwas schon
in der Steinzeit. In den Höhlen von Lascaux in Frankreich wurden
solche Kunstwerke entdeckt. Damalige "Airbrush-Künstler"
pusteten Naturfarbpigmente durch Pflanzenröhrchen oder hohle
Knochen auf die Felswände. Nicht mehr ganz so mühevoll war es
für die Spezialisten vor gut 100 Jahren. Charles Burdik
entwickelte die erste funktionstüchtige Airbrush-Pistole. Das
Verfahren wurde überwiegend zur Fotoretusche genutzt. Kontraste,
Schatten und Schärfe ließen sich so nachträglich bearbeiten. In
den dreißiger Jahren bedienten sich Werbeagenturen der
Spritz-Technik, um kunstvolle Illustrationen zu gestalten, und
nach dem Zweiten Weltkrieg war das Airbrushen in den Bereichen
Mode, Kunst, Cartoons und Science-fiction bald nicht mehr
wegzudenken.
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In der Motorrad-Szene ging der Spuk Anfang der achtziger Jahre
los. Vorreiter waren, wie könnte es anders sein, die Amis. Zum
alljährlichen Höhepunkt gehörte die Bike Week in Daytona Beach.
Hier wurde der ganzen Welt vorgeführt, was sich mit einer
Sprühpistole alles hinzaubern ließ. Es dauerte nicht lange, und
es entstand eine regelrechte Airbrush-Art für Bikes. Bevorzugte
Modelle waren natürlich Harleys, aber auch Gold Wing-Besitzer und
andere Schöngeister fanden an den Blickfängen Gefallen. Man
ließ die Maschinen mit allen möglichen Motiven veredeln. Die
Bandbreite reichte von dezenten Schriftzügen,
Landschaftsabbildungen bis hin zum anspruchsvollen Personen-,
Tier- und Phantasieportrait. Es war dann nur noch eine Frage der
Zeit, bis sich die Airbrush-Technik auch bei uns etablierte.
Echte Airbrushkünstler sind die Sprayexperten vom "Atelier
fineline" in Eicklingen bei Celle. Anfang der neunziger Jahre
haben sie ihr Grafik-Atelier eröffnet. Zunächst hatte man sich
auf technische Illustrationen für VW und Audi sowie für Firmen
aus der Werkzeugbranche spezialisiert. Bei den komplizierten,
jedoch „künstlerisch trockenen", Phantomdarstellungen
sollte es aber nicht bleiben.
"Durch unser gemeinsames Hobby, Motorradfahren, wussten wir
schon seit langem, dass in dieser Szene ein großes Interesse an
Speziallackierungen sowie anspruchsvollen und ausgefallenen
Airbrush-Motiven vorhanden war. Und da uns diese Darstellungsweise
sehr reizte, haben wir es einfach mal ausprobiert. Inzwischen
gehört das Custom-Painting zu einem festen Bestandteil unserer
Arbeit: „Zu den renommierten Kunden gehören Gloria von Thurn
und Taxis, Armec-Deutschland sowie eine ganze Reihe von bekannten
Harley-Customizern", wird verraten.
Im Vergleich zu
technischen Illustrationen erfordert das Airbrushen auf
Motorradteilen allerdings einen erheblich größeren Aufwand. Eine
tadellose Vorarbeit ist immens wichtig. Hierbei vertraut man auf
eine renommierte Lackiererei in Celle. Je nach Zustand der
Flächen müssen sie gespachtelt, gefüllert und geschliffen
werden. Ist der Lackiermeister mit der Ausführung zufrieden, wird
eine sogenannte „Kontrollschicht" aufgetragen. Danach
erfolgt von allen Blickrichtungen eine genaue Sichtkontrolle,
eventuell muss man noch einmal füllern und feinschleifen, erst
dann wird der eigentliche Basislack aufgetragen. Der erste,
wichtige Schritt ist nun erledigt. Die Sachen kommen zurück ins
Atelier fineline, mit der kunsthandwerklichen Arbeit kann es nun
losgehen.
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Ein Großteil unserer Kundschaft hat genaue Vorstellung davon,
wie das Airbrush-Motiv aussehen soll. Entweder bringen sie gleich
eine Vorlage mit oder wir suchen in unserem Archiv etwas Passendes
aus", plaudert man aus dem Nähkästchen.
Für diesen Fall kann man eine umfangreiche Bibliothek vorweisen.
Kunden, die mit ihrer Phantasie am Ende sind, bekommen bei diesem
Angebot hundertprozentig neue Anstöße, ganz gleich, ob
stimmungsvolle Landschaftsbilder, Indianer-Motive, Fantasy-,
Erotik- oder Cartoondarstellungen, selbst Horrorgenres lassen sich
finden.
Jedes
Airbrush-Motiv entsteht in sämtlichen Abschnitten ausschließlich
in Handarbeit. Das Verwenden von schnöden Abziehbildern würde
prompt gegen die Berufsehre verstoßen. Detailgenau, unter
Berücksichtigung der Anatomie und Perspektive sowie des
jeweiligen Schattenwurfes, wird auf dem vorbereiteten Untergrund
gebrusht. Um aber eine optimale Wirkungskraft zu erzielen, bedient
sich das Team zusätzlich der Pinsel-, Kratz- und Tupftechniken.
Ein Motiv nur zu airbrushen, würde selten das gewünschte
Ergebnis bringen. Erst durch die Arbeitskombination mit der
modernen Airbrush-Pistole und anderen klassischen Werkzeugen
lassen sich Bildschöpfungen verwirklichen, die sich vielfach von
einer Fotografie kaum unterscheiden.
Das gebrushte Motiv wird von uns sehr sorgfältig und filigran,
regelrecht plastisch, ausgearbeitet. Durch die Pinsel-/ Kratz- und
Tupftechnik ergeben sich Erhebungen und Vertiefungen, die, würde
man sie unter einem Mikroskop betrachten, wie Berge und Täler
aussehen", wird einem erklärt. "Diese Unebenheiten dürfen
sich nach getaner Arbeit, die je nach Motiv einen Tag lang dauern
kann, auf keinen Fall beim Handüberstreichen ertasten lassen. Und
aus diesem Grund sind vielfach 10 oder sogar manchmal 20
Klarlackschichten nötig."
Diese Versiegelung
erledigt wiederum der Betrieb in Celle. Wurde zum Beispiel auf der
Oberseite eines Tanks ein Portrait gebrusht, wird aber nicht nur
diese Stelle mit Klarlack überlackiert, sondern immer der ganze
Tank. Nach jeder Klarlackschicht wird die gesamte Fläche mit
1000er Wasserschleifpapier feingeschliffen, und erst danach kommt
die nächste Klarlackschicht darüber. Solange, bis die Fläche
topfeben ist. Auch hier eine handwerklich anspruchsvolle und
zeitaufwändige Arbeit. Und so darf man sich nicht wundern, dass
alles, was mit Airbrushen zusammenhängt, kein billiger Spaß ist.
Für ein anspruchsvolles Portrait auf dem Tank ist man schnell 500
bis 1000 Euro los, und wer sein Bike von vorn bis hinten mit
Airbrush-Motiven verzieren möchte, darf ab 2500 Euro aufwärts
rechnen.
Adresse
Atelier fineline
Schulstr. 3
29358 Eicklingen
www.atelier-fineline.de
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