"Das
Sprachrohr"
Meisterwerk: "Mammuth"
Ein Kommentar im Oktober 2010 von Winni Scheibe
Foto: x-Verleih
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Erweckt an Motorradfans hohe Erwartungen.
Eine Münch Mammut auf einem Filmplakat |
Seit dem 16. September 2010 läuft "MAMMUTH" bei
uns in den Kinos. Gut vier Wochen später haben wir uns den Streifen
angesehen.
Der Film-Titel sowie das Werbeplakat, Serge alias Gérard Depardieu sitzt
auf einer Münch-4 TTS 1200, machen erwartungsgemäß Motorradfahrer und
besonders Münch-Fans ganz schön neugierig. Einen Kino-Film mit einer
"Mammut" oder im französischen "Mammuth", wie die Münch-4 gerne
bezeichnet wird, hat es noch nie gegeben. Um es aber gleich
vorwegzunehmen: Wer einen Road-Movie vom Schlag "Nackt unter Leder",
1967, mit Alain Delon und Marianne Faithfull, "Easy Rider", 1969, mit
Peter Fonda, Dennis Hopper und Jack Nicholson, "Convoy",1978, mit Kris
Kristofferson und Ali MacGraw oder "The Blues Brothers", 1980, mit John
Belushi und Dan Aykroyd erwartet, wird enttäuscht oder geht mit den
falschen Vorstellungen in "Mammuth". Uns ging es kaum anders. Wir geben
es zu und waren am Ende der Vorführung verunsichert. Ganz schön schräg
die Handlung, die Münch Mammut kommt viel zu kurz, kaum echte Aktion und
da, wo Serge von seinem
Faustrecht hätte Gebrauch machen können,
schüttelt er nur verständnisvoll den Kopf und ermahnt. Die 7,50
Euro pro Billett hätte man besser in Bier, Wein oder Benzin investiert. |
Gérard Depardieu
Serge mit seiner Nichte "Miss Ming" auf Spritztour
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Der Film lässt einen allerdings nicht los, man
grübelt, denkt nach. Auf der Rückfahrt
nachts vom Kino nach Haus im Radio die Spätnachrichten. In
Frankreich gehen Jugendliche,
Studenten und "mündige" Bürger gegen die neuesten Rentenpläne der
Regierung auf die Straße. Das passt.
Mammuth und die Demonstrationen und plötzlich fällt es einem wie
Schuppen von den Augen. Mammuth hält der Gesellschaft einen Spiegel vor,
provoziert bis hin zur Peinlichkeit. Trifft
aber, je länger man darüber nachdenkt, voll ins Schwarze. Ohne
langatmige Mono- oder Dialoge, kurze Szenen, die das tägliche Leben
widerspiegeln. Zum Beispiel vor und im Supermarkt, am Telefon mit dem
Call-Center,
on the Road, bei Besuchen ehemaliger Arbeitgeber, bei Verwandten und
Freunden. Es ist die Reise eines Frührentners in seine Vergangenheit.
Das Handy, solange Serge es
noch besitzt, fehlt dabei nicht. |
Garage auf, Abdeckplane runter und ab geht
die Post
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Als Motorradfahrer wünscht man sich natürlich noch
mehr Münch-4. Zum Beispiel hätte Serge vor dem Start seiner Reise mit
einer neuen Batterie und frischem Motoröl
rumhantieren können. Doch
darum geht es in Mammuth nicht. Mammuth ist ein gesellschafts-sozialkritischer
Film. In einer Zeit, wo Schönheitswahn die Medien beherrscht,
zeigen die Regisseure Gustave de Kervern und Benoit Delépine dicke,
fette unästhetische Haut von
alten Männern. Allein für diese
"Freizügigkeit" verdient Gérard Depardieu den
Oscar.
Zugegeben, einfach zu verstehen ist
Mammuth wirklich nicht. Will er auch nicht. Der Film zeigt schonungslos
wie menschenverachtend die
Arbeitswelt und das Altwerden sein kann. Das wirkliche Leben ist
manchmal sogar noch viel härter. Vielleicht muss man selbst auch erst
mal in solch einer Situation stecken. Jemanden zu Hause pflegen oder
selbst alt sein. Dann wird es
leichter, kann man mitfühlen. |
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Trotzdem, die Mammuth und die Kameradschaft unter
Motorradfahrern spielen eine große Rolle. Serge trifft einen alten
Kumpel. Gegenwart und Yesterday prallen aufeinander. Der Spezi fragt
Serge, ob er überhaupt weiß,
was seine Mammuth inzwischen wert sei und dann sitzen sie vor der Glotze
und gucken alte Rennfilme. Die 60er Jahre waren eine tolle und verrückte
Zeit. Geblieben ist die Zahl 60, nur dass die beiden Motorradfreunde nun
selbst 60 sind.
Die Reise in die Vergangenheit, das Wiedersehen alter Kumpels und das
Treffen mit seiner Nichte, die sich als Künstlerin Miss Ming
durchschlägt und der Verkauf seiner Mammuth werden für Serge wie ein
Lottogewinn. Mammuth endet nicht wie "Easy Rider" mit einem Schock,
Serge tauscht die Lederjacke gegen ein Hippiegewand und fährt fortan mit
einem Moped durch die Gegend. Der Rest bleibt der Phantasie des
Zuschauers überlassen.
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