Sport


Der Sachsenring:
Chronik einer legendären Rennstrecke


Text: Winni Scheibe
Fotos: Werner Reiß, Rolf Eggersdorfer, Frank Bischoff, Winni Scheibe







(3 Fotos: Werner Reiß)


I
n der Hitliste weltberühmter Rennstrecken steht der Sachsenring ganz oben. Bereits am 26. Mai 1927 organisierte eine Handvoll begeisterter Motorradfreunde aus Hohenstein-Ernstthal das "1. Badberg-Viereck-Rennen". Eine Piste brauchten sie hierfür aber nicht extra zu bauen. Für den Wettbewerb wurde kurzerhand eine 8,5 km lange Verbindungsstraße von Hohenstein-Ernstthal in Richtung Waldenburg, dann nach Hermsdorf und zurück nach Hohenstein-Ernstthal abgesperrt. Motorradrennen quer durch die Landschaft und mitten durch Dörfer waren damals eine ganz normale Herausforderung. Trotz desolater Straßenverhältnisse, eine asphaltierte Fahrbahn gab es noch nicht, erreichte Max Wetzel mit seiner 500er BMW als Tagesschnellster einen Schnitt von 90,18 km/h!



( Foto: Werner Reiß)


Angefeuert wurden die über 100 Rennteilnehmer von rund 130.000 Schlachtenbummlern. Niemand hatte mit solch einem tollen Erfolg gerechnet, und keiner ahnte, dass die gewählte Streckenführung sogar bis 1990 Gültigkeit haben sollte. 1928 folgte mit etwa 80.000 Zuschauern das "2. Badberg-Viereck-Rennen". Die anspruchsvolle Piste forderte jedoch einen hohen Wegzoll. 41 Rennunfälle mit vielen Schwerverletzten sorgten bereits nach der zweiten Auflage für das Aus der Veranstaltung.



Rennsport zum Anfassen... 
(Foto: Rolf Eggersdorfer)


Doch die Sachsen hatten Rennluft geschnuppert. Es musste unbedingt wieder ein Motorradrennen her. 1934 war es soweit. Am 1. Juli stand der "Große Preis von Deutschland" auf dem Programm. Das internationale Rennen war militärisch organisiert, die Sportfunktionäre des "Dritten Reiches" wollten sich schließlich keine Blöße geben. Man hatte die Strecke fast durchgehend asphaltiert, es gab rund um den Kurs Lautsprecheranlagen, und für die Journalisten aus aller Welt waren Arbeitsräume eingerichtet worden. Das Starterfeld setzte sich aus 16 Nationen zusammen, am Renntag wurden um die 100.000 Zuschauer gezählt. Beim nächsten "Großen Preis von Deutschland" im folgenden Jahr waren es rund 200.000 Rennfans, und 1936 bekam die Veranstaltung sogar das Prädikat "Großer Preis von Europa", eine Motorradweltmeisterschaft gab es damals noch nicht. Ab 1937 trug die Rennstrecke bei Hohenstein-Ernstthal offiziell den Namen "Sachsenring". Den letzten "Großen Preis von Deutschland" vor Kriegsausbruch erlebten 1939 sensationelle 320.000 Zuschauer.
N
ach dem Zweiten Weltkrieg blieben die heimischen Vollgaspiloten zunächst unter sich. Internationale Rennen durften weder am Sachsenring noch sonstwo in Deutschland ausgetragen werden. Dafür waren die Motorsportfreunde um so rennhungriger. 1949 kamen 380.000 und 1950 sogar 480.000 Schlachtenbummler! 1951 zählt das Sachsenringrennen erstmalig zur DDR-Meisterschaft. Bis 1961 waren es erst internationale Motorradrennen, dann der "Große Preis der DDR" sowie der "Große Preis von Deutschland", die weiterhin wie ein gewaltiger Publikumsmagnet wirkten. Zwischen 200.000 und 300.000 Rennfans waren jedesmal mit von der Partie. Erwähnenswert ist das Jahr 1959: Erstmals taucht in der Siegerliste ein gewisser Jim Redman auf. Hinter seinem Landsmann Gary Hocking belegt der Rhodesier auf einer 500er Norton den zweiten Platz. 1960 gewann Norton-Privatfahrer Jim Redman sogar das 350er Rennen. Bis Mitte der 60er Jahre sollte Redman mit sechs WM-Titeln der bis heute erfolgreichste Honda-Werksfahrer werden. 
V
on 1961 bis 1972 zählte der "Große Preis der DDR" zur Motorradweltmeisterschaft. Viele Starfahrer, die die DDR-Rennfans bislang nur vom Namen kannten, konnten sie nun live miterleben. Eine Sensation ereignete sich beim WM-Lauf 1963. Die MZ-Leute verpflichteten für die 250er Klasse den englischen Superstar und MV-Werksfahrer Mike Hailwood. Das 350er und 500er Rennen gewann er souverän auf den MV-Werksmaschinen. Als letztes standen die 250er im Programm. Und auch diesen GP-Lauf gewann "Mike the Bike", nun aber auf der MZ-RE 250. Das ging natürlich runter wie Öl.



Held des Tages am 11. Juli 1971 beim "Großen Preis der DDR":
Der westdeutsche Yamaha-Pilot Dieter Braun gewann vor 
200.000 Rennfans das 250er Rennen. 
Bei der Siegerehrung mit Rod Gould (links) und Phil Read (rechts)
(Foto: Frank Bischoff)


Deutsche, die einen WM-Lauf auf dem Sachsenring gewannen, sind schnell aufgezählt. 1961 war es in der 125er Klasse MZ-Werksfahrer Ernst Degner, und 1971 brachte Dieter Braun seine 250er Yamaha als erster ins Ziel. Das Publikum war schier aus dem Häuschen, die DDR-Politfunktionäre schäumten dagegen über vor Wut. Man unterstellte dem westdeutschen Sieger, er habe eine weiße Linie überfahren und verlangte seine Disqualifizierung. Doch Rennleiter Zacharias ignorierte die Anordnung, für den Sportgeist und seine Zivilcourage wurde er jedoch später gefeuert. Bei der Siegerehrung erklang das Deutschlandlied nur im Start-Ziel-Bereich, alle anderen Lautsprecher wurden schnell ausgeschaltet. Mitten im Kalten Krieg zwischen Ost und West brachte der Sieg des Klassenfeindes Dieter Braun das Fass zum Überlaufen, und das Ende der WM-Läufe auf dem Sachsenring war jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Zwar gab es 1972 noch einmal ein WM-Gastspiel, doch danach war endgültig Schluss. Im Osten blieb man lieber unter sich und veranstaltete Motorradrennen um den "Pokal für Frieden und Freundschaft".


Beim ersten internationalen Motorradrennen nach Grenzöffnung 1990 waren 60.000 Zuschauer am Sachsenring...

...und 1998 beim ersten GP auf der neuen Strecke war das Haus schon wieder brechend voll. Heimgastspiel: Eskil Suter auf der 
500er MuZ...


...und Ralf Waldmann auf der KR500


Nach der Grenzöffnung 1990 und der Wiedervereinigung glaubten und hofften viele Sportfreunde in Sachsen an die Wiederbelebung des Sachsenringes. Doch der gefährliche Straßenkurs passte längst nicht mehr in die Zeit. Drei tödliche Unfälle beim internationalen Motorradrennen am 8. Juli 1990 waren drei Tote zu viel. Nie wieder sollte es ein Rennen auf dem legendären Stadt-Land-Kurs geben.
Seit 1996 gibt es zum Glück den neuen Kurs und seit 1998 gastiert der "GP-Zirkus" auf dem Sachsenring. Die Strecke ist Rennstrecke und Verkehrssicherheitszentrum in einem, natürlich mit Sicherheitszonen und ausreichend Sturzräumen. Der alte Kurs ist nun wieder das, was er schon immer war, öffentliche Landstraße. Ihren Namen hat die neue Piste allerdings geerbt: "Sachsenring".


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