Jochen "The Voice" Luck, Jahrgang 1925, feiert
am 23. September Geburtstag

"The Voice" NOCH 30 SEKUNDEN BIS ZUM
START
Seine Stimme hat noch die
gleiche Kraft wie früher
und sein
Geist ist wach wie immer. Seine Frau Hildegard ist
meistens dabei,
wenn er einen GP besucht und mit alten
und neuen Freunden plaudert.
Jochen Luck ist Jahrgang 1925,
man rechnet, dann denkt man,
er sei mindestens zehn oder fünfzehn Jahre jünger:
Jochen Luck, Spitzname "The Voice", ist fit wie eh und je.
Text: F.J.
Schermer
Fotos: Archiv Luck, Scheibe |

Hildegard und Jochen Luck 1970
(Foto: Archiv Luck)

Jochen Luck im Herbst 2004
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Atemlose Stille im Motodrom Hockenheim.
Weit über 100.000 Zuschauer stehen sprach- und atemlos auf den Rängen und schauen
gebannt auf die Strecke zum Startplatz. Nur aus dem Lautsprecher dringt
eine kräftige Stimme: "Noch 30 Sekunden bis zum Start – thirty
seconds to go – trente secondes jusqu´au départ". Dann spricht
die Stimme weiter, etwas leiser, aber sehr eindringlich: "Die
Fahrer stehen neben ihren Maschinen, haben den ersten Gang eingelegt,
ziehen den Kolben zurück bis zum oberen Totpunkt, ziehen dann die
Kupplung –
NOCH ZEHN SEKUNDEN BIS ZUM START
- ganz vorne links beugt sich
Weltmeister Mike
Hailwood tief über den Tank seiner 250er Sechszylinder Werks-Honda, zieht noch
einmal das Leder seines Handschuhs straff, geht neben seinem Motorrad in
die Knie, um eine optimale Position zum Anschieben zu haben –
UND START!
Am besten kommt Werksfahrer Phil Read auf
seiner Zweitakt-Yamaha weg, der auch als erster in die Kurve einbiegt auf dem Weg
über die lange Gerade durch den Wald zur Ostkurve."
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"The Voice" Jochen Luck
(Foto: Archiv Luck) |
Wissen Sie noch, lieber Leser, wie das
damals in den 60er und 70er Jahren war, als ein Feld mit 35, 40 Fahrern
per Schiebestart ins Rennen ging? Damals gab es die WM-Klassen 50, 125,
250, 350, 500 Kubikzentimeter und die Seitenwagen. Die Marken hießen
AJS, Aermacchi, Bultaco, BMW, URS, Maico, CZ, Derbi, Kreidler, Jawa, Norton,
Matchless, MV Agusta und die vier Japaner wie Honda, Kawasaki, Suzuki
und Yamaha und sogar russische Marken.
Jochen Lucks Stimme informierte die Zuschauer immer sachlich, immer
korrekt, er war immer sehr gut informiert über die Technik der
Maschinen, hatte alle Informationen zu Fahrern, Marken und Teams. Rund
500 Veranstaltungen, das heißt gut 3000 einzelne Rennläufe hat er moderiert zwischen 1949 und 1987, davon waren
36 Motorrad-GP’s und 21 Formel-1 Rennen.
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Teamarbeit: Hildegard Luck und
Streckensprecher Jochen Luck
(Foto: Archiv Luck)
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Seine
Frau Hildegard war immer dabei, schrieb Rundenzeiten und Tabellen,
führte die Fahrerkartei und lieferte ihrem Gatten Jochen alles zu, was
dieser gerade brauchte. "Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine
starke Frau", sagt Jochen und noch heute sind die beiden ein Team
bei ihren vielen Reisen zu den europäischen Motorrad Grand Prix. "Wenn
im Winter der Rennkalender fürs kommende Jahr herauskommt, sitzt meine
Hildegard tagelang da, bucht Flüge und Hotels und freut sich auf die
kommende Saison", erzählt Jochen und seine Hildegard sitzt dabei
und schmunzelt.
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Fahrerkarte von Barry Sheene |

GP Frankreich 1977 # 7 Barry Sheene |
Legende:
Suzuki-Werksfahrer Barry Sheene, 500er Weltmeister 1976 und 1977.
Am 10. März 2003 erlag der sympathische Engländer
einem heimtückischen Krebsleiden.
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Leidenschaftlicher Geländefahrer:
Jochen Luck 1960 mit seiner Maico
(Foto: Archiv Luck)
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Jochen Luck kam am 23. September 1925 in
Kassel zur Welt. Sein Vater war Beamter und im Sog der Familie lebte der
junge Jochen in Kassel, Schlüchtern, Göttingen, Potsdam und Prag. Dort lernte er auch den
wahnsinnig schnellen Aktivsport Eishockey kennen und die Fitness, die dieser
Sport erfordert, die sieht man ihm heute noch an: kein Altersfett, alle
Gelenke intakt. Jochen Luck ist heute aktiver Ruheständler. Sein Job war
Fahrzeug-Verkäufer, zuerst 28 Jahre lang solche von Mercedes und dann 14 Jahre
lang als Verkaufsniederlassungsleiter bei MAN. Wenn Sie, liebe Leser, heute in einem Fahrerlager MAN-Trucks
sehen, dann hat bestimmt Jochen Luck an Verkauf oder Leasing dieser
Fahrzeuge mitgewirkt – und es gibt viele, sehr viele MAN in den
Fahrerlagern dieser Welt. Und Bandenwerbung dazu.
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Ich
frage Jochen, ob seine Ex-Firma weiß, was sie an ihm hatte und heute
noch hat. "Weißt du", hebt seine unnachahmliche Stimme an,
"heute ist alles anders als früher, heute kriegst du für alles,
was du machst und tust, kein Dankeschön mehr. Heute regieren in den
Firmen die Controller, die interessieren sich nur für Zahlen und
Gewinne. Wenn alles stimmt, dann war es die Firma, ein Mensch steht
nicht mehr hinter einem Erfolg. Aber wenn etwas nicht läuft, dann sucht
man nach dem oder auch den Schuldigen. Das ist der Hauptunterschied zu
früher, wo man noch ein Dankeschön bekam für eine Leistung, die einer
einzelnen Person zugeschrieben werden konnte".
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Anfang der 70er
Dieter Braun im Gespräch mit Jochen Luck
(Foto: Archiv Luck) |
Er sagt es ohne Bitterkeit und wir reden
ein wenig von früher. Wer seiner Meinung nach der beste Rennfahrer der
Welt ist oder war? "Also der Mike Hailwood, der war schon unglaublich. Der
fuhr manchmal drei Rennen am Tag, oft sogar im Regen auf glitschigen,
unsicheren Strecken. Die hatten damals ja nur dünne Lederkombis an und
Puddingschüsseln auf dem Kopf und fuhren auf dem Nürburgring manchmal
sogar im Schneegestöber ihre Rennen. Hailwood trug den Spitznamen ´Mike
the Bike´ nicht zu Unrecht, denn wie der mit den damals so schlecht
liegenden Hondas umging, das war schon faszinierend, egal ob es eine
125er, 250er, 350er oder 500er war."
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Frühjahr 2004 in Oschersleben:
Jochen Luck, Giacomo Agostini, Jörg Teuchert, Phil Read
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Ja, Jochen – und
wer noch?
"Giacomo Agostini war natürlich auch sehr gut, der hatte einen
unnachahmlich eleganten Stil. Die 350er und 500er MV Agusta Werksmaschinen waren auf ihn
alleine zugeschneidert, das machte es dem Ago etwas leichter. Der leider
zu früh verstorbene Jarno Saarinnen war einer der Allergrößten für
mich, dann folgen Jim Redman und Phil Read. Nicht zu vergessen die
Großen der 80er Jahre wie Barry Sheene, Kenny Roberts und Freddie
Spencer. Der beste Deutsche war für mich der Toni Mang, wie der sich
aus dem Windschatten vom zweifachen Weltmeister Dieter Braun heraus hochgearbeitet hat zu fünf
WM Titeln, das war schon eine besondere Leistung."
Klar kommt unser Gespräch auf den WM-Endlauf der 350er Klasse 1980 auf
der Nordschleife des Nürburgrings. Toni Mang oder Jon Ekerold, Ekerold
oder Mang, wer von den beiden gewann, wurde Weltmeister. Jon hatte seine
Gattin samt dem dritten Kind, das gerade mal acht Wochen alt war, aus
Südafrika einfliegen lassen. Der Fight ging das ganze Rennen über und
erst in der letzten Runde fuhr sich Ekerold rund 50 Meter Vorsprung
heraus, wurde Sieger des Deutschen-WM-Laufs und damit 350er Weltmeister.
Danke Jochen. Und heute? "Rossi!"
kommt es wie aus der Pistole geschossen, "meine Frau hat immer noch
alle heutigen Startnummern im Kopf, Biaggi hat 3, Barros 4 und Checa die
7 und wir beobachten sie schon sehr lange. Aber der Rossi steckt sie
alle in die Tasche, der kann nicht nur Motorrad fahren, sondern ist auch
sehr, sehr clever".
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Abends beim Bier kommen wir ganz
tief in die alten Zeiten.
Hier nur ein kleiner Auszug.
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Zu seiner eigenen Karriere:
"1948
trat ich mit der Startnummer 78 auf meiner Rudge Vierventiler mit
Stahlgusskopf und Stößelstangen beim Nachwuchsrennen in Schotten an.
Ein gewisser Friedel Münch, der eine Horex hatte, die aussah wie aus
dem Laden, erklärte mir den Zusammenhang zwischen Lufttemperatur,
Größe der Vergaserdüse und Wärmewert der Zündkerze."
Zum Leben als Rentner: "Ich habe eine BMW R 80 G/S. Im
letzten Jahr kam ich auf immerhin mehr als 12.000 Kilometer. Das
Motorradfahren macht mir riesigen Spaß.
Zum heutigen Chef des Zirkus
namens Formel 1: "Das erste Rennen als Chefkommentator hatte ich 1953
am Nürburgring. Der Renntag dauerte von acht bis 18 Uhr. Morgens waren
die Motorräder dran, nachmittags die Autos. In der Formel 3 startete
ein damals sehr unbekannter Engländer namens Bernhard Ecclestone. Sein
Auto war ein Cooper mit einem 500er Einzylinder Motorradmotor. Diese
Rennautos durften 400 kg wiegen und hatten fahrradähnliche
Reifen."
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Geländefahrt 1954
(Foto: Archiv Luck)

Sportsmann Jochen Luck auf seiner BMW
R 80 G/S im Herbst 2004
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Zu seiner Art, die Rennfahrer am
Startplatz zu begrüßen: "Ich spreche recht gut englisch und auch
tschechisch, konnte aber in 14 Sprachen ’guten Tag Herr Soundso,
willkommen in Irgendwo, viel Glück beim Rennen!’ sagen. Die
entsprechenden Worte hatte ich mir in Lautschrift auf Karteikärtchen
notiert. Sogar Japanisch war dabei! Das ‚konichi-wa, Takahashi-san!’
hatte mir der in Hamburg lebende Japaner Koichi Shimada aufgeschrieben
– und ich habe natürlich vor der ersten Ansage abgecheckt, ob es
nicht etwa ‚du Idiot’ auf japanisch hieß..."
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Ehrung am Nürburgring

Jochen Luck-Kastanie
Berühmter Streckensprecher
bei motorsportlichen Veranstaltungen
in den 50er, 60er und 70er Jahren
(Foto: Archiv Luck)
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Zum Streik 1974 am Nürburgring: "Damals hatten es die Rennfahrer nicht leicht, ihren Anspruch nach
mehr Sicherheit durchzubringen. Die Nordschleife des Nürburgrings wurde
von allen Rennfahrern schon immer sehr differenziert betrachtet. 1974
kam es dann zum endgültigen Streik der internationalen Spitzenfahrer,
als Agostini und Volker Rauch, der damals Sportberichterstatter der
Zeitschrift ‚Das Motorrad’ war, die anderen Fahrer aufwiegelten. Zum
Glück fuhren wenigstens die Deutschen, es waren fünf oder sechs Mann
pro Klasse auf der Strecke, sonst wären die Zuschauer ohne ein Rennen
nach Hause gegangen."
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"Ältester GP-Testfahrer der Welt"
Jochen Luck 1992 auf der 125er Aprilia GP-Werksmaschine von Peter Öttl,
links,
rechts daneben Tex Geißler
(Foto: Archiv Luck)
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Zum damaligen Startprocedere:
"Beim
Schild ‚5 Minuten bis zum Start’ sollten die Motoren ausgemacht
werden, der letzte Motor verstummte aber meist erst bei 3 Minuten, was
meine Moderation zwar erschwerte, aber auch musikalisch untermalte, nie
werde ich das tiefe bra-braaa, bra-braaa einer warmlaufenden Norton
vergessen. Natürlich sind die seit Anfang der 80er Jahre gepflegten
Starts mit laufenden Motoren viel sicherer, aber die Schiebestarts waren
einzigartig!"
Zu den Deutschen, die er bei den
GPs angesagt hat: "Nie vergessen werde ich den Günther Beer, der auf
Adler und Honda bis in die späten 60er Jahre Rennen fuhr. Der war schon
immer zu Anfang einer jeden Saison gut in Form, denn er besaß vier
Schilifte in Sankt Andreasberg im Harz. Er war auch Schilehrer in Zürs
und hat den Kindern der Königin Beatrix von Holland das Schifahren
beigebracht. Ich erinnere mich auch sehr gerne an den Lothar John, der
in allen Klassen auf allen möglichen Motorrädern erfolgreich war.
Lothar hatte immer gute Laune, auch dann, als er einmal bei einem
WM-Lauf in Hockenheim die Kette verlor, dennoch rollend an die Boxen
kam, dort eine neue Kette montiert wurde und er noch in Wertung ins Ziel
kam. Natürlich habe ich die deutschen GP-Stars wie Mang, Wimmer, Herweh
und Roth sehr gerne angesagt, hier spielte auch der Nationalstolz eine
Rolle. Habe ich den Schermer nicht auch mal kommentiert...?"
"Ja, 1978 beim WM Lauf am
Nürburgring in der 350er und 500er Klasse, ich hab’s unter meinem
Bell-Helm damals nur nicht deutlich genug gehört", gebe ich ihm
zur Antwort. Womit wir es dann auch gut sein lassen wollen.
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