Sport


"TT auf dem OBI-Parkplatz"

Die Rennstrecken Hockenheim, Nürburgring, Oschersleben und
Sachsenring kennt jeder. Auch die Tourist Trophy, kurz "TT",
auf der Isle of Man, ist bekannt. Doch der Lahnring bei Marburg?
Noch nie gehört? Das soll sich bald ändern. Nach erfolgreichem
Probelauf über Ostern 2007 will man ab dem nächsten Jahr
hier regelmäßig um Pokale fahren.

Texts: Winni Scheibe
Fotos: Fromm, Scheibe



Es gibt Momente im Leben, da liegen Gegenwart und Vergangenheit dicht zusammen. Als ob es gestern gewesen wäre, kommt mir mein erstes Rennen im Frühjahr 1973 in Bremerhaven in den Sinn. Es war das berühmt-berüchtigte Fischereihafen-Rennen. Ein abenteuerlicher Kopfsteinpflaster-Kurs mit Bordsteinkanten, dicht vorbei an Kühlhallen und Bahnschienen. Für die Streckensicherung dienten lediglich Strohballen. Gleich dahinter drängelten sich die Zuschauer, viele Zuschauer, sehr viele Zuschauer. Bei keiner anderen OMK-Veranstaltung, ob im Fahrerlager oder während der Rennläufe, kamen sich Akteure und Schlachtenbummler so nahe. Sozusagen Rennsport zum Anfassen. In Bremerhaven gehörte das Fischereihafen-Rennen zur Attraktion.



Autor Winni Scheibe 1975 in Bremerhaven
(Foto: Archiv-Scheibe)


Die 350er Klasse war mit weit über 100 Teilnehmern rappelvoll. Im Training belegte ich mit meinem Yamaha Production Racer TR2 die zweitschnellste Zeit. Doch der Traum vom ersten Pokal war schnell ausgeträumt. Gleich nach dem Start, in einen Massensturz verwickelt, durfte ich die ramponierte Rennmaschine ins Fahrerlager zurückschieben. 1975 fuhr ich noch einmal in Bremerhaven, dieses Mal reichte es für den vierten Platz. Irgendwie hat mir damals der anspruchsvolle Straßenkurs mit seinem glitschigen Kopfsteinpflaster richtig Spaß gemacht.


Backstage

Es ist Ostermontag, 2007, vormittags. Heute stehe ich, 32 Jahre später, 
hinter den Strohballen. Aber nicht beim Fischereihafen-Rennen, 
sondern im Einkaufszentrum Wehrda bei Marburg.


Demolauf: Supersport 600 


Direkt vor meiner Nase flitzen Motorradrennfahrer vorbei. Würde ich die Hand ausstrecken, mühelos ließen sie sich berühren. Welche Klasse beim 1. Lahnring-Rennen gerade an der Reihe ist, lässt sich nur raten. Auch weiß ich nicht, ob es ein Trainingslauf, das Warm-up oder schon ein Rennen ist. Keine Ahnung. Am Kassenhäuschen hatte man mir kurz vorher gesagt, dass sich der Programmablauf sowieso gründlich geändert hätte, ich bräuchte aber nur auf den Streckensprecher zu achten. Doch von dem ist nicht viel zu verstehen, seine Ansagen gehen im Motorlärm unter. Ist auch egal. Das Spektakel geht einem auch so unter die Haut. Die Akteure lassen nichts anbrennen. Schräglage bis zum Abwinken, auf den kurzen Geraden wird volle Lotte Gas gegeben, gebremst wird auf der letzten Rille.



Mit 11.000 Touren und 220 Sachen am OBI-Markt vorbei


Es herrscht eine einzigartige Atmosphäre. Die Rennstrecke ist mit 1860 Meter Bauzäunen abgegrenzt und rundum mit 4500 Strohballen gesichert. Da, wo werktags Mütter in SB-Märkten Lebensmittel einkaufen, sich handwerklich geschickte Väter im Praktiker Baumaterial organisieren und wo die Kids beim Mediamarkt ihr Taschengeld in Computer-Equipment tauschen, ist in der Nacht auf Ostersonntag für zwei Tage ein rund 1,8 km langer Straßenrennkurs entstanden.



... ein paar Strohballen sind übrig geblieben ...



Marburger Rennfans
(Foto: Wolfgang Fromm)


Der Eintritt für beide Renntage kostete 20 Euro, nur für den Montag 12 Euro. An nichts fehlt es. Für Hungrige stehen an allen Ecken und Enden Würstchenbuden. Es gibt auch Pizza, Bierstände sowieso, Kaffe, Coca und Sprudel natürlich auch. Für die Kleinen hat man extra Kinderkarussells aufgestellt und überall parken Dixi-Klos. An alles ist gedacht. Einige Motorradhändler präsentieren Modelle aus dem aktuellen Angebot, die obligatorischen Verkaufsbuden mit T-Shirts, Mützen und wer weiß was sonst noch, fehlen ebenso wenig. Es gibt einige Tribünenplätze und nach jedem Lauf dürfen die Schlachtenbummler quer über die Rennstrecke von einer Seite auf die andere wechseln.



Scooter-Team #46 von Sascha Grebing


Team-Spenner: Moto Morini 1200


Lokalmatador: Dirk Kaletsch



Lokalmatador: Reinhard Strack mit Junior



Lokalmatador: Frank Spenner



Klassik-Racer: Norton Commando



Klassik-Gespann: BMW-Kneeler



Oldie-Racer: Ortwin Ander (72)



Kasseler-Maico-Pilot: André Siemon



Klassik-Racer
(Foto: Wolfgang Fromm)


Im Fahrerlager sind die Zuschauer ebenfalls herzlich willkommen. Sie können sich alles ansehen, Fotos machen und den Rennfahrern Löcher in den Bauch fragen. Keiner beschwert sich. Ganz im Gegenteil. Alle freuen sich über das rege Interesse. Dabei gibt es, abgesehen von einigen Lokalmatadoren, überhaupt keine Superstars zu bewundern. Anders als beim Oldtimer-GP in Schotten, von Marburg nur einen Katzensprung entfernt, wo man hautnah berühmte Weltmeister erleben kann. Durch gute Beziehungen oder mit viel Geld werden GP-Legenden vom Schlag eines Klaus Enders, Dieter Braun, Phil Read, Jim Redman oder Giacomo Agostini als Publikumsmagnete nach Schotten geholt.



Vorstart: "Auf die Plätze fertig los"


Demolauf: Supersport 600



(Foto: Wolfgang Fromm)


Beim 1. Lahnring-Rennen von alldem keine Spur. Frei nach dem olympischen Gedanken: wer kommt, darf mitfahren und dabei sein ist alles. Das Starterfeld setzte sich in den jeweiligen Klassen buntgemischt von Hobby-Racern über Lizenz-Fahrer bis zu TT-Teilnehmern zusammen. Genannt waren Roller, Oldtimer, Sound of Classic, Gespanne, Supermoto, Supersport 600, Superbikes und Quads. Je nach Leistungsstärke wurden einige Klassen in einen Lauf gelegt. Rund 90 Teilnehmer hatten zwischen 100 bis 140 Euro Nenngeld für das Rennen bezahlt. Was in Wirklichkeit dann aber gar kein Rennen werden sollte.

 

Der Teufel steckt im Detail


Veranstalter: Hinrich "Hini" Hinck


Im Fahrerlager treffe ich Hinrich Hinck, 1. Vorsitzender des MSG Weserland e.V., Veranstalter des legendären Fischereihafen-Rennens in Bremerhaven und seit neuestem auch Ausrichter des Lahnring-Rennens. Wir kennen uns schon eine Ewigkeit, genau genommen seit dem Fischereihafen-Rennen 1975. Die Frage ist berechtigt: Wie kommt man auf die Idee, in einem Ort ohne jegliche Motorsporthistorie wie Marburg, ein Rennen zu veranstalten. Hini lacht und erzählt: „Von 1952 bis 1991 war das Fischereihafen-Rennen in Norddeutschland fester Bestandteil im Motorsportkalender. Im Jahr 2000 haben wir dieses traditionelle Rennen wieder ins Leben gerufen. Im Prinzip genau wie früher, nur mit dem Unterschied, dass die Fahrbahndecke inzwischen asphaltiert ist. Beim letzten Mal waren über 26000 Besucher da, das Interesse nimmt von Jahr zu Jahr zu. Zum regelmäßigen Rennteilnehmer zählt der Marburger Superbike-Pilot Reinhard Strack. Vergangenes Jahr fragte er mich, ob man nicht mal eine ähnliche Veranstaltung auch in Marburg machen könnte und so kam der Stein ins Rollen."



Start: Superbike


Was sich zunächst wie eine Stammtischlaune anhörte, nahm schon bald konkrete Züge an. Reinhard Strack ist nämlich bei der Stadt Marburg beschäftigt und stieß mit seiner Idee beim Sportamtsleiter Wilfried Schmidt und auch beim Oberbürgermeister der Stadt Marburg Egon Vaupel auf offene Ohren. Eine geeignete Strecke war im Einkaufszentrum von Wehrda, ein Ortsteil von Marburg, schnell gefunden. Als echte Herausforderung entpuppte sich dann aber die organisatorische Vorbereitung und Planung. Gut 40 Anlieger im Kaufpark mussten ihre Zustimmung geben, das Rennen musste vom DMSB genehmigt und die Strecke abgenommen werden, und dann galt es noch Streckenposten und eine Security-Mannschaft bereit zu stellen. Örtliche Unternehmen mit ihren Würstchen- und Getränkeständen sowie Motorradhändler zu gewinnen, waren dagegen die leichtesten Übungen. Mitte März hatten man alle Tücher im Trockenen und das 1. Lahnring-Rennen sollte über Ostern seine Prämiere feiern.
"Rückblickend lief alles fast schon zu gut. Der Schock kam dann aber zwei Wochen vor dem Rennen. Ein Anlieger zog seine Zusage zurück, die Strecke musste geändert werden und somit war die DMSB-Genehmigung Schnee von Gestern. Die Stadt Marburg stand allerdings weiterhin 100-prozentig hinter dem Vorhaben und so sprang ich mit meinem Know-how als Veranstalter ein. Aus versicherungstechnischen Gründen ließ sich nun aber kein Rennen mehr durchführen und so haben wir kurzfristig die Veranstaltung zum Demolauf ohne Renncharakter umgewandelt und nach ein paar stressigen Tagen war dieser Kraftakt auch gestemmt", lässt Hini Hinck mit einem verschmitzten Schmunzeln wissen.



Racer-Fan: Ortwin Ander, 72,  auf Einzylinder-Königswellen Ducati 175 von 1958


Die Oster-Racer nahmen die Regeländerung gelassen. In Prinzip hatte sich ja auch kaum etwas am Ablauf geändert. Der Start erfolgte in bekannter Weise, dann durften gut 30 Minuten ordentlich Gas gegeben werden und wer als Erster über die Ziellinie fuhr konnte sich auch als Erster und Schnellster fühlen. Nur die gewohnte Siegerehrung mit Pokalverleihung und Sektkorkenknallen blieb aus. Dafür bekamen alle Fahrer als Andenken eine Erinnerungsmedaille.



Finish: Die Gespanne fuhren am Schluss


Auch die über 3500 Besucher kamen voll auf ihre Kosten. Ein Großteil, so jedenfalls der Eindruck, nutzte den frühlingshaften Ostermontag, um mit Kind und Kegel das Spektakel als Familienausflug zu erleben. Lassen wir uns überraschen, was nächstes Jahr in Marburg los sein wird.


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