Touristik


"Rendezvous mit der Czárdás-Fürstin"


Kenner wissen`s längst: Ungarn hat's. Gemeint ist aber nicht
der Plattensee oder Budapest, sondern der östliche Teil.
Das Mátra- und Bükk-Gebirge, die Stadt Eger und die Puszta.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Winni Scheibe, Wolfgang Fromm



Szarvaskö, Szentdomonkos, Ózd, Serenyfalva und Ragály stehen auf dem Zettel. Das Ziel ist Aggtelek. Die Ortsnamen sind echte Zungenbrecher. Man versucht sie auszusprechen, sie sich zu merken, doch schon sind sie wieder vergessen. Augen und Geist sind sowieso ganz woanders. Viele unübersichtliche Kurven und Bergkuppen, dann wieder enge Ortsdurchfahrten fordern Aufmerksamkeit. Damit es aber nicht allzu stressig wird, geht's gemütlich vorwärts. Man genießt die Rundumblicke in die Natur, inhaliert die klare Luft und freut sich, wenn es durch schattige Alleen geht, die wenigstens etwas Abkühlung bringen. Es ist verdammt heiß. Der Weg führt mitten durchs Bükk-Gebirge.



Im Bükk-Gebirge


Für Ungarn, die es gewöhnt sind, zu blicken soweit das Auge reicht, mag die Bezeichnung Gebirge ja stimmen. Doch mehr als eine Hügellandschaft ist die Gegend nicht. Über wunderschöne Nebenstrecke windet sich die Fahrt mal vorbei an grünen Wiesen, dann wieder in einer Berg- und Talbahn durch dicht bewachsene Wälder.








Die Tachonadel kommt kaum auf 80 Sachen, und so wundert es nicht, dass die 120 Kilometer Strecke von Eger bis Aggtelek fast zweieinhalb Stunden dauert. Aggtelek liegt im nördlichsten Zipfel Ungarns, Ziel und Hauptattraktion ist die Baradla-Tropfsteinhöhle. Die Untertage- Temperatur liegt ganzjährig zwischen 10 und 12 Grad, die Motorradjacke lässt man am besten an. Insgesamt ist das Höhlen-Labyrinth über 22 Kilometer lang. Von der ungarischen Seite sind sieben Kilometer begehbar, der andere Teil liegt auf slowakischer Seite. Der Ausflug in die Unterwelt ist gigantisch, er lässt eine eigenartige Mystik aufkommen. Vorbei an kristallklaren Wassergerinseln schlängelt sich der Weg zwischen gewaltigen Steinkolossen und wunderschönen, hängenden oder stehenden Tropfsteinformationen entlang. Tiefe Stille und die skurrilen Steingebilde, die in unterschiedlichsten Farbschattierungen erscheinen. Mal ist es verdammt eng, dann wieder steht man mitten in riesigen, unterirdischen Sälen. Eine Tour durch die Grotte dauert zwischen einer und zweieinhalb Stunden, dann hat einen die Welt wieder.

Beim Rückweg wird ein Stopp in Szilvásvárad, dem Zentrum des Bükk-Nationalparks eingelegt. Die Bikes bleiben stehen, mit der Bimmelbahn geht's hinauf ins wildromantische Szalajka-Tal. Bekannt ist die Gegend für ihre Forellenzucht. Fischmenüs sind ausgesprochen reichhaltig, wohlschmeckend und obendrein auch noch preisgünstig.



Westlich von Eger liegt das Mátra-Gebirge. Diese Gegend ist für Biker wie geschaffen. Kaum Verkehr und gut ausgebaute, kurvenreiche Landstraßen bringen echten Fahrspaß. Nur eine dreiviertel Stunde von Eger entfernt führt eine tolle Serpentinenstrecke zum höchsten Berg Ungarns, dem Kékestetö. Auf dem Gipfel der, inmitten von Buchen- und Eichenwäldern und kleinen Flussläufen gelegenen, 1016 Meter hohen Erhebung, ist mächtig Andrang. Bei gutem Wetter reicht die Sicht meilenweit ins Land. Nach dem Plattensee und dem Donauknie ist der "Kékes" beliebtestes Touristenziel.



Auf dem Kékes


Der "Erlauer Stierblut" hat Eger weltberühmt gemacht






Ausgangspunkt unserer Erkundungstouren durch Ostungarn ist Eger, das "Basislager" haben wir auf dem Tulipán Campingplatz errichtet. Auf den sanften Abhängen der hügeligen Landschaft rings um die Stadt gedeiht Jahr für Jahr exzellenter Wein. Er hat Eger weltberühmt gemacht. Allen vorweg der "Erlauer Stierblut". In und um die 60.000 Seelenstadt gehören Weinkeller zum Hausstand. Weinproben sind ein Muss und dürfen bei keinem Besuch fehlen. Wer die Wahl hat, hat allerdings auch die Qual: es gibt einige tausend, und reiht man alle Weinkeller aneinander, beträgt die Strecke fast 130 Kilometer.


Eger ist aber nicht nur eine kulinarische Weinstadt, der Ort kann auf eine bewegte tausendjährige Geschichte zurückblicken. Bereits im 11. Jahrhundert war Eger Bischofssitz mit befestigter Residenz. Strategisch äußerst günstig gelegen, baute man die Befestigung im Laufe der nächsten Jahrhunderte zu einer stattlichen und verteidigungsfähigen Burg aus. Gleichfalls entwickelte sich der Ort zu einem wirtschaftlichen Dreh- und Angelpunkt. Nicht ohne Folgen. Burghauptmann István Dobó wurde 1552 mit 2000 seiner treuen Gefolgsleute von einer sechzigfachen türkischen Übermacht belagert, konnte die Meute aber erfolgreich in die Flucht schlagen. Doch die Türken kamen wieder. Im Jahre 1596 wurde Eger eingenommen und war bis 1687 das Zentrum eines Vilajets des Osmanischen Reiches. Aus dieser Zeit stammt das bis heute gut erhaltene und begehbare 35 Meter hohe Minarett.

 


35 Meter hohes Minarett

 
Egers Basilika

Nach allen weiteren Kriegen und Verwüstungen begann man 1925 zunächst mit Ausgrabungs- und Wiederherstellungsarbeiten der Burgruine. Heute ist sie, neben den 200 weiteren historischen Gebäuden und Denkmälern, das Ausflugsziel Nummer eins. Berühmt ist Eger auch durch das Thermalbad, die Barockinnenstadt, den mittelalterlichen Marktplatz und die Basilika, Ungarns zweitgrößte Kirche. Geschichts- und Kulturinteressierte kommen beim Stadtbummel voll auf ihre Kosten. Wer in Ungarn aber den Restmief sozialistischer Planwirtschaft, heruntergekommene Häuser, kaputte Straßen, schlechte Gastronomie und alle weiteren "westlichen Klischees" erwartet, ist im falschen Film.

 

 


Von allen Ländern hinter dem ehemaligen "Eisernen Vorhang" nahm und nimmt das Land eine Sonderstellung ein. Irgendwie hat es die Bevölkerung immer verstanden, das "Beste" aus der jeweiligen Situation zu machen. Sitzt man in Eger im Straßencafe und trinkt einen Cappuccino, kann man schnell vergessen, wo sich die Vorstellung abspielt. Mode, Chic und Charme der Damenwelt lassen den Eindruck entstehen, das Erlebte könnte genauso gut in Südfrankreich stattfinden.

Touren ins Bükk- und Mátra-Gebirge, stundenlanges Geplätschere im Thermalbad, relaxen im Straßencafe und abendliches Geschlemmer im Talizmn oder Gasthaus zum Weißen Hirschen mit abschließender riesigen Portion Palatschinken lassen die erste Urlaubswoche wie im Flug vergehen.

 

 


Die Leute sind nett und zuvorkommend, das Wetter im Sommermonat August stimmt auch, aber dennoch kommt Unbehagen auf. Denn so hat man sich Ungarn wirklich nicht vorgestellt. Wo ist die versteppte Landschaft, wo sind die typischen Ziehbrunnen, wo stehen die strohgedeckten Häuser, wo leben die Menschen mit ihren sonnenverbrannten Gesichtern, wo sind die freilaufenden Pferde, Rinder und Ziegenherden, wo sind ihre Hirten, und gibt es überhaupt noch eine "Zigeuner-Romantik"? Die Bilder aus der "Czárdás-Fürstin" sind noch zu deutlich vor Augen.


Von Eger bis in die Puszta sind es gut 90 Kilometer


Janosch, Chef vom Tulipán Campingplatz, lacht: "Ungarn ist ein modernes Land, die Zeit, die du meinst, liegt schon viele Jahre zurück. Doch wenn du so etwas sehen möchtest, kannst du ja in die Puszta fahren. In unseren bekanntesten Nationalparks können die Besucher alles so erleben, wie es früher mal war." 






Fast schnurgerade führt die Landstraße 33 direkt in die Puszta, von Eger bis dahin sind es gut 90 Kilometer. Die Landschaft ist flach wie ein Brett, Kilometer pro Kilometer wird's wärmer. Nur noch wenig Baumbestand spendet Schatten. Kurz vor Hortobágy, etwas abseits der Straße, steht auf dem plattgewalzten, vertrockneten Grasboden ein vorsintflutlicher Doppeldecker. Von einem Airport ist allerdings weit und breit nichts zu sehen. Der Ausflug in Ungarns Vergangenheit wird zunächst verschoben. Ein junger Mann sitzt im Freien hinter einem Campingtisch, er stellt sich als Pilot vor. Bei der Rundflugmaschine handelt es sich um eine Antonov-2 mit Neunzylinder-Sternmotor von 1948.




Pilot Gál Sándor

Ein fünfzehnminütiger Rundflug mit der 1000 PS starken russischen Maschine kostet umgerechnet etwa 30 Euro, eine Investition, die sich lohnt.  Steil zieht Pilot Gál Sándor die AN-2 gen Himmel. Soweit das Auge reicht, breitet sich unter den Tragflächen die Steppe aus. Vereinzelt entdeckt man strohbedeckte Gebäude, dann wieder eine kleine Siedlung, und zum Abschluss dreht Sándor eine Runde über Hortobágy und die Neunlöchrige-Brücke.



Neunlöchrige-Brücke


Zentrale Ausgangsposition für geführte Touren in die
Puszta ist Hortobágy.
Der Ort selbst ist gerademal ein Vierteljahrhundert alt


Markt in Hortobágy


Nur wenige Jahre älter ist die Puszta in ihrer heutigen Art. Über die Hälfte Ungarns bestand einst aus Steppe, Puszta und menschenfeindlicher Sumpflandschaft. Alljährliche Überschwemmungskatastrophen der Theiß machten das Land einerseits außerordentlich fruchtbar, bescherten aber auch immer wieder der Bevölkerung große Not und Elend. Erst als man im vergangenen Jahrhundert den Fluss begradigte und Schutzdämme errichtete, wurde man der Naturgewalten Herr. Die Folgen blieben aber nicht aus. Jetzt fehlte der jährliche Düngeschlamm, und der Grundwasserspiegel sank erheblich ab. Der Boden versalzte zunehmend, und es entstand jene heute einzigartige Salzsteppe. 










In weiser Voraussicht hat die ungarische Regierung die verbleibende Puszta zum Naturschutzgebiet erklärt. Die Fläche beträgt über 80.000 Hektar, unterliegt strenger Aufsicht, öffentlicher Verkehr ist tabu. Hier erleben die Besucher während einer Kutschfahrt, was sie "eigentlich" von Ungarn sehen wollen. Menschen in traditionellen Trachten, Pferdefuhrwerke und Gebäude zeigen das Leben, wie es vor mehr als hundert Jahren war.  Wie einst weiden 600 Pferde, 6000 Rinder und über 100.000 Schafe in Ungarns größtem Nationalpark. Um die Puszta-Romantik anschaulich zu vermitteln, werden spektakuläre Reiterspiele vorgeführt.




Im Hochsommer wird es heiß in der Puszta. Die Luft flimmert, es ist trocken und staubig. Fährt man über die 33 zurück nach Eger, kommt man an der Theiß vorbei. Für ein erfrischendes Bad und für alle Wasserratten lohnt sich der Abstecher nach Abádszalók. Spätestens hier hat einen das moderne Ungarn wieder. Ob Jetski-, Motorboot- oder Wasserskifahren, oder ein Rundflug mit einem Motordrachen, Langeweile kann keine aufkommen. Viele Urlauber sind Ungarn, der westliche Tourismusboom hat dieses Fleckchen Erde offensichtlich noch nicht entdeckt.



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