Praxis


Gabel abstimmen

"Drucksache"

Abstimmung der Telegabel mit verschiedenen Gabelölsorten
und verändertem Luftpolster.

Text&Fotos: Winni Scheibe
Zeichnung: Archiv



"Stoppie" in Perfektion, die Gabel geht auf "Block"

Mit richtig Schmackes kommt unser Sportfreund über die kleine Bergkuppe gedüst. Gleich dahinter folgt eine scharfe, fast um 90 Grad abknickende Kurve, die er aus dem hohen Tempo extrem hart anbremsen muss. Die Telegabel taucht bei dieser Gewaltbremsung weit ein, soweit, dass fast kaum noch nutzbarer Federweg vorhanden ist und das Vorderrad regelrecht über den Asphalt hoppelt. Nur mit großer Mühe kann Speedy sein ins Schlingern geratenes Bike auf Kurs halten und auf der letzten Rille in die Kurve einbiegen. Es ist noch einmal gut gegangen. Ursache für diese Fahrwerksunruhe ist eine falsch abgestimmte Telegabel.

Bei modernen High-Tech Bikes, die über eine Vielzahl von Fahrwerksverstellmöglichkeiten verfügen, ist dieses Problem schnell in den Griff zu bekommen. Mit wenigen Handgriffen wird die Federvorspannung oder die Dämpfereinstellung verändert, und schon liegt das Bike bedeutend besser auf der Straße.



Moderne Bikes verfügen über eine
Vielzahl von Einstellmöglichkeiten


Motorradfahrer, die aber ein Bike besitzen, bei dem sich allenfalls nur die Federbeine verstellen lassen, müssen sich im Großen und Ganzen mit der serienmäßigen Abstimmung zufrieden geben. Wollen sie das nicht, besteht aber doch die Möglichkeit, das Ansprechverhalten und die Dämpferwirkung von der Telegabel zu beeinflussen. Mit etwas handwerklichem Geschick, genügend Zeit zum Basteln, einem Werkzeugsortiment und verschiedenen Dämpferölsorten lässt sich bereits viel erreichen. Grundvoraussetzung für die Neuabstimmung ist eine systematische Arbeitsweise und sie muss an einem Tag durchgeführt werden, damit das Gefühl für die unterschiedlichen Testergebnisse deutlich im Gedächtnis bleibt.



Arbeitet die Gabel mechanisch einwandfrei?

Doch bevor mit verschiedenen Gabelölsorten und Ölmengen herumexperimentiert wird, muss man vorab überprüfen, ob die Gabel überhaupt spannungsfrei zusammengeschraubt ist. Taucht sie nur störrisch und widerwillig ein, liegt es oft daran, dass sie klemmt. Bereits bei der falschen Montage des Vorderrades nach einem Reifenwechsel kann es passieren, dass die Gabelstandrohre nicht mehr 100% parallel verlaufen und so dieser Klemmeffekt entsteht. Aber auch der serienmäßige oder nachträglich angebaute Gabelstabilisator kann für die Gabelverspannung verantwortlich sein.



Zum Abstimmen ist gutes Werkzeug und verschiedenes Gabelöl erforderlich

Alle Schrauben vom Stabilisator, den Gabelklemmfäusten und die Achsmutter werden gelöst. Nun wird das Motorrad vom Ständer genommen und die Telegabel einige Male eingefedert. Die Erfahrung hat hierbei gezeigt, dass es sinnvoll ist, das Vorderrad gegen ein Hindernis zu schieben und nicht die Vorderradbremse als Stopper zu benutzen. Jetzt wird zuerst die Vorderachse korrekt festgezogen und gegebenenfalls mit einem Splint gesichert. Danach wird mindestens 5 bis 10 Mal die Gabel kräftig eingedrückt. Hierbei muss sie absolut sauber ein- und ausfedern. Ist das nicht der Fall, sind aller Wahrscheinlichkeit nach die Standrohre krumm, und der Besuch in einer Fachwerkstatt wird unumgänglich. Erst nach dem "Gabelpumpen" dürfen die Klemmschrauben und danach die Schrauben von dem Gabelstabilisator festgezogen werden. Nach dieser Arbeit ist gewährleistet, dass die Gabel mechanisch einwandfrei arbeitet und man sich nun der eigentlichen Abstimmung zuwenden kann.

Hierzu muss das Motorrad so aufgebockt werden, dass das Vorderrad frei steht und man es ausbauen kann. Jetzt wird das Gabelöl aus beiden Holmen abgelassen, danach die oberen Verschlussschrauben in den Standrohren herausgedreht und die Gabelfedern herausgezogen. Sind die Federn progressiv gewickelt (erkennbar an dem unterschiedlichen Abstand der Federwicklung) muss man sich unbedingt merken, in welcher Lage sie in den Standrohren gesteckt haben, in der Regel ist der progressive Bereich (eng gewickelte Feder) oben. Ebenfalls ist auf die Reihenfolge von eventuell vorhandenen Distanzscheiben und Ausgleichsbuchsen, die mit herausgenommen werden, zu achten. Damit auch wirklich das gesamte Öl abfließen kann, werden jetzt die Tauchrohre einige Male bis zum Anschlag rein- und rausgezogen. Erst wenn das Gabelöl restlos abgetropft ist, werden die Ablassschrauben wieder eingedreht und festgezogen.


Altes Gabelöl muss raus


Die Dämpferwirkung einer Telegabel lässt sich über die Viskosität (Fließverhalten des Öls) des Gabelöles beeinflussen. Dieses Öl ist in den gebräuchlichen Abstufungen: SAE 5; SAE 7,5; SAE 10; und SAE 15 erhältlich. Gabelöl mit der Viskosität SAE 5 bewirkt "weiches" und SAE 15 "hartes" Dämpferverhalten. Da aber kaum jemand von vornherein genau sagen kann, welches Öl für die eigene Gabel richtig ist, bleibt dem emsigen Bastler nichts anderes übrig, als von der niedrigsten Viskosität aus, Schritt für Schritt die einzelnen Dämpferöle zu testen.



Das frische Dämpferöl wird genau abgemessen


Bei der Neubefüllung der Gabel unterscheidet man zwei Angaben: "Füllmenge" in Kubikzentimeter und "Luftpolster" gemessen in Zentimeter. In den technischen Daten wird überwiegend nur die Füllmenge, aber nicht das Maß für das Luftpolster angegeben. Dieser Wert kann beim Händler erfragt werden. Denn das Maß für das Luftpolster ist bedeutend wichtiger als die Füllmenge. Und das erklärt sich so: Werden beide Holme mit der vorgeschriebenen Menge befüllt, kann es trotzdem passieren, dass der Ölstand unterschiedlich hoch ist. Die Ursache hierfür ist restliches Öl in den Holmen oder auch nur ungenaues Abmessen des Dämpferöls beim Einschütten. Aus diesem Grund muss beim Neubefüllen unbedingt Folgendes beachtet werden: Zuerst wird genau die vom Hersteller vorgeschriebene Ölmenge in jeden Holm gefüllt. 


"Pumpen"

Danach muss man die Tauchrohre mindestens 20 Mal behutsam bis zum Anschlag eindrücken und wieder zurückziehen, um ein vollständiges Entlüften des Dämpfersystems zu erreichen. Jetzt werden die Tauchrohre wieder bis zum Anschlag eingeschoben und mit einem Spannband in dieser Position festgehalten. Mit einem Zollstock wird nun vom oberen Gabelrand bis zum Ölstand das "Luftpolster" gemessen. Befindet sich in einem Gabelholm zu viel Öl, kann man mit einer Absaugpumpe (wer solch ein Gerät nicht zur Hand hat, nimmt ein weiches Tuch, das sich vollsaugt) den Ölstand verringern.


Diese Arbeitsbeschreibung mag sich recht umfangreich und übertrieben anhören. Aber nur so lässt sich gewährleisten, dass die Gabel gleichmäßig befüllt ist, die Dämpfung einwandfrei funktioniert und anschließend auch beurteilt werden kann.


(Zeichnung: Archiv)


Luftpolster messen


Nachdem das Vorderrad eingebaut ist und alle Schrauben ordnungsgemäß festgezogen sind, wird eine Testfahrt unternommen. Zeigt sich nun die Gabeldämpfung einwandfrei, hat sich der Aufwand gelohnt. Ist die Dämpfung aber immer noch "zu weich", wird der Arbeitsgang in der gleichen Reihenfolge wiederholt und das Dämpferöl mit der nächsten Viskositätstufe eingefüllt.



Arbeitet die Gabel nun mechanisch einwandfrei und zeigt eine satte Dämpfung, kann es aber immer noch passieren, dass sie beim Anbremsen zu weit eintaucht. Durch Verringern des "Luftpolsters" lässt sich hier Abhilfe schaffen. Genau wie bei der Abstimmung mit verschiedenen Viskositätssorten, kann man das Luftpolster Schritt für Schritt, maximal um 5 bis 10 mm, verringern. Beträgt das Maß zum Beispiel 180 Millimeter, wird in beide Holme etwas Dämpferöl nachgeschüttet, bis das Luftpolster nur noch 170 Millimeter beträgt. Aus Erfahrung muss aber gesagt werden, dass das Maß für das Luftpolster nie geringer als das Maß für den Federweg werden darf. Diese wenigen Kubikzentimeter mehr Gabelöl haben zwar keinen Einfluss auf die Dämpferwirkung, da aber Luft "kompressibel" ist, wirkt sie als zusätzliche, als "progressive Feder" und unterstützt somit die Stahlfeder in der Telegabel. Mit diesem Trick kann das tiefe Eintauchen der Gabel beim Bremsen verringert werden. 
Aus diesem Grund ist das Luftpolster nicht nur für die gleichmäßige Befüllung der Holme wichtig, sondern kann auch als zusätzliche "progressive Feder" in der Telegabel genutzt werden.


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