Im Sommer 1982 ein Wochenende unter
Rockern
"Trachtenverein"
Winni Scheibe wollte mal dem Rockerkult auf die
Schliche
kommen. Er bekam ein Clubjacke vom MC Höringhausen,
musste eine Aufnahmeprüfung bestehen und zog mit
ihnen zur "Deutschen
Rocker-Boxmeisterschaft".
Text: Winni Scheibe
Fotos: Wolfgang Fromm, Winni Scheibe, Archiv-Scheibe |
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Wochenende-Rocker Winni
Scheibe. Im normalen Leben eigentlich ein ganz ordentlicher Kerl. |
Wenn zwei Deutsche ein gemeinsames Hobby haben,
gründen sie einen Verein.
Motorradfahrer sind da nicht viel anders. Manche
von ihnen wollen provozieren: schocken mit abenteuerlicher Aufmachung, die
unsere Gesellschaftsnormen laut sprengen. Sie nennen sich Rocker, im
Sommer 1982 verbrachte ich ein Wochenende mit dem MC Höringhausen
bei der "Deutschen Rocker-Boxmeisterschaft". |
Mitglieder eines echten MCs tragen über dem Leder eine Kutte. Die
Brust schmücken
"Patches",
auf dem Rücken prangte das "Colors". Es ist das Club-Logo. Die
Schriftzüge,
die "Balken" oben und unten, werden "Rockers" genannt.
So
weiß gleich
jeder, wie der Club heißt und woher er kommt.
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Bei einem Fußballspiel eines Zweitligisten
habe ich mehr Bammel als hier." Werner, 26, ein gestandenes Mannsbild
und keine Spur eines Angsthasen. Er stand neben mir auf dem trockenen,
staubigen Clubplatz des MC Shaolin, wo die "Deutsche
Rocker-Boxmeisterschaft" ausgetragen wurde. "Weißt du", setzte er seine
Ansprache an mich fort, "in Deutschland gibt es mittlerweile eine ganze
Menge wild aussehender Motorradclubs. Sicher sind einige schwarze Schafe
unter ihnen, aber man kann die Jungs eigentlich ganz gut einschätzen."
Werner muss es wissen. Er und seine Harley-Davidson kamen aus den Staaten,
wo es noch mehr Rocker-Gangs gibt als bei uns. Seine Worte beruhigten
mich. Außerdem trug ich "leihweise" ja eine MC-Kutte. Eine Jeans-Jacke mit
abgeschnittenen Ärmeln und dem Club-Abzeichen auf dem Rücken, die mich als
"echten" Rocker ausgaben.
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"Hobby-Rocker" für ein Wochenende
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"Nacktarschschlagen"
(Foto: Wolfgang Fromm) |
Um die Kutte des Motorradclub Höringhausen als
"Eintrittskarte" tragen zu dürfen, musste ich einiges über mich ergehen
lassen. "Aufnahmeprüfung" nennen es die Jungs aus Höringhausen, einem
kleinen Ort in der Nähe von Kassel. Unter dem Gelächter von 30 Rowdies
zogen sie mir die Hose runter und schlugen mit der flachen Hand auf mein
wertes Hinterteil. "Nacktarschschlagen" nennen die Bengels dieses
derbe Spiel. Alle Anstrengungen, dieser Aufnahmeprüfung zu entgehen,
gelangen nicht. Zwanzig kräftige Hände hielten mich. Nachdem ich mühsam
meine Hose wieder hochgezogen hatte, klopfte mir Clubvorstand Jupp mit
einem brachialen Schlag freundschaftlich auf die Schulter: "... auf
diesen Schreck trinken wir einen..." Die Runde bezahlte natürlich ich.
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"Kraftprobe"
(Foto: Wolfgang Fromm)
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Nun zur Kraftprobe", drängte Herbert. Er legte seine
Daumen aneinander und drückte sie fest auf der Tischplatte zusammen. Ich
musste wiederum mit meinem Daumen oben draufdrücken und sie auseinander pressen.
Es gelang mir sogar. Doch in meinen Triumph mischte sich beißender
Schmerz. In meinem Daumen steckte ein Reißnagel. Herbert hatte ihn
zwischen seinen Daumen versteckt.
Wenn nicht die Aufnahme eines Neulings auf dem Programm steht, geht
es beim MC Höringhausen weniger wild zu. Da wird an Maschinen
geschraubt, Tipps ausgetauscht oder es wird schlicht bei einem Bier
zusammen gesessen und geredet. Und natürlich Ausfahrten organisiert. Wie
an diesem Wochenende nach Sennelager.
Punkt zwölf Uhr standen 15 Motorradfahrer vor dem Clubhaus. Ich mit meiner
Harley-Davidson Wide Glide mitten unter ihnen. Mit schwarzem Leder und der
übergezogenen Jeansjacke samt Clubabzeichen und einer Ledermütze sah
ich aus wie einer von ihnen. Eigentlich hätten wir längst losfahren
können. Doch einer fehlte noch. Endlich kam Schmatzeck. "Bei meiner Honda
ist der Gaszug gerissen", entschuldigte er sich. "Dann steig ins Auto",
brüllte einer hinter mir.
Schmatzeck verzog sein Gesicht: "Ins Auto? Nee, dann bleibe ich lieber
hier."
Luc hatte zum Glück auf seiner Moto Guzzi noch einen Platz frei. Wir
starteten unsere Maschinen und ab ging`s. Ich überschlug nochmal schnell
mein Punktekonto in Flensburg. Denn als "echter" Rocker brauchte ich mich
natürlich nicht an die Verkehrsregeln zu halten. Glaubte ich. Meine
Bürgermeinung war jedoch bald zerstört. Jupp, der Präsident des
nordhessischen MCs, fuhr mit seinem Guzzi-Gespann voran. Im gleichmäßigen
Abständen, immer schön versetzt, folgte ihm seine Truppe.
Gegenseitiges Überholen beim Marschtempo von 80 Stundenkilometern blieben
aus. Manch "seriöser" Motorradclub könnte sich da eine Scheibe von den
"wilden" Haufen abschneiden. Sogar ein Auto war bei unserem Tross dabei.
Gitte, die Freundin des Pechvogels Schmatzeck, musste den Anhänger mit
Clubzelt, Regenklamotten und anderen wichtigen Utensilien gen Norden
ziehen.
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Edel-Chopper:
Manfred "Krümmel" und Bernd "Tänzer" vertrauen auf ihre AME-Exponate
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Meine vorgefasste Meinung, dass sich Rocker auf ihren
Treffen immer prügeln und betrinken, stimmte. Aber nicht so, wie ich es
mir vorgestellt hatte! In Sennelager war die "Deutsche
Rocker-Boxmeisterschaft" im Mittel- und Schwergewicht angesagt. Ein gutes
Dutzend befreundeter Motorradclubs waren da. Von "meinem" MC hatten
sich zwei Kämpfer angemeldet: Jürgen und Luc. Nachdem durch Los über die
Paarung entschieden waren, rief der Präsident des Gastgeberclubs Shaolin
die Boxsportler auf.
Luc musste gegen den Champion des letzten Jahres antreten. Obwohl er
lautstark von uns unterstützt wurde, dauerte Luc`s Kampf nicht
lange. Henry, der Boxmeister des letzten Jahres, ließ ihn bereits in der
zweiten Runde k.o. gehen. Natürlich brüllten wir "foul", "unfair"
und "Scheiße" und gaben unsere Abneigung gegen den Ringrichter mit
erhobenen Fäusten deutlich zum Ausdruck. Mit Unmengen Bier und anderen
Drinks spülten wir unseren Groll hinunter. Als Jürgen, unser zweiter
Kandidat, gegen Hubert, "die Kampfmaschine" aus München antrat, hatten wir
bereits jeden Menge Stimmung. Der Kampf wurde zum Match des Abends. Kaum
einer von uns verstand so richtig etwas vom Boxsport, und doch ließen sich
alle mitreißen. Besonders Schmatzeck war voll in Form. Vor lauter
Begeisterung beugte er sich so weit vor, dass er mit einem spektakulären
Salto über die Seile in den Ring fiel.
Das Match dauerte lange. Keiner der beiden Hobby-Boxer ließ sich
unterkriegen. Nach fünf Runden sollten die Zuschauer den Kampf
entscheiden. Die Sympathien lagen bei der "Kampfmaschine"! Dem
bereits 42jährigen
Hubert klatschten die meisten Rocker zu. Der "Alte Mann" war damit
deutscher Rocker-Boxmeister 1982.
Nun ging man dazu über, beim Bier über die Kämpfe, Schwierigkeiten mit
anderen Clubs und über Ersatzteile für Chopper, ihre "Bikes", zu
reden. "Wir sind wie eine große Familie", ließ mich einer mit fester
Überzeugung wissen.
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Rocker im Ring:
Hubert, "die Kampfmaschine" aus München, schlug unseren Jürgen.
Wir waren unheimlich sauer.
(Foto: Wolfgang Fromm)
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Die Clubs sind, bis auf gelegentliche Ausnahmen,
untereinander befreundet. Vor dem Treffen hatte der Chef von den MC
Shaolin alle eindringlich gewarnt: "Bei unserem Treffen will ich keine
Waffen sehen. Bringt eure Schießeisen, Messer und Schlagstöcke nicht mit."
Er drohte sogar: "Wenn hier einer mit so was aufkreuzt, kommt er nicht mehr
heil vom Platz."
Im Laufe der Zeit traute ich mich auch an die Rockerladies heran. Die
Jungs hatten ihre Mädchen zwar immer im Auge, aber solange ich mich mit
ihnen nur "auf Distanz" unterhielt, konnte eigentlich nichts passieren.
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Winni ist mächtig am Baggern. Doch Rocker
halten ihre Bräute unter strenger Bewachung ...
(Foto: Wolfgang Fromm)
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Immer wieder hörte ich die gleichen Aussagen: "...
Hier ist wenigstens etwas los ..." oder "... Nicht so langweilig wie die
ewige Disco-Hockerei ...". Und am meisten dies: "... Wir haben eine dufte
Kameradschaft ..." Auch die Rocker suchen nur das, was sich woanders Leute
in ihrem Tennis-, Fußball- oder Schützenverein züchten: Nestwärme.
Im Sattel meiner Harley-Davidson zog ich bei maximal 80 Sachen auf der
Heimfahrt Resümee. Mit einem seriösen "Motorradtreffen" kann man diese
Boxer-Rally sicher nicht vergleichen. Aber ich hatte genauso wie die
Bengels meinen Spaß an diesem Wochenende. Und ich hatte eine schöne
Motorradfahrt mit Freunden hinter mir, habe das Gruppenerlebnis in vollen
Zügen genossen. Wie ich werden die "Rocker" ihre Kluft abends zur Seite
legen und Montag morgen als "Otto-Normalbürger" brav zur Arbeit
gehen. Bis zum nächsten Wochenende oder der nächsten Ausfahrt mit den
Freunden...
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