Portrait


MC Höringhausen 1979

"My Home is my Castle"

Der Schicksalsschlag war hart. Nach dem verheerenden Brand
 wusste zunächst keiner, wie es weitergehen sollte. Ein Clubleben
ohne Clubheim. Unvorstellbar. Doch die Jungs hielten zusammen,
ließen sich nicht unterkriegen. Sogar der  Bürgermeister war begeistert:
Der Motorrad-Club Höringhausen baut sich ein feudales Clubhaus.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Jochen Göbel/MC-Höringhausen-Archiv, Wolfgang Fromm, Winni Scheibe



(Foto: Wolfgang Fromm)


Nachts um halb drei läuteten die Kirchenglocken Sturm. Wenige Minuten später ging in fast allen Fenstern das Licht an. Aufgeregte Rufe und Schreie erfüllten die Straßen des kleinen Dorfes in Nordhessen. Irgendwoher heulte ein Martinshorn. Menschen liefen aufgeregt vors Haus und riefen: „Die Hütte brennt!" Und noch ein Lärm erfüllte die Nacht: Motorengeheul schwerer Maschinen. Ohne Helm auf dem Kopf, nur mit dem Nötigsten bekleidet, jagten verwegene Motorradfahrer zu ihrer "Hütte". Darüber, am Himmel, ein heller, rötlich-gelber Schein. Als einer der ersten war der 25jährige Horst Willi Brand, von allen nur "Schmatzeck" genannt, da. Mit versteinertem Gesicht stand er da – vor seiner Hütte. Das ohrenbetäubende Prasseln des lodernden Holzes schien er nicht zu hören, seine Augen waren wie starr auf die brennenden, in sich zusammenfallenden Bohlen gerichtet, verzweifelt, hilflos. Nach und nach kamen auch seine Clubkameraden dazu, versteinert, wie gefangen genommen, wortlos, ohnmächtig. Keiner konnte es fassen. Alle Mühen und die Arbeit hunderter von Stunden waren zerstört, der Schock saß tief.


Die Jungs aus Höringhausen waren vom Motorradbazillus befallen

 


(Fotos: Jochen Göbel)


Höringhausen zählt 1300 Seelen, liegt im Ferienland Waldeck, tief in der Provinz. Anfang der 1970er Jahre teilte man sich drei Wirtshäuser und eine Kirche. Es gab einen Gesangs-, Sport- und Schützenverein und die Freiwillige Feuerwehr. Die nächste Discothek lag in Korbach, zwölf Kilometer entfernt. Kein überwältigendes Angebot für die Jugend, die gern mal so richtig einen drauf machen wollten. Nicht wissen wohin mit ihrer Energie, die etwas erleben wollen, jetzt, hier und heute. Der Generationskonflikt war voll im Gange. Erwachsene und Jugendliche, es herrschte "Krieg". Es wurde widersprochen, aufgemotzt, nichts ließ man sich sagen oder gefallen. Dazu lange Haare, Jeans, und Parkas und dann noch von morgens bis abends diese "Hottentotten- Musik", die Eltern verstanden die Welt nicht mehr.



Und noch etwas kam Anfang der 1970er Jahre bei den "Halbstarken" in Mode: Motorräder. In Höringhausen gab es vier 250er BMW R26 und eine 350er Horex Regina. Das war der harte Kern, der Rest von der Clique machte mit 50er Kleinkrafträdern die Gegend unsicher. Im Sommer 1971 kam man auf eine verrückte Idee: "Wir gründen einen Motorradclub". Der Beschluss für das Vorhaben fiel, wie konnte es auch anders gewesen sein, in ihrer Stammkneipe "Schinderhannes". So hieß die verrufene Discothek in Korbach, die für Schüler, Auszubildende, Halbstarke, Rocker, Beat- und Rockfans und für alle ,die dazu gehören wollen, Dreh- und Angelpunkt war. Bis es allerdings so weit war, soll es noch etwas dauern. Die Freunde suchten nach einem passenden Club-Namen, sponnen über einer Clubsatzung, überlegten ,was man alles gemeinsam unternehmen könnte, ob man noch andere aufnehmen soll oder ob man besser unter sich bleiben wollte und wie viel der monatliche Clubbeitrag betragen dürfte. Und dann kam noch einer auf den Gedanken, man bräuchte ja auch noch einen festen Treffpunkt.


Für 20 Mark im Jahr: "My Home is My Castle"

 


Till, mit bürgerlichem Namen Norbert Schmidt, hatte den zündenden Gedanken. Im Oktober 1971 überzeugte er seinen Vater dem inzwischen neu gegründeten "Motorrad-Club Höringhausen" einen leeren Geräteschuppen einschließlich Grundstück für 20 Mark im Jahr zu verpachten.
Das Gebäude war ein ziemlich vergammelter Holzschuppen, ohne Heizung, Stromversorgung und Wasseranschluss. Doch immerhin, es wurde ihr Clubheim. Ein Treffpunkt mit einem Dach über dem Kopf. Wie alles
mal werden sollte, hatten sie im Geiste schon fertig. In den nächsten Wochen wurde gegraben, gesägt, gehämmert.
Es wurden ausrangierte Möbelstücke, Teppiche, Gläser, Geschirr und wer weiß was sonst noch, organisiert. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, eine einfache, aber urgemütliche Partybude.


Norbert "Till" Schmidt
(Foto: Jochen Göbel)



Horst Willi "Schmatzeck" Brand


Es war wie ein Nest zum Abtauchen und Kuscheln. Und das spracht sich bald herum. "Unter den jungen Girlys im Ort wurde unsere Hütte schon bald als Geheimtipp gehandelt. Sehr zum Leidwesen mancher Eltern. Einige ahnten Schreckliches und tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Alle möglichen Gerüchte waren im Umlauf, was da draußen bei den wilden Rockern nachts
so alles passieren würde", verrät Schmatzeck mit einem breiten Grinsen.

 


Im Winter wurde ein alter Bullerofen angeheizt, bei Grog oder Glühwein ließen sich bis spät in die Nacht tolle Benzingespräche führen. Es wurden Pläne für die nächste Saison geschmiedet, man hatte unheimlich viel Spaß zusammen. Eigentlich war immer etwas los und falls nicht, dann ließ man sich eben etwas einfallen.



Gruppenbild um 1976



Bernd "Tänzer" und Herbert
(2 Fotos: Jochen Göbel)


Natürlich blieb es nicht bei den fünf Motorrädern. Bald standen Hondas, ein paar Suzukis und sogar eine Harley-Davidson vor der Tür. Eine vorgeschriebene Markenpflicht gab es nicht, wichtig war nur, das Clubmitglied musste ein Motorrad besitzen. Doch nur einen Monatsbeitrag zu zahlen reichte nicht aus, um im Motorrad-Club Höringhausen aufgenommen zu werden. Einer Zehn-Punkte-Clubordnung müssten sich alle Mitglieder unterstellen, für Anwärter gab es extra Regeln und Aufgaben. Wer diese bestanden hatte, war jedoch noch längst nicht mit dabei. Erst wenn alle zugestimmt hatten, gehörte der Neue mit dazu.



(Foto: Jochen Göbel)


Diesen selbst auferlegten Verpflichtungen war es zu verdanken, dass es eigentlich keine nennenswerten Schwierigkeiten mit den Höringhäusern Anliegern gab. 20 Mark Strafe in die Clubkasse waren fällig, wer betrunken Motorrad fuhr. Wer schneller als 30 Sachen durch die Wohnsiedlung zur Hütte raste, zahlte 5 Mark. Und noch etwas machte die jungen Wilden bei den Einheimischen beliebt: Jedes Jahr veranstalteten sie ein "Schlachte-Essen" - das ganze Dorf war eingeladen. Motorrad-Filmabende und ein "Tag der offenen Tür" taten dazu ihr übriges. Als der Club nach einer Kirmesveranstaltung in Höringhausen der "Aktion Sorgenkind" 335 Mark überreichte, war der "Rocker-Verein" voll in die Dorfgemeinschaft integriert.



Wie auf einem echten Bau, ohne Kasten-Bier geht nichts


Als die Gemeinschaft immer größer wurde, spuckten sie im Sommer 1975 wieder kräftig in die Hände und bauten ihre Hütte weiter aus. Die Wände wurden isoliert, Boden und Decke erneuert, jeder packte mit an und organisierte billige Baustoffe.



Das Team vom Bau:
Jupp und Autor Winni
(Foto: Jochen Göbel)



(Foto: Jochen Göbel)


Die Sommerferien verbrachten die Clubmitglieder gemeinsam in England, Südfrankreich oder Jugoslawien. An den Wochenenden besuchten sie befreundete Motorrad-Clubs.


Neid und Missgunst

 

Überall gibt es Neider, auch in Höringhausen. Irgend jemand hatte die Bengels angezeigt. Eines Tages stand plötzlich das Bauamt vor der Tür. Die Hütte sollte in ihren ursprünglichen Zustand als landwirtschaftlicher "Lagerschuppen" zurückgebracht werden, so die Order, kein Pardon, keine Ausnahme. Leider hatte keiner vom Club daran gedacht, für die Nutzungsänderung und die Umbauten eine Baugenehmigung einzuholen. "Die Leute aus dem Dorf haben uns wirklich toll unterstützt", betont "Münze". "Eine Unterschriftensammlung hat uns gezeigt, dass die ganze Gemeinde, einschließlich des Ortsvorstehers Herrn Elkmann, hinter uns stand."
Doch dann löste sich das Problem von selbst. Am 10. Dezember 1977, morgens um 2 Uhr 30, "brannte das Clubhaus des Motorrad-Clubs Höringhausen aus nicht geklärter Ursache ab, wobei ein Sachschaden von 20.000 Mark entstand". So jedenfalls stand es am nächsten Tag in der Zeitung. Auch die folgenden polizeilichen Ermittlungen brachten kein eindeutiges Ergebnis. "Egal", sagt Schmatzeck, zwei Jahre nach dem schwärzesten Tag in der Club-Geschichte. "Wir haben uns auf jeden Fall nicht unterkriegen lassen. Nach langem Suchen hat uns die Gemeinde Höringhausen ein Stück Land zur Verfügung gestellt, auf dem wir ein neues Clubhaus bauen können. Da fast alle Berufe in unserem Club vertreten sind, können wir alles in Eigenleistung machen. So sparen wir gut 100.000 Mark."



Vor Baubeginn hatte jedes Mitglied 200 Mark Baukapital eingebracht, verschiedene Veranstaltungen brachten den Rest zusammen.
"Wer gedacht hat, unser Club würde nach dem Brand auseinander fallen, der hat sich schwer getäuscht", betonte Schmatzeck zufrieden. "Der Zusammenhalt ist noch viel größer geworden."
Im Frühjahr 1981 feierte der Motorrad-Club Höringhausen mit Freunden und dem halben Dorf das Richtfest.



Richtfest Fete
(Foto: Jochen Göbel)


MC-Höringhausen

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