Offroad


Vom Scrambler zur großen Reise-Enduro

Vorläufer heutiger Enduros waren Anfang der 60er Jahre
die Scrambler. Es waren pfiffige Straßenbikes, die man mit
breitem Lenker, hochgelegtem Auspuff und Stollenreifen
geländetauglich gemacht hatte. Im Laufe der Zeit haben sich
aus diesen Grashüpfern waschechte Offroad-Bikes mit
ausgezeichneten Fernreise- Eigenschaften entwickelt,
die als große Reise-Enduros längst ihren
festen Platz im Motorradmarkt gefunden haben.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk




Yesterday und Gegenwart


Stollenbereifte Offroad-Bikes haben sich längst etabliert. Jeder Fünfte, oder besser gesagt knapp 20 Prozent der Motorradfans, entscheidet sich beim Kauf für ein Bike mit Sand-, Sturm-, Wüsten- und Abenteuerflair. Schließlich sind Enduros für solche Extremtouren gedacht und auch gebaut. Eigentlich. In der Praxis sieht es allerdings ganz anders aus. Nur wenige Enduristen verlassen mit ihren Schlamm- und Geröllbezwingern den Asphalt. Auch kein Wunder. Wer hat vor der Haustür schon die unendliche Weite der Sahara, und einfach über den Acker brettern kann verdammt teuer werden, Abstecher in Wälder und auf Wiesen sind ebenfalls verboten.


Die ersten Pistenjäger nannte man "Scrambler"


Triumph 500 Trophy



Honda CL 450



Bridgestone 175er Hurricane


In den 60er Jahren kam man bei den großen Herstellern auf die "Offroad-Idee". Abgesehen von allen möglichen Geländesportarten, die es seit Erfindung des Motorrades gibt und bis dahin immer Randerscheinungen waren, konnte nun jeder ein Pisten-Bike direkt von der Stange kaufen. Zunächst waren es lustige Grasnarbenhüpfer, allerdings bessere Straßen- als Offroadbikes. Und weil es Anfang der sechziger Jahre mit der echten Geländetauglichkeit noch nicht so weit her war, nannte man sie nicht "Enduro", "Super-Enduro" oder "Hart-Enduro", sondern Scrambler. Fast alle Marken hatten solche Dreckspatzen im Angebot. Zum Beispiel Honda die 250er CL72, 305er CL77 und 450er CL450, Yamaha die 250er YDS-3D, Suzuki die 90er TC90, Kawasaki die 175er F1TR und 650er W2TT, Bridgestone die 175er Hurricane, Ducati eine 250er, 350 und 450er Scrambler, Triumph die 500er Trophy, BSA die Gold Star 500, und sogar Harley-Davidson konnte im Sportster-Programm mit einer Scrambler aufwarten.



Ducati Scrambler 350
(Prospekt von 1968)


Das Strickmuster war bei allen Firmen mehr oder weniger gleich. Bewährte Straßenmaschinen dienten als Basis, sie wurden mit einem kleinen Scheinwerfer, breitem Lenker, winzigem Tank, kurzer Sitzbank, hochverlegter Auspuffanlage und Stollenreifen zum Scrambler umfunktioniert. Der Trick kam damals richtig gut an. Besonders bei den Boys in den USA. Motorradfahren war bei den Amis nämlich total "in" und weil das Land so unendlich weit und abenteuerlich ist, wurden die Scrambler zum Verkaufshit. Probleme, abseits der endlosen Highways geeignetes Gelände zu finden, hatte sicherlich kaum einer. Was früher für die Cowboys die Pferde waren, wurde für die verwegenen Motorradboys die Scrambler. Es waren strapazierfähige Eisen, mit denen sie durch dick und dünn knattern konnten.
An lange Federwege, möglichst viel Bodenfreiheit unter dem Triebwerk, Bodenschutz für den Motor, rutschfeste Fußrasten, Handschützer, hochversetzte Schutzbleche, kernige Motorencharakteristik, praktische Alu-Seitenkoffer oder gar buntes Outfit dachte hingegen bei den Herstellern damals jedoch noch keiner. Warum auch. Mit einer Scrambler wanderte man durchs Gelände, bezwang "Hindernisse". "Scramble" heißt nämlich so viel wie "raufkommen" oder "überklettern". Und so verstand jeder unter stilechten "Scramblern", sich einen Schotterweg suchen, die Bergspitze erobern und nach erlebtem Abenteuer über den Highway nach Hause zurückfahren.


Die XT 500 wurde zur "Kult-Enduro"


Urahne aller modernen Enduros: Yamaha XT 500


Nun gab es aber ganz knallharte Burschen, die sich mit solchen Spazierfahrten durchs Grüne nicht zufrieden geben wollten. Sie beteiligten sich an Wüsten-Rallyes, knallharte Spektakel über Stock und Stein, die Mensch und Maschine voll forderten. Solch eine Rallye durch halb Mittelamerika gewann 1962 Dave Eins mit einer Werks-Honda CL72 Scrambler. Doch bis sich aus den braven Scramblern unsere heutigen Enduros entwickelten, musste noch viel Staub in den Wüsten aufgewirbelt werden. Als Yamaha aber 1975 die brandneue XT 500 auf den Markt brachte, war die Scrambler-Ära plötzlich Vergangenheit. Die XT 500 wurde nicht nur Urahne sämtlicher nachfolgenden Enduros, ganz gleich von welchem Hersteller sie angeboten wurden, sie verschaffte sich auch den Ruf der "Kult-Enduro". Ein beinhartes Geländemotorrad für starke Männer, die weder nach einem E-Starter noch nach irgendwelchem Komfort, noch nach einer 12 Volt-Lichtanlage verlangten.




Längst war der Motorradboom nach Europa geschwappt, ohne allerdings die Scrambler-Mode mitzubringen. Geländemaschinen hießen bei uns nämlich Enduro, Enduro klang ja auch viel schärfer. Das Wort "Enduro" kommt aus dem Spanischen und heißt so viel wie: "ausdauernd" oder "nicht aufgeben". Konnten die Scrambler in den Staaten bereits ordentliche Erfolgsergebnisse erzielen, setzten die Enduros weltweit noch eins oben drauf. Neben Sport- und Tourenmaschinen war nicht nur ein neuer Motorradtyp, sondern auch eine neue Motorradfahrergeneration entstanden. Ihnen machte es nichts aus, sich durch Schlamm und Dreck zu wühlen. Ganz im Gegenteil. Je weiter weg sie von der Zivilisation waren, um so größer war für sie die Herausforderung und das Abenteuer.







Die ersten Enduros waren leichte, handliche und robuste Einzylinder-Maschinen, mit Zwei- oder Viertakt-Triebwerken, die im Vergleich zu den besagten Scramblern nun bedeutend bessere Geländeeigenschaften besaßen. Theoretisch jedenfalls, Praktisch lag für die meisten die Prärie jedoch meilenweit entfernt. Aber allein die Gewissheit, wenn man wollte, dann könnte man, beruhigte die Abenteuerlustigen sich in der freien Wildbahn austoben zu können. Endurofahren verkörperte das Ursprüngliche, signalisierte Ungebundenheit und somit die Freiheit dahin zu fahren, wohin die Nase zeigte. Entgegen dem eigentlichen Einsatzzweck, nämlich querfeldbeet zu brettern, bedienten sich fernreiselustige Motorradfahrer immer häufiger Enduros um ihre Urlaubsziele am Ende der Welt zu erreichen. Noch lange bevor es alles Mögliche an Zubehör gab, bastelten sich die Globetrotter Sturzbügel, Gepäckhalterungen, Staukästen aus Alublech und wer weiß was sonst noch an praktischen Dingen an ihre Maschinen.


Die erste große Reise-Enduro war 1980 die BMW R 80 G/S


BMW R 80 G/S von 1980


Diesen neuen Trend erkannte BMW als erster und präsentierte 1980 die R80G/S. Ein zunächst gewöhnungsbedürftiges bajuwarisches Boxer-Bike, das sowohl im Gelände, dafür stand das "G", wie auch auf der Straße, deswegen das Kürzel "S", bewegt werden konnte. "Fachleute" und Experten, die sich dazu zählten, waren sich jedoch einig, dass es sich hierbei nur um eine kurzlebige Modeerscheinung handeln würde. "Zwitter"- Motorräder, die weder Fisch noch Fleisch seien, wolle doch kein gestandener Motorradfahrer haben, waren sie sich sicher.



BMW R 80 G/S von 1982


Sie sollten sich jedoch gründlich irren. Der Bazillus "Enduro" hatte schon bald rund 20% der Motorradfraktion befallen. Anfang der 80er gab es kernige Enduros von Honda, Yamaha, Suzuki, Kawasaki und BMW. Aber auch die sonst so für ihre sportlichen Straßenflitzer berühmten Italiener mischten im Enduro-Markt mit. Moto Morini schickte ihre Kundschaft mit der 500 Camel ins Gehege und Moto Guzzi hatte erst die V35TT und später die 1000 Quota als Offroad-Bike im Programm.



Moto Guzzi Enduro



Moto Morin Enduro


Zum ungeahnten Werberträger für die Enduro-Szene war bereits 1979 die erstmals ausgefahrene Wüsten-Rallye "Paris-Dakar" geworden, die damals der Franzose Cyril Neveu auf einer Yamaha XT 500 gewinnen konnte. Von leichtgewichtigen Geländehüpfern konnte aber bald kaum mehr die Rede sein. Als Honda 1983 die gut 220 kg schwere XLV750R mit V2-Motor auf dem Markt brachte, sprach man ab dieser Zeit von der "Super-Enduro". Genau wie in den anderen Klassen hatte nämlich auch hier eine Entwicklung zu immer größeren, stärkeren und schnelleren Enduros begonnen. Die Reifenindustrie backte Stollen-Pneus, die locker 200 Sachen standhielten und die Zubehörhersteller hatten den Markt ebenfalls längst entdeckt. Zum Renner wurden ausgeklügelte Gepäcksysteme, die Stauraum für den halben Hausstand, fürs Werkzeug und Ersatzteile boten.



Yamaha XT 600



BMW R 100 GS


Was mit dem Begriff "Reise-Enduro" gemeint war, demonstrierte Honda 1986 mit der Transalp: ein Straßenmotorrad mit bedingten Geländeeigenschaften und wir erinnern uns gleich an die Scrambler aus den 60er Jahren. Zwei Jahre später brachte Honda die African Twin und Yamaha die Super Ténéré als waschechte Super- oder Reise-Enduros auf den Markt. Beide Offroad-Bikes wurden von leistungsstarken Zweizylinder-Viertaktmotoren auf Trab gebracht und ließen erahnen, was zukünftig in diesem Bereich zu erwarten war. Ganz anders aber bei Suzuki. Nachdem man 1988 die Einzylinder-Enduro-Fans mit der DR 750 Big beglückte, vergrößerte das Werk 1990 den Hubraum auf gewaltige 800 ccm und konnte so mit Stolz behaupten, den Hubraumrekord in der Single-Klasse für sich in Anspruch zu nehmen. Letztendlich setzten sich jedoch großvolumige Zweizylinder-Triebwerke und bei Triumph sogar ein Dreizylinder-Motor durch. Aggregate, die im Schlamm nicht gleich schlapp machten und für lange Touren über genügend Power verfügten.


Honda Transalp



Honda African Twin


Große Reise-Enduros hier und heute

Große Reise-Enduros sind fast so exklusiv wie noble Land-Cruiser. Sie kosten zwischen 9.990 und 12.490 Euro, wiegen zwischen 225 und 266 kg, leisten von 85 bis 99 PS und sind zwischen 190 und 220 Stundenkilometer schnell.



Aprilia ETV Caponord
(Foto: Werk)



BMW R1150GS Adventure


Wer sich heutzutage eine große Reise-Enduro zulegen möchte, kann gleich zwischen sieben Marken wählen: Aprilia, BMW, Cagiva, Honda, KTM, Suzuki und Triumph. Durch die Bank weg sind es alle zuverlässige und ausgereifte Maschinen und selbst die brandneue KTM hat bei der diesjährigen Wüsten-Rallye "Paris-Dakar" nachhaltig gezeigt, was in ihr steckt. Der französische KTM-Werkspilot Richard Sainct gewann souverän mit dem Zweizylinder-Wüstenrenner die härteste Geländefahrt der Welt, nachträglich herzlichen Glückwunsch!



Triumph Tiger



Autor Winni Scheibe mit der neuen BMW R 1200 GS 2004 in Südafrika
(Foto: Werk)


In der Konzeption liegen die glorreichen Sieben auf ähnlich hohem Level. Die Motorencharakteristik ist auf guten Durchzug ausgelegt, die Fahrwerke haben lange Federwege und sind komfortabel abgestimmt. Eine bequeme Sitzbank sorgt beim Fahrer und Beifahrer für hervorragende Reisetauglichkeit. Je nach Anspruch lassen sie sich mit sinnvollem Zubehör wie zum Beispiel Seitenkoffern, Topcase, heizbaren Griffen und Nachrüst- Hauptständer als vollwertigen "Orient-Express" oder "Abenteuer-Enduro" für Reisen bis ans Ende der Welt aufrüsten.


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