Motorrad-Marken


Fahrbericht Yamaha TRX 850 von 1995

"Copy-Rider"

Yamahas neuster Sportler ist die TRX 850. 
Er ist feuerrot, und im filigranen Gitterrohrrahmen rumort ein 
Zweizylinder-Motor, der verdammt nach Ducati klingt. 
Müssen die Ducatisten nun zittern?

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Yamaha-Werk

 



(Foto: Werk)

Der Ideenreichtum kennt keine Grenzen. Mitte der 60er Jahre retteten Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki den Motorradmarkt weltweit vorm sicheren Ende. Mit modernen, leistungsstarken Zweitakt- und Viertakt-Maschinen begann ein neues Motorradzeitalter. Motorräder waren plötzlich nicht mehr einfache "Transportmittel", sondern wurden zum Hobby,- Freizeit- Spaß- und Sportgefährt. Es dauerte nicht lange, und die Japaner waren überall Markführer. Um diese Position weiter auszubauen, vergrößerten die Asiaten ständig ihr Angebot. Mitte der siebziger Jahre brachten sie die Enduros, Anfang der achtziger Jahre die Soft-Chopper, Mitte der achtziger Jahre die Superbikes und vor vier Jahren die Naked-Bikes auf den Markt. Diesen Erfolg muss man neidlos anerkennen. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Ohne Respekt vor einer altehrwürdigen amerikanischen Motorradmarke bauen die Japaner aber auch Chopper, die den Harleys verdammt ähnlich sehen. Harley-Davidson kann darüber nur lachen. Seit Jahren hat man bereits in jedem Herbst die gesamte Produktion für die darauf folgende Saison verkauft.



Feuerrot und brandneu für die Saison 1996 ?
Yamaha TRX 850


Nun geht es der nächsten Traditionsmarke an den Kragen. Yamaha hat mit der neuen TRX 850 ein Zweizylinder-Sportbike auf den japanischen Markt gebracht, das einer Ducati nicht nur zum Verwechseln ähnlich sieht, sondern, man höre und staune, auch noch so klingen soll. Eine Meldung, die die Ducatisten in Aufruhr versetzen wird. Doch gemach, vorerst wird es den Poltergeist nur in Japan geben. Die Gründe sind einleuchtend: Durch eine neue Führerscheinregelung sind großvolumige Sportmaschinen stark im Kommen, japanische Biker bevorzugen immer mehr das Individuelle, und obendrein stehen sie auf europäische Produkte - auch wenn die Sachen nur so aussehen. Doch echt italienisch sind bei der TRX 850 tatsächlich die Vierkolben-Bremszangen von Brembo an der vorderen Doppelscheibenbremse. 



(Foto: Werk)


Beim Gitter-Rohrrahmen geben die Yamaha Techniker zwar den Blick nach Bologna zu, doch ganz gleich, ob Ducati Vorbild war oder nicht, wer heute ein leichtes, stabiles und kostengünstiges Chassis bauen will, kommt an diesem Bauprinzip nicht vorbei. Die Tage der Upside-down Gabel scheinen gezählt, vorne werkelt eine konventionelle Telegabel mit 41 mm Standrohrdurchmesser. Ein Zugeständnis an die Sportlichkeit sind die individuellen Abstimmmöglichkeiten der Federvorspannung und Dämpferzugstufe. Die Alu-Hinterradschwinge mit Umlenkhebel und das vielfach verstellbare Monofederbein darf in diesem Marktsegment als Standard betrachtet werden. Schick sind die Dreispeichen-Gussräder, auf die vorn 120/60 ZR 17 und hinten 160/60 ZR 17 Michelin Pneus montiert sind. Halbverkleidung, Tankform und Sitzbank kommen dafür dem Aussehen der Ducati 750 SS wieder sehr nahe.


270 Grad-Hubzapfen
(2 Fotos: Werk)


Doch bei aller Ducati-Frotzelei, beim Triebwerk hört der Spaß auf. Denn der Yamaha-Motor hängt weder in "V"-Form im Rahmen, noch werden die Ventile desmodromisch betätigt. Die Basis des TRX 850 Aggregates ist ein alter Bekannter von der TDM 850 und XTZ 750 Super Ténéré, doch für seine neue Aufgabe haben die Yamaha Leute mächtig tief in die Trickkiste gegriffen. Laufen bei Zweizylinder-Reihenmotoren normalerweise die Kolben im Gleichschritt rauf und runter (360 Grad), oder entgegengesetzt, einer rauf, einer runter (180 Grad), ist das beim TRX-Motor ganz anders. Damit der Motor einen ganz persönlichen Laufcharakter bekommt, wurden die Hubzapfen um 270 Grad versetzt, d.h. ist ein Kolben oben, befindet sich der andere gerade in der Mitte. Diese Konstruktion erfordert einen speziellen Zündversatz von 270, 450, 270 Grad. Und so zündet auch der Ducati V-Motor. So ein Zufall. Nicht zufällig ist die Klangähnlichkeit. Das war beabsichtigt. Schließlich will man den japanischen Bikern etwas europäisches Flair rüberbringen.


Der Ducatist wird wohlwollend auf die TRX schauen und sagen:
"Endlich haben die Japaner kapiert, was wir wollen..."



Wann und ob die TRX 850 nach Europa kommt, ist noch vollkommen offen. Doch wünschen sollten wir`s uns, sollten zu unseren Händlern gehen und sie löchern. Spätestens nach der ersten Probefahrt wird sich herausstellen, dass Yamaha mit dem Brummer ein verdammt guter Wurf gelungen ist. Die TRX 850 ist nämlich ein "BOT-Renner" mit satten 83 PS bei nur 188 kg Leergewicht. Von so einem dicken Twin hat die Zweizylinderfraktion schon lange geträumt. Und wenn dann zufällig irgendwo eine Ducati auftaucht, werden sich hoffentlich die beiden Fahrer die Hände schütteln, und der Ducatist wird wohlwollend auf die TRX schauen und sagen: "Endlich haben die Japaner kapiert, was wir wollen..."


Fahreindruck Yamaha TRX 850


Handling: leichtes Rangieren, da wenig Gewicht (leer 188 kg, vollgetankt 204 kg), kleiner Wendekreis möglich, da sich der Lenker trotz Stummel weit einschlagen lässt. Die Maschine hat leider nur Seitenständer. 
Sitzposition: Sportlich, hinten liegende Fußrasten, man hat das Gefühl im Motorrad zu sitzen, aber die Position ist dennoch angenehm, da die Stummel über der oberen Gabelbrücke angeschraubt sind. Man hockt relativ aufrecht auf der Sportmaschine. Ganz anders für die Person auf dem Beifahrersitz. Die Sitzbank ist spartanisch hart gepolstert, und die Fußrasten sind soweit oben angesetzt, so dass die Knie "bis zu den Ohren reichen". Eine Zumutung. 
Starten: Japanisch perfekt. Knopfdruck genügt, und schon poltert der Motor los. Keine Spur von der gewohnten TDM 850 oder XTZ 750 Laufruhe. Der Motor läuft zwar rund, doch irgendwie hat man das Gefühl, irgend etwas stimmt nicht. "Früher" hätte man das Triebwerk sofort wieder abgestellt, um erst einmal Vergaser und Zündung zu überprüfen. Doch dieses plop-plop ploplop plop-plop ist von Yamaha ja beabsichtigt und auch gewollt, schließlich will man ja mit dem 270 Grad-Hubzapfenversatz den Ducati-Klang imitieren. Dafür klingt die TRX allerdings viel zu leise, sie ist sehr gut gedämpft (zum Glück), der kernige Ton einer Duc kommt nicht rüber.




Losfahren und Motorencharakteristik:
Klink, der erste Gang ist drin, ab Leerlaufdrehzahl zieht der Motor die Fuhre vorwärts. Die nächsten Gänge lassen sich exakt und sauber schalten. Unter 2500/3000/min überträgt sich der oben beschriebene "charaktervolle" Motorlauf - oder besser gesagt "eigenwillige" Motorlauf auf die Fahrweise. Der Motor "probselt", und schnell versucht man, die Drehzahlmessernadel über die 3000er Marke zu bekommen. Und das geht ruckzuck. Der Motor hängt gierig am Gas, und im Nu schnellt die Nadel auf über 8000/min. Auch verändert sich über 3000/min der Motorklang, er tönt nun gleichmäßiger und läuft auch "runder". Mit dieser Eigenschaft versucht vielleicht Yamaha, dem Fahrer beim Beschleunigen zu vermitteln: "Jetzt geht unter dem Tank die Post ab". Doch wer dieses Gefühl von einer Duc kennt und es jetzt von der "270-Grad" Yamaha erwartet, wird enttäuscht. Die Duc ist "eigenwillig", die TRX "perfekt"




Fahren:
Im Fahrbetrieb macht sich sofort das niedrige Gewicht positiv bemerkbar. Ohne Kraftanstrengung lässt sie sich durch die Stadt und über kurvenreiche Landstraßen dirigieren. Nie kommt das Gefühl auf, "das Motorrad fährt einen durch die Gegend", sondern "man fährt das Motorrad". Ein kurzer Ausflug auf der Autobahn (die Tachonadel stand mal kurz bei 200 km/h) zeigte, dass die Oberteilverkleidung gelungen ist. Der Oberkörper wird nicht vom Fahrtwind gebeutelt.




Fahrwerksabstimmung, Reifen und Bremsen:
Die Fahrwerksabstimmung ist zu weich. Das gilt für die zu weiche Federrate in Gabel und Federbein. Aber auch die Dämpfung ist zu lasch. Zwar lässt sich die Zugstufe in der Gabel mit "4-Klicks" von "weich" auf "hart" verstellen, doch das ändert nicht viel. Sie taucht schnell ein und kommt fast genauso schnell wieder raus. Hinten das Gleiche. Für japanische Komfortansprüche mag diese Abstimmung was taugen, für den europäischen Markt muss man sich was einfallen lassen. "Gut gemeint" sind die Michelin Pneus. Doch das eigenwillige Lenkverhalten läßt kaum ein zielgenaues Kurvenfahren zu. Michelin Reifen und lasche Gabelabstimmung sind dafür verantwortlich, dass man bei welliger Fahrbahndecke "durch die Kurven eiert". Der Geradeauslauf auf der Bahn ist OK.
Bei den Bremsen gibt es nichts zu meckern. Die Doppelscheibe lässt sich gut dosieren und packt gut zu. Hinten muss man etwas kräftiger aufs Pedal steigen, will man das Rad zum Pfeifen bekommen, auch das ist OK.





Die Technik der Yamaha TRX 850
Modelljahr 1995

Motor, Kraftübertragung, Elektrik:
flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertaktmotor, mit 270 Grad Hubzapfenversatz; zwei Ausgleichswellen; fünf Ventile pro Zylinder über zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen gesteuert; Leistung 83 PS (61 kW) bei 7500 Umdrehungen; max.Drehmoment 84 Nm bei 6000 Umdrehungen; Bohrung x Hub 89,5 x 67,5 mm; Hubraum 849 ccm; zwei Mikuni-Gleichdruckvergaser BDST38 mit 38 mm Durchlass, Transistor-Kennfeldzündanlage, Elektrostarter; Mehrscheibenkupplung im Ölbad; Fünfganggetriebe; Sekundärantrieb über Kette

Fahrwerk, Rahmen, Bremsen:
Brücken-Gitterrohrrahmen aus Stahl; vorn verstellbare Telegabel; Standrohrdurchmesser 41 mm; Federweg 120 mm; hinten Alu-Schwinge mit verstellbarem Zentralfederbein; Radstand 1430; Nachlauf 99 mm; vorn Doppelscheibenbremse mit 266 mm Durchmesser und Vierkolben-Bremssattel; hinten Scheibenbremse mit 214 mm Durchmesser und Zweikolben-Bremssattel; Dreispeichen-Alu-Druckgussräder; Bereifung vorn 120/60 ZR 17; hinten 160/60 ZR 17

Gewicht, Tank, Preis:
Trockengewicht 188 kg; Tankinhalt 18 Liter, Endpreis zirka zwischen 16.000 und 18.000 Mark

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