Motorrad-Marken


20 Jahre Walter-Gespanne
1986 - 2006

Der Dreirad-Experte


Wer bei uns von Gespannen redet, meint meist WALTER.
Die nordhessische Seitenwagen-Manufaktur ist Europas größter Hersteller. Nach über 20 Jahren emsigen
Schaffens zog sich Firmenchef Helmut Walter im
Herbst 2005 in das  Privatleben zurück.
Hinter ihm liegt eine bewegte Dreirad-Vergangenheit.
Seit Ende August 2005 hat er die Firma an seine Mitarbeiter verpachtet, WALTER-Gespanne wird es weiterhin geben.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Archiv Walter, Scheibe



Helmut Walter


G
espannfahren ist für viele Biker ein Buch mit sieben Siegeln. Kein Wunder. Ein Großteil hat und wird auch nie im Leben nur einen Meter mit Beiwagen fahren, andere haben es vielleicht einmal versucht, der Funke ist jedoch nicht übergesprungen. Ganz anders die überzeugten Dreiradlenker. Für sie käme überhaupt keine andere Art der Fortbewegung in Frage.



WALTER-Gespann als "Hochzeitskutsche"

Mit einem Gespann erlebt man meist gemeinsam mit Familie oder Freunden im Boot die Welt in einer anderen Dimension. Es ist mit nichts vergleichbar, nicht mit Solobiken und mit Cabriofahren schon ganz und gar nicht. Man sitzt im Freien, spürt Wind und Wetter, riecht und schmeckt die Natur, durchweilt die Landschaft. Die Dynamik des Schräglagefahrens wird nicht vermisst.



"Früher"
Klassiker: BMW R50 Gespann

Wurde früher, so in den 50er und 60er Jahren, eine Beiwagenmaschine gerne als "Auto des kleinen Mannes" bezeichnet, hat sich die Situation längst grundlegend geändert, Gespannfahren ist Hobby und Passion zugleich.



"Gegenwart"
Yamaha FJR 1300 WALTER Sport
und
BMW R1100GS WALTER-Gespann 


Nach Experteneinschätzung gibt es in Deutschland rund 40.000 Gespanne, wobei eine genaue Zahl schwer zu nennen ist. Gut 30.000 Dreiräder sind als solche zugelassen, etwa 10.000 sind als Solomaschinen, wahlweise mit oder ohne Beiwagen, registriert. Abgesehen von den Exoten-Gespannen der russischen Marken Ural und Dnepr, gibt es von keinem anderen Hersteller serienmäßig ab Werk ein Motorrad mit Seitenwagen. Den nachträglichen Beiwagenanbau realisieren Spezialfirmen. In der Regel sind es Einzelanfertigungen, vielfach genau nach Kundenwunsch ausgeführt.


Helmut Walter ahnte vor 20 Jahren
das Comeback der Gespanne

 


"Zuverlässiges Gespann"
Helmut und Marlis Walter


Zu den maßgeblichen Trendsettern in der Szene gehört der Dreiradexperte Helmut Walter, Jahrgang 1949, in Harle bei Wabern. Der Nordhesse bietet seit 1986 Jahren schlüsselfertige Beiwagenmaschinen an, selbst Gespannfahrer ist er, so lange er denken kann. "Mitte der sechziger Jahre, lange bevor ich überhaupt den Motorradführerschein hatte, pflügte ich mit einem 500er BMW-Gespann über die Feld- und Waldwege hinter unserem Ort Dörnhagen bei Kassel. Damals lag der Motorradmarkt vollkommen am Boden, für ein paar Mark oder sogar geschenkt kamen wir an die tollsten Maschinen mit und ohne Beiwagen. Die Leute wollten ihre Kräder einfach nur los werden, für sie war es Schrott oder wertloses Zeug. Wir waren damals eine Clique von motorradverrückten Jungen, denen keine Maschine zu groß und zu schnell sein konnte. Unter 500 Kubik brauchte uns keiner kommen. Ganz hoch im Kurs standen schwere Boxer-Maschinen von BMW und Zündapp", verrät Helmut Walter mit einem verschmitzten Lachen.


Eine solide handwerkliche Ausbildung führte zum Erfolg

Die damalige Zeit war aufregend und spannend, der Führerschein wurde gemacht, die Lehre als Elektrotechniker abgeschlossen. Einen interessanten Beruf zu finden war damals kein Problem. Als Service-Techniker bei Henschel in Kassel reiste Helmut Walter um die halbe Welt und war für den Aufbau von Gangways auf internationalen Flughäfen zuständig. "Mit Urlaub machen hatte diese Arbeit nicht das Geringste zu tun. Außer Hotel und Airport habe ich nichts von den jeweiligen Ländern gesehen. Entspannung vom Stress und Jetlag habe ich beim Basteln an Motorrädern in meiner privaten Werkstatt gefunden. Hier gab es immer etwas zu tun. Mal war es das eigene BMW-Gespann, das eine Inspektion brauchte um die Wochenend- und Urlaubstouren zuverlässig zu absolvieren. Oder es wurden Motorräder von Freunden repariert. Ramponierte Beiwagenkotflügel habe ich zum Beispiel schon damals aus GFK nachgebaut, Ersatzteile gab es ja keine", erzählt der Nordhesse von früher.


Mann vom Fach:
Helmut Walter


1972 rollte das erste WALTER-Gespann


"King of the Road"
BMW R50-Gespann mit R75/5-Motor von 1972 mit Marlis und Helmut Walter
(Foto: Archiv WALTER)

Sein erster herausragender Gespannumbau war Anfang 1972 fertig. In ein BMW R50 Schwingenmodell von 1967 mit ursprünglich 26 PS war das neue 50 PS starke BMW R75/5-Triebwerk mit modernem E-Starter verpflanzt worden. Mit fast doppelter Motorleistung in dem Klassiker war der Hesse unter seinen Gespannfreunden plötzlich "King of the Road". Der Kurvenflitzer verfügte über eine spritzige Fahrdynamik und schaffte spielend 150 km/h Höchstgeschwindigkeit.



Klassiker:
Steib TR500 Seitenwagen


Die in seinem Beruf bei Henschel praktizierte professionelle Arbeitsweise setzte der Nordhesse eins-zu-eins in seiner Werkstatt in Körle bei Melsungen um. Schon bald hatten sich weit über die Grenzen seiner Heimat diese handwerklichen Fähigkeiten herumgesprochen. "Da es damals keine neuen Seitenwagen zu kaufen gab, begann ich nach Vorbild des legendären Steib TR500-Beiwagens Rahmen, Anschlüsse, Karosserie, Innenausstattung, Kotflügel und Räder selbst zu bauen. Davon hätte ich allerdings kaum eine Familie ernähren können, hauptberuflich war ich weiterhin bei Henschel tätig", plaudert Helmut Walter aus dem Nähkästchen.



BMW-WALTER-Gespann von 1982
(Foto: Archiv WALTER)


Diese Situation änderte sich Anfang der 80er Jahre. Mit Beginn des Motorrad-Booms wagte Helmut Walter gemeinsam mit seiner Frau Marlis, mit der er seit 1968 verheiratet ist, den Sprung in die Selbstständigkeit. Er wurde Vertragshändler für Moto Guzzi, später kamen Triumph, KTM und Ducati dazu. Der Familienbetrieb in Körle mit bis zu drei Mitarbeitern kümmerte sich um Verkauf und Wartung von Neu- und Gebrauchtmotorrädern. Mitte der 80er Jahre stand Helmut Walter vor einer folgenschweren Entscheidung. Wollte er den Motorradhandel weiter betreiben, hätte er sein Geschäft strukturell um ein Vielfaches vergrößern müssen. Das hätte einen Neubau mit großzügigem Verkaufs- und Showraum, gut sortiertem Ersatzteillager, weiträumiger Werkstatt sowie Aufstockung des Personalbestandes bedeutet. Für die weitere Gespannbauerei wäre unter diesen Umständen weder Zeit noch Platz gewesen. Die Entscheidung wurde Geschichte. In Harle bei Wabern fand der überzeugte Seitenwagenexperte eine ehemalige Schlosserei, die eine optimale Voraussetzung für die zukünftige Herstellung und den Umbau von Seitenwagenmaschinen bot.


WALTER Motorrad-Gespanntechnik ab 1986

Ließ sich zum Beispiel an die BMW-Schwingenmodelle und die klassischen Moto Guzzi V7 Maschinen problemlos ein Seitenwagen anschrauben, waren ab den 70er Jahren moderne Motorräder herstellungsbedingt für den Beiwagenbetrieb nicht mehr vorgesehen. Als Seitenwagenbefestigung wurde von Helmut Walter individuell verwendbare und verschraubbare Hilfsrahmen entwickelt, so dass das originale Chassis unverändert bleiben konnte. Für die Vorderradführung hat sich nach einigen Experimenten die geschobene Schwinge, die es wahlweise mit Stereo-Federbeinen oder Zentral-Federbein gibt, durchgesetzt. Je nach Zugmaschine muss auch die Hinterradschwinge verstärkt werden. Ebenfalls aus eigener Fertigung stammen die Speichen-, Aluverbund- oder Stahlverbund-Felgen, die inzwischen durch die Bank weg mit Breitreifen bestückt werden. Die Fertigungstiefe in der Dreirad-Schmiede ist beachtlich. Abgesehen von den eingekauften Standardbauteilen wie Bremsanlage, Federbeinen und Windschutzscheiben wird alles selbst gemacht.


Handarbeit:
Die Chassis werden im Haus gefertigt


Führung:
Geschobene Vorderradschwinge



Polsterung:
Die Schneiderei ist im Haus



Karosseriebau:
Die Boote entstehen in Handarbeit


Die Entwicklung dieser Bauteile sowie die Fertigungstechnik war für das nordhessische Unternehmen nie ein Problem. Helmut Walter verfügte längst über ein jahrelanges Know-how, der gut eingerichtete Werkzeugmaschinenpark ließ keine Wünsche offen. Zur echten Herausforderung wurden allerdings die TÜV-Prüfungen. Um die Gespannumbauten überhaupt zugelassen zu bekommen, musste jedes neue Fahrzeugteil umfangreiche Betriebsfestigkeitsuntersuchungen bestehen. Das hat nicht nur viel Geld und Zeit erfordert, der bürokratische Aufwand war für den kleinen Betrieb immens.



Harley-Davidson V-Rod WALTER-Gespann


Neben der Eigenfertigung der WALTER-Seitenwagen übernahm man in Harle Ende der 80er Jahre die französischen Marken Jewell und Jeaniel, nach der Wiedervereinigung sicherte man sich die Namensrechte der ostdeutschen Beiwagenfirma Stoye. Freeway-King, Kentech, SideGlide, Freeway Roadster und YUKON, sind weitere Boot-Typen, die im Haus hergestellt werden.


Modellvielfalt


BMW F650 WALTER-Gespann


Yamaha PW50 WALTER-Gespann


BMW K100RS mit WALTER-Stoye RS



BMW R1100GS WALTER-Gespann



Kawasaki W650 WALTER-Gespann



WALTER Stoye Sport Boote



Suzuki Burgman WALTER-Roller-Gespann



Yamaha Vmax WALTER-Gespann

(Fotos: Archiv WALTER)


Nicht ohne Stolz betont Helmut Walter: "Es gibt kaum ein Solomotorrad, das wir in den vergangenen 20 Jahren noch nicht zum Gespann umgebaut haben. Die Liste reicht vom Roller über Mittelklasse-Maschinen bis hin zu großen BMWs, Harleys und der gewaltigen Boss Hoss. Beliebte Zugmaschinen waren und sind bis heute BMWs, allen vorweg die Vierzylinder-K-Baureihe. Danach folgt Harley-Davidson und dann geht es schon querbeet durch alle Hersteller. Insgesamt umfasst unser Lieferangebot 25 verschiedene Beiwagentypen. Von einer Serienfertigung darf bei uns allerdings nicht gesprochen werden. Jedes Gespann ist eine Einzelanfertigung, nur so lassen sich auch spezielle Kundenwünsche erfüllen."



"Bootsbauer"
Ulrich von Zech & Andreas Rödiger


Ende August 2005 hat der rührige Dreiradexperte die Firma an seine Mitarbeiter Ulrich von Zech & Andreas Rödiger  verpachtet. Ein vorzeitiges Rentnerleben kommt für Helmut Walter jedoch nicht in Frage. Im Laufe der Zeit hat er interessante Moto Guzzi Oldtimer gesammelt und da müssen demnächst einige restauriert werden.


Adresse:

WALTER
Motorrad-Gespanntechnik 

Zur Weißen Brücke 4A 

34590 Wabern-Harle
Tel.: 05683 72 71
www.walter-motorrad-gespanntechnik.de


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