Motorrad-Marken


Vincent 1000 Black Shadow von 1948 und Vincent 1000 Black Prince von 1955

"Gentleman & Speedmaster"

In den 1950er Jahren war Philip C. Vincent Englands exklusivster Motorradhersteller. Mit der Black Prince brachte der geniale Konstrukteur 1955 weltweit das erste Motorrad mit einer Fiberglas-Vollverkleidung auf den Markt. Für den legendären
Ruf der Firma jedoch sorgte bereits ab 1948 die sagenhafte Black Shadow. Die Vincent-Ära hindes dauerte nicht lange, im Dezember 1955 rollte das letzte
Nobelbike, es war eine Black Prince, aus den geheiligten Hallen in Stevenage.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Winni Scheibe, Vincent-Archiv Kurt Schupp



Bernd Stutz und Manfred Kinne
Vincent Black Shadow von 1948 und Vincent Black Prince von 1955


Motorradfahren und Motorrad fahren ist längst nicht das Gleiche. Besonders in schlechten Zeiten. Bei uns war man nach Kriegsende zunächst mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Zwar blühte bald der Zweiradmarkt, doch das Angebot waren durch die Bank weg "Brot-und-Butter-Maschinen". Preisgünstige und robuste 98er, 125er, 200er und 250er Kräder, für den täglichen Weg ins Büro, zur Arbeit oder in die Lehre. Wer von einer schweren Maschine träumte, konnte sie an einer Hand abzählen: NSU OSL, Zündapp KS601 sowie die 500er und 600er BMW. An englische Maschinen war nicht zu denken. Erstens gab es kaum jemand, der sich um den Import kümmerte, und zweitens waren die "Ladies" viel zu teuer. Doch davon "spinnen" war nicht verboten. Wenn sich die Motorradfreunde nach getaner Arbeit am Stammtisch oder am Wochenende ums Lagerfeuer trafen, wurde kräftig "Benzin geredet". "Das MOTORRAD" war für sie die Bibel, und die Berichte von Ernst "Klacks" Leverkus galten als Offenbarung. Immer wieder brachte der Testguru die Gemüter in Wallung. 1955 mit den "Supervögeln": 650er Ariel Huntmaster, 650er Triumph Thunderbird und 1000er Vincent Black Prince. Auch für "Klacks" war die Vincent eine Traummaschine. Angeblich gab es in Deutschland nur fünf Stück davon. In Wirklichkeit gesehen, geschweige selbst gefahren, hatte er noch nie eine. Dafür war ihr Ruf um so größer: "Tempo 200 garantiert ab Laden - Wenn du bei dem Tempo einen Maikäfer auf die Nase kriegst, hast du ein gestanztes Loch im Kopf". Und dann gab es noch die Story aus Paris: von den acht, die in einem Jahr verkauft worden waren, erschlugen sieben noch im gleichen Jahr ihre Fahrer. Über kein anderes Motorrad wurde mehr diskutiert, spekuliert und Geschichten erzählt als über die Vincent.


Traummaschine in Deutschland


 500er BMW R51/3


NSU OSL 601


Ende 1955 passierte es, Klacks traf Mr. Minor mit seiner nagelneuen Vincent Black Prince. Ein unglaublicher Donnerbolzen, fast doppelt so teuer wie die 500er BMW, dafür aber mit 1000 ccm, satten 55 PS, einer pechschwarzen, gewaltigen Vollverkleidung und atemberaubender Beschleunigung: Erster Gang bis 104 km/h, zweiter Gang bis 136 km/h, dritter Gang bis 175 km/h! Und im vierten Gang? Mr. Minor lachte: "Straßen für den vierten Gang bei sportlicher Fahrweise gibt es in Europa für diese Maschine kaum!" Und: "Selbst bei Halbgas bleibe ich noch immer der schnellste Mann auf den Straßen in Deutschland. Und dann sind 120 Meilen schon viel zu viel - selbst auf der Autobahn - und das ist noch nicht einmal Höchstgeschwindigkeit, das sind erst 192 km/h." Spätestens jetzt war jedem klar, warum Klacks seinen Vincent-Bericht  "Trauben, die hoch hängen" nannte.



Zwar nicht Mr. Minor, sondern Manfred Kinne mit seiner perfekt restaurierten Vincent Black Prince


In England konnten die Motorradfans mit Fug und Recht mächtig stolz auf ihre Fabrikate sein. Schließlich war man Marktführer. Schwere Maschinen von BSA, Triumph, Ariel, Matchless, Royal Enfield, Norton, AJS, Scott, Panther, Rudge, Sunbeam, Velocette und Vincent waren rund um den Globus heiß begehrt. Und nach der berühmten Edelschmiede Brough Superior hatte sich mit Vincent obendrein auch noch ein würdiger Nachfolger gefunden. Dass diese Marke einen so guten Ruf genoss, lag an der Firmenphilosopie. Philip C. Vincent hatte nämlich die gleiche Einstellung wie sein Automobilkollege Sir Henry Royce, er verwendete nur das Beste vom Besten für seine teuren Motorräder. Vincent Maschinen waren schnell, stark und exklusiv.


Zu neuen Ufern


Vincent 1000 Rapide


Nur sieben Jahre nach Wiederaufnahme der Produktion nach Kriegsende, verließen bereits 1952 pro Woche mehr als sechzig Maschinen das kleine, aber feine Werk in Stevenage/Südengland. Für P.C.V., wie er kurz und bündig von Freunden und Bewunderern genannt wurde, war das allerdings kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Trotz allgemein gut gehender Geschäfte bekam die Motorradbranche zusehends Konkurrenz durchs Auto. Für das Geld, was eine 1000er Vincent kostete, gab es mittlerweile schicke Kleinwagen. Entgegen englischer Gepflogenheiten war Phil Vincent längst klar, dass sich nicht die Motorradkundschaft, sondern die Hersteller der neuen Situation anpassen müssten. Und hierfür gab es nach seiner Meinung nur eine Chance am Ball zu bleiben: das Motorrad brauchte eine Verkleidung. Mit diesem Thema hatte sich P.C.V. bereits in den dreißiger Jahren als junger Ingenieur beschäftigt. Damals wurden Versuchsverschalungen aus Alublech handgedengelt. Doch zu einer Serienfertigung kam es nicht, der Zweite Weltkrieg funkte dazwischen, und die Kapazitäten wurden für andere Dinge gebraucht.



Der Zeit um Meilen voraus:
Vincent Black Prince

Anfang der Fünfziger machte ein neuartiges Material von sich reden. Es war ein duroplastischer Kunststoff, aus dem sich Faserverbundwerkstoffe fertigen ließen. Cromwell, Hersteller des legendären Halbschalenhelms, verwendete in Großserie diesen glasfaserverstärkten Polyesterharz, auch Fiberglas oder kurz GFK genannt. Das Außenmaterial bestand aus mehreren Schichten Glasfasergewebematten, die mit Kunstharz getränkt waren. Die Fiberglas-Schale wurde handlaminiert und zeigte hervorragende Eigenschaften. Sie war superleicht, dafür aber außergewöhnlich stabil, unempfindlich gegen Witterungseinflüsse und Lösungsmittel, ließ sich individuell lackieren und mit Aufklebern dekorieren.

 


Cromwell-Träger
Jim Redman, Honda-Werksfahrer
und sechsfacher Weltmeister
(Foto: Archiv-Redman)



Vollkommen neuer Werkstoff:
Duroplastischer Kunststoff

Und genau aus diesem Wundermaterial wollte Phil Vincent die Verkleidungen bauen. Allerdings war in der Motorradbranche so etwas überhaupt noch nicht gebräuchlich. Vergleichbares, von dem man hätte abspicken können, gab es also nicht. Der Visionär versprach sich von seiner Idee gleich zwei gewaltige Vorteile für den Motorradfahrer: Zum einen sollte die Verkleidung bei Regenwetter den ekligen Straßenschmutz fernhalten und zum anderen bei schneller Fahrt vor lästigem Fahrtwind schützen.

 


Zunächst galt es einen Prototyp zu entwerfen. Aus Holz, Gips sowie Pappmaché wurden ein breiter Vorderradkotflügel, Motorseitenabdeckungen, eine Hinterradverkleidung, eine lenkerfeste Oberteilverkleidung sowie Beinschilder, die so geformt waren, dass sie gleichzeitig den Fahrtwind als Kühlluft auf das Triebwerk leiteten, modelliert. Diese Modelle dienten zur Herstellung der jeweils benötigten Negativformen, in die die Glasfasermatten einlaminiert wurden. Damit die Bauteile über die gesamten Flächen eine gleichbleibende Wandstärke erhielten, war es jedoch wichtig, dass die Fiberglasmatten faltenfrei in den Formen lagen und gleichmäßig mit Harz durchtränkt wurden. Dieses Laminieren verlangte viel Geschick und gewissenhafte Fertigungsweise, was man sich allerdings erst mühselig erarbeiten musste. Rund ein Jahr verging, bis man die Sache im Griff hatte und sich alle GFK-Bauteile passgenau und mit einer tadellos glatten Oberfläche herstellen ließen.



Auch auf dem Wasser war P.V.C. der Zeit voraus:
Vincent "Amanda Water-scooter"
(Foto: Vincent-Archiv Kurt Schupp)


In diesem Zusammenhang sei ein kurzer Einschub erlaubt. P.V.C. war nicht nur zu Lande, sondern auch auf dem Wasser seiner Zeit weit voraus. Er konstruierte und baute den ersten "Water-scooter". Das Ding sah wie ein über die Wasseroberfläche flitzender Delphin aus, auf dem quietschvergnügt ein Menschenkind hocken konnte. Den pfiffigen Wasserfloh hatten die Vincentleute aus Fiberglas gefertigt, für den Antrieb sorgte ein kleiner Zweitakt-Motor. So sensationell der "Amanda Water-scooter" aber auch war, so schnell wurde das niedliche "Speed-boat" ein "Submarine". Erst viele Jahre später "erfanden" Suzuki, Kawasaki und Yamaha das Spielzeug neu. Bei den Japanern hießen die Wasserflitzer fortan Wet-Bike, Jet-Ski und Wave-Runner.



Die Sensation auf der "Earl´s Court Show" in London:
Vincent Black Prince


Doch zurück zur Fiberglas-Idee. Im Herbst 1954 präsentierte die Nobelmarke bei der "Earl´s Court Show" in London die vollverkleideten 1000er Tourensportler Black Knight und Black Prince. Was sich unter den schwarzen Kunststoffhäuten verbarg, wussten zunächst aber nur Insider. P.C.V. hatte sich nämlich einen geschickten Schachzug ausgedacht. Als Basis für die Black Knight diente die Rapide mit 45 PS Motor, und die Black Prince war im Prinzip eine vollverkleidete Black Shadow mit 55 PS Triebwerk. Die Luxusliner gehörten zur vierten und letzten Vincent-Generation, der “Serie D“. Die besonderen Merkmale dieser Baureihe waren: 6-Volt-Batteriezündung, geänderter Rückgrat-Rahmen ohne integrierten Öltank (das kostbare Öl für die Trockensumpfschmierung dümpelte nun in einem separaten Vorratsbehälter), fast liegendes, hydraulisch gedämpftes Mono-Federbein für die Hinterradschwinge, ein neuer hinterer Hilfsrahmen und nur noch eine Trommelbremse am Hinterrad. Die hydraulisch gedämpfte Girdraulic-Gabel gehörte dagegen bereits seit 1948 zur Standardausstattung.



Vincent Black Prince Logo


Bei der Lackierung war damals bekanntlich alles erlaubt, solange es sich um Schwarz handelte. Und so waren die Black Knight und Black Prince von vorne bis hinten pechschwarz, nur rechts und links sorgten je ein dezenter goldener Zierstreifen für "Farbenpracht". Echte Aufregung herrschte dagegen in der Motorradszene. Solche Maschinen hatte keiner erwartet. Mit diesen extravaganten Motorrädern wollte Vincent aber nicht nur seine Innovationsfähigkeit demonstrieren, sondern auch mit dem weitverbreiteten Negativ-Image, Motorradfahrer seien verdreckte und ölverschmierte Gesellen, Schluss machen. P.C.V. pries seine neue Kollektion als Tourensport- und Reisemaschine für bequeme und ermüdungsfreie Langstreckenfahrten.


Rolls-Royce auf zwei Rädern


Vollverkleidetes Sporttouren-Motorrad anno 1955


Trotz der Verpackungskunst hatte der geniale Konstrukteur aber auch an den praktischen Teil gedacht. Um die erforderlichen Servicearbeiten zu erledigen, ließen sich mit wenigen Handgriffen die Seitenverschalungen abnehmen und die Hinterradverkleidung hochklappen. Hohe Qualitätsmerkmale und eine sprichwörtliche Wartungsfreundlichkeit waren weiterhin die herausragenden Eigenschaften der Vincent. Alle Inspektionsarbeiten konnten problemlos mit dem Bordwerkzeug vom Besitzer selber durchgeführt werden. War in der damaligen Motorradwelt die Schrauberei am Straßenrand jedoch ein Muss, erreichte die Vincentfraktion dank der hohen Zuverlässigkeit ihrer Maschinen sicher jedes Ziel. Und zum Verreisen waren Knight und Prince geradezu prädestiniert. Als Zubehör gab es einen Gepäckträger, dazu passende Seitenkoffer aus Kunststoff, ein Zusatzschild für die Windschutzscheibe und einen ledernen Tank-Überzug. Serienmäßig hatte dagegen die "Serie D" die Vorrichtung zum Aufbocken. Via langem Hebel ließ sich das Bike kinderleicht auf den Hauptständer hieven.



Diese komfortablen "Rolls-Royce auf zwei Rädern" hätten eigentlich die Oberknaller werden müssen. Doch Phil Vincent hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nur wenige konnten sich für diese neue Art von Motorrad begeistern. Das Gegenteil war sogar der Fall. Der angestrebte Imagewechsel stieß auf Ablehnung. Die damalige Motorradwelt wollte weiterhin "open-air" durch die Gegend brausen, und gegen Nässe und Kälte vertraute man lieber den bewährten Klamotten von Barbour oder Bellstaff. Auch wenn der Begriff "Plastikschüssel" noch nicht gebräuchlich war, so waren sich die Experten dennoch einig, eine Kunststoff- Verschalung hatte am Motorrad einfach nichts zu suchen. Und so half weder der legendäre Ruf, noch die mutige Innovation. Nur ein Jahr nach Vorstellung der umstrittenen Black Knight und Black Prince musste die Nobelmarke die Fabriktore für immer schließen. Dabei war Vincent längst zum Mythos geworden. Die Edelschmiede baute in den Fünfzigern die schnellsten und teuersten Straßenmotorräder der Welt, für viele galt die Black Shadow als Traummaschine schlechthin.


Die Vincent-Saga


Begonnen hatte die Vincent-Saga recht früh. Bereits in seiner Jugend interessierte sich der Sohn eines reichen argentinischen Rinderfarmers für technische Dinge. 1919, damals war der Pfiffikus gerade 11 Jahre alt, schickten ihn seine Eltern zum weiteren Schulbesuch nach England. Mit 14 Jahren bestand er als Bester die Aufnahmeprüfung zur Ingenieurschule in Cambridge, und kaum 16 Jahre alt modifizierte er seine 350er BSA mit einer Hinterradfederung. Zwei horizontal liegende Schraubenfedern übernahmen die Federarbeit der selbst konstruierten und zusammengeschweißten Dreiecksschwinge. Mit diesem System hatte der junge Vincent 1927 das Vorbild für die von Yamaha Mitte der siebziger Jahre als Weltneuheit präsentierte "Cantilever-Federung" erfunden...



Philip C. Vincent "Cantilever-Rahmenkonstruktion" 
(Foto: Werk)


Zu jener Zeit lernte er Howard R. Davies, dessen H.R.D.-Motorräder in England sehr bekannt waren, kennen. Vincent stieg bei Davies ins Geschäft ein, die dazu benötigten Finanzen lieh er sich bei seinem Vater. Die beiden Motorradenthusiasten nannten ihre Firma "The Vincent H.R.D. Company Ltd.", mit Sitz in Stevenage. Man baute eigene Fahrwerke und bestückte sie mit 250er, 350er, 500er und 600er Triebwerken von Villiers, Rudge und JAP. In puncto Bremsanlage tüftelte Vincent 1933 etwas ganz Besonderes aus. Jeweils zwei Halbnaben-Trommelbremsen mit 178 mm Durchmesser sorgten am Vorder- und Hinterrad für gute Bremswerte. Diese Stopper erwiesen sich als so gut, dass sie bis zur Firmenschließung beibehalten wurden. Der Fahrzeugverkauf war mittlerweile gut in Schwung gekommen, und Vincent konnte noch im gleichen Jahr den bekannten australischen Motorenkonstrukteur Phil Irving engagieren. Umgehend machten sich die beiden Techniker an die Konstruktion eines 500er Einzylinder-Viertakt-ohv-Motors. Auf Anhieb war der Single erfolgreich.



1937 erster 1000er Vincent V2-Motor: "plumber`s nightmare"


Nur zwei Jahre nach Einführung der neuen 500er Modellgeneration tüftelten Vincent und Irving am nächsten Knüller. Sie hatten zwei 500er Motoren zu einem 1000er V-Triebwerk zusammengekoppelt. Auf das neue Gehäuse ließen sich pfiffigerweise Zylinder, Kolben und Zylinderkopf vom erprobten 500er Eintopf stecken. Gut 45 PS leistete das V2-Aggregat, das kurzerhand in das kaum veränderte Diamond-Chassis vom Single eingebaut wurde. Die 1000er Vincent H.R.D. Rapide “Serie A“ sorgte für Schlagzeilen in der Fachpresse und ließ die Gerüchteküche mächtig brodeln. Die “A-Twin“ war nämlich das erste Serien-Motorrad der Welt, das über 110 Meilen pro Stunde (etwa 180 km/h) erreichte. Aber kaum einer erreichte je dieses Tempo. Wo gab es schon die Straßen, auf denen man eine derartige Geschwindigkeit hätte fahren können. Und so trauten sich wohl nur ganz wenige Piloten, den Gashahn bis zum Anschlag voll aufzudrehen. Zum Glück. Das Triebwerk war nämlich noch nicht ausgereift. Zahlreiche außen liegende Ölleitungen waren zur Versorgung der lebenswichtigen Schmierstellen erforderlich. Und da es immer wieder vorkam, daß die Anschlussstellen leckten, hatte der "A-Twin" bald seinen Spitznamen "plumber`s nightmare", was soviel wie "Klempners Alptraum" bedeutet, weg. Bis 1939, als auch England in die Kriegswirren gerissen wurde, hatte man von der 1000er Rapide gerade mal 78 Maschinen bauen können.



Nur 78 Maschinen wurden von der ersten 1000er Vincent gebaut


Gleich nach Kriegsende gings in Stevenage weiter. Zusammen mit Chefkonstrukteur Phil Irving entwickelte Vincent eine neue Modellpalette, die als Baukastensystem ausgelegt war. In den Rahmen ließen sich wahlweise der Ein- oder Zweizylinder-Motor einbauen. Von einem Chassis im herkömmlichen Sinne konnte allerdings kaum die Rede sein. Hauptbestandteil war lediglich ein stabiles Rückgrat aus Vierkantrohr, das direkt am Zylinderkopf angeschraubt wurde und das gleichzeitig als Öltank diente. Die Führung des Vorderrades erledigte die ungedämpfte Brampton-Trapezgabel. Bei der Hinterradfederung blieb man bei Bewährtem. Die Lagerung der Dreiecksschwinge war direkt am Motorgehäuse angeflanscht, und wie vor dem Krieg übernahmen zwei fast liegende Federelemente die Federarbeit. Nur aus diesen drei Bauteilen - Trapezgabel, Rückgratrahmen und Dreiecksschwinge - bestand das Fahrgestell. Der Motor diente als mittragendes Element. Auf die klassischen Speichenräder war vorne ein 3.25-20 und hinten ein 3.50-19 Avon-Reifen montiert. Die Bremsarbeit übernahmen am Vorder- und Hinterrad je zwei Trommelbremsen. Baukastensystem war auch bei der Konstruktion des 500er und 1000er Triebwerkes angesagt. Etliche Bauteile, wie zum Beispiel Zylinderköpfe, Zylinder, Kolben und viele Kleinteile, ließen sich in beiden Motoren verwenden. War beim Einzylinder das Getriebe noch nach echt englischer Sitte hinter dem Motor angeflanscht, bestand der V2 aus einem Block, in dem das Vierganggetriebe gleich mit untergebracht war. Beachtlich war die Kupplung. Da es damals noch keine hochwertigen Materialien gab, bestand die Kupplung aus zwei Bauteilen: einer über Bowdenzug betätigten Einscheiben-Trockenkupplung und einer zusätzlichen Servo-Trommelkupplung, vergleichbar mit einer Trommelbremse. Kuppelte der Fahrer aus, wurden die vier Kupplungsbeläge in die Trommel gepresst, und so konnte das enorme Drehmoment des V-Motors verlustfrei an das Getriebe weitergeleitet werden. Der nächste Clou war der Ventiltrieb. Damit die Stößelstangen möglichst kurz blieben, waren die beiden über Zahnräder angetriebenen Nockenwellen hochgelegt, und die Kipphebel betätigten die Ventile unterhalb der Ventilfeder. Auch auf geringes Gewicht legte man damals großen Wert. Aus diesem Grund waren Motorgehäuse, Zylinder und Zylinderköpfe aus Aluminium gefertigt. Die ersten Modelle 1946 waren die 500er Meteor mit 26 PS und die 45 PS starke und 175 km/h schnelle 1000er Rapide.



1000er Vincent Black Shadow Motor von 1948


Genau wie vor dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sich Vincent bald wieder im Rennsport. Für 1947 entstand die "Gunga Din", mit der Werksfahrer George Brown zahlreiche Rennerfolge erringen konnte. Die "Gunga-Din" wurde zur Legende und war mit Sicherheit die wohl schnellste jemals gebaute 1000er V2-Renn-Vincent. Das Triebwerk hatte man nach allen Regeln der Kunst getunt. Beflügelt von den Erfolgen beschloss man noch im gleichen Jahr, das gesammelte Know-how in einer Straßenmaschine unterzubringen Als Basis diente die Rapide "Serie B". Das Fahrwerk blieb, abgesehen von den Dunlop-Aluminium-Hochschulterfelgen und zur besseren Kühlung verrippten Trommelbremsen, serienmäßig. Das Hauptaugenmerk legte die Vincent-Rennabteilung auf das Triebwerk. Die Pleuel wurden erleichtert und hochglanzpoliert, Ein- und Auslasskanäle optimiert, scharfe Rennnockenwellen eingebaut, die Verdichtung von 6,8 auf 7,3 erhöht und die Standard-Vergaser gegen große Amal-Vergaser vom Typ 279 mit 1 1/8-Zoll Durchlass getauscht. Freizügig konnten die Amal-Vergaser die Luft durch offene Ansaugtrichter schnorcheln, und fast ungehindert gelangten die Abgase durch die 2-in-1-Auspuffanlage ins Freie. Das Standard-Getriebe ersetzte man gegen ein Renngetriebe mit extrem langen ersten Gang. Das Tuning konnten sich sehen lassen, die Leistung kletterte von 45 PS auf beachtliche 55 PS bei 5700/min. Zur besseren Wärmeabfuhr ließ sich Vincent etwas Interessantes einfallen: Das Triebwerk wurde in einem Spezialverfahren schwarz lackiert.


Schwarz wie die Nacht und schnell wie der Schatten:
Vincent Black Shadow



Eine weitere Besonderheit dieser Supersportmaschine wurde der riesige Smiths-Tacho, dessen Skala in der "Meilenausführung" bis 150 und mit der "Kilometereinteilung" bis 250 Sachen reichte. Auf dem Tank klebte mit dicken Lettern das "H.R.D."-Logo, und vorne am Steuerkopf gab es einen Aufkleber mit dem geflügelten Götterboten Merkur, Symbol für Schnelligkeit und Kraft. Und weil das Bike schwarz wie die Nacht und schnell wie der Schatten war, wusste man auch gleich einen Namen: Black Shadow.



Schon zu Bauzeiten eine Legende:
Vincent Black Shadow Serie B


Anfang 1948 kam die Vincent Black Shadow "Serie B" auf den Markt. Dank des niedrigen Schwerpunktes verfügte die "zulassungsfähige Rennmaschine" über ein ausgesprochen gutes Handling. Eingefleischte Fans schwärmten sogar von exzellenten Fahrwerksqualitäten: Draufsetzen, sich wohl fühlen und losdüsen. Dabei musste die ersten Black Shadows "Serie B" sogar noch mit der spindeldürren ungedämpften Brampton-Trapezgabel vorlieb nehmen. Auch die Hinterradfederung arbeitete ohne hydraulischen Dämpfer. Lediglich einstellbare Reibungsdämpfer minderten in der Trapezgabel und für das Hinterrad das unkontrollierte Nachschwingen der Federelemente. Doch welches Motorrad verfügte Anno 1948 schon über einen Federrahmen. In einer Zeit, in der etliche Experten noch steif und fest davon überzeugt waren, dass nur Fahrwerke mit starrer Hinterachse eine optimale Straßenlage vermitteln können.



Bernd Stutz auf seiner Vincent Black Shadow von 1948


Vincentfahrer standen über diesen Dingen. Besonders, wenn es um Beschleunigung und Durchzug ging. Im großen Gang ließ sich der "Schwarze Schatten" ruckfrei ab 50 Knoten in wenigen Augenblicken bis auf über 200 km/h katapultieren. Wer damals den Akteur aber nach dem Topspeed fragte, bekam in der Regel die coole Antwort: "Weit über 120 Meilen pro Stunde". Wo allerdings der verwegene Reiter dieses Tempo "erfahren" hatte, konnte oder wollte er nicht verraten. Geeignete Autobahnen, die für diesen Affenzahn geschaffen waren, gab es kurz nach Kriegsende ja noch nicht. Doch sei es, wie es will. Wer mit der 1000er Vincent H.R.D. Black Shadow "Serie B" unterwegs war, war "King of the Road". Kein anderes Bike war schneller.



Die Kunde über diese Supermaschine verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ein Mythos war geboren, die Black Shadow wurde zur Traummaschine einer ganzen Motorradfahrergeneration. Allerdings nur wenige konnten sich diesen Traum erfüllen. Lediglich 80 Black Shadows von der "Serie B" verließen das Werk.



Vincent on Tour:
Black Shadow und Black Prince


Und nun zum Schluss, doppelsinnig sogar. Für Phil C. Vincent war die Motorradfertigung ein kostspieliges Unterfangen. Bei jeder Maschine legte er gut 200 Mark drauf. Und so wundert es nicht, dass bereits 1950 das Unternehmen bei den Banken mit rund 2,2 Millionen Mark in der Kreide stand. Zwar versuchte man mit Fremdaufträgen und Entwicklungsarbeiten sich über Wasser zu halten, doch das Ende war unabwendbar. Auch die beiden superlativen Modelle Black Knight und Black Prince konnten die Firma nicht mehr retten. Von den beiden Fiberglas-Bikes wurden jeweils nur 150 Maschinen gebaut. Am 18. Dezember 1955 verließ die letzte Vincent, eine Black Prince, das Werk in Stevenage.


"Schattenreiter & Königssohn"
Was zwei Vincentfahrer über ihre Maschinen sagen

 

Für die Vincent-Story brachte Bernd Stutz seine Black Shadow
von 1948 und Manfred Kinne seine Black Prince von 1955 mit.
Eines der herausragenden Merkmale dieser Nobelräder ist ihr
 Baukastensystem. Black Shadow und Black Prince basieren auf
dem gleichen Konstruktionsprinzip und doch sind sie grundverschieden. Die eine ist ein kompromissloser Supersportler, die andere eine komfortable Tourenmaschine. In den fünfziger Jahren waren
Vincent Motorräder Traummaschinen, sie haben an Ausstrahlung
und Faszination nichts verloren.

 


Vincent-Experten: Bernd Stutz und Manfred Kinne


Als direkter Ableger der legendären Gunga-Din war die Black Shadow eigentlich das erste Superbike. Eine Rennmaschine mit Straßenzulassung, gebaut um möglichst schnell von A nach B zu kommen", erzählt Bernd Stutz über seinen schwarzen Schatten.


Ein Motorrad ohne Schnickschnack, mit Technik zum Durchgucken, stark, schnell und mit Fahrleistungen, die für damalige Verhältnisse unvorstellbar waren. Das Getriebe ist rennmässig abgestuft, den ersten Gang kann man bis über 100 km/h ziehen. Dabei lässt die Fahrbarkeit keine Wünsche offen. Ist der vierte Gang eingelegt, bestimmt die Gashand das Tempo, selbst in Ortschaften braucht man nicht runterschalten. Mit gewaltigem Schmackes drückt der Motor auch aus niedrigen Drehzahlen mächtig vorwärts. Auf kurvenreichen Nebenstraßen ist die Black Shadow voll in ihrem Element, hier überzeugt das mächtige Drehmoment und vermittelt einen enormen Fahrspaß. Sitzposition, Handling, Bremsen - alles stimmt. Sind die Reibungsdämpfer vorgespannt, ist die Straßenlage hart, aber gerecht. Waren es früher die schlechten Straßen, die das Ausfahren der Black Shadow kaum zuließen, wird heute das Fahrvergnügen von Geschwindigkeitsbegrenzungen und Verkehrsdichte eingeschränkt. Auf Land- und Bundesstraßen fühlt man sich zwischen 90 bis 130 Sachen am wohlsten, auf der Autobahn liegt das Dauertempo zwischen 140 bis 160 Stundenkilometer. Begleite ich Kollegen mit ihren brandneuen Maschinen, ist die 50 Jahre alte Vincent längst nicht die Letzte."

 


Black Shadow Besitzer Bernd Stutz


Black Prince Besitzer Manfred Kinne

Über die Fahrleistungen braucht Manfred Kinne kein Wort zu verlieren. Schließlich ist die Black Prince eine vollverkleidete Black Shadow und noch dazu aus der letzten Modellgeneration, mit hydraulisch gedämpfter Trapezgabel und Hinterradfederung, was die Fahrwerksqualitäten noch einmal deutlich verbesserte. "Für damalige Verhältnisse wies die Verkleidung sicherlich mutige Formen auf. Doch das, worauf es ankommt, erfüllt sie," betont Manfred Kinne.


Oberteilverkleidung und Beinschilder schützen wirkungsvoll vor Wind und Wetter. Die lange Sitzbank ist ausgesprochen komfortabel, große Touren lassen sich bequem zurücklegen. Für die Langstreckentauglichkeit wurde der Tank extra von 16 auf 18 Liter Fassungsvermögen vergrößert. Bei einer Reisegeschwindigkeit von 130 bis 140 km/h verbraucht die Black Prince lediglich 5,5 Liter Normalbenzin, was eine Reichweite von über 300 Kilometer ermöglicht. Auch die Motorverschalung hält den Straßenschmutz wirksam dem Triebwerk fern. Für Putzteufel ist die Black Prince allerdings keine Herausforderung. Ein Eimer mit Shampoowasser und ein Waschschwamm genügen, und sie ist ruckzuck wieder blitzblank. Wie weit Vincent seiner Zeit voraus war, zeigen Detaillösungen", lässt Manfred Kinne wissen, "Das Bremslicht wurde über die Vorderradbremse aktiviert. P.C.V. war nämlich der Meinung, routinierte Motorradfahrer gebrauchen sowieso nur die Vorderradbremse, da dieser Stopper die meiste Verzögerungsarbeit übernimmt. Aus diesem Grund hat er auch ab der Serie-D auf die zweite Trommelbremse am Hinterrad verzichtet. Die Fußrasten lassen sich individuell verstellen, und eine echte Errungenschaft waren Gepäckträger und Seitenkoffer. An solch´ ein Zubehör dachten andere Hersteller erst über dreißig Jahre später."


Text-Archiv: Vincent


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