Motorrad-Marken


Vincent Black Shadow
Baujahr 1948

"Speedmaster"

Philip C. Vincent war in den fünfziger Jahren Englands exklusivster
Motorradhersteller. Den legendären Ruf verdankt seine Firma unter
anderem der Sagen umwobenen Black Shadow. Das 1000er
Superbike leistete 55 PS und war über 200 Sachen schnell.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk



Tacho nur bis 150? Richtig.
 Aber nicht in Stundenkilometer, sondern Meilen pro Stunde!

Motorrad fahren und Motorrad fahren ist längst nicht das Gleiche. Besonders in schlechten Zeiten. Bei uns war man nach Kriegsende mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Zwar blühte in den 50er bald der Zweiradmarkt, doch das Angebot waren überwiegend "Brot-und-Butter-Maschinen". Billige und robuste 98er, 125er, 200er und 250er Kräder für den täglichen Weg ins Büro, zur Arbeit oder in die Lehre. Wer von einer großen Maschine träumte, konnte sie in einem Atemzug aufzählen: NSU Konsul, Zündapp KS601 und BMW R67.

Ganz anders die Situation in England. Dort war man Marktführer. Schwere Maschinen von BSA, Triumph, Ariel, Matchless, Royal Enfield, Norton, AJS, Scott, Panther, Rudge, Sunbeam, Velocette und Vincent waren überall auf der Welt heiß begehrt. Und nach der berühmten Edelschmiede Brough Superior hatte sich mit Vincent obendrein auch noch ein würdiger Nachfolger gefunden. Dass diese Marke einen so guten Ruf genoss, lag an der Firmenphilosopie. Philip C. Vincent hatte nämlich die gleiche Einstellung wie sein Automobilkollege Sir Henry Royce: Er verwendete nur das Beste vom Besten für seine teuren Motorräder. Vincent Maschinen waren stark, schnell und exklusiv.


Vincent-Prospekt 1948
  (Foto: Werk)


Dream-Bike 1948: H.R.D.-Vincent 1000 Black Shadow

Von englischen Maschinen und besonders einer Vincent konnten die Fans bei uns jedoch nur träumen. Erstens gab es kaum jemand, der sich um den Import kümmerte, und zweitens waren die "Ladies" einfach viel zu teuer. Doch davon "spinnen" war nicht verboten. Wenn sich die Motorradfreunde nach getaner Arbeit am Stammtisch oder am Wochenende ums Lagerfeuer trafen, wurde kräftig "Benzin geredet". "Das MOTORRAD" war für sie die Bibel, und die Berichte von Ernst "Klacks" Leverkus galten als Offenbarung. Zwar gab es nicht viele Artikel über Vincent Motorräder, doch wenn mal was veröffentlichte wurde, trennte man die Seite sorgfältig aus dem Heft und rahmte sie liebevoll in einen Glasrahmen. Was nicht nachzulesen war, wurde erzählt. Zum Beispiel die Story aus Paris. Von den acht Vincent, die in einem Jahr verkauft worden waren und von denen sieben noch im gleichen Jahr ihre Fahrer erschlagen hatten. Wer solch eine Maschine fuhr, war ein Teufelskerl. Über kein anderes Motorrad wurde mehr diskutiert, spekuliert und Geschichten erzählt wie über die Vincent.

Begonnen hatte die Vincent-Saga recht früh. Bereits in seiner Jugend interessierte sich der Sohn eines reichen argentinischen Rinderfarmers für technische Dinge. 1919, damals war der Pfiffikus gerade 11 Jahre alt, schickten ihn seine Eltern zum weiteren Schulbesuch nach England. Mit 14 Jahren bestand er als Bester die Aufnahmeprüfung zur Ingenieurschule in Cambridge, und kaum 16 Jahre alt modifizierte er seine 350er BSA mit einer Hinterradfederung. Zwei horizontal liegende Schraubenfedern übernahmen die Federarbeit der selbst konstruierten und zusammengeschweißten Dreiecksschwinge. Mit diesem System hatte der junge Vincent 1927 das Vorbild für die von Yamaha Mitte der siebziger Jahre als Weltneuheit präsentierte "Cantilever-Federung" erfunden...


Erste Rahmenzeichnung von Philip C. Vincent
(Foto: Werk)

In jener Zeit lernte er Howard R. Davies kennen. Davies baute die H.R.D.-Motorräder, die in England einen guten Ruf genossen. Vincent organisierte sich von seinem Vater Geld und stieg bei Davies ins Geschäft ein. Die beiden Motorradenthusiasten nannten ihre Firma "The Vincent H.R.D. Company Ltd.", mit Sitz in Stevenage. Man baute eigene Fahrwerke und bestückte sie mit 250er, 350er, 500er und 600er Einzylinder-Triebwerken von Villers, Rudge und JAP. In puncto Bremsanlage tüftelte Vincent 1933 etwas ganz Besonderes aus. Jeweils zwei Halbnaben-Trommelbremsen mit 178 mm Durchmesser sorgten am Vorder- und Hinterrad für gute Bremswerte. Diese Stopper erwiesen sich als so gut, dass sie bis zur Firmenschließung 1955 beibehalten wurden. Der Fahrzeugverkauf war mittlerweile gut in Schwung gekommen, und Vincent konnte den genialen australischen Motorenkonstrukteur Phil Irving engagieren. Umgehend machten sich die beiden Techniker an die Konstruktion eines eigenen 500er Einzylinder-Viertakt-ohv-Motors. Auf Anhieb war der Single erfolgreich. 



Erster 1000er Vincent-V2-Motor 1937: "plumber`s nightmare"

Nur zwei Jahre nach Einführung der neuen 500er Modellgeneration hatten Vincent und Irving den nächsten Streich ausgeheckt. Sie koppelten zwei 500er Motoren zu einem 1000er V-Triebwerk zusammen. Das Kraftpaket brachte es auf sensationelle 45 PS. Die Vincent H.R.D. Rapide "Serie A" war 1937 weltweit das erste Serien-Motorrad, das über 180 Sachen lief. Ihren Spitznamen hatte sie auch bald weg: "plumber`s nightmare", was soviel wie "Klempners Alptraum" bedeutet. Um nämlich alle Schmierstellen mit dem lebenswichtigen Motoröl zu versorgen, waren rund um das Triebwerk jede Menge Ölleitungen verlegt. Allerdings passierte es immer wieder mal, dass ein oder gleich mehrere Anschluss undicht wurden, dann schwamm die ganze Vincent im Öl...



H.R.D.-Vincent Prospekt von 1948
(Foto: Werk)

Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Produktion der schnellsten Bikes zunächst auf Eis gelegt, doch gleich nach 1945 gings weiter. Zusammen mit Chefkonstrukteur Phil Irving entwickelte Vincent eine neue Modellpalette, die als Baukastensystem ausgelegt war. In den Rahmen ließen sich wahlweise der Ein- oder Zweizylinder-Motor einbauen. Von einem Chassis im herkömmlichen Sinne konnte allerdings kaum die Rede sein. Hauptbestandteil war lediglich ein stabiles Rückgrat aus Vierkantrohr, das direkt am Zylinderkopf angeschraubt wurde und das gleichzeitig als Öltank diente. Die Führung des Vorderrades erledigte die ungedämpfte Brampton-Trapezgabel. Bei der Hinterradfederung blieb man bei Bewährtem. Die Lagerung der Dreiecksschwinge war direkt am Motorgehäuse angeflanscht, und wie vor dem Krieg übernahmen zwei fast liegende ungedämpfte Federelemente die Federarbeit. Nur aus diesen drei Bauteilen - Trapezgabel, Rückgratrahmen und Dreiecksschwinge - bestand das Fahrgestell. Der Motor diente als mittragendes Element. Als Stopper dienten am Vorder- und Hinterrad jeweils zwei Trommelbremsen. Das Baukastensystem setzte sich beim 500er und 1000er Triebwerkes fort. Etliche Bauteile, wie zum Beispiel Zylinderköpfe, Zylinder, Kolben und viele Kleinteile, ließen sich in beiden Ausführungen verwenden. War beim Einzylinder das Getriebe noch nach echt englischer Sitte hinter dem Motor angeflanscht, bestand der V2 aus einem Block, in dem das Vierganggetriebe gleich mit untergebracht war. Beachtlich war die Kupplung. Da es damals noch keine hochwertigen Materialien gab, bestand die Kupplung aus zwei Bauteilen: einer über Bowdenzug betätigten Einscheiben-Trockenkupplung und einer zusätzlichen Servo-Trommelkupplung, vergleichbar mit einer Trommelbremse. Kuppelte der Fahrer aus, wurden die vier Kupplungsbeläge in die Trommel gepresst, und so konnte das enorme Drehmoment des V-Motors verlustfrei an das Getriebe weitergeleitet werden. Der nächste Clou war der Ventiltrieb. Damit die Stößelstangen möglichst kurz blieben, waren die beiden über Zahnräder angetriebenen Nockenwellen hochgelegt, und die Kipphebel betätigten die Ventile unterhalb der Ventilfeder. Auch auf geringes Gewicht legte man damals großen Wert. Aus diesem Grund waren Motorgehäuse, Zylinder und Zylinderköpfe aus Aluminium gefertigt. Die ersten Modelle 1946 waren die 500er Meteor mit 26 PS und die 45 PS starke und 175 km/h schnelle 1000er Rapide.


Werksrennfahrer Georg Brown auf der legendären "Super Nero" 
(Foto: Werk)

Genau wie vor dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sich Vincent bald wieder im Rennsport. Für 1947 entstand die "Super Nero" und "Gunga Din", mit der Werksfahrer George Brown zahlreiche Rennerfolge erringen konnte. Die "Super Nero" und "Gunga-Din" wurden zur Legende und waren mit Sicherheit die wohl schnellsten jemals gebauten 1000er V2-Renn-Vincent. Das Triebwerk hatte man nach allen Regeln der Kunst getunt. Beflügelt von den Erfolgen beschloss man umgehend, das gesammelte Know-how in eine Straßenmaschine umzusetzen. Als Basis diente die Rapide "Serie B". Das Fahrwerk blieb, abgesehen von den Dunlop-Aluminium-Hochschulterfelgen und zur besseren Kühlung verrippten Trommelbremsen, serienmäßig. Das Hauptaugenmerk legte die Vincent-Rennabteilung auf das Triebwerk. Die Pleuel wurden erleichtert und hochglanzpoliert, Ein- und Auslasskanäle optimiert, scharfe Rennnockenwellen eingebaut, die Verdichtung von 6,8 auf 7,3 erhöht und die Standard-Vergaser gegen große Amal-Vergaser vom Typ 279 mit 1 1/8-Zoll Durchlass getauscht. Freizügig konnten die Amal-Vergaser die Luft durch offene Ansaugtrichter schnorcheln, und fast ungehindert gelangten die Abgase durch die 2-in-1-Auspuffanlage ins Freie. Von wegen "Sound ist out".
Das Standard-Getriebe ersetzte man gegen ein Renngetriebe mit extrem langen ersten Gang. Das Tuning konnten sich sehen lassen, die Leistung kletterte von 45 PS auf beachtliche 55 PS bei 5700/min. Zur besseren Wärmeabfuhr ließ sich Vincent etwas Interessantes einfallen: Das Triebwerk wurde in einem Spezialverfahren schwarz lackiert. Eine weitere Besonderheit dieser Supersportmaschine wurde der riesige Smiths-Tacho, dessen Skala in der „Meilenausführung" bis 150 und mit der "Kilometereinteilung" bis 250 Sachen reichte. Auf dem Tank klebte mit dicken Lettern das "H.R.D."-Logo, und vorne am Steuerkopf gab es einen Aufkleber mit dem geflügelten Götterboten Merkur, Symbol für Schnelligkeit und Kraft. Und weil nun das Bike schwarz wie die Nacht und schnell wie der Schatten war, wusste man auch gleich einen Namen: Black Shadow.

1948 kam die 55 PS starke und die 200 km/h schnelle Black Shadow auf den Markt

Anfang 1948 kam die Vincent Black Shadow "Serie B" auf den Markt. Dank des niedrigen Schwerpunktes verfügte die "zulassungsfähige Rennmaschine" über ein ausgesprochen gutes Handling. Eingefleischte Fans schwärmten sogar von exzellenten Fahrwerksqualitäten: Draufsetzen, sich wohl fühlen und losdüsen. Dabei musste die ersten Black Shadows "Serie B" sogar noch mit der spindeldürren, ungedämpften Brampton-Trapezgabel Vorlieb nehmen. Auch die Hinterradfederung arbeitete ohne hydraulischen Dämpfer. Lediglich einstellbare Reibungsdämpfer minderten in der Trapezgabel und für das Hinterrad das unkontrollierte Nachschwingen der Federelemente. Doch welches Motorrad verfügte Anno 1948 schon über einen Rahmen mit Federelementen. In einer Zeit, in der etliche Experten noch steif und fest davon überzeugt waren, dass nur Fahrwerke mit starrer Hinterachse eine optimale Straßenlage vermitteln können.


Marken-Zeichen der Vincent: "Brampton-Trapezgabel" und "Cantilever-Hinterrad-Federung" 


Vincentfahrer standen über diesen Dingen. Besonders, wenn es um Beschleunigung und Durchzug ging. Im großen Gang ließ sich der „Schwarze Schatten" ruckfrei ab 50 Knoten in wenigen Augenblicken bis auf über 200 km/h katapultieren. Wer damals den Akteur aber nach dem Topspeed fragte, bekam in der Regel die coole Antwort: "Weit über 120 Meilen pro Stunde". Wo allerdings der verwegene Reiter dieses Tempo "erfahren" hatte, konnte oder wollte er nicht verraten. Geeignete Autobahnen, die für diesen Affenzahn geschaffen waren, gab es kurz nach Kriegsende ja noch nicht. Doch sei es, wie es will. Wer mit der 1000er Vincent H.R.D. Black Shadow "Serie B" unterwegs war, war "King of the Road". Kein anderes Bike war schneller. Ein Mythos war geboren, der "Schwarze Schatten" wurde zur Traummaschine einer ganzen Motorradfahrergeneration.




Nicht unerwähnt darf der "nackte Ritt auf der Kanonenkugel" bleiben. Im September 1948 scheuchte Rollie Free bei der "Speed-Week" eine fast serienmäßige Black Shadow über den Bonneville-Salzsee in Utha/USA. Aus "aerodynamischen Gründen" lag Rollie Free flach auf der Vincent, bei dem akrobatischen Kunststück trug er lediglich Helm, Badehose und Schlappen. Der Mut wurde belohnt: 241,85 km/h Spitze! Das war absoluter Rekord.

Und nun zum Schluss, doppelsinnig sogar. Für Phil C. Vincent war die Motorradfertigung ein kostspieliges Unternehmen. Bei jeder Maschine legte er gut 200 Mark drauf. Und so wundert es nicht, dass bereits 1950 das Unternehmen bei den Banken mit rund 2,2 Millionen Mark in der Kreide stand. Am 18. Dezember 1955 verließ die letzte 1000er Vincent das Werk in Stevenage.


Technische Daten

Vincent Black Shadow
Baujahr 1948


Motor:
Fahrtwind gekühlter Zweizylinder-Viertakt-50-Grad-V-Motor, zwei hochgelegte, über Stirnräder getriebene Nockenwellen, zwei Ventile pro Zylinder über Stößel und Kipphebel betätigt. Bohrung x Hub 84 x 90 mm, Hubraum 998 ccm, Verdichtung 7,3:1, Leistung 55 PS bei 5700/min. Trockensumpfschmierung. Zwei Amal-Vergaser, Typ 279, offene Ansaugtrichter. Magnetzündanlage, 6 Volt Lichtmaschine.

Getriebe:
Primärantrieb über Triplexkette, Vincent-Einscheiben-Trockenkupplung kombiniert mit Servo-Trommelkupplung, Vierganggetriebe, Endantrieb über Kette.

Fahrwerk:
Rückgrat-Rahmen, Vierkantrohr dient gleichzeitig als Öltank, ungedämpfte Brampton-Trapezgabel, Dreiecks-Hinterradschwinge mit zwei ungedämpften Federbeinen. Vorne zwei Halbnaben-Trommelbremsen, Ø 178 mm, hinten zwei Halbnaben-Trommelbremsen, Ø 178 mm. Speichen-Räder mit Hochschulter-Felgen; Bereifung, vorne 3.00 H 19 und hinten 3.50 H 18.

Abmessungen und Werte: 
Radstand 1435 mm, Gewicht 205 kg, Tankinhalt 16 Liter, Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h

Text-Archiv: Vincent

Bild-Archiv: Vincent Black Shadow


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