Motorrad-Marken


Vincent Black Prince
 Baujahr 1955

"Plastik-Bomber"

Philip C. Vincent war ständig der Zeit voraus. Auch mit seiner
1000er Black Prince. Sie war Anfang 1955 weltweit die
erste Serienmaschine mit einer Vollverkleidung aus Glasfaser
verstärktem Kunststoff. Doch die Mühe war vergeblich.
Ende 1955 musste die berühmte englische Nobelmarke
ihre Fabriktore für immer schließen.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk


Den Grundstein für seinen sagenhaften Erfolg legte Philip C. Vincent Ende der zwanziger Jahre in Stevenage. Der junge Ingenieur beteiligte sich bei Howard R. Davies, dessen H.R.D.-Motorräder in England äußerst populär waren. Sie nannten ihre Firma "The Vincent H.R.D. Company Ltd.". Der hochbegabte Vincent konstruierte Bremsanlagen, Fahrwerke und ein 500er OHV-Triebwerk. Nur zwei Jahre nach erfolgreicher Einführung der eigenen 500er Modelle tüftelte Vincent mit dem australischen Motorenkonstrukteur Phil Irving 1937 am nächsten Knüller. Sie hatten zwei 500er Motoren zu einem 1000er V-Triebwerk zusammengekoppelt. Gut 45 PS leistete das V2-Aggregat. Die Vincent H.R.D. Rapide war das erste Serien-Motorrad der Welt, das über 180 km/h erreichte!


Vincent H.R.D. Rapide von 1937

Nach 1945 knüpfte man mit neuen twickelten 500er und 1000er Modellen nahtlos am Vorkriegsruhm an. Nur sieben Jahre nach Wiederaufnahme der Produktion verließen pro Woche mehr als sechzig Maschinen das kleine aber feine Werk in Stevenage/Südengland. Für P.C.V., wie er kurz und bündig von Freunden und Bewunderern genannt wurde, war das allerdings kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Trotz allgemein gut gehender Geschäfte bekam die Motorradbranche nämlich zusehends Konkurrenz durchs Auto. Für das Geld, was eine 1000er Vincent kostete, gab es mittlerweile schicke Kleinwagen. Entgegen englischer Gepflogenheiten war Phil Vincent allerdings längst klar geworden, dass sich nicht die Motorradkundschaft, sondern die Hersteller der neuen Situation anpassen müssten. Und hierfür gab es nach seiner Meinung nur eine Chance um am Ball zu bleiben: das Motorrad brauchte eine Verkleidung. Mit diesem Thema hatte sich P.C.V. bereits in den dreißiger Jahren beschäftigt. Damals wurden Versuchsverschalungen aus Alublech handgedengelt. Doch zu einer Serienfertigung kam es nicht, der Zweite Weltkrieg funkte dazwischen, und die Kapazitäten wurden für andere Dinge gebraucht.


Zeitgeist Mitte der 50er Jahre: Cromwell-Halbschalenhelm und verkleidetes Motorrad


Anfang der Fünfziger machte ein neuartiges Material von sich reden. Es war ein duroplastischer Kunststoff, aus dem sich Faserverbundwerkstoffe fertigen ließen. Cromwell, Hersteller des legendären Halbschalenhelms, verwendete in Großserie diesen Glasfaser verstärkten Polyesterharz, auch Fiberglas oder kurz GFK genannt. Das Außenmaterial bestand aus mehreren Schichten Glasfasergewebematten, die mit Kunstharz getränkt waren. Die Fiberglas-Schale wurde handlaminiert und zeigte hervorragende Eigenschaften. Sie war superleicht, dafür aber außergewöhnlich stabil, unempfindlich gegen Witterungseinflüsse und Lösungsmittel, ließ sich individuell lackieren und mit Aufklebern dekorieren.
Und genau aus diesem Wundermaterial wollte Phil Vincent die Verkleidungen bauen. Allerdings war in der Motorradbranche so etwas überhaupt noch nicht üblich. Vergleichbares, von dem man hätte abspicken können, gab es nicht. Der Visionär versprach sich von seiner Idee gleich zwei gewaltige Vorteile für die Passagiere: Zum einen sollte die Verkleidung bei Regenwetter den ekligen Straßenschmutz fernhalten und zum anderen bei schneller Fahrt, die 1000er lief schließlich 200 Sachen, vor lästigem Fahrtwind schützen.
Zunächst galt es einen Prototyp zu entwerfen. Aus Holz, Gips sowie Pappmaché wurden ein breiter Vorderradkotflügel, Motorseitenabdeckungen, eine Hinterradverkleidung, eine lenkerfeste Oberteilverkleidung sowie Beinschilder, die so geformt waren, dass sie gleichzeitig den Fahrtwind als Kühlluft auf das Triebwerk leiteten, modelliert. Diese Modelle dienten zur Herstellung der jeweils benötigten Negativformen, in die die Glasfasermatten einlaminiert wurden. Damit die Bauteile über die gesamten Flächen eine gleichbleibende Wandstärke erhielten, war es jedoch wichtig, dass die Fiberglasmatten faltenfrei in den Formen lagen und gleichmäßig mit Harz durchtränkt wurden. Dieses Laminieren verlangte viel Geschick und gewissenhafte Fertigungsweise, was man sich allerdings erst mühselig erarbeiten musste. Rund ein Jahr verging, bis man die Sache im Griff hatte und sich alle GFK-Bauteile passgenau und mit einer tadellos glatten Oberfläche herstellen ließen.

In diesem Zusammenhang sei ein kurzer Einschub erlaubt. P.V.C. war nicht nur zu Lande, sondern auch auf dem Wasser seiner Zeit weit voraus. Er konstruierte und baute den ersten "water-scooter". Das Ding sah wie ein über die Wasseroberfläche flitzender Delphin aus, auf dem quietschvergnügt ein Menschenkind hocken konnte. Den pfiffigen Wasserfloh hatten die Vincentleute aus Fiberglas gefertigt, für den Antrieb sorgte ein kleiner Zweitakt-Motor. So sensationell der "Amanda Water-scooter" aber auch war, so schnell wurde das niedliche "Speed-boat" ein "Submarine". Erst viele Jahre später "erfanden" Suzuki, Kawasaki und Yamaha das Spielzeug neu. Bei den Japanern hießen die Wasserflitzer fortan Wet-Bike, Jet-Ski und Wave -Runner.



Vincents "water-scooter"
(Foto: Werk)

Doch zurück zur Fiberglas-Idee. Im Herbst 1954 präsentierte die Nobelmarke bei der "Earl´s Court Show" in London die vollverkleidete 1000er Tourensportmaschine Black Prince. Was sich unter den schwarzen Kunststoffhäuten verbarg, wussten zunächst nur Insider. Vincent hatte sich nämlich einen geschickten Schachzug ausgedacht. Als Basis für die Black Prince diente die 55 PS starke und über 200 km/h schnelle Black Shadow. Der Luxusliner gehörte zur vierten und letzten Vincent-Generation, der "Serie D". Die besonderen Merkmale dieser Baureihe waren: 6-Volt-Batteriezündung, geänderter Rückgrat-Rahmen ohne integrierten Öltank (das kostbare Öl für die Trockensumpfschmierung dümpelte nun in einem separaten Vorratsbehälter), fast liegendes, hydraulisch gedämpftes Mono-Federbein für die Hinterradschwinge, ein neuer, hinterer Hilfsrahmen und nur noch eine Trommelbremse am Hinterrad. Die hydraulisch gedämpfte Girdraulic-Gabel war dagegen bereits seit 1948 Standardausstattung.


Bei der Lackierung durfte man sich damals bekanntlich alles erlauben, solange es sich um Schwarz handelte. Und so war die Black Princs von vorne bis hinten pechschwarz, nur rechts und links sorgten je ein dezenter goldener Zierstreifen für "Farbenpracht". Echte Aufregung herrschte dagegen in der Motorradszene. Solch eine Maschine hatte keiner erwartet. Mit dem extravaganten Motorrad wollte Vincent aber nicht nur seine Innovationsfähigkeit demonstrieren, sondern auch mit dem weitverbreiteten Negativ-Image, Biker seien verdeckte und Öl verschmierte Gesellen, Schluss machen. P.C.V. pries sie als Tourensport- und Reisemaschine für bequeme und ermüdungsfreie Langstreckenfahrten.


Toll: alles Verkleidet

Genial: Aufbockvorrichtung

Trotz der Verpackungskunst hatte der geniale Konstrukteur aber auch an den praktischen Teil gedacht. Um die erforderlichen Servicearbeiten zu erledigen, ließen sich mit wenigen Handgriffen die Seitenverschalungen abnehmen und die Hinterradverkleidung hochklappen. Hohe Qualitätsmerkmale und eine sprichwörtliche Wartungsfreundlichkeit waren weiterhin die herausragenden Eigenschaften der Vincent. Alle Inspektionsarbeiten konnten problemlos mit dem Bordwerkzeug vom Besitzer selber durchgeführt werden. War in der damaligen Motorradwelt die Schrauberei am Straßenrand jedoch ein Muss, erreichte die Vincentfraktion dank der hohen Zuverlässigkeit ihrer Maschinen sicher jedes Ziel. Und zum Verreisen war der Prince geradezu prädestiniert. Als Zubehör gab es einen Gepäckträger, dazu passende Seitenkoffer aus Kunststoff, ein Zusatzschild für die Windschutzscheibe und einen ledernen Tank-Überzug. Serienmäßig hatte dagegen die "Serie D" die Vorrichtung zum Aufbocken. Via langem Hebel ließ sich das Bike kinderleicht auf den Hauptständer hieven.

Dieser komfortable "Rolls-Royce auf zwei Rädern" hätte eigentlich der Oberknaller werden müssen. Doch Phil Vincent hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nur wenige konnten sich für diese neue Art von Motorrad begeistern. Das Gegenteil war sogar der Fall. Der angestrebte Imagewechsel stieß auf Ablehnung. Die damalige Motorradwelt wollte weiterhin "open-air" durch die Gegend brausen, und gegen Nässe und Kälte vertraute man lieber den bewährten Klamotten von Barbour oder Belstaff. Auch wenn der Begriff "Plastikschüssel" noch nicht gebräuchlich war, so waren sich die Experten dennoch einig, eine Kunststoff- Verschalung hatte am Motorrad einfach nichts zu suchen. Und so half weder der legendäre Ruf, noch das fortschrittliche Denken. Nur ein Jahr nach dem die umstrittene Black Prince auf den Markt kam, musste die Nobelmarke die Fabriktore für immer schließen.

Vincent 1000 Black Prince 1955: "Rolls-Royce auf zwei Rädern" 


Technische Daten
Vincent Black Prince 
Baujahr 1955


Motor:

Fahrtwind gekühlter Zweizylinder-Viertakt-50-Grad-V-Motor; zwei hochgelegte, über Stirnräder getriebene Nockenwellen, zwei Ventile pro Zylinder über Stößel und Kipphebel betätigt; Bohrung x Hub 84 x 90 mm; Hubraum 998 ccm; Verdichtung 7,3:1; Leistung 55 PS bei 5700/min; Trockensumpfschmierung; zwei Amal-Monobloc-Vergaser, offene Ansaugtrichter; Batteriezündanlage, 6 Volt Lichtmaschine.

Getriebe:
Primärantrieb über Triplexkette, Vincent-Einscheiben-Trockenkupplung kombiniert mit Servo-Trommelkupplung, Vierganggetriebe, Endantrieb über Kette.

Fahrwerk:
Rückgrat-Rahmen, gedämpfte Girdraulic-Trapezgabel, Dreiecks-Hinterradschwinge, hydraulisch gedämpftes Federbein; vorne zwei Halbnaben-Trommelbremsen, Ø 178 mm, hinten eine Halbnaben-Trommelbremse, Ø 178 mm; Speichen-Räder, Bereifung, vorne 3.60 H 19 und hinten 4.10 H 19.

Abmessungen und Werte:
Radstand 1435 mm, Gewicht 214 kg, Tankinhalt 18 Liter, Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h.

 

Text-Archiv: Vincent

Bild-Archiv: Vincent Black Prince


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