Vincent-H.R.D. Series-A
Rapide
Baujahr 1937
"A-typisch"
Von 1934 bis 1955
waren die Maschinen von Philip C. Vincent
die exklusivsten und
schnellsten Motorräder der Welt.
Die erste 1000er war die
Series-A Rapide. Nur 77 Maschinen
wurden von 1937 bis 1940
gebaut. Nach Insiderschätzung
fahren noch zehn dieser
Kostbarkeiten, eine davon in Deutschland.
Text & Fotos: Winni Scheibe
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K ein
Zweifel, das Motorrad ist steinalt, ist todsicher ein Oldtimer. Selbst
Leute, die sich im Metier nicht auskennen, tippen auf ein
Vorkriegsmodell, das mindestens 60 oder sogar schon 70 Jahre auf dem
Buckel hat. Zerklüftete Motortechnik, ein Öltropfen unter dem
Triebwerk, offen liegende Ventilfedern, ein Gewirr von Schläuchen und
Ölleitungen, spindeldürre Reifen, vorsintflutliche Trapez-Gabel, zwei
Sättel und natürlich die schwarze Lackierung gehören in die Welt von
Vorvorgestern. In eine Zeit, als Motorräder in jeder Farbe lackiert
sein durften, vorausgesetzt sie war schwarz. Spekulationen über die
Herkunft stiften hin und wieder die drei Buchstaben am Tank: "H.R.D.".
Bernd Stutz, dem die bestaunte Maschine gehört, kann sich den Spaß
nicht verkneifen und kommentiert: H.R.D. steht für "Honda-Research-Department" und betont mit Kennerblick, schließlich war es der
geniale Soichiro Honda, der für die "Meilensteine" in der
Motorradgeschichte gesorgt hat. Doch schon im gleichen Augenblick lacht
er und verrät mit einem Augenzwinkern, dass es sich um eine englische
Vincent-H.R.D. Series-A Rapide von 1937 handelt. Keiner nimmt ihm den
Scherz übel. Zu selten und viel zu unbekannt ist der erste 1000er
V-Twin von Philip C. Vincent aus Stevenage/England. Lediglich 77
Maschinen mit den Motorennummern V1001 bis V1077 wurden vom Oktober 1936
bis Anfang 1940 gebaut. Die erste 1000er-Modellreihe von Vincent-H.R.D.
war allerdings keine Serienfertigung im üblichen Sinne, die Produktion
erfolgte nur auf Vorbestellung. Vor dem Zweiten Weltkrieg war der Preis
von 138 Pfund für ein Bike mit 1000 ccm, 45 PS und über 100 Meilen pro
Stunde Höchstgeschwindigkeit eben ein echtes Vermögen.
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"H.R.D." steht nicht für "Honda-Research-Department"
sondern für "Howard R. Davies" |
Bernd
Stutz kennt die
Vincent-H.R.D. Firmen-Historie in- und auswendig und weiß ganz genau,
wer die Vorbesitzer seiner Rapide waren. Mit dieser Maschine
verwirklichte sich der Kölner einen langgehegten Jugendtraum. Solange
er sich nämlich schon für Motorräder interessiert, war es immer sein
größter Wunsch, irgendwann einmal eine Vincent zu besitzen. Anfang
1993 war es dann soweit. Von Ian MacDonald Hamilton aus Cambridge kaufte
er die 1000er Rapide mit der Seriennummer V1011. Die Vincent-H.R.D. von
1937 war jedoch keineswegs fahrbereit, sondern wegen eines Motorschadens
in alle Einzelteile zerlegt. Dazu gab es weder irgendwelche technische
Unterlagen, noch eine Betriebsanleitung, nur der Fahrzeugbrief war noch
vorhanden. Aus diesem Dokument lässt sich ersehen, dass die Rapide am
1.1.1939 von Conway Motors´-London an einen gewissen Mister George
Brown ausgeliefert wurde. Das Motorrad erhielt das Kennzeichen "FLK
321"- es hat noch heute seinen Platz auf dem vorderen Schutzblech.
Am 1. Juli 1947 wechselte die Vincent-H.R.D. zu Wilfred NewPort, und am
7. März 1950 bekam sie Frederick Charles Gentl. Vom 24. August 1950 bis
zum 26 Dezember 1951 fuhr den 1000er V-Twin Alfred William Janes, danach
besaß Thomas Robert Barker die Maschine, und am 6. September 1969 ging
sie an besagten Ian MacDonald Hamilton. Doch er hatte wenig Glück mit
dem bereits 32 Jahre alten V-Twin. Ein kapitaler Motorschaden beendete
wenig später die Fahrfreude. Als Student hatte Hamilton damals aber
kein Geld, um die Maschine zu reparieren, und so blieb die Kostbarkeit
zerlegt in Kistchen und Kästen liegen, bis Bernd Stutz das Sammelsurium
kaufte.
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Bernd Stutz beim restaurieren des
A-Twins |
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Wieder daheim in Köln wurde der
Fundus zunächst gesichtet und nach Baugruppen zusammengelegt. Hierbei
bekam der nun siebte Besitzer einen Überblick, welche Teile beschädigt
waren, was fehlte und welche Sachen noch zu gebrauchen waren.
Selbstverständlich wollte Bernd Stutz die Rapide nach Möglichkeit
100prozentig originalgetreu restaurieren. So wie sie 1937 das Werk in
Stevenage verlassen hat. Doch was ist in diesem Fall 100prozentig? Beim
Vergleichen von Prospekten, Fotos, Testberichten und anderen
Veröffentlichungen stellte sich bald heraus, dass dieses Vorhaben sehr
schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Auch wenn bei der Series-A
Rapide bereits von einer "Serienfertigung" gesprochen werden
kann, hatte Vincent längst nicht immer den gleichen Scheinwerfer, das
gleiche Rücklicht oder die gleichen Schutzbleche verwendet. Bei der
Montage hat man damals eben das genommen, was gerade da war. Erschwert
wurden die Recherchen durch die Ungewissheit, handelt es sich bei den
abgelichteten Rapides tatsächlich um Standard-Ausführungen, oder
wurden diese Maschinen bereits modifiziert, restauriert oder einfach von
ihrem Besitzer in einigen Details verändert. Wer mit so einer Situation
schon einmal konfrontiert war, kann sich gut in die Situation von Bernd
Stutz versetzen. Bevor es also mit der eigentlichen Restauration
losging, betätigte sich der Perfektionist zunächst als "Sherlock
Holmes", trug die Informationen wie ein Puzzle zusammen, doch ein
Rest Ungewissheit blieb zum Schluss immer noch. Von unschätzbarem Wert
erwies sich die Unterstützung von Kurt Schupp, er ist erster
Vorsitzender des Vincent- Owners-Club Deutschland und von Bob Dunn aus
Bolton/England. Bernd Stutz vertraute Bob Dunn das Triebwerk an, denn er
ist als Vincent-Spezialist weit über die Grenzen Englands bekannt.
"Sicherlich
hätte ich den Motor und das Getriebe auch selbst überholen können,
doch das Risiko, etwas falsch zu machen, war mir einfach zu groß,"
gibt der Kölner ehrlich zu. "Original-Ersatzteile für den A-Twin
gibt es schon seit langem nicht mehr. Also muss man genau wissen, welche
Teile von den Nachfolgemodellen passen und welche Modifikationen
eventuell durchgeführt werden müssen. Von Bob Dunn weiß ich, dass er
jahrzehntelange Erfahrung besitzt und viele Bauteile selbst herstellen
kann."
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1937 erster 1000er Vincent
V2-Motor: "plumber`s nightmare"

(Zeichnung: Werk) |
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Und so wurde die Maschinerie in
England auf Vordermann gebracht. Die Zylinderköpfe erhielten neue
Ventile und Ventilführungen, die Ventilsitze wurden auf Bleifreibetrieb
umgerüstet. In die tadellosen Zylinderlaufbahnen setzte Bob Dunn neue
Kolben ein. Keine Arbeit machten Steuertrieb, Nockenwellen, Kipphebel
und Stoßstangen, dagegen musste der Kurbeltrieb komplett überholt
werden. Auch die Getrieberäder waren noch im einwandfreien Zustand,
erneuert wurden jedoch sämtliche Lager im Motor und in der Schaltbox,
die Primärkette, Kupplung und natürlich alle Dichtungen.
In der Zwischenzeit kümmerte sich
der Rapide-Besitzer ums Fahrwerk. Rahmen, Trapezgabel und Schwinge sowie
alle anderen lackierten Teile erhielten eine neue Lackschicht. Weitaus
aufwendiger war die Restauration der demolierten Schutzbleche und des
verbeulten Tanks. Der Kraftstoffbehälter besteht aus 17 Teilen, wovon
die beiden polierten Seitenteile aus Edelstahl sind. Nachdem die Dellen
ausgebeult waren, wurde der Tank wieder zusammengelötet, geschliffen,
gespachtelt und noch einmal geschliffen, die Seitenflächen aufpoliert
und abschließend in seiner ursprünglichen Art lackiert. Allein diese
Arbeit war wochenlang eine Abend füllende Beschäftigung. Ebenfalls sehr
zeitaufwendig war das Anfertigen von fehlenden Muttern und Schrauben.
Hier machte sich Bernd Stutzs Modellbauer-Ausbildung bezahlt. Jedes Teil
wurde auf den hauseigenen Werkzeugmaschinen hergestellt und
anschließend Glasperlen gestrahlt, damit die aus Edelstahl gefertigten
Teile nach dieser Behandlung wie "alt" aussehen.
Fingerspitzengefühl und "Millimeterarbeit" war bei der
Überholung der beiden ausgeschlagenen 27er-Amal-Vergaser angesagt. Sie
wurden aufgebohrt, hauchdünne Edelstahlbuchsen eingesetzt und
anschließend auf das Maß der abgedrehten Gasschieber gehont. Auch bei
der Überholung der Bremsanlage konnte Bernd Stutz nicht ins Teilelager
greifen. Nachdem die Trommeln ausgedreht waren, wurden die Bremsbacken
mit zurechtgeschnittenem Bremsband belegt und vernietet. Neue Speichen,
Felgen und Radlager rundeten die Generalüberholung der Laufräder ab. |

Spindeldürre Trapez-Gabel
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Dreiecksschwinge mit zwei
Federbeinen |
Anfang 1995 war Bob Dunn mit der
Überholung des Triebwerks fertig, den Zusammenbau erledigte Bernd Stutz
allerdings in Eigenregie. Hier war es mit "einfach
zusammenstecken" jedoch nicht getan. Den fehlenden Ventilausheber
musste er zunächst aus einem Stück Messing anfertigen. Auch die
Anschlussstücke für die Ölleitungen fehlten und wurden aus den "Vollen"
gemacht. Für eine bessere Öldichtigkeit zwischen Motor und
Primärkasten ließ sich Bernd Stutz eine O-Ring-Abdichtung einfallen.
Wieder vergingen Tage und Wochen, bis das Triebwerk endlich
zusammengebaut und ins Fahrwerk gehängt werden konnte. Dann gab es noch
jede Menge "Kleinarbeit". Es fehlte noch der Kabelbaum und der
Fußbremshebel.
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Knapp zwei Jahre hat die
Restauration in Anspruch genommen. Wobei es in dieser Zeit auch einige
Highlights gab. Zum Beispiel die Suche nach den Original-
Auspufftöpfen. Zufällig fragte Bernd Stutz bei der Firma Armours in
Bournemouth/England nach, ob sie eine Adresse kennen, die vielleicht
noch so eine Anlage liefern können. Die Antwort kam prompt: Wir. Auch
die original Rapide-Lenkstange von 1937 ließ sich gleich mitnehmen.
Kein Glück hatte er dagegen bei der Suche nach dem original "Dunlop-Trilastic"
Sattel. Der zur Zeit montierte Kunststoffsattel der A-Single sieht zwar
ziemlich echt aus, ist es aber leider nicht. "Original war auch kein
Stopplicht an der Vincent", verrät Bernd Stutz. "Doch ich
möchte mit der Maschine im öffentlichen Verkehr fahren, und da ist mir
die Sicherheit wichtiger als der Anspruch auf Originalität. Und
außerdem ist das Bremslicht im original Rücklicht versteckt, von
Stilbruch kann so eigentlich kaum die Rede sein."
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Bernd Stutz
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Bernd Stutz ist mit seiner Arbeit
zufrieden. Zuverlässig springt der V-Twin an, die Maschine hat ihn auf
seinen Ausflügen bisher noch nie im Stich gelassen. Denn dafür hat er
sich die Vincent-H.R.D. ja besorgt: zum Fahren. Und falls die Rapide
doch mal streikt, sehen mittlerweile zwei weitere 1000er Vincent in der
Garage, doch das ist eine Geschichte für sich.
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Technische Daten
Vincent-H.R.D. Series-A
Rapide
Baujahr 1937
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MOTOR:
Luftgekühlter OHV-Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, 47 Grad
Zylinderwinkel;
Bohrung x
Hub 84 mm x 90 mm; Hubraum 998 ccm; zwei untenliegende Nockenwellen,
Schlepphebel, Stoßstangen, Kipphebel, zwei Ventile pro Brennraum,
offenliegende Ventilfedern; 45 PS bei 5500/min; Trockensumpfschmierung;
Magnet-Zündung, 6 Volt; zwei Ø 27 mm Amal-Vergaser
GETRIEBE:
Primärantrieb über Duplexkette, Burman-Vierganggetriebe,
Fußschaltung, Sekundärantrieb über
offenlaufende Kette, Kickstarter
RAHMEN:
Diamond-Fahrgestell; Trapez-Gabel;
Dreiecks-Hinterradschwinge mit zwei liegenden Federbeinen; Bereifung
vorne 3.00 x 26, hinten 3.50 x 26; Bremse vorne und hinten je zwei Ø
178 mm Trommelbremsen; Tankinhalt 14 Liter
GEWICHT:
198 kg
HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT:
110 MPH ( 176 km/h)
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