Prof. Dr.-Ing. Peter Kuhn
Verstorben am 15. November 2011
Entwicklungsgeschichte
des URS-Rennmotor
"Graue Eminenz"
Aus purem
Idealismus oder umsonst macht heute kaum noch jemand etwas. Und
schon ganz und gar nicht einen Rennmotor konstruieren, mit dem
sich zwei WM-Titel und ein Vize-WM-Titel gewinnen lassen. Für Peter Kuhn war diese Aufgabe Anfang der 60er Jahre
allerdings eine riesige Herausforderung. 40 Jahre später
stöbere ich mit dem heutigen Prof. Dr.-Ing. Peter Kuhn in der
URS-Historie.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv Kuhn, Archiv Fath

Prof. Dr.-Ing. Peter Kuhn
14.
September
1932
-
15.
November
2011
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Stellen wir uns
doch bitte mal vor, die Pisa-Studie hätte es bereits vor 50
Jahren gegeben. Als Pilotprojekt wäre sie am
Kaiser-Wilhelm-Institut in Heidelberg, dem späteren
Max-Planck-Institut, durchgeführt worden. Das Ergebnis können
wir nur erahnen: Note sehr gut. Gleich zwei damalige
Auszubildende haben es nämlich zu etwas Außergewöhnlichem
gebracht. Helmut Fath, hochbegabter Feinmechaniker und
begnadeter Motorrad-Tuner und Rennfahrer, wurde 1960 auf einer
BMW und 1968 mit seinem URS-Eigenbau Gespann-Weltmeister und
Peter Kuhn hat als junger Maschinenbau-Ingenieur Anfang der 60er
Jahre diesen sensationellen Vierzylinder-URS-Rennmotor
konstruiert.
Nun war früher, wie oft glorifiziert, zwar nicht alles besser,
aber doch anders. Bleiben wir bei Peter Kuhn, Jahrgang 1932.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er als Abiturient "so ganz
nebenbei" nachmittags im Kaiser-Wilhelm-Institut an
Werkbank, Dreh- und Fräsmaschine gestanden um zusätzlich auch
noch eine Ausbildung als Feinmechaniker zu absolvieren.
Selbstverständlich war diese Doppelbelastung allerdings auch
damals längst nicht. Da aber bekanntlich der Apfel nicht weit
vom Stamm fällt, braucht einen das nicht weiter zu wundern. Der
Instituts-Direktor und Nobelpreisträger für Chemie im Jahr
1938 war nämlich Prof. Dr. Richard Kuhn, der Vater von Peter
Kuhn.
Für den begeisterten Motorradfan stand der Berufswunsch schon
früh fest: Maschinenbau-Ingenieur. Weil er aber, bis es endlich
so weit war, nicht warten wollte, tüftelte der Pfiffikus in
seiner Freizeit an Motorrädern herum. Zunächst an einer 500er
Victoria von 1927, die gleich nach gelungener Restauration als
"Fahrschulmaschine" für seine
Motorrad-Führerscheinprüfung ihre Zuverlässigkeit unter
Beweis stellen durfte. Die Maschine hielt natürlich durch und
gerade 18-jährig hatte der Heidelberger nun die heißersehnte
Fahrlizenz in der Tasche. Nach erfolgreichem Abschluss der Feinmechaniker-Gesellenprüfung
und später des
Abiturs wurde 1952 das
Maschinenbaustudium an der TH-Darmstadt aufgenommen.
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Kuhn-Spezial:
Horex-Einzylindermotor
mit obenliegender Nockenwelle
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Das Motorrad war für mich eigentlich nie nur einfach ein
Verkehrsmittel, es war auch immer mein Hobby. Und wie es schon
damals so üblich war, konnte es uns jungen Burschen nie schnell
genug gehen", verrät mir der Professor. "Nach der
Victoria hatte ich verschiedene Horex-Modelle, von der SB35 bis
zur Imperator. Eines dieser Motorräder habe ich mit geändertem
Zylinderkopf ordentlich auf Vordermann gebracht. Zunächst mit
zwei obenliegenden, kettengetriebenen Nockenwellen und variablen
Ventilsteuerzeiten, später mit einer obenliegenden Nockenwelle."
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(2 Fotos: Archiv Kuhn) |
Mit diesen Tuningarbeiten konnte sich Peter Kuhn gut sehen
lassen. Bei seinen Motorrad-Freunden, den Kommilitonen an der TH
und auch im Horex-Werk in Bad Homburg. Und hier bekam er in den
Semesterferien einen Praktikantenplatz in der
Konstruktionsabteilung. Neben moderner Ventilsteuerung, auf die
er später sogar ein Patent erhielt, setzte sich der angehende
Ingenieur unter anderem auch mit Torsionssteifigkeit und
Torsionsschwingungen von Kurbelwellen auseinander. Das
Hauptaugenmerk und die Diplomarbeit blieb jedoch der
Ventiltrieb. Bei Horex widmete sich der Viertaktfan dem
Resident-Einzylinder-Motor, den er von untenliegender auf
obenliegende Nockenwelle umbaute.
"Die Arbeit hatte von vornherein den Anspruch, dass dieses
OHC-Triebwerk später mal in Serie gehen sollte. Nach Lehrbuch
war bei diesem Steuerkettenantrieb das relativ kleine
Antriebszahnrad mit nur 11 Zähnen jedoch die Achillesferse in
der Konstruktion. Aus Platzgründen ließ sich jedoch kein
größeres Zahnrad verwenden. In tagelangen Prüfstandsversuchen
habe ich damals Einfach- und Duplex-Steuerketten erprobt und
ihren Verschleiß untersucht. Erstaunlicherweise hat die
Einfachkette die Strapazen selbst bei Drehzahlen bis zu 9000/min
problemlos überstanden. Aus der Serienfertigung des
OHC-Einzylindermotors wurde leider nichts, Mitte der 50er Jahre
schloss das Horex-Werk für immer die Tore," doziert der
Professor.
Im beruflichen Werdegang wirkte sich dies auf Peter Kuhn zum
Glück nicht aus. Als der frisch gebackene
Maschinenbau-Ingenieur im November 1958 das Diplom bestanden
hatte, blieb er zunächst als Assistent von Professor Triebnigg
weiterhin an der TH in Darmstadt.
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Für Fath
entwickelt Dipl.-Ing. Kuhn spezielle Ventilfedern
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Irgendwann
in dieser Zeit habe ich Helmut Fath während einer
Rennveranstaltung in Hockenheim wiedergetroffen," erinnert
sich mein Gastgeber. "Seine Motorradrennfahrer-Karriere
hatte ich in der Fachpresse mitverfolgt und wusste, dass er
bereits 1956 mit dem achten Platz in der
Gespann-Weltmeisterschaft bester BMW-Privatfahrer geworden war.
Wir kamen schnell ins Gespräch, erinnerten uns an die
Ausbildungszeit im Kaiser-Wilhelm-Institut in Heidelberg und
diskutierten natürlich ausgiebig über das Tuning von Helmuts
BMW-Renngespann. Aus dieser Begegnung entwickelte sich mit der
Zeit eine feste Freundschaft."
Helmut Fath, zweifellos ein außergewöhnlicher
Gespannrennfahrer und genialer Handwerker, kannte allerdings
auch seine technischen Grenzen. Und hier hatte er mit dem
studierten Maschinenbauer einen kompetenten Partner gefunden,
den er nicht nur um Rat fragen konnte, sondern der ihm auch bei
Problemlösungen half.
"Helmut Fath hatte seinen BMW-Rennmotor mit viel Know-how
modifiziert und ihn sogar mit einer mechanischen
Benzineinspritzanlage ausgestattet. Der
Königswellen-Boxer-Motor leistete etwa 68 PS und drehte über
10.000 Umdrehungen pro Minute", kann sich Peter Kuhn noch
gut an die damalige Zeit erinnern. "Mit dieser Leistung war
das Triebwerk allerdings an der Grenze seiner Belastbarkeit
angelangt. Immer wieder gab es Kurbelwellenschäden und
Ventilfederbrüche."
Um das Problem mit den Ventilfedern in den Griff zu bekommen,
berechnete und entwickelte Peter Kuhn in Zusammenarbeit mit
Federspezialist Schmitthelm in Heidelberg vollkommen neue
hochbelastbare Renn-Ventilfedern. Werden in der Regel pro Ventil
zwei Federn, eine große und eine innenliegende kleine,
verwendet, genügt bei der neuen Ausführung nur eine
Ventilfeder. Diese für hohe Drehzahlen ausgelegte Ventilfeder
wurde später als "Fath-Ventilfeder" bekannt, und
Federhersteller Schmitthelm hat sie später auch für Teams in
der Formel 1 gefertigt.
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Alle Mühen sollten sich lohnen. Am Ende der Saison 1960
war Helmut Fath mit seinem Beifahrer Alfred Wohlgemuth Gespann-Weltmeister. In der darauf folgenden Saison wollten die
Weltmeister ihren Titel erfolgreich verteidigen. Doch es sollte
nicht sein. Beim 24. Internationalen Eifelrennen am 30. April
1961 auf der Nürburgring-Südschleife verunglückten die
amtierenden Weltmeister schwer. Helmut Faths Freund und
Beifahrer Alfred Wohlgemuth kam dabei ums Leben, Fath selbst zog
sich schwere Bein- und Hüftverletzungen zu. Seine Karriere
schien beendet. Es sollte jedoch ganz anders kommen.
"Uns allen war der tragische Rennunfall von Helmut sehr
nahe gegangen. Aber schon nach einigen Monaten begannen wir mit
ihm im engsten Freundeskreis Zukunftspläne zu schmieden. Für
Helmut war es in der damaligen Situation sicherlich ganz
wichtig, schon bald wieder ein neues Ziel vor Augen zu haben.
Nach allen Erfahrungen wussten wir, dass der BMW-Motor
ausgereizt war. Nach wochenlangen Diskussionen und Abwägen von
unterschiedlichen luft- oder wassergekühlten mehrzylindrigen
Motor-Konzepten in Boxer-, V- oder Reihenausführung
entschlossen wir uns für die eigene Konstruktion eines
Vierzylinder-Viertakt- DOHC-Motors", weiss Peter Kuhn noch
wie heute.
Inzwischen arbeitete der junge Ingenieur als
Anwendungskonstrukteur beim Lagerhersteller INA Schaeffler KG in
Herzogenaurach und brütete für seine Doktorarbeit über
Ventiltriebe in Hochleistungs-Viertaktmotoren. Auf die Frage,
wie damals die Aufgaben verteilt waren, antwortet der Professor:
"Der "leibliche Vater" für das Projekt war
Helmut Fath, der "geistige Vater" für die
Konstruktion war ich. Maßgebliche Unterstützung erhielten wir
von meinem damaligen INA-Kollegen Dipl.-Ing Hans Hartmann, ein
exzellenter Maschinenbauer mit Motorkonstruktionserfahrung,
sowie dem versierten Werkzeugmacher Horst Owesle und dem
Elektrikspezialisten Paul Smetana."
Zunächst waren die fünf Motorradfreunde auf sich alleine
gestellt. Weder ein Werk, noch ein Sponsor, noch eine Bank,
unterstützte ihre Idee. Helmut Fath verdiente seinen
Lebensunterhalt mit dem Tuning und der Instandsetzung von
BMW-Motoren sowie Lohnarbeiten, die er in seiner mechanischen
Werkstatt erledigte. Seine vier Freunde waren bei ihren
Arbeitgebern fest angestellt. Alles, was sie zu dem Projekt
beitrugen, erledigten sie nach Feierabend oder am Wochenende.
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Ohne Sponsor, aber mit viel Idealismus wollte man
einen eigenen
Motor bauen
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URS-Motor (Foto:
Archiv Fath) |
Um
aus heutiger Sicht das mutige Vorhaben aber überhaupt richtig
verstehen zu können, werfen wir einen Blick in die damalige
Zeit zurück. Noch in den 50er Jahren war Deutschland
weltgrößter Motorradhersteller, aber schon wenig später,
Anfang der 60er Jahre veränderte das sogenannte
"Wirtschaftswunder" Land und Leute nachhaltig. Vom
Motorrad wollte plötzlich keiner mehr etwas wissen, wer etwas
auf sich hielt trug Hut, fuhr Auto und reiste mit Kind und Kegel
im Urlaub nach Italien. Das Zweiradgeschäft lag am Boden, wer
trotzdem mit dem Krad unterwegs war, wurde als "armes
Schwein" bezeichnet.
Für unsere Helden kein Grund von ihrem Vorhaben auch nur einen
Millimeter abzurücken. Ganz im Gegenteil. Das Ziel, mit einem
selbstgebauten Renngespann die Weltmeisterschaft zurück zu
erobern, schweißte sie nur noch fester zusammen. Welche Mühen,
Kosten und Anstrengungen auf sie zukommen würden, ließ sich
für sie nur vage abschätzen.
In der tristen Motorradlandschaft gab es allerdings auch einen
kleinen Hoffnungsschimmer. In der Weltmeisterschaft sorgte ab
1961 der japanische Motorradhersteller Honda für Aufregung. Die
125er Klasse hatte Tom Phillis und die 250er Klasse Mike
Hailwood gewonnen. In der Fachpresse wurden ihre Rennmotorräder
als "hochtourige Wunderwerke" mit
"Uhrmacher-Technik" beschrieben. Auch kein Wunder. Die
125er RC144 hatte einen Zweizylinder-Motor, die 250er RC162
einen Vierzylinder-Motor. Beide Triebwerke waren baugleich mit
Vierventil-Kopf, zwei obenliegenden Nockenwellen und
drehzahlfest bis 14.000/min aufgebaut. Zwar gab es in Italien
und bei NSU auch immer wieder herausragende Rennmotoren, doch
solche Triebwerke hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen.
Was in den nächsten Jahren aus Japan noch alles kommen würde,
ahnte damals aber sicherlich noch keiner.
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Japanisches Wunderwerk:
Honda 250er Vierzylinder-Werksmaschine von 1962
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Um so interessanter ist die Frage an Professor Kuhn, ob
bei den damaligen Überlegungen für den neuen Gespannmotor die
japanischen Ausführungen vielleicht als Vorbilder dienten.
"Eine berechtigte Frage," gibt Peter Kuhn zu.
"Doch außer den wenigen Veröffentlichungen in der
Fachpresse wussten wir so gut wie nichts über die technischen
Finessen der Honda-Rennmotoren. Aber auch wenn, es wäre kaum
hilfreich gewesen. Da wir den Motor ja selbst bauen wollten,
mussten wir von den für uns zur Verfügung stehenden Mitteln
und Möglichkeiten ausgehen. Vereinfacht ausgedrückt ließ sich
meine Aufgabe mit der Arbeit eines Architekten vergleichen, der
ein Haus baut, in das seine Bewohner gleich einziehen können.
Für mich bedeutete es, dass ich einen Rennmotor konstruieren
musste, der, abgesehen von den sicherlich zu erwartenden
Anlaufschwierigkeiten, auf Anhieb funktionieren sollte.
Experimente, etwa mit einem Vierventil-Zylinderkopf, konnten wir
uns finanziell überhaupt nicht leisten." |
Das Projekt
erhielt den Namen "URS",
ein Kürzel von Fahts Wohnort Ursenbach
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Selbst
nach 40 Jahren weist die Konstruktion beachtliche
Detaillösungen auf. Der bis auf über 14.000 Umdrehungen pro
Minute ausgelegte ultrakurzhubige 498 ccm Rennmotor mit 60 mm
Bohrung und 44 mm Hub brauchte eine stabile und verdrehfeste
Kurbelwelle. Anders als bei einer aus einem Stück geschmiedeten
und gleitgelagerten Kurbelwelle, sollte die Welle für den
URS-Motor in Rollen- und Nadellager lagern laufen. Das bedeutete
aber, dass sie aus den erforderlichen einzelnen Bauelementen,
Kurbelwangen, Wellen- und Hubzapfen, zusammengepresst und
verschraubt werden musste. Würde man diese Welle aber über die
ganze Länge in einem Stück fertigen, bestände die Gefahr,
dass sie sich bei schnell wechselndem Drehmoment in sich
verdrehen oder sogar brechen könnte. Um dieses Risiko
auszuschalten, kam der Konstrukteur auf die geniale Idee zwei
Wellen zu verwenden. Gekoppelt sind die jeweils in zwei
Rollenlager und einem Nadellager gelagerten Wellen über je ein
geradeverzahntes Zahnradpaar im Verhältnis 2:1 mit einer gleich
hinter den Kurbelwellen liegenden Zwischenwelle, einer
sogenannten Vorgelegewelle, die beim URS-Motor somit mit halber
Kurbelwellendrehzahl läuft. Diese konstruktive Auslegung ergab
weitere wichtige Vorteile. Alle vier Pleuellager konnten so
über die Kurbelwellenstirnseiten zuverlässig mit Motoröl
versorgt werden. Ein Novum im Rennmotorenbau sind die um 90-Grad
versetzten Hubzapfen, was wiederum einen Zündabstand von
90-180-270-180-Grad Kurbelwinkel erfordert, doch davon später
mehr.
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500er Rennmotor mit zwei
Kurbelwellen |

Hinter dem Block liegt
die Vorgelegewelle |
Für
den erforderlichen Massenausgleich zwischen Kurbelwelle
zu Pleuel und Kolben versetzte Kuhn die vollwangigen
kreisrunden Kurbelscheiben exzentrisch. Weder
Materialaussparungen noch Auswuchtbohrungen in den
Wangen waren so erforderlich und konnten so natürlich
auch keine Verwirbelungen im Kurbelgehäuse erzeugen.
Ebenfalls ein beachtlicher Vorteil war bei dieser
Bauart, dass die Kurbelwelle nicht durch die
Gehäusemittelebene hindurchläuft. Dadurch ließ sich
die Gehäusesteifigkeit bedeutend stabiler ausführen.
Zumal geplant war, das horizontal teilbare
Aluminium-Motorgehäuse zur weiteren Gewichtsreduzierung
später auch mal aus Elektronguß gießen zu lassen.
Kein Gramm "Übergewicht" wurde bei der
Dimensionierung der Schwertpleuel aus Titan verschenkt.
Um dem Motor eine gute Luftkühlung angedeihen zu
lassen, entschied sich der Viertaktexperte für vier
einzelne, stehende Alu-Zylinder mit hartverchromten
Laufbahnen. Ihre Anordnung war so, dass sie sich 15 Grad
nach vorne neigten. Die geschmiedeten Kolben bekamen
einen nur einen Millimeter breiten Kompressionsring
sowie einen Ölabstreifring.
Beim Ventiltrieb ließ sich, wie bereits erwähnt, Peter
Kuhn auf keine Experimente ein. Der in einem Block
gezeichnete Zylinderkopf bekam pro Brennraum je
ein 34 mm großes Einlassventil und ein 30 mm großes
Auslassventil. Die Betätigung erfolgte über
zwei kettengetriebene, obenliegende, nadelgelagerte
Nockenwellen und nadelgelagerte Rollenstößel. Bei den
Ventilfedern vertraute der Maschinenbauer auf die
selbstentwickelten Federn, die bereits im BMW-Motor von
ihrer Qualität überzeugen konnten. Die
Ventilfeder-Teller waren so berechnet, dass sie aus
Titan gefertigt werden konnten.
Was sich zunächst simpel anhört, hat es jedoch in sich. Der
Steuertrieb erfolgt von der Vorgelegewelle aus und verläuft in
einem separaten Gehäuseschacht hinter den Zylindern. Das
verringert die Baubreite vom Motor und behindert auch nicht den
Kühlluftstrom zwischen den mittleren Zylindern. Die beiden
obenliegenden Nockenwellen mussten für die Montagemöglichkeit
der vorgesehenen Nadellagerung in der Mitte, in der Ebene vom
Kettentrieb, geteilt werden. Für sicheren Zusammenhalt sorgte
eine lange Zentralschraube. Anstelle einer im Brennraum
angeordneten Zündkerze fiel die Entscheidung später auf eine
Doppelzündung mit je zwei 10-mm-Kerzen.
Gut eineinhalb Jahre benötigte der mittlerweile promovierte Dr. Peter Kuhn um den inzwischen nach Helmut Faths
Heimatort Ursenbach im Odenwald benannten "URS"-Rennmotor
in seiner Auslegung zu berechnen und alle benötigten Bauteile
am Reißbrett zu zeichnen.
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Der Motor wurde
wie aus dem Vollen gemacht
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Die
nächste große Herausforderung war nun, die Theorie in die
Praxis umzusetzen. Allein die Suche nach einem Modellbauer für
die erforderlichen Holzformen der Gussteile erwies sich als
äußerst schwierig. Keiner wagte sich an das komplizierte
Modell für den Zylinderkopf. Bis sich schließlich doch einer
fand, der sich seine Fleißarbeit mit 12.000 Mark aber auch gut
bezahlen ließ. Längst waren Ex-Weltmeister Helmut Fath und Dr.
Dipl.- Ing. Peter Kuhn mit ihrer Motor-Idee bei namhaften Firmen
vorstellig geworden. Unterstützung erhielten sie vom Wälzlager
Hersteller INA, der nach Zeichnung Spezialnadellager für die
Pleuellagerung fertigte und darüber hinaus weitere Lager
kostenlos zur Verfügung stellte. Kolbenschmidt in Neckarsulm
übernahm die Entwicklung und Fertigung der extrem hoch
belasteten Kolben, spendierte das Material für die in Faths
Werkstatt selbst hergestellten Alu-Zylinder und erledigte danach
die Hartverchromung der Zylinderlaufbahn. Die Ventilfedern
lieferte Schmitthelm, die Stahlwerke Röchling-Burbach aus
Völklingen spendierten Stangenmaterial für die Herstellung der
Kurbel- und Nockenwellen, das Rohmaterial für die
Kolbenbolzenbuchsen kam vom CARO-Werk in Berlin und das
sündhaft teure Titan für die Pleuel, Zylinderstehbolzen und
Ventilfeder-Teller, lieferte ICI aus Birmingham.
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Meisterstück des
URS-Triebwerkes: Zylinderkopf mit zwei Ansaugkanälen |
Für die Herstellung des URS-Motors haben wir, von wenigen
Ausnahmen wie DIN-Lagern mal abgesehen, jedes Teil von Hand
hergestellt. Allein hierfür musste Horst Owesle 150
Spezialwerkzeuge und Fertigungsvorrichtungen bauen. Alles, was
sich im Motor drehte und bewegte, aber auch die Zylinder, wurde
aus dem Vollen gemacht, nur die Gehäuseteile kamen als
Gussrohlinge in die Fathsche Werkstatt. Eine der aufwendigsten
Arbeiten war die Bearbeitung des Zylinderkopfes. Die grobe
Vorarbeit erledigte Paul Smetana, für die Feinarbeit war Horst
Owesle zuständig. Wenn alles gut ging, hatte er einen
Zylinderkopf nach vier Wochen fertig. Aber auch die Herstellung
der Titan-Pleuel bereitete viel Mühe. Titan ist ein hochfester
Werkstoff, der sich nur mit viel Know-how bearbeiten lässt und
dann darf man nicht vergessen, dass es damals noch keine
CNC-Maschinen gab," erklärt mir Professor Kuhn.
In der Ursenbacher Produktionsstätte ließ sich vom
Mechaniker-Team Fath, Owesle und Smetana, von der
Spezialschraube bis zur Kurbelwelle im Prinzip alles selbst
herstellen. Doch das dauerte. Zum Glück gab es aber Freunde,
die mal dieses, mal jenes Teil mit nach Hause nahmen, um es nach
Feierabend in ihrer Werkstatt auf der Fräsmaschine oder an der
Drehbank weiter zu bearbeiten. Stück für Stück entstand so
der neue URS-Motor. Lediglich die Herstellung der Zahnräder und
sämtliche Schleifarbeiten musste Helmut Fath außer Haus in
Auftrag geben.
Gut drei Jahre nachdem der Entschluss zum Bau des eigenen
Rennmotors gefallen war, lief am 16. Mai 1964 der Motor, jedoch
noch ohne Kupplung und Getriebe, erstmals aus eigener Kraft.
"Helmut Fath hatte hierfür extra einen Motorprüfstand
gebaut. Zunächst war der URS-Motor noch mit vier 27er
Dellorto-Vergaser bestückt und brachte auf Anhieb 70 PS bei
13.000/min," weiß Professor Kuhn noch wie heute.
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Der erste große
Schritt war geschafft. Nun galt es, den Motor mit den weiteren
Nebenaggregaten wie Primärantrieb, Kupplung, Getriebe zu
versehen und auf seine Standfestigkeit zu erproben. Hierzu hatte
Paul Smetana eine funkende Idee. Er schlug vor, das Triebwerk
samt inzwischen angeflanschtem Norton-Getriebe in ein
abgeändertes BMW-Chassis zu bauen und im Rennbetrieb
praxisgerecht zu erproben. Beim vorletzten Lauf zum
Juniorenpokal im Herbst 1964 auf dem Nürburgring erfolgte der
erste Renn-Einsatz. Doch das Projekt steckte noch in den
Kinderschuhen, bis zum ersehnten Weltmeistertitel sollte es noch
ein langer Weg werden.
Der Motor neigte zum Überhitzen, die Zündanlage entsprach
nicht den Erwartungen, vor allem aber das Abstimmen der Bosch-
Einspritzanlage gestaltete sich zeitaufwendiger als gedacht. Die
Einspritzpumpe, die seinerzeit von Bosch für den Borgward 1500
RS Rennwagen entwickelt worden war, musste auf die kleinen
Zylindereinheiten des 500er URS-Motors mit neuen Steuernocken
sowie zahlreichen weiteren Änderungen überarbeitet werden.
Doch Helmut Fath ließ sich nicht beirren, fast schon stur hielt
er an dem Vorhaben, sein geplantes WM-Renngespann nur mit
Einspritzanlage zu fahren, fest.
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Immer
wieder brüllte in Ursenbach der Rennmotor auf dem Prüfstand.
Es wurde probiert, geändert und von Neuem getestet. "Bei
diesen Versuchen beobachteten wir, dass wenn der Motor auf
Volllast lief und wir durch die geöffneten Drosselklappen in
ihn hinein schauten, die Auslassventile hellrot glühten. Ich
erinnerte mich an meine Kontakte zur Mercedes Benz AG in Bad
Homburg, dem ehemaligen Horex-Werk, die uns nach meinen
Berechnungen kostenlos natriumgefüllte Auslassventile
lieferten. Danach war das Problem beseitigt," verrät mir
Peter Kuhn.
Auch bei den Kolben brauchte es einige Anläufe, bis sie die
hohen Drehzahlen verkrafteten. Bei der Zündanlage fand man die
Lösung mit vier einzelnen Unterbrecherpaaren, die rechtsseitig
an die Vorgelegewelle platziert wurden. An eine brauchbare,
kontaktlose Zündanlage war Mitte der 60er Jahre noch lange nicht
zu denken. Der 90-Grad-Hubzapfenversatz, der eine
ungleichmäßige Zündfolge von 1-4-2-3 erforderte, war nicht
nur schwierig einzustellen, er gab der URS auch einen ganz
eigenen, unverwechselbaren Motorsound.
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Vom
ersten Probelauf bis zum ersten WM-Einsatz am 22. Mai 1966 beim
Großen Preis von Deutschland in Hockenheim waren genau zwei
Jahre vergangen. Neben der gemeinsamen Weiterentwicklung des
Motors mit Peter Kuhn hatte Helmut Fath in dieser Zeit in
Eigenregie das Gespann-Fahrgestell auf die Räder gestellt.
Trotz gutem Einstand, plagte das URS-Gespann vorerst sein Team mit Kinderkrankheiten. Auch in der WM-Saison 1967 sollte der
große Durchbruch noch nicht gelingen. Für eine
Leistungssteigerung ließ sich URS-Konstrukteur Kuhn am Ende der
Saison etwas Interessantes einfallen. Er stattete den
Zylinderkopf mit einem zusätzlichen Ansaugkanal aus. Mit diesem
Trick ließ sich noch mehr Luft in den Brennraum bekommen, was
mit neu eingestellter Einspritzpumpe eine bessere
"Füllung" bedeutete. Die Leistung betrug nun 80 PS
bei 13.000/min, kurzzeitig ließ sich der Motor aber auch bis
14.500/ min drehen.
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Kunst-Gemälde: URS-Team-Fath
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Das kommende Jahr sollte dann in die Geschichte eingehen.
Seit 1954 dominierte das BMW-Werk in der Weltmeisterschaft,
gegen die schnellen RS-Boxer-Gespanne war einfach kein Kraut
gewachsen. Aber genau wie 1960, als Fath/Wohlgemuth als
BMW-Privatfahrer Gespannweltmeister wurden, düpierte 1968
Helmut Fath mit seinem Beifahrer Wolfgang Kalauch die gesamte
BMW-Armada und ließ sich auf dem selbstgebauten URS-Gespann als
Weltmeister feiern. 1969 konnte er Vize-Weltmeister werden,
verunglückte aber am Ende der Saison und beendete damit seine
Rennfahrerkarriere. Den Rennstall, inklusive aller
Fertigungswerkzeuge für den URS-Motor, verkaufte er an den
US-Amerikaner Bell, der eben als neuer Besitzer der Firma Münch
für Schlagzeilen sorgte. Aus einer zunächst geplanten Zusammenarbeit zwischen Helmut Fath und Friedel Münch wurde
jedoch nichts. Zu unterschiedlich waren die Charaktere der
beiden Motorradspezialisten.
Nun ist diese einmalige Erfolgsgeschichte der URS aber lange
noch nicht zu Ende. Horst Owesle blieb beim Münch-URS-Team und
wurde 1971 mit dem URS-Gespann Weltmeister.
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Und Dr. Peter Kuhn? Nach dem Verkauf an Münch hat
sich der URS-Entwickler weitgehend aus dem Racing-Team
zurückgezogen. Er hat von Friedel Münch zwar noch einige
Aufträge erhalten, doch die neu anvisierten Münch-Motoren sind
über das Stadium der Konstruktionszeichnungen nicht
hinausgekommen.
Trotzdem, die URS-Historie bleibt eine spannende Geschichte,
auch wenn sie bereits viele Jahre zurückliegt. Zum Abschluss
meines Gesprächs mit dem inzwischen 70jährigen, aber
top-vitalen URS-Schöpfer interessiert mich dennoch die Frage,
was hat ihm das Ganze gebracht.
"Damals war diese Arbeit eine riesige Herausforderung für
mich. Vom ersten bis zum letzten Strich konnte ich den Motor
eigenverantwortlich entwerfen und zusammen mit dem Fath-Team
bauen. Ich habe dabei sehr viel gelernt, was mir später immer
wieder von Nutzen war. Und als ich am 1. April 1979 an die Uni
in Karlsruhe zum Professor berufen wurde, hat die
URS-Konstruktion vielleicht sogar etwas dazu beigetragen."
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Gespann-Ausstellung Herbst 1997
im Museum am Hockenheimring:
Die URS ging in die Rennsport-Geschichte ein und wurde für
Professor Dr. Peter Kuhn ein Stück Lebenswerk
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