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Fahrbericht: Triumph Tiger 955i von 2001

"Tiger im Tank"

Sie ist mächtig, stark und schnell. Hat lange Federwege und
Stollenreifen. Eben eine Super-Reise-Enduro, mit 98 PS-Dreizylinder-Motor
und der Umwelt zuliebe auch mit G-Kat. Triumph zeigt mit der neuen Tiger 955i,
was in dieser Saison Sache ist.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Triumph, Scheibe

 
(Foto Werk)

Wer von Enduros spricht, meint zunächst Wüste, Piste, Schotter, Geröll und Schlamm. Das große Abenteuer eben, abseits von verstopften Asphalt-Bändern versteht sich. Der Traum vom waschechten Enduristen ist die Rallye "Paris-Dakar". Eine der letzten echten Herausforderungen, für Mensch und Maschine. Im Alltag, im wirklichen Leben also, ist die "Paris-Dakar" allerdings so weit weg wie ein Trip zum Mond. Denn selbst wer wollte, mit einer Geländemaschine findet man in unseren Gefilden heutzutage kaum noch einen verborgenen Trampelpfad. Legal jedenfalls. Schranken und Verbotsschilder lassen einen erst gar nicht auf dumme Gedanken kommen. Und so weit weg wie der Mond ist für die werte Offroad-Fraktion die Flucht aus allen Verkehrsregeln und jeglicher Zivilisation.



(Foto Werk)

Von modernen großvolumigen Enduros erwartet das aber sowieso keiner. Ihre Verwandtschaft zu den echten geländefähigen Hardcore-Enduros, mit denen man tatsächlich die Paris-Dakar gewinnen könnte, besteht längst nur noch in der Namensgebung "Enduro" und ein wenig im Aussehen. Deswegen heißen sie ja auch Reise-Enduros, weil man mit ihnen prächtig auf Tour gehen kann. Und wer ganz weit weg fährt, dem kann es passieren, dass die Straßen so schlecht werden und ausgerechnet dann Geländegängigkeit gefragt sind, vom Bike und vom Fahrer. Mit einer normalen Tourenmaschine wäre man in solch einer Situation voll aufgeschmissen, mit einer Reise-Enduro wird die Herausforderung aber mit links weggesteckt. Sozusagen Abenteuer mit Rückversicherung. Doch das ist eigentlich die Ausnahme, in 99 Prozent aller Fälle rollen die Wüstenschiffe über Asphaltdecke.


Zu dieser Spezies "Fährtensucher" gehört die neue Triumph Tiger 955i. Wobei die englische Reise-Enduro eigentlich eine alte Bekannte ist, die es bereits seit 1993 gibt. In der ersten Modellreihe, die unverändert bis 1999 gebaut wurde, sorgte ein 885 ccm Dreizylinder-Vergaser-Motor mit 83 PS für Vorschub. Mit überarbeitetem Fahrwerk, neuer Optik und modifiziertem 83 PS-Einspritz-Triebwerk ging die Tiger ab Frühjahr 1999 in ihre zweite Bauserie. Genau zwei Jahre später rollt ab Anfang 2001 jetzt die dritte Generation vom Montageband im englischen Stammwerk Hinckley. Dank des ausgeklügelten Baukastensystems des britischen Herstellers ließ sich das 955i Daytona-Triebwerk relativ einfach in das Tiger-Chassis verpflanzen. Reise-Enduro- "like" powern nun unter dem gewaltigen 24-Liter-Tank satte 98 PS aus dem 955 ccm Dreizylinder-Einspritz-Motor. Genug Schmackes, um mit der 245 kg schwere Raubkatze bequem mit echten 200 Sachen über die Autobahn zu brettern.
Mit diesen Fahrleistungen kann die neue Tiger im Vergleich zu ihren vier Klassenkameraden Aprilia ETV1000 CapoNord, BMW R1150GS, Cagiva Navigator und Honda XL1000V Varadero locker mit halten. Das ist nicht nur im Triumph Dealershop ein gutes Verkaufsargument, sondern auch für die "Benzingespräche" am Stammtisch wichtig. Denn auch in diesen Kreisen stehen die Fragen nach Hubraum, Leistung und Speed ganz vorne.

Was diese drei Parameter in der Praxis bedeutet, konnte bei der Pressevorstellung Anfang 2001 der brandneuen Tiger 955i in Chateau de Lignan/Südfrankreich ausgiebig erfahren werden. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Frühlingshaftes Wetter, traumhaft verwinkelte Landstraßen und dazu ein Bike, auf dem man sich auf Anhieb wohl fühlt. Doch schön der Reihe nach.

 


(Foto Werk)


Die Neue ist weiterhin eine alte Bekannte geblieben. Optisch jedenfalls. Lediglich die knallgrüne Lackierung, es gibt sie allerdings auch in Schwarz, sowie die neuen Dekors am Tank verraten dem aufmerksamen Betrachter: hier hat sich etwas geändert und natürlich das Logo am Seitendeckel "Tiger 955i". Frei nach dem Motto, Hubraum und Leistung ist durch nichts zu ersetzen, haben die Triumph Techniker das 149 PS-Triebwerk von der Daytona genommen, es auf ein breites Leistungsband und in der deutschen Ausführung mit serienmäßigen G-Kat auf versicherungsgünstige 98 PS getrimmt. In der Endurowelt ist nämlich nicht maximale Spitzenleistung gefragt, sondern bärenstarker Durchzug ist des Kunden Königreich.




Ebenfalls zur Endurowelt gehört der breite Lenker, die Fahrersitzbank lässt sich in der Sitzhöhe von 840 bis 860 mm in drei Stufen verstellen. Die Sitzposition ist, so möchte man fast behaupten, Gentleman-like. Aufrecht sitzend, "die Nase im Wind" gibt die Tiger einem ab dem ersten Meter ein gutes Gefühl. Hebel, Schalter, Fußrasten alles ist am richtigen Fleck, die Sinne können sich voll auf die Fahrstrecke konzentrieren.




Bei der Motorwahl, entgegen der BMW mit Zweizylinder-Boxer, Honda, Aprilia und Cagiva mit V2-Triebwerken, vertraut Triumph auf das Dreizylinder-Bauprinzip. Diese Kraftmaschine gibt der Tiger einen unvergleichbaren Charakter. Dank Ausgleichswelle läuft der 955-ccm-Triple fast vibrationsfrei, hat "Dampf aus dem Keller" und dreht trotzdem wie eine Turbine blitzartig hoch. Dabei ist das Aggregat längst kein "Säuselwind". Deutlich, aber nicht unangenehm, spürt man die Maschine unter sich. Die Akustik ist zeitgemäß leise, aber nicht so zugestopft, dass sich vom Motor nun gar nichts mehr hören lässt. Das "brrrorrrr" des Einspritz-Triples kommt weiterhin gut rüber. Ein weiterer ganz wichtiger Pluspunkt des Motors ist, dass er nicht zur aggressiven Fahrweise verleitet.


Zwar verfügt die Schaltbox über sechs Gänge, doch ständiges, nervöses Rauf - und Runterschalten ist überhaupt nicht erforderlich. Selbst durch Ortschaften kann man im großen Gang fahren, nach dem Ortschild wird einfach Gas gegeben und die Fuhre schiebt stramm vorwärts. 
In Punkto Straßenlage wurde der dritten Tiger-Generation, ohne Einbuße des Komforts hinnehmen zu müssen, eine etwas straffere Fahrwerksabstimmung spendiert. Alle möglichen Fahrbahnunebenheiten werden glatt gebügelt, sie liegt einfach satt auf der Straße. Nichts zu verbessern gab es dagegen bei der Bremsanlage. Die Stopper haben die Sache jederzeit voll im Griff.



(Foto Werk)

Es ist eine wunderschöne Erfahrung, wie souverän sich mit der Tiger durch die Gegend fahren lässt. Nichts hetzt oder jagt einen, und wenn es doch mal etwas zügiger sein soll, bestimmt einfach ein leichter Dreh am Gasgriff wie hoch die Tachonadel zu klettern hat. 
Und wer dann ernsthaft vorhat bis ans Ende der Welt zu fahren, für den gibt es ein reichhaltiges original Triumph Zubehörangebot, über Tankrucksack, Seitenkoffer, Topcase bis hin zu Heizgriffen. Nur eins darf man nicht erwarten, das ist der Tiger im Tank. Den gibt es nur an Esso-Tankstellen.


Technische Daten
Triumph Tiger 955i
Baujahr 2001


(Foto Werk)

Motor
Flüssigkeitsgekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor; eine Ausgleichswelle; zwei obenliegende, Ketten getriebene Nockenwellen; vier Ventile pro Zylinder, Tassenstössel; Nasssumpfschmierung.
Bohrung x Hub 79 x 65 mm, Hubraum 955 ccm, Verdichtung 11,7:1; Leistung 72 kW (98 PS) bei 8200/min, max. Drehmoment 95 Nm bei 6200/min.
Vollelektronisches digitales Motormanagement, G-Kat, E.-Starter


         ... mit G-Kat

Kraftübertragung
Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, klauengeschaltetes Sechsganggetriebe, Sekundärantrieb über O-Ring-Kette


Fahrwerk

Brückenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel mit 43 mm Standrohrdurchmesser, Federweg 230 mm; hinten Alu-Schwinge, Monofederbein, Federbasis und Zugstufe einstellbar, Federweg 200 mm 



(Foto Werk)

Räder und Bremsen
Vorne und hinten Speichenräder, Bereifung vorne 110/80 VR 19, hinten 150/70 VR 17. Vorne Ø 310 mm Doppelscheibenbremsanlage mit Doppelkolben-Schwimmsattel, hinten Ø 285 mm Scheibenbremse mit Doppelkolben-Schwimmsattel

Maße und Gewichte
Radstand 1550 mm, Sitzhöhe variabel 840 - 860 mm, Gewicht fahrfertig 245 kg, Tankinhalt 24 Liter


Höchstgeschwindigkeit
205 km/h

Preis
19.990 Mark plus Überführung und Nebenkosten

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