Motorrad-Marken |
Text: Winni Scheibe |
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Traummotorräder haben ihre Eigenheiten, geringe Stückzahl und hoher Preis machen sie exklusiv. Für viele Fans bleibt solch ein Edel-Krad in unerreichbarer Ferne, nur wenige können sich solch ein Bike leisten. Auch kein Wunder. Meist kosten sie im Vergleich zu Großserienmaschinen gut das Doppelte. Unsere damals 14.500 Mark teure Hauptdarstellerin, die MV Agusta 750 S, wurde von 1969 bis 1975 nur gut 650 Mal gebaut. Dagegen gab es Hondas Überknaller und erstes japanisches Fließband-Vierzylinder-Bike, die CB 750 Four, 1972 bereits für 6.600 Mark und Kawasakis berühmt-berüchtigte Z 900 "Z1" war für 8.500 Mark zu haben. Nur die Münch-4 TTS 1200 lag mit knapp 13.000 Mark weit über der Zehntausendmark-Schmerzgrenze. |
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MV Agusta konnte es sich
allerdings auch gut leisten, diesen immens hohen Preis zu verlangen.
Keine andere Motorradmarke genoss in jener Zeit ein derartiges
Rennsportimage. Seit Einführung der Motorradweltmeisterschaft ab 1949
hatte das Werk in Gallarate in Norditalien bis Anfang der siebziger
Jahre bereits 34 WM-Titel gewonnen. Stolz präsentierte Firmenboss Graf
Domenico Agusta diesen Erfolg auf dem 750S-Tank-Aufkleber mit der
Aufschrift "34 Volte Campione Del Mondo", dazu glänzten 34
WM-Sternchen. Bis zum Ausstieg aus dem GP-Zirkus 1977 sollten es für MV
Agusta sogar insgesamt 38 WM-Titel werden. |
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![]() (Foto: Werk) |
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Rennheld und Superstar in der WM war seit Mitte der sechziger Jahre Giacomo Agostini auf den schier unschlagbaren 350er und 500er MV-Agusta Werks-Rennmaschinen. In der Motorradszene gab es damals eigentlich kaum einen, der MV und Ago-Nazionale nicht kannte. Ein bekennender Fan war Helmut Sing. Mit Motorrad-Freunden fuhr er zu den WM-Läufen nach Assen, zum Nürburgring und nach Hockenheim. Wie gestern kann sich der Niedersachse an die Ausflüge erinnern: "Wir drückten natürlich MV und Ago die Daumen und konnten uns am einzigartigen Viertaktsound der damals ungedämpften Vierzylinder-MV kaum satt hören. So ein Motorrad müsste es als reinrassige Sportmaschine zu kaufen geben, haben wir damals rum gesponnen und uns ausgemalt, wie es wohl wäre, mit solch einer Rennreplika die Straßen unsicher zu machen." |
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Diese Träumerei sollte sich für Helmut Sing schon bald verwirklichen. MV Agusta brachte 1970 die 750 S auf den Markt und als Motorrad-Cheftester Ernst "Klacks" Leverkus Anfang 1972 einen Fahrbericht mit dem Titel "Traube, die hoch hängt: MV Agusta 750 S" schrieb, gab es für den Kfz-Kaufmann kein Zurück mehr. Er verkaufte seine Honda CB 750 Four und bestellte beim deutschen MV-Importeur Roland Schneider in Baden-Baden umgehend die brandneue 750er. "Bis heute ist die MV etwas ganz Besonderes für mich. Mit ihr verbinde ich die ruhmreiche MV-Rennepoche, mich fasziniert aber auch die Technik, der Motorsound und das pure, unverfälschte Fahrerlebnis mit dieser Sportmaschine," verrät der Privatier. Ein Motorrad für den Alltag ist die rassige Italienerin für ihn allerdings nie geworden. Ganz im Gegenteil. Während der letzten 30 Jahre hat das Bike noch nie einen Tropfen Regen abbekommen und auf der Uhr stehen kaum 10.000 Kilometer. "Ausflüge werden grundsätzlich nur bei schönem Wetter unternommen," gibt der "MV-Sonntagsfahrer" unumwunden zu und versichert, "außer mir durfte die MV noch keiner, noch nicht mal der TÜV-Prüfer bei der Hauptuntersuchung, fahren. Eine MV verborgt man schließlich nicht." |
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Ebenfalls ein großer MV-Fan ist Peter Frohnmeyer. Der Ex-125er-GP-Fahrer und heutige VFV-Hobby-Rennfahrer auf Maico hat in den siebziger Jahren die restliche MV-Zeit noch hautnah miterlebt. "Damals", so erinnert sich der schnelle Tübinger, "war die Stimmung im Fahrerlager und das Verhältnis unter uns GP-Rennfahrern noch ausgesprochen kameradschaftlich und hilfsbereit. Auch das MV-Team, das im Vergleich zu vielen anderen Rennställen bereits richtig professionell auftrat, war noch bodenständig. Lediglich die haushohe Überlegenheit von MV und Agostini in der 350er und 500er Klasse machten die Rennen Anfang der Siebziger langweilig. Das änderte sich allerdings, als immer größere Zweitakt-Konkurrenz von Yamaha, Suzuki, Kawasaki und König aufkam. Mit großem Respekt habe ich Agos und später Phil Reads fahrerischen Einsatz verfolgt. Was die beiden MV-Viertakt-Werksfahrer damals gegen die immer stärker werdenden Zweitaktrennmaschinen geboten haben, war schlichtweg sensationell." |
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Solche und ähnliche
Erinnerungen an die guten alten Zeiten gehören zu den immer wieder
geführten Benzingesprächen im erlauchten Kreis der Oldtimerfraktion.
Irgendwann kommt man dann auch auf das Thema, welches Traummotorrad
möchte man eigentlich gerne noch einmal fahren und natürlich auch auf
MV Agusta. Und hier schließt sich der Kreis. Helmut Sing bot Peter
Frohnmeyer seine MV 750 S für eine Probefahrt an, allerdings mit einer
Bedingung: nur wenn die Sonne scheint! |
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Vor 30 Jahren war zwar nicht alles, aber doch einiges anders. Motorräder waren recht selten und Lärmbelästigung noch lange kein so großes Thema. Die MV ist ja auch nicht laut, sie hat Sound. Jedenfalls für die, die Benzin im Blut haben. Draufsetzen und einfach losfahren gehört auch nicht zum normalen Tagesablauf. Das Triebwerk mit fünf Liter Schmierstoff in der Ölwanne benötigt einige Zeit, bis es warm ist und willig Gas annimmt. Eigentlich müsste man die MV, ähnlich wie eine Rennmaschine, die auf einem Schnellständer im Fahrerlager steht, mit gefühlvollen Gasstößen bis 4000/min im Stand warm laufen lassen. Das wäre stilvoll und wer im Umkreis von drei Kilometern keine Nachbarn hat, wird dies sicherlich auch so tun. Soweit zum "warm-up". Zusätzlich zu beachten ist bei der 750er die Rechtsschaltung. Der erste Gang liegt oben, alle weiteren vier Gänge werden nach unten geschaltet. Helmut Sing erinnerte Peter Frohnmeyer noch einmal an die Eigenheiten und ab ging die Post. |
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Für den großzügigen
Besitzer dauerte die Ausfahrt eine halbe Ewigkeit, unser MV-Tester
hätte dagegen gerne noch eine Tankfüllung durch die offenen
Dell`Orto-Vergaser gejagt und ließ nach dem Absitzen seiner
Begeisterung freien Lauf. "Es ist schon ein tolles Gefühl mit
dieser MV zu fahren. Die Sitzposition ist sportlich, aber längst nicht
so extrem, wie ich gedacht hatte. Als der Motor richtig warm war, hat er
ständig nach mehr Drehzahl geschrien", lobte Peter Frohnmeyer das
sauber eingestellte Triebwerk, fügte aber gleich hinzu: "Viel mehr
überrascht hat mich aber der seidenweiche Motorlauf, der kräftige Bums
aus dem Keller und die Kraftentfaltung über das gesamte Drehzahlband.
Früher nannte man so etwas Motorencharakteristik." Auch über das
Fahrwerk gab es einiges zu erzählen: "Ist die MV einmal in
Schwung, ist vom hohen Gewicht kaum noch etwas zu spüren. Das Handling
ist tadellos, sie liegt richtig satt auf der Straße. Nur von den
modernen Scheibenbremsen ist man inzwischen zu sehr verwöhnt. Die
Trommelbremsen der MV verlangen hinsichtlich des Ansprechverhaltens nach
einer Eingewöhnungszeit. Man darf allerdings nicht vergessen, dass vor
30 Jahren Scheibenbremsen erst am Anfang ihrer Entwicklung standen und
damals das Maß der Dinge Doppelduplex-Trommelbremsen im Vorderrad waren. Und
genau das ist auch das Aha-Erlebnis für mich, mit der MV fährt man 30
Jahre zurück. Alle Erinnerungen von damals kommen wieder auf, man
könnte ein Buch darüber schreiben. Leider schade, dass nur jemand, der
die Zeit selbst miterlebt hat, versteht, um was es überhaupt
geht." |
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Es ist schon ein tolles Gefühl mit
dieser MV zu fahren. Die Sitzposition ist sportlich, aber längst nicht
so extrem, wie ich gedacht hatte. Als der Motor richtig warm war, hat er
ständig nach mehr Drehzahl geschrien", |
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Damit war der Tag längst
nicht zu Ende. Man blieb in der Welt von "Gestern und
Vorgestern", schließlich kennt Helmut Sing die Geschichte seiner
750er in- und auswendig.... |
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Ihren Ursprung verdankte die 750 S der Motorradleidenschaft des Grafen
Domenico Agusta. Bereits im November 1950 überraschte der Firmenboss
bei der Motorradausstellung in Mailand das Publikum mit der R19 Tourismo.
Lange bevor andere große Marken an ein Mehrzylinder-Motorrad dachten,
bestückte MV dieses Tourenmotorrad mit einem 500 ccm
DOHC-Vierzylinder-Triebwerk. Bei diesem Straßenmotorrad handelte es
sich allerdings nur um einen Prototyp. Eine Serienfertigung sollte es
nie geben.
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Im Herbst 1969 schob MV Agusta bei der Mailänder Motorradausstellung allerdings die dritte Auflage ihrer Vierzylinder-Straßenmaschine auf die Showbühne. Endlich waren die Fachleute zufrieden. Die neue 750 S präsentierte sich kompromisslos als "Rennmaschine mit Straßenzulassung". Ein gestreckter Sporttank, tief an die Gabelstandrohre angeschraubte Stummellenker, zurück verlegte Fußrasten, eine Einpersonen-Sitzbank und die rassige Lackierung vermittelten bereits beim Anschauen Racingflair pur. Für den Rennsound im Fahrbetrieb sorgten offene Ansaugtrichter und vier "kaum gedämpfte" verchromte Auspuffrohre. Doch längst nicht genug. Unterstützt wurde die Geräuschkulisse vom Gerassele und Gemahle der zahlreichen Zahnräder und Wälzlager im Triebwerk. Die Hubraumvergrößerung von 592 auf 743 ccm hatten die MV-Techniker durch Aufbohren der Zylinder von 58 mm auf 65 mm, wobei der Hub von 56 mm gleich blieb, erreicht. Die Leistung wurde nun mit 72 PS bei 9000/min angegeben und der Motor strotzte mit beeindruckender Laufkultur. |
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Ab
1970 kam die 750er zu den Händlern, und bis 1975 ließen sich etwa
weltweit 650 Maschinen verkaufen, eine genaue Auflistung gibt es laut
MV-Experten Roland Schneider allerdings nicht. Von einer Großserie kann
also überhaupt keine Rede sein. Aber nicht nur die geringe Stückzahl
machte die MV 750 S so exklusiv, auch der stolze Preis von gut 14.500
Mark verbannte das Supersportmotorrad für viele Vierzylinderfans ins
Reich der Träume. |
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Motor: |
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Getriebe:
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Fahrwerk: |
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Abmessungen und Werte: |
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