Motorrad-Marken


Kawasaki 650 W1-Baureihe 1966-1974
W1-Guru Ralf Gille

Poltergeist in Mainhatten

Das selbst gewählte Motto von Kawasaki lautet: Stärker und schneller als
die Anderen. Den Grundstein für diese Firmenphilosophie legte das
Werk 1966 mit der W1. In Japan genießt der 650er Parallel-Twin Kultstatus.
Außerhalb des Inselreichs ist der Poltergeist kaum bekannt. Bei uns gibt es
nach Insider Schätzungen nur zwei Dutzend dieser urigen Dampfhämmer.
Ein rühriger Experte ist Ralf Gille aus Frankfurt.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Gille, Werk



Kawasaki W1-Fans Uwe Dangers und Ralf Gille im Herzen von Frankfurt
 


Uwe Dangers


Ralf Gille


Es soll Experten geben, die ein Motorrad am Auspuffklang erkennen. Als Ralf Gille im Herbst 1985 über die Veterama in Mannheim schlenderte, hörte er den kernigen Sound einer englischen Lady - er war sich jedenfalls ziemlich sicher. Hätte er seinen Tipp auf einen Parallel-Twin von BSA oder Triumph jedoch abgegeben, er hätte die Wette glatt verloren. Dafür war die Überraschung um so größer. Es war eine rare Kawasaki W1. Beherzt drehte der Trödelhändler am Gasgriff des 650er Viertakters. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten, listig hatte er mit dem Spektakel Schaulustige an seinen Stand gelockt.



Zweitakt-Fan:
Ralf Gilles Lebensgefährtin Jeannette Schulz
mit ihrer Kawasaki 250 S1A von 1973 mit KH400-Motor


Damals interessierten mich allerdings nur die schnellen Dreizylinder-Kawasakis, ich war regelrecht vom Zweitakt-Bazillus befallen. Für mich musste die Technik einfach und überschaubar sein, so wie es meine 350 S2 Mach II und die 250 S1A Mach I waren. Die W1 kannte ich nur von Bildern und aus alten Testberichten", erinnert sich der Frankfurter Zweitakt-Fan an den Oldtimermarkt-Besuch.


Zeitlosschöner Nippon-Klassiker: Kawasaki 650 W1 von 1967


Gut zehn Jahre später entdeckte der im Anlagenbau beschäftigte Dipl.-Ingenieur Ralf Gille, Jahrgang 1961, beim Stöbern in Fachliteratur einen W1-Bericht. Anders als damals auf der Oldtimer-Messe hatte der klassische Viertakt-Twin nun seine Neugierde geweckt. Zielstrebig wurde nach weiteren Informationsquellen über die seltene Maschine gesucht und Verkaufsanzeigen durchforscht. Mitte 1996 fand sich ein Angebot über eine Sammlung, der Besichtigungstermin in Nürnberg war schnell vereinbart und der Kawa-Fan aus "Mainhatten" erzählt: "Die Ernüchterung war allerdings groß. Keine der vier angebotenen Twins war komplett, ihr Zustand katastrophal, abmontierte Teile lagen in Kisten, etliche Sachen fehlten. Die Gelegenheit ließ ich mir dennoch nicht entgehen, der Grundstock für meine spätere W1-Sammlung war somit gelegt."


Ralf Gille und sein seltene Kawasaki W1SAP Polizeimaschine



Ralf Gille und sein Kawasaki W2SS als Café-Racer Umbau



Kawasaki W1SAP Polizeimaschine von Ralf Gille



Kawasaki-Fans und Motorradfreunde:
Ralf Gille und Uwe Dangers


Inzwischen besitzt der W1-Guru, wie Ralf Gille anerkennend in der Szene genannt wird, ein Dutzend Twins. Davon eine seltene W2TT Scrambler, eine von nur 121 mal gebauten W1SAP Polizeimaschinen, einen W2SS-Umbau zum Café-Racer und eine der letzten W3 "650SS" von 1974. Dazu ein umfangreiches Ersatzteillager, eine gut sortierte Dokumentation sowie beste Kontakte rund um die Welt.

Höhepunkt der Aktivitäten von Ralf Gilles war im Frühjahr 2008
ein Besuch der W1-Szene in Japan


Japanisches W1-Meeting zu Ehren der deutschen Gäste
(Foto: Gille)


Noch heute ist Ralf Gille und seine Lebensgefährtin Jeannette von Land und Leuten tief beeindruckt: "Wie alte Freunde wurden wir von Mr. Fukai, seinem Sohn Toshio und Fumio Hiruta aufgenommen. Fukai-San betreibt in der Nähe von Tokio ein Motorradgeschäft und gilt in Japan als der W1-Spezialist. Spontan organisierte er zu unseren Ehren ein Kundentreffen, über dreißig Twins standen am Nachmittag auf dem Hof, ein Gast hatte 400 km Anfahrweg. Die gesamte Szene schätzt Fukai-San auf weit über 2000 Twins. Viele Maschinen befinden sich im Top-Zustand, wobei es aber auch beachtenswerte Umbauten gibt. Die Ersatzteilversorgung wird von Fukai-San professionell gemanagt, und was es nicht mehr gibt, lässt er nachfertigen."


Fukai-san und Sohn Toshio
(Foto: Gille)


Von der Meguro K1 zur Kawasaki W1

 


Englisches Vorbild:
BSA 500 A7 von 1961


Japan:
Meguro 500 K2 von 1965
(Werksprospekt)


Gleich hinter Honda war in den 1950er Jahren Meguro zweitgrößter Motorradhersteller in Japan. 1959 erweiterte Meguro das Angebot mit der neuen K1. Im Prinzip war der 500er Twin eine freche Kopie der 500er BSA A7, allerdings in japanischer Perfektion. Alle Schraubverbindungen und Schlüsselweiten waren in metrischen Maßen ausgeführt. Das Triebwerk hatten die Meguro-Techniker passgenau konstruiert, die dreiteilige Kurbelwelle lief in Wälzlagern, die Pleuelfüße in Nadellagern. Vorteil dieser Anstrengung war ein zuverlässiger und öldichter Motor, was von der englischen Lady kaum behauptet werden konnte.
Ähnlich wie in Deutschland im Wiederaufbau gab es damals auch in Japan an fast jeder Ecke Motorradfirmen und Zulieferer. Bei Kawasaki, ein gigantisches Industrieunternehmen, das mit der Produktion von Schiffen, Hochseetankern, Lokomotiven und Flugzeugen groß geworden war, wurden freie Kapazitäten mit der Herstellung von kleinen Einbau-Motorradmotoren ausgelastet. Für diesen neuen Geschäftszweig hatte der Konzern 1952 die Tochterfirma Meihatsu gegründet. Um die Marke zukünftig besser auf dem Motorradmarkt zu etablieren, ging Meihatsu, alias Kawasaki, Anfang der 1960 Jahre mit Meguro eine Kooperation ein. Unter einem Dach produzierten fortan beide Firmen im Kawasaki-Stammsitz in Akashi Maschinen von 50 bis 500 ccm. Die kaum veränderte K1 hieß jetzt K2 und hatte ein Kawasaki-Logo am Tank. Für das Kawasaki-Image wurden die Polizeimaschinen K1P und später K2P die beste Werbung, die man sich nur wünschen konnten. Unter den Motorradfahrern genoss die K2 hohes Ansehen, wer sich den 500er Twin leisten konnte, durfte sich mit dem Big-Bike auf den japanischen Straßen als "King of the Road" fühlen.


Kawasaki  650 W1 1966
(Werksprospekt)


Neben den Engländern hatten auch die Japaner die USA als zukünftiges Motorradland entdeckt. Allen vorweg Soichiro Honda. Der Reklamefeldzug für die kleinen Honda-Hüpfer "You meet the nicest people on a Honda" ging in die Geschichte ein. Kawasaki zog nach und gründete zunächst 1964 in Los Angeles und wenig später in Chicago eine Niederlassung. Die erste 125er Einzylinder-Zweitakt-Maschine erwies sich jedoch als Flop. Im Zweiradgeschäft ging unter 500 Kubik Hubraum bei den motorradverrückten Amis nämlich gar nichts. Hoch im Kurs standen die englischen 650er Twins von Triumph und BSA. Kawasaki erkannte die Chance und beschloss: Ein Big-Bike musste her, das stärker und schneller als die Maschinen der Konkurrenz war. Ein Image, das Kawasaki bis zum heutigen Tag pflegt. 
Für diesen Streich war die K2 eine ideale Basis. Der Hubraum wuchs von 497 auf 624 ccm, die Verdichtung von 8,5 auf 8,7 und die Motorleistung von 33 auf 50 PS. Optisch und bei etlichen Details ließ man sich auch einiges einfallen. Eine Duplex-Trommel mit 200 mm Durchmesser im Vorderrad, schlanke Chromschutzbleche, eine verbesserte Telegabel, ein neuer Lampentopf mit eingebautem, kombinierten Tacho-Drehzahlmesser-Instrument sowie eine komfortable Sitzbank gaben dem Bike ein "modernes" Outfit. 
Ab 1966 kam das neue Flaggschiff W1 erst auf den japanischen Markt und wenig später stand der Donnerbolzen bei den amerikanischen Händlern. In Japan etablierte sich der kernige 650er Twin zum Knüller. Handling, Fahrleistung und Design entsprachen den damaligen Vorstellungen einer "echten Männer-Maschine", es gab im Inselreich allerdings auch nichts Vergleichbares.



Kawasaki W2TT Scrambler
(Werksprospekt)



Kawasaki W1SA 1970 - 1972
(Werksprospekt)



Kawasaki W3 1973
(Werksprospekt)


Ganz anders in den USA. Hier holte sich der "Copy-Rider" Plattfüße. Die US-Biker ließen sich kein X für ein U vormachen. Die Ähnlichkeit zur BSA A7 war einfach zu offensichtlich und bei BSA gab es längst die A65-Generation mit dem neuen Blockmotor. Die wirkliche Konkurrenz kam jedoch aus dem eigenen Land mit der agilen CB450 von Honda. Aber auch die pfeilschnellen 250er Zweizylinder-Zweitakt-Geschosse von Yamaha und Suzuki machten deutlich, was demnächst auf die Motorradwelt zukommt. Gegen diese Heizerkisten, bei aller Liebe zur Klassik, wirkte die W1 wie ein antiquares Rauhbein.
Kawasaki reagierte umgehend und brachte noch im gleichen Jahr die A1 Samurai, einen 31 PS starken 250er Zweizylinder-Zweitakter, unters sportbegeisterte Bikervolk. Ihr folgte die 350er Avenger mit 42 PS und Ende 1968 die berühmt-berüchtigte H1 "Mach III" mit dem 60 PS starken Dreizylinder-Zweitakt- Triebwerk. Es waren rassige "Rennmaschinen mit Straßenzulassung", die haargenau die Träume damaliger Motorradfahrer erfüllten. Kawasaki hatte damit seinen Ruf weg!
Dem kernigen Twin hielt das Werk weiterhin die Treue und spendierte ihm im Laufe der nächsten Jahre etliche Modifikationen. Die Ein-Vergaser-Modelle hießen W1, die Zwei-Vergaser-Ausführungen W1SS, W2SS und W2TT Scrambler. 1970 folgte der W2SS die W1SA "Grand Touring". Im Prinzip blieben Motorleistung und Fahrwerksdaten über die gesamte Bauzeit unverändert. Herausragende Änderung bei der W1SA war, dass der Schalthebel nun links saß und das Pedal für die Hinterradbremse rechts. Als letzte "Evolutionsstufe" in der W-Baureihe kam 1973 die W3 "650SS" auf den Markt. Die Aufwertung dieses Modells bestand aus der Verwendung von Instrumenten, Tank, Telegabel, vorderer Scheibenbremse sowie Federbeinen von der Z 900 "Z1". Ende 1974 stellte Kawasaki die Produktion der W-Generation ein. Gut zehn Jahre war der Donnerbolzen im Angebot und rollte 26.289 Mal vom Fließband in Akashi.

Kawasaki W1-Szene



Außerhalb Japans beschäftigen sich nur wenige, wie zum Beispiel Ralf Gille,  mit der Kawasaki W1-Baureihe.


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Ralf Gille
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