Indian Chief-Gespann von
1948
"Der große Häuptling"
Gespannfahren ist eine
ganz feine Sache.
Doch Gespann ist nicht gleich Gespann.
Jedenfalls dann nicht,
wenn es sich um eine 1200er Indian Chief
von 1948 mit Beiwagen
und Rückwärtsgang handelt. Damals war das nämlich
etwas
ganz Besonderes, heute ist das Kombirad
sogar eine
äußerst kostbare Rarität.
Text&Fotos:
Winni Scheibe

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Der
Einkaufsbummel war ein voller Erfolg. Nun galt es nur noch
schnell, die Sachen im Volvo-Kombi zu verstauen, und dann sollte
es ab nach Haus´ gehen. Doch Pustekuchen. Wie perplex stand die
schick gekleidete Dame vor ihrem Schweden-Dampfer. Da hatte sich
doch tatsächlich jemand frech hinter ihren Wagen gestellt. Von
ausparken konnte keine Rede sein. Doch die Zeit sich in Rage zu
bringen, fand sie nicht. Mit einem freundlichen Zuruf, "fahre
sofort weg", schwang sich der Motorradfahrer flugs in den Sattel
seiner schweren Beiwagenmaschine, ebenso schnell hatte seine
Begleiterin im Seitenwagen Platz genommen. Der
Kutscher hantierte erst
links, dann rechts, stellte sich auf, trat zweimal auf den
Kickstarter, und schon blubberte der Motor gleichmäßig vor
sich hin. Was allerdings nun passierte, hatte die Dame nicht
erwartet. Der Mann fuhr rückwärts mit seinem Gespann aus der
Parklücke auf die Straße. Bevor er dann losdonnerte, hob er
zum Gruß noch einmal die rechte Hand, legte den ersten Gang ein
und war im nächsten Augenblick verschwunden.
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Dieses
Mal hatte Hans Kirpestein Glück. Normalerweise kommt er so
schnell nicht weg. In den meisten Fällen ist sein
Indian-Gespann nämlich von Schaulustigen umlagert. Dann wird er
mit Fragen gelöchert, es gibt kaum etwas, was die Leute nicht
interessiert. Auch kein Wunder. Erstens steht die Chief von 1948 picobello da, und zweitens genießt die amerikanische
Traditionsmarke auch heute
immer noch einen außergewöhnlichen Ruf. Ein weiterer Grund,
warum das Gespann überall soviel Aufmerksamkeit erregt, ist
sicherlich der, über dem Reserverad aufgeschnallte, mächtige
Korbkoffer. Wer so durch die Gegend fährt, ist bestimmt auf
großer Tour. Und, dass Holländer gerne verreisen, weiß
schließlich auch jeder. Zum Brötchenholen oder für kurze
Spritzfahrten war die Indian Chief eben nie gedacht. Im "Land
der unbegrenzten Möglichkeiten und unendlichen Weiten"
hatten Langstreckenqualitäten Priorität. Und dazu gehörten
unabdinglich ein bulliger V-Motor, möglichst mit 1200 Kubik,
ein komfortables Fahrwerk, eine bequeme Sitzposition und eine
breite Lenkstange, die lässig in den Händen lag. Sportliche
Ambitionen, bei uns in Europa immer eine ganz wichtige Sache,
zählten für US-Biker nicht zum Maß der Dinge. Wer rasen
wollte, konnte Rennen fahren. In dieser Disziplin war Indian
allerdings von Firmenbeginn 1901 bis zur Werksschließung 1953
führend. Alle Rennerfolge aufgezählt würden ein dickes Buch
füllen, doch das ist wiederum eine ganz andere Geschichte.
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In
der Indian V-Twin-Baureihe war die Chief ab 1922 das Topmodell.
Und wie es sich für einen richtigen Häuptling gehört, hatte
das Triebwerk satte 1000 ccm. Doch nicht genug. Schon ein Jahr
später folgte die Big Chief mit gewaltigem 1,2-Liter-Motor. Ein
Nimbus war geboren. Tauchte irgendwo eine große Indian auf, war
es für die Leute immer eine "Big Chief". Das war damals
so, das hat sich bis heute kaum geändert. Big Chief klingt
mächtig, und das hat schließlich was.
Nach der tatsächlichen Modellreihenfolge ist das allerdings
falsch. Die Typenbezeichnung Big Chief wurde nämlich nur
solange verwendet, solange es parallel dazu die 1000er Chief gab
und das war bis 1928. Ab 1929 baute Indian nur noch ein großes
V-Modell und das war eben die 1200er und die hieß schlicht nur
Chief. Und das änderte sich auch bis zur Werksschließung 1953
nicht mehr. Ähnlich unspektakulär verliefen innerhalb der
30jährigen Bauzeit die jeweiligen Modifikationen. Das
Chief-Triebwerk basiert auf dem von Indian-Chefingenieur Charles
B. Franklin zu Beginn der zwanziger Jahre konstruierten
Seitenventil-V-Motor mit zwei untenliegenden Nockenwellen und
angeblocktem Dreiganggetriebe.
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Markenzeichen:
gewaltiger sv-Motor |

Stilecht:
Handschaltung
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Nennenswerte Änderungen waren 1925 abnehmbare Zylinderköpfe
aus Aluminiumguss. Die Umstellung von der umweltschädlichen
Verlustschmierung auf Trockensumpfschmierung erfolgte 1933, und
1934 tauschte man den Zahnrad-Primärantrieb gegen eine
Vierfachkette. Ab 1936 gab es die Magnetzündung nur noch auf
Kundenwunsch, zur Serienausstattung gehörte eine neue
Batterie-Spulenzündanlage mit Verteiler über dem rechten
Steuergehäusedeckel. Eingebaut war das 42-Grad-V-Aggregat in
einen Doppelrohrrahmen mit starrer Hinterradführung. Vorne
sorgte eine Gabel mit Kurzschwinge und Blattfeder für den
Fahrkomfort. Zum "Anhalten" vertraute man auf einen
doppelten Hinterradstopper, eine kombinierte
Innen-Außenbackenbremse. Das änderte sich 1928, als das
Vorderrad nun auch mit einer Trommelbremse ausgestattet wurde
und das Hinterrad ab jetzt nur noch mit einer Trommelbremse
verzögert wurde. Ein echter Rundumschlag erfolgte 1940.
Inspiriert von den Detroiter-Automobilkollegen formten die
Indian-Leute gewaltige Schutzbleche. Und weil man vom Auto
bereits schon einiges abgeguckt hatte, erhielt die Chief
gleichzeitig 5.00 x 16 PKW-Reifen und eine Geradwegfederung
für das Hinterrad. Ein weiterer Schritt zur
Fahrkomfortverbesserung war 1946 die Einführung der Trapezgabel
mit zwei Federn und separatem hydraulischen Stoßdämpfer. Der
Federweg stieg von 50 auf 125 mm. Nichts änderte sich dagegen
an den Indian-typischen Standards. Dazu gehörten Trittbretter,
ein gut gefederter Sattel, die Kupplungswippe über dem linken
Trittbrett, der lange Schaltknüppel rechts am Tank sowie
Gasgriff links und Zündverstellung rechts am Lenkerende.
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Von jeher waren Indians stets ideale Gespannmaschinen, die man
selbstverständlich direkt ab Werk ordern konnte. Wer allerdings
Lust und Laune hatte, konnte auch nachträglich einen Beiwagen
anschrauben. Für die Dreiradfraktion entwickelten die
Springfielder Motorradhersteller 1935 ein neues Getriebe mit
drei Vorwärts- und einem Rückwärtsgang. Diese Schaltbox wurde
aber auch als Sonderzubehör mit vier Vorwärtsgängen
angeboten, in der Serie vertraute das Werk jedoch weiterhin auf
nur drei Fahrstufen.
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Für
das Modelljahr 1948 griff die amerikanische Nobelmarke tief in
die Trickkiste. Gleich 19 "important improvements"
versprach der neue Chief Werbeprospekt. Doch keine Bange,
hierbei handelte es sich lediglich um Detailverbesserungen, der
edle Rothaut-Häuptling blieb im Großen und Ganzen so, wie er
war. Das hatte auch seinen Grund. Trotz sensationeller
Verkaufserfolge, 1947 ließen sich beachtliche 11.849 Chiefs an
den Mann bringen, und im Anfang der Firmengeschichte, zwischen
1910 und 1928 war das Werk in Massachusetts sogar weltgrößter
Motorradhersteller, krankte die "Indian Motocycle
Company" eigentlich ständig an wirtschaftlichen
Schwierigkeiten. Mal gings bergauf, dann wieder bergab.
Hauptursache dafür waren etliche Besitzerwechsel, schlechtes
Management, Fehlentscheidungen in der Modellpolitik sowie
dubiose Finanztransaktionen. Das Ende, auch wenn man es noch
nicht wahrhaben wollte, war absehbar.
Aus diesem Grund beinhalteten die technische Verbesserungen 1948
keine gravierenden konstruktiven Veränderungen. Hierzu
gehörten überarbeitetes Motorgehäuse, verbesserter
Ansaugkrümmer und Auspuff, geänderte Motorschmierung mit neuer
Zahnradpumpe, verstärkter Kickstarter und Seitenständer sowie
bessere Lichtmaschinenleistung. Anstelle der Nadellager in der
Trapezgabel übernahmen nun Bronzebuchsen die Führungsarbeit,
für den Fettnachschub waren überall Schmiernippel angebracht.
Ebenfalls verbessert war der hydraulische Dämpfer in der
Trapezgabel. Weitere Neuheiten waren Chromfelgen, langer Sattel
für zwei Personen, Instrumenten-Paneel mit neuer Kontrolllampe
und Zündschalter, Hupe und verchromter Scheinwerfer. Als
zusätzliche Farbvariante im Katalog war "Turquoise"
aufgeführt.
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Und genau in diesem Türkis
ist Hans Kirpesteins Chief-Gespann lackiert. Ebenfalls
100prozentig original ist der Seitenwagen, das Reserverad stammt
aus dem Zubehörkatalog. Über drei stabile Schraubverbindungen
ist der Seitenwagenrohrrahmen mit der Chief verbunden. Das
dritte Rad ist ungefedert, verfügt dafür aber über eine
Trommelbremse. Bei der Betätigung haben sich die
Indian-Techniker einen simplen Trick einfallen lassen. Via
Gestänge und einem mechanischen Verzögerungsmechanismus bremst
bei Betätigung des Hinterradstoppers das Beiwagenrad etwas
später. Muss der Indian-Treiber in die Eisen steigen, wird mit
dieser Ausführung erreicht, dass das Gespann sicher in der Spur
bleibt. Ohne diese Verzögerungstaktik könnte es durchaus
passieren, dass man das Seitenwagenrad überbremst und die
gesamte Fuhre rechts in den Graben zieht. Für die
Fahrsicherheit des immerhin über 320 kg schweren und rund 120
Stundenkilometer schnellen Gespannes eine durchaus wichtige
Angelegenheit.
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Auf Komfort braucht der Passagier nicht zu
verzichten, das Boot ist an zwei langen Blattfedern aufgehangen.
Ringsherum ist das Vehikel mit 5.00 x 16 Autoreifen bestückt.
Falls ein Plattfuß die Weiterfahrt stoppt, kommt das Reserverad
zum Einsatz.
"Ein Zurückrüsten zum Solobetrieb wäre jederzeit
möglich, lediglich das Antriebsritzel müsste ich noch
tauschen. Im Gespannbetrieb wird ein 20er, solo ein 22er Ritzel
verwendet", lässt Hans Kirpestein wissen. "Doch ob ich
das will, ist eine andere Sache. Denn was mache ich dann mit dem
schönen Korbkoffer?"
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Der Besitzer
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Hans Kirpestein, hat
Benzin im Blut. Schließlich war sein Opa Indian und
Harley-Davidson Händler. Richtig los mit dem Indian-Bazillus
ging es bei ihm Mitte der achtziger Jahre. Die Chief von 1948 war
damals noch solo und im unbedingt restaurierbedürftigen
Zustand. Gut ein Jahr dauerte die Angelegenheit. Als es ans
Lackieren ging, kam beim Schleifen bewusstes "Turquoise"
zum Vorschein. Und genau in dieser Farbe sollte die Chief
natürlich auch wieder glänzen.
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Rund zwei Jahre wurde der
1200er Häuptling gefahren, und wenn der Zufall mit dem alten
Indian-Gespann nicht dazwischen gekommen wäre, wäre die Chief
auch so geblieben. Der Beiwagen war nämlich auch von 1948, und
obendrein hatte der Fund eines der seltenen Getriebe mit
Rückwärtsgang. Das Vorhaben, seine Chief zum Gespann
umzubauen, war schnell gefasst. Wieder werkelte Hans Kirpestein
etwa ein Jahr, bis sein Traum auf drei Rädern vollbracht war.
Seit zehn Jahren ist das Chief-Gespann nun im Betrieb. Rund
10.000 Kilometer hat der Holländer mit dem Indianer-Häuptling
abgespult, hat etliche Indian-Treffen im In- und Ausland besucht
und wird so schnell vom Indian-Bazillus nicht loskommen.
Schließlich warten drei weitere Rothäute auf ihre
Restauration.
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Technische
Daten
Indian Chief-Gespann 1948
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Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, sv-Steuerung, Alu-Zylinderköpfe, 42 Grad Zylinderwinkel.
Hubraum 1207 ccm, Bohrung x Hub 82,5 x 112,7 mm, Verdichtung
6,5:1,
40 PS bei 4500/min, ein Linkert-Vergaser, Ø 1 ¼ Zoll.
Batterie-Spulenzündung mit Unterbrecherkontakt, 6 Volt,
Trockensumpfschmierung, Ölinhalt 5 Liter, Öltank in der
rechten Tankhälfte
Antrieb:
Primärantrieb über Vierfachkette, Mehrscheibenkupplung
im Ölbad, Fußkupplung, handgeschaltetes Dreiganggetriebe
mit Rückwärtsgang, Hinterradantrieb über Rollenkette
Fahrwerk:
Doppelrohrrahmen, vorne Trapezgabel aus Pressstahlprofilen
mit zwei Federn und separatem hydraulischen Dämpfer, hinten
ungedämpfte Geradwegfederung, Radstand 1575 mm.
Angeschraubter Beiwagen mit ungefedertem Seitenwagenrad.
Bremsen vorne seilzugbetätigte Trommelbremse Ø 200 mm,
hinten gestängebetätigte Trommelbremse Ø 180 mm,
Seitenwagen über Gestänge betätigte
Trommelbremse Ø 180 mm.
Räder und Reifen ringsum Speichenräder mit
5.00 x 16 Autoreifen.
Gewicht 322 kg
Spitze 120 km/h
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