Harley-Davidson Lifestyle


Renn-Harley von Paul Stanick

"Art of Racing"

Eigentlich sind Harleys dick und fett. Zum Rennenfahren taugen
sie nichts. Eigentlich. Es gibt allerdings Ausnahmen.
Zum Beispiel die XR 1200 von Paul Stanick aus Salzgitter...

Text&Fotos: Winni Scheibe




Das Klischee sitzt tief. Harleys symbolisieren das "American Way of Life" Feeling, sozusagen Easy Rider pur. Besonders die Big-Twins. Der dicke V-Motor böllert wie ein Mississippidampfer, und ganz gleich wo man rumfährt, die "Route 66" ist in greifbarer Nähe. Im Harley-Programm gibt es allerdings auch Sportmodelle: Die Sportster mit 883 und 1200 Kubik. Doch gegen die Superbikes vom Schlag Kawasaki ZX-10R, Yamaha R1 oder Ducati 999R sehen die Kampfrösser aus dem Amiland alt aus. Verdammt alt sogar. Einen Blumentopf lässt sich mit ihnen wohl kaum gewinnen. Aber das sollen sie ja auch gar nicht. Sportlichkeit wird in den USA, oder genauer gesagt bei der Harley-Davidson Motor Company sowieso ganz anders geschrieben. Und somit wäre das Thema Power, Speed und Aktion "Made by Harley" auch schon abgeschlossen. Aber schon hört man laute Schreie aus der Manege. Ganz entsetzt ruft die Knieschleiferfraktion: und was ist mit Buell? Ist der Brenner etwa kein echter Sportler? Sicherlich, doch das ist wiederum ein ganz anderer Film.




Der Streifen, den wir uns inbrünstig ansehen wollen, wurde in Salzgitter gedreht. Regie führten Paul Stanick und Klaus Heller, der Hauptdarsteller ist eine Renn-Harley und der Titel lautet: "XR 1200". Das XR steht eigentlich für die Werksrennmaschinen aus Milwaukee, doch damit hat der Brenner aus Niedersachsen nicht die Bohne gemein - auch wenn er so aussieht, vielleicht sogar noch etwas besser. Was würde wohl Willie G. zu der "Art of racing" sagen? Sofort alle Rechte aufkaufen und eine Kleinserie auflegen? Eine spannende Frage. Ob es aber je so weit kommen wird, steht in den Sternen und solange bläst Paul Stanick mit seinem Hammer über diverse Rennstrecken in Zeltweg, Assen, Oschersleben oder sonstwo. Denn das hat seinen berechtigten Grund: "Auf öffentlichen Straßen rumheizen ist mir einfach zu gefährlich", gibt der Hobby-Racer unumwunden zu, fügt aber gleich hinzu, "da ich aber immer noch gern kräftig am Gasgriff drehe, kommen für mich eben nur noch Rennstrecken in Frage."




Pistenspaß hatte Paul Stanick zuletzt im "German Harley Cup". Mit der 883 Rennsportster vom Harley-Davidson Händler in Braunschweig kam er in der Schlusswertung 1995 auf den 7. und 1996 auf den 11. Platz. In seiner Freizeit bewegte der Harley-Fan seit 1992 eine 883 Sportster und genau aus diesem Exemplar entstand besagte XR 1200. "Die Idee eine reinrassige Harley-Rennmaschine zu bauen, hegte ich schon vor Jahren. Aber erst als der Harley-Cup Ende 1996 wieder eingestellt wurde, gab es für mich fast gar keine andere Wahl als dieses Vorhaben nun doch endlich zu verwirklichen", verrät Paul Stanick.



Eingespieltes Team:
Paul Stanick auf seinem HD-Racer und "Motor-Starter" Klaus Heller


Tatkräftige Unterstützung fand er in seinem Geschäftspartner Klaus Heller, ohne den etliche technische Ausführungen kaum möglich gewesen wären. Denn einfach irgendwelche Bauteile aus dem Versandhandel anzubauen, hatte man ja schließlich nicht vor. Entsprechend dieser Aufgabenstellung teilte sich das Vorhaben in drei Arbeitsabschnitte: Triebwerks- und Fahrwerksoptimierung, aber auch das Styling, eine Mixtur aus klassischen und modernen Elementen, sollte eine eigene Note bekommen. Hierfür hatte man ganz genaue Vorstellungen. "Als Vorbild dienten uns die Harley-Rennmaschinen aus den siebziger Jahren und nicht zuletzt der legendäre Lucifers-Hammer, auf dem Harley-Werksfahrer Gene Church 1985 in Daytona Beach das Battle of the Twins-Rennen gewonnen hatte", lässt Paul Stanick wissen.




Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aber noch viel mehr. Noch nie sah eine Renn-Harley so gut aus, handwerklich eine wahre Meisterleistung. Wer anderer Meinung ist, möge es bitteschön erst einmal besser machen. Das Bike wirkt klein und zierlich, nichts steht hervor, keine Ecken und Kanten stören das harmonische Bild. Die GFK-Verkleidung schmiegt sich eng um das Triebwerk, passgenau und wie aus "einer Form" verlaufen die Übergänge zum bananenförmigen Alu-Tank. Von hinten betrachtet sticht die schlanke Wespentaille ins Auge, ein bündiger Knieschluss ist vorgegeben, so etwas gibt es bei keiner anderen Harley. Hinter der Verkleidung klitzeklein machen, das ist es, worauf es bei einer Rennmaschine ankommt. Käme die Maschine von Ducati, würde man sofort begeistert "bella Italia" rufen. Ganz und gar nicht italienisch wirkt dagegen das unter dem Rennhöcker linksseitig herauslugende faustdicke Megaphonrohr. Diese Ausführung könnte wiederum direkt aus der Rennabteilung von Harley-Davidson stammen. Auch die Kastenschwinge mit den beiden schräg angestellten White-Power Federbeinen, sowie die Speichenräder gehören im Prinzip in die Zeit, als hang-off und Slickreifen noch Fremdwörter waren. Doch das ist von den beiden Erbauern bewusst so gewollt. Schließlich will Paul Stanick die XR 1200 im "BOT Classic-Racing" einsetzen. Und damit sie in der "Ducati und Co."-Liga nicht allzu "obsolete" aussieht, haben die Edelschrauber dem Motor und Fahrwerk mächtig auf die Sprünge geholfen.




Dass die Harley-Kraftwerke keine hochgezüchteten Drehorgeln sind, ist hinreichend bekannt. Und dass Hubraum durch nichts zu ersetzen ist, weiß schließlich auch jeder. Was lag also näher, als 95 mm dicke Wiseco-Kolben mit den dazugehörigen Alu-Zylindern zu montieren. Bei gleichbleibendem Hub von 96,8 mm resultieren daraus beachtliche 1340 Kubikzentimeter Hubraum, soviel wie die Harley Big-Twins haben. Zum richtigen Motor-Tuning gehört jedoch noch einiges mehr. Und so wurde der Kurbeltrieb um vier (!) Kilogramm erleichtert, mit sündhaft teuren Carrillo-Pleueln bestückt und abschließend feingewuchtet. Ebenfalls viel Fleißarbeit steckt in den Zylinderköpfen. Die Kanäle sind überarbeitet, Ventilsitze penibel angepasst. Auf der Einlassseite sorgt ein Mikuni-Flachschiebervergaser mit 42 mm Durchmesser für eine füllige Aufbereitung des Kraftstoff-Luftgemisches, die Entsorgung der Abgase übernimmt eine selbstgebogene und zusammengeschweißte, entgratete und verputzte Edelstahl-Auspuffanlage. Verantwortlich für die verschlungene Führung des Rohrwerkes ist Klaus Heller, der, so Paul Stanick, wie kein anderer für solche Arbeiten "goldene Hände" hat. Gleiche Fähigkeiten zeigen sich auch bei der Ausführung der 4,5 Liter fassenden Ölwanne aus 2 mm starkem Alublech. Der exakt in die unteren Rahmenrohre eingepasste großzügig verrippte Vorratsbehälter ist eine Augenweide schlechthin. Um das getunte Triebwerk möglichst von vielen überflüssigen Pfunden zu befreien blieben beim Zusammenbau des Motors Lichtmaschine und Anlasser im Regal liegen. Lohn aller Mühen: 106 PS bei kommoden 6500/min drückt das Hinterrad auf die Prüfstandsrolle.



Kunstwerk für sich: 4,5 Liter-Ölwanne


Der Sportster-Rahmen blieb in den Grundzügen weitgehend unverändert, lediglich das Heck hat man modifiziert. Die Führung des hinteren Speichenrades mit 4.50x18-Zoll-Alufelge übernimmt eine selbst gefertigte Kastenschwinge, zwei schräg angestellte White Power-Federbeine sorgen für gute Straßenlage und Fahrkomfort. Bei der Vorderradführung vertraut Paul Stanick auf eine vielfach verstellbare F1-Forcelle-Telegabel mit 42 mm Standrohrdurchmesser. Das vordere Speichenrad, mit 3.50x18 Zoll-Alufelge, wird von zwei selbstgebauten 310er Bremsscheiben, die von Brembo-Vierkolbensätteln in die Zange genommen werden, verzögert. Bereift ist die XR 1200 mit Metzeler Pneus, vorne 110/70 VB 18 V 260 ME 33 Laser und hinten mit 160/60 VB 18 V 260 ME 1. Eine üppigere Reifendimension kam für Paul Stanick nicht in Frage. Breite Schlappen sind fürs Handling nicht immer von Vorteil.



Ihre Feuertaufe hat die nur 179 kg schwere und gut 260 Sachen schnelle XR 1200 längst bestanden. Bei zahlreichen Renneinsätzen scheuchte Paul Stanick seinen Dampfhammer immer wieder auf gute Platzierungen. Nur schade, dass es für die Big-Twins (noch) keine Weltmeisterschaft gibt.


Kontakt:
Paul Stanick
Ina-Seidel-Weg 9
38239 Salzgitter

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