Ducati-Lifestyle


Tuning-Guru Eraldo Ferracci
Ein Bericht von 1994

"Maestro Ferracci"

In der Tuningszene gehört Eraldo Ferracci zu den ganz Großen.
Der Ducati-Spezialist mit italienischem Blut in den Adern lebt seit
Ende der Sechziger in den USA. Bei einer Amerikareisen 1994
habe ich den PS-Guru in seinem Betrieb "Fast by Ferracci"
in Philadelphia/Pennsylvania besucht. 

Text&Fotos: Winni Scheibe




Multikulturelle Probleme sind in den USA weitgehend unbekannt. Im Land "der unbegrenzten Möglichkeiten" spielt in der Gesellschaft und im Berufsleben die Nationalität kaum eine Rolle. Wer fleißig ist und etwas von seinem Handwerk versteht, kann es weit bringen. Ducati-Tuner Eraldo Ferracci gehört zu diesen Leuten. 1991 und 1992 gewann sein Team "Fast by Ferracci" mit dem US-Rennfahrer Doug Polen die Superbike-Weltmeisterschaft. 1993 blieb das Team im Lande und sicherte sich den begehrten AMA-Superbike-Titel.

Seit 1967 lebt der erfolgreiche Tuner und Teamchef in den Staaten, doch sein italienisches Temperament und das typische südländische Wesen hat Ferracci weder verlernt noch abgelegt. Im sympathischen englisch-italienischen "Slang" verhandelt er mit Sponsoren, bespricht mit seiner Kundschaft die Aufträge und bringt mit deftigen Scherzen Besucher herzhaft zum Lachen. Geht`s mit ihm zum Essen, fühlt man sich wie in Italien. Aus der üblichen 60-minütigen Mittagspause werden dann schnell zwei Stunden und mehr. Schließlich gibt es viel zu erzählen.

 


Ducati-Tuner Eraldo Ferracci


Für Motorräder interessiert sich der Viertaktspezialist schon so lange er denken kann. Bei Motobi in Pesaro lernte er seinen Traumberuf Motorradmechaniker. Nach bestandener Ausbildungsprüfung kam er in die Versuchs- und Entwicklungsabteilung des italienischen Zweiradwerkes. Diese Arbeit war genau nach seinen Vorstellungen. Hier konnte er planen, konstruieren, bauen und noch dazu beruflich Motorrad fahren. Ging es mit den neu entwickelten Maschinen zu Testfahrten auf eine der naheliegenden Rennstrecken, war Ferracci mit von der Partie. Und so wundert es auch nicht, dass er sich bald eine Lizenz verschaffte und Rennen fuhr. Nach zahlreichen Erfolgen in der Amateurklasse wechselte der hochbegabte Motorradspezialist ins Profilager und wurde mit der 125er Werks-Motobi 1963 italienischer Staatsmeister.
Mitte der sechziger Jahre suchte das Werk für den US-Markt einen Technik-Fachmann. Das war genau die richtige Herausforderung für Eraldo Ferracci. Anfang 1967 begann er seinen neuen Job beim amerikanischen Motobi-Importeur in Philadelphia/Pennsylvania. Schnell passte er sich den neuen Lebensgewohnheiten an und beschloss seinen Wohnsitz für immer hier anzumelden. Die Arbeit bei Motobi-USA währte gut drei Jahre, danach wagte er den Sprung in die Selbstständigkeit und eröffnete einen Honda-Shop. Hier wurden Maschinen verkauft und gewartet. Dabei sollte es allerdings nicht bleiben. "Der Rennbazillus steckte damals immer noch tief in mir drin", erinnert sich der Maestro. "Doch anstatt für Straßenrennen interessierte ich mich zunächst für den Dragstersport. Wir tunten die verschiedensten Motoren und bauten Dragster. In der Einzylinder-Klasse fuhr ich eine Maschine mit 600ccm. Für die 78er Saison hatten wir einen verdammt schnellen Dragster mit Vierzylinder-Motor und Turbolader. Das Triebwerk war eine Granate. Es leistete über 350 PS und die viertel Meile schaffte ich in 7,05 Sekunden. In diesem Jahr wurde ich in meiner Klasse US-Champion."

1980 legte der Wahl-Amerikaner den Grundstock für sein heutiges Geschäft, der "Manufacturer & Distributor of High Performance Motorcycle Components", kurz "FBF" in Willow Grove. "Im Herzen bin ich aber immer noch Italiener. Den Kontakt zu meiner Heimat habe ich nie abgebrochen. Auch die Verbindungen zur italienischen Motorradindustrie, besonders aber zu Ducati, habe ich immer gut gepflegt", erzählt der agile Tuningspezialist. Wie gut das Verhältnis zwischen Ducati und dem PS-Guru ist, zeigt die Tatsache, dass in der Regel ein Teil der Ducati-Werksrennmaschinen nach Willow Grove geliefert werden. Diese Maschinen werden vom Team "Fast by Ferracci" eingesetzt, während der Saison betreut und zum Teil sogar weiterentwickelt. Von dieser Arbeit profitiert das Stammwerk in Bologna und natürlich die Ferracci-Kundschaft.




Zum Großteil ist der Betrieb mit individuellen Motor- und Fahrwerkstunings ausgelastet. Entsprechend gestaltet sich der "FBF"-Teilekatalog. Das Angebot reicht von Big-Bore-Kits, über unterschiedliche Rennnockenwellen, Titan-Pleuel, Titan-Ventile bis zu überarbeiteten Kurbelwellen. Des Weiteren gibt es spezielle Wasserkühler, Alu-Kupplungen, geänderte Zündungs-Chips und Dynojet-Vergaser-Kits, Auspuffanlagen und natürlich alle möglichen Fahrwerks-Tuningteile. Soll das Bike möglichst leicht werden, kann man Motorgehäusedeckel aus Magnesium und Verkleidungsteile aus Carbon ordern. Für verbesserte Straßenlage sorgen Federelemente von Öhlins.




Für den Verkauf und den "Bürokram" hat Eraldo Ferracci seine Leute, in der Werkstatt ist er der Chef. Das Sprichwort, "Bei uns kocht der Chef selbst", könnte kaum besser zutreffen. In einen Arbeitskittel gekleidet, der den Bauchansatz geschickt verdeckt, weißhaarig, hämisch durch die Brille peilend, meist ein Liedchen pfeifend und immer gut gelaunt, wirbelt der Boss in einer Mischung aus italienischem Temperament und amerikanischer "easy going" Einstellung umher. Zwischen Werkbank, Motorradhebebühne, Drehmaschine, Leistungs- und Super-Flow-Prüfstand, Fräsmaschine und Telefon ist er in "action". Aber nie entsteht der Eindruck, dass er den Überblick verliert, etwas vergisst, sich durch irgendwas aus der Ruhe bringen oder sich von seiner Arbeit ablenken lassen würde. Für einen Moment könnte man vergessen, dass man in den USA ist, die Werkstatt könnte genauso gut irgendwo bei Mailand oder Bologna stehen.


Bella italia!

Ferraccis Erfolg kommt nicht von ungefähr. Handwerklich ist er ein Perfektionist. Nichts überlässt er dem Zufall. Bevor zum Beispiel ein Zylinderkopf stundenlang per Hand überarbeitet wird, wird auf dem "Super-Flow100"-Prüfstand Luftgeschwindigkeit und Luftmengendurchsatz im Einlass- und Auslasskanal gemessen. Erst wenn diese Werte ermittelt sind, kommt der Handfräser zum Einsatz. Bei Geräuschen, die an einen Zahnarztbesuch erinnern, werden die Kanäle begradigt und anschließend penibel poliert. Mit gleicher Sorgfalt erfolgt die Überarbeitung der Ventilsitze, der Ventile, des Brennraumes und das Einschleifen der Ventile. Auch dem Einpassen der Nockenwellen und dem Einstellen des Ventilspieles wird großes Augenmerk gewidmet. Im Schnitt beträgt der Arbeitsaufwand für einen Zweiventil-Kopf etwa anderthalb Tage. Das Optimieren eines Vierventil-Kopfes dauert zwei Tage. "Inwieweit sich die Mühe gelohnt hat, lässt sich nach getaner Arbeit haargenau auf dem Super-Flow Gerät ermitteln. Nach unseren Erfahrungen erzielen wir eine Optimierung bis zu 20 Prozent", verrät Ferracci.

Den Spruch: "Hubraum ist durch nichts zu ersetzen", kennt man natürlich auch bei "FBF". Hubraumvergrößerung gehören zur Standardarbeit. Die hierfür verwendeten Kolben bezieht man von Zulieferfirmen aus den USA und Italien. Bevor die geschmiedeten Edelteile allerdings im Zylinder verschwinden, werden die Kolbenböden nachgearbeitet und die Ventiltaschen tiefergefräst. "Eigentlich wird bei uns kein Bauteil, ganz gleich ob Standard- oder Tuningteil, ohne irgendeine Nacharbeit einfach eingebaut", betont Ferracci. "Auch die hochwertigen und teuren Ducati-Rennteile lassen sich optimieren. Ganz gleich, welche Arbeitsgänge im Einzelnen erforderlich sind, unsere Werkstatt ist so gut ausgerüstet, dass wir alles selbst machen."

 



Und hier liegt sicherlich ein Erfolgsgeheimnis von Ferracci. Er vertraut nicht blindlings irgendwelchen Tuningteilen und baut diese ein. Zunächst wird aus vorhandenem Material, ohne dabei die Standfestigkeit des Triebwerkes aufs Spiel zu setzen, das Optimum herausgeholt. Diese Arbeit basiert auf jahrelanger Erfahrung.




Modifikationen an einem Motor sind nur dann sinnvoll, wenn sich die Leistungssteigerung schwarz auf weiß auf dem Prüfstand nachweisen lässt. Oft steht bei uns ein Bike fünf, acht oder zehn Mal auf dem Prüfstand, bis wir rundherum mit der Leistungsabgabe zufrieden sind", plaudert der sympathische Firmenchef aus dem Nähkästchen. "Wenn wir neue Sachen ausprobieren, kann es durchaus sein, dass fünfzig Messungen zusammenkommen." 
Kein Geheimnis macht der Teamchef aus dem aktuellen Leistungsstand. Flink bedient er die Computer-Tastatur und auf dem Bildschirm erscheinen zwei Kurven soeben getunter Ducatis. "Es gibt sicherlich Teams, die mit weit mehr PS-Leistung prahlen, doch letztendlich," fügt der PS-Zauberer mit einem verschmitzten Grinsen hinzu, "zählt nur, wer als erster über die Ziellinie fährt...!"






Ralph "Bohni" Bohnhorst und Eraldo Ferracci


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