Motorrad-Marken

Ducati Mark3 und Desmo:
Einzylinder-Königswellen-Modelle 

Druck- und Schließ AG

Drei Dinge braucht der Mann:
Ein Einzylinder-Motorrad, Königswellenantrieb und desmodromische Ventilsteuerung. Ermöglicht hatte dieses Wunderwerk
Fabio Taglioni, seines Zeichens Chefkonstrukteur bei Ducati Meccanica SpA in Bologna. Damit hatte der begnadete Ingenieur
1968 den bis dahin ersten großen Meilenstein in der
Ducati Motorradgeschichte geschaffen.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Ducati, Werkszeichnungen





In der Einzylinder-Klasse unschlagbar:
Ducati 350 DESMO von 1973


Erfolge haben bekanntlich viele Väter. Ganz anders bei Ducati in Bologna. Maßgeblich verantwortlich am weltweiten Ruhm der italienischen Edelschmiede war der geniale Konstrukteur Fabio Taglioni. Schon kurz nachdem der junge Ingenieur 1954 vom damals bekannten Motorradhersteller Mondial zu Ducati übergewechselt war, hatte er im Frühjahr 1955 seinen ersten Rennflitzer auf die Räder gestellt. Es war die 100 Gran Sport, ein flinkes Einzylinder-Motorrad mit Königswellenantrieb der obenliegenden Nockenwelle. Welche Qualitäten die leichte Sportmaschine besaß, zeigten 1955 und 1956 die Erfolge bei den damals außerordentlich prestigeträchtigen Langstreckenrennen "Giro d´Italia" und "Milano-Taranto". Die Gran Sport fuhr sich mitten ins Herz der Ducati-Fans, die sie liebevoll "Marianna" nannten.



Ducati "Silver Shotgun"

Fabio Taglioni war gleich zum Einstand bei Ducati ein ganz großer Wurf gelungen. Die Gran Sport sollte Ausgangsbasis für eine Reihe weiterer erfolgreicher Rennmaschinen, sowie verschiedener Serienmodelle mit bis zu 350 Kubikzentimeter Hubraum werden. Der Grundstein für eine außergewöhnliche Motorradmarke war gelegt und es dauerte nicht mehr lange und die Namen Ducati und Taglioni waren unzertrennlich. Zwei Worte, die Ducatifahrern und Fans wie Öl über die Zunge gingen.


Ducatis legendärer Chefingenieur
Fabio Taglioni
(Foto: Werk)


Eine bessere Werbung für den Verkauf der Ducati-Straßenmodelle konnten die Erfolge im nationalen italienischen Rennsport kaum sein, eine Steigerung gab es nur noch mit der Teilnahme in der Straßenweltmeisterschaft. Doch um in der heiß umkämpften GP-Klasse bis 125 ccm überhaupt mithalten zu können, musste Fabio Taglioni tief in die Trickkiste greifen. 

 

Italienisches Wunderwerk für den GP-Wettbewerb:
125er Königswellen-Motor mit drei Nockenwellen und desmodromischer Ventilsteuerung
(Zeichnung: Werk)


Die als reinrassige GP-Einzylinder-Werksmaschine ausgelegte 125er "Bialbero" hatte der emsige Tüftler mit Königswelle, drei obenliegenden Nockenwellen und desmodromischer Ventilsteuerung bestückt. Ein gewaltiger technischer Aufwand, der für damalige Zeiten ungeheuerlich war. Erfunden hatte Fabio Taglioni diese Ventilbetätigung allerdings nicht. Die Bezeichnung ist eine Ableitung der griechischen Wörter "desmos" und "dromos" und bedeutet so viel wie "kontrollierte Bewegung". 

Der Trick ist nämlich, dass das Ventil mit einem Hebel geöffnet und mit einem anderen Hebel geschlossen wird. Bekannt war dieses System bereits seit 1909 von Norton, später experimentierten Peugeot, Delage, Bignan und Mercedes-Benz in ihrem berühmten Silberpfeil-Rennwagen damit. Fabio Taglioni war aber nicht nur bekennender "Desmo-Fan", er war auch von diesem System felsenfest überzeugt. Es sollte zu einer seiner "technischen Lebensträume" werden, die desmodromische Ventilsteuerung standfest, zuverlässig und serienreif zu machen. 

Mit dieser Zwangssteuerung ließ sich nämlich bei hochtourigen Motoren das gefürchtete Ventilflattern verhindern, 
aber auch durch die Verringerung der Ventilfederkräfte den Wirkungsgrad erheblich verbessern. Das kleine "Bialbero"-Rennmotörchen wurde mit 
der Nenndrehzahl von 12.500/min so zu einem echten Drehzahlwunder und verfügte darüber hinaus über enorme Reserven, im Klartext ausgedrückt hieß das: man konnte das Triebwerk kurzfristig im Rennstress bis auf gut 15.000/min hoch drehen lassen.

 


 

Desmodromische Ventilsteuerung
(Zeichnung: Werk)


Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die damaligen Erfolge natürlich nicht nur auf das herausragende Talent von Fabio Taglioni zurück zu führen waren. Ohne den grenzenlosen Enthusiasmus, sowie den vielen unbezahlten Überstunden und sogar selbstfinanzierten Wochenenden seiner Mitarbeiter an den Rennstrecken, aber auch dem wagemutigen Einsatz der Rennfahrer, wäre es niemals so weit gekommen. Idealismus und sportlicher Erfolg standen damals noch maßgeblich im Mittelpunkt, der Profit zählte für sie nicht.



(Fotos: Werk)


Zwar war Ducati mit über 700 Beschäftigten und einer Jahresproduktion von gut 20.000 Leichtmotorrädern schon bald größter italienischer Zweiradhersteller, doch die Firmengeschicke lagen in staatlicher Hand. Und was das bedeutete, ließ sich an einer Hand abzählen. Entscheidungen wurden vielfach emotionslos und ohne Branchenkenntnis vom Schreibtisch aus beschlossen. Gelder investierte man nur da, wo es zwingend erforderlich war, der Rennsport stand dabei meist ganz hinten an. Aber vielleicht war es gerade diese Situation, die den Ehrgeiz Fabio Taglioni und der "Ducati-Macher" um so mehr antrieb.
Die zunächst ausschließlich für den Rennsport entwickelten Bauteile wurden natürlich auch nach und nach in die Serienfertigung übernommen. Als erste Straßenmaschinen bekamen 1956 die 175 Sport und ein Jahr später die 100 Sport sowie 125 Sport den Königswellenantrieb für die obenliegende Nockenwelle spendiert. In den nächsten zehn Jahren erweiterte Ducati das Einzylinder-Königswellen-Angebot schrittweise in die 200er, 250er und 350er Klasse. Die es wiederum in einer bunt gemischten Modellvielfalt als Scrambler, Tourer und Sportler gab. Aus kosten- und fertigungstechnischen Gründen musste aber vorerst auf die technisch aufwändige desmodromische Ventilsteuerung verzichtet werden. Im konventionellen "Federkopf" waren fürs sichere Schließen des Ein- und Auslassventils Haarnadelfedern zuständig. Ein Kompromiss, mit dem sich Fabio Taglioni jedoch kaum abfinden wollte und konnte.



Ducati-Prospekt von 1966
(Foto: Werk)


Trotz guter Auftragslage, gestaltete sich der Motorradmarkt gegen Ende der sechziger Jahre zusehendst härter. Das galt besonders in den USA, für Ducati immerhin das wichtigste Exportland. Pfeilschnelle japanische Maschinen von Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki eroberten das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das war aber längst nicht das einzige Problem. Taglionis Einzylinder-Königswellen-Konstruktion war schlicht und ergreifend ausgereizt. Eine Hubraumvergrößerung über 350 ccm, sowie eine weitere Leistungssteigerung waren nicht mehr möglich. Dazu plagten das Werk schon seit geraumer Zeit ständige Garantieansprüche, die auf einen zu schwachen Kickstarterantrieb zurückzuführen waren. Obendrein verlangte der amerikanische Importeur Berliner Corporation in New Jersey nachdrücklich eine neue Modellpalette.



Zylinderkopf-Baumuster:
Desmodromik und Federkopf


Chefkonstrukteur Fabio Taglioni hatte gegen diese Forderung weiß Gott nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil, ihm kam sie sogar sehr gelegen. Schließlich lagen die Pläne für ein neues Einzylinder-Königswellen-Triebwerk, das sich wahlweise mit Federkopf oder Desmodromik ausstatten ließ, bereits griffbereit in der Schublade. Für die Serienerprobung des neuen Desmo-Motors hatte "Dr. T" nämlich schon im April 1966 beim Frühjahrsrennen in Modena versuchsweise eine 250er Renn-Ducati mit seinem Lieblings- Ventiltrieb an den Start gebracht. Diese Triebwerkskonstruktion wurde dann im Laufe des Jahres bei verschiedenen Renneinsätzen ständig weiterentwickelt.



Ducati 450 Mark 3



Bis die neue Modellreihe jedoch endgültig in Serie gehen konnte, wurde es 1968. Im Prinzip war das Triebwerk eine konsequente Weiterentwicklung des bereits bekannten Königswellen-Motors. Wieder bediente sich Maestro Taglioni eines ausgetüftelten Baukastensystems, so dass sich je nach Bedarf Motoren für die Klasseneinteilung 250, 350 und 450 fertigen ließen. Die Viertelliter-Ausführung hatte 74 mm Bohrung, der Hub betrug 57,8 mm, woraus sich exakt 248,6 ccm ergaben, die Leistung bezifferte man auf 30 PS. Die 350er kam mit 76 mm Bohrung und 75 mm Hub auf 340,2 ccm und 35 PS, und die 450er brachte es bei gleichem Hub wie die 350er, aber mit einer Bohrung von 86 mm, auf 435,7 ccm und sollte 40 PS abgeben. Mit den Leistungsangaben konnte Ducati nach den italienischen PS-Messungen, ohne Nebenaggregate sowie ohne Ansaug- und Geräuschdämpfung, stets sehr großzügig umgehen. Kamen die Maschinen aber zum damaligen deutschen Importeur Fritz Alexander und mussten über den TÜV gebracht werden, blieben in der Regel viele muntere Pferdchen im zugestopften Luftfilter und Auspuff stecken.

 

Ducatis Kunstwerk:
Einzylinder-Königswellenmotor mit desmodromischer Ventilsteuerung

(Zeichnung: Werk)


Ab 1968 war der vertikal geteilte Motorblock nun wesentlich stärker dimensioniert, was zur Folge hatte, dass er in der Ducati-Fraktion fortan als "breiter Motor" oder auch "wide case" bezeichnet wurde. Mit dieser Maßnahme ließ sich der Ölvorrat für die Nasssumpfschmierung von 2 auf 2,5 Liter vergrößern. Für eine bessere Wärmeabfuhr erhielt der Motorblock im vorderen Bereich Kühlrippen. Ein verstärkter Kurbeltrieb sowie verbesserter Kickstartermechanismus und etliche Detailveränderungen waren weitere Modifikationen. In bekannter Bauweise funktionierte der Ventiltrieb über Königswelle und Federkopf. 
Der Clou und somit das absolute Highlight in der neuen Einzylinder-Königswellen-Baureihe war jedoch das Desmo-Triebwerk. Im Gegensatz zu der 125er GP-Rennmaschine "Bialbero" mit drei obenliegenden Nockenwellen für die desmodromische Ventilsteuerung kam dieser Zylinderkopf mit einer obenliegenden Nockenwelle aus. Dottore Taglioni hatte hierfür eine ebenso einfache, wie geniale Lösung gefunden. Die Welle verfügte über vier eng zusammenliegende Nocken, die über zwei Kipphebel das Öffnen vom Ein- und Auslassventil und über zwei Schließhebel das "zwangsweise" Zuziehen der Ventile annähernd spielfrei organisierten. Die zusätzlich verwendeten wesentlich schwächeren Haarnadel-Ventilfedern vom Federkopf waren nur als Sicherheitsmaßnahme gedacht. Hiermit sollte gewährleistet werden, dass die Ventile auch tatsächlich immer richtig schlossen um somit stets ein problemloses Starten zu ermöglichen.



(Foto: Werk)

Auf den ersten Blick ließ sich zwischen den einzelnen Motorentypen kaum ein Unterschied erkennen, lediglich das Abzählen der Zylinder-Kühlrippen brachte Klarheit: der 250er hatte acht, der 350er neun und der 450er zehn Rippen. Etwas einfacher war die Identifizierung der Baureihen mit unterschiedlicher Ventilbetätigung. Beim Federkopf stand auf dem linken Nockenwellendeckel 250, 350 oder 450 für die Hubraumgröße, den Kopf mit der desmodromischen Ventilsteuerung erkannte man am etwas größeren Nockenwellen-Deckel und der Prägung DESMO.



(Foto: Werk)


Bedingt durch den breiten Motor war ein neues Einrohr-Chassis mit zwei hinteren Rahmenunterzügen erforderlich, an denen gleichzeitig auch die Sozius-Fußrasten befestigt waren. 
Die ersten Maschinen der neuen Einzylinder-Generation waren 1968 zunächst die 350 und 250 Scrambler sowie die 250 und 350 Mark 3 und dann wenig später die 250 Mark 3D und 350 Mark 3D. Das "D" stand für Desmo, für Fabio Taglioni ging mit der Mark 3D-Modellreihe endlich ein langgehegter Wunschtraum in Erfüllung. "Seine" desmodromische Ventilbetätigung, die bereits im Rennsport für Ruhm und Ehre gesorgt hatte, war jetzt in die Serienfertigung eingeflossen und damit für jedermann käuflich.



Auch Ducati hat "Amts-Kräder" gefertigt
(Foto: Werk)



Ducati 350 CSR von 1968
(Foto: Werk)


Ähnlich wie schon bei dem umfangreichen Modellangebot mit dem schmalen Motor, konnte Ducati auf Grund des Baukastensystems nun wieder auf einen Schlag eine ganze Palette unterschiedlicher Motorräder von 250 ccm sowie 350 ccm und ab 1969 nun auch in der 450er Klasse anbieten.
Bleiben wir zunächst kurz bei den 250, 350 und 450 Scrambler Modellen. Es waren Maschinen, die mit ihrem hohen Lenker, kleinem Tank, bananenförmiger Sitzbank und schmalen Schutzblechen wie Geländemaschinen aussahen, in Wirklichkeit aber keine brauchbaren Off-Road Eigenschaften besaßen. Trotzdem, in Amerika und Italien gingen diese Hüpfer weg wie warme Semmeln. Sie wurden bis zum Ende der Baureihe 1974 die beliebtesten und meistverkauften Ducati-Einzylinder-Maschinen. In der Regel hatten die "Street-Scrambler" den Federkopf, es gab aber auch Spezialgeländeausführungen mit Desmokopf. Weil es sich aber um eine ungemein spannende Geschichte handelt und es viel mehr darüber zu erzählen gibt, werden wir einen eigenen Bericht über die Scrambler bringen und gehen hier nicht weiter auf das Thema ein.



(Foto: Werk)

Im ersten Modelljahr 1968 waren sich die 250 und 350 Mark 3 sowie 250 und 350 Mark 3D noch recht ähnlich. Alle vier Maschinen hatten einen eigenwilligen Kraftstoffbehälter mit zwei Tankdeckeln, einen Dell`Orto SS1-29D Vergaser, Stahlfelgen und im Vorderrad eine einfache Simplex-Trommelbremse. Abgesehen vom höheren Preis unterschieden sich die beiden Desmo-Modelle zur 250 und 350 Mark 3 durch Chromflächen am Tank, Chromschutzblechen und dem "D" für Desmo auf den Seitendeckeln. Ein Ausdruck für die Sportlichkeit war die Instrumentierung. Der kleine Tacho saß im Lampentopf, der große Drehzahlmesser war am Lampenhalter befestigt. Für die Heizer-Fraktion unter der Desmo-Treibern ein ganz wichtiges Werkzeug, laut Ducati konnten sie den Motor problemlos bis 10.000 Umdrehungen pro Minute kurzfristig hoch drehen lassen.


(Foto: Werk)

Im nächsten Jahr, 1969, erweiterte Ducati das Straßensport-Programm nun um die 450 Mark 3 und 450 Mark 3D. Alle Modelle von 250 über 350 bis 450 ccm waren weiterhin im Prinzip baugleich, hatten nun aber einen Tank mit nur einem Einfüllstutzen und einen neuen Dell`Orto VHB29AD Vergaser. Wahlweise gab es die Flitzer mit Stummellenker, für den US-Markt, oder für jeden, der es so haben wollte, auch mit hohem "Western-Lenker". Von Softchoppern sprach damals allerdings noch kein Mensch. Für die Speedfreaks dagegen bot Ducati einen Rennkit an. Für schnelle Zeiten auf der Rundstrecke und für einen neuen Rekord am Berg. Allein hierüber ließen sich tausend Geschichten erzählen.
1970, um es einfach zu machen, blieben alle Ducati Viertakt-Modelle unverändert im Programm.

Ab 1971 splitten sich die Straßensport-Maschinen in zwei Baureihen. Die 250, 350 und 450 Mark 3, die man ab jetzt als Tourensportler bezeichnen sollte, bleiben, abgesehen von Detailmodifikationen und Änderungen in der Ausstattung, zum Beispiel Stummellenker oder Western-Lenker, weitgehend unverändert bis zum Produktionsschluss 1974 im Programm.


(Foto: Werk)


In der Desmo-Liga setzte Ducati dagegen mächtig eins oben drauf. Aus dem Straßensportler wurde ein reinrassiger Supersportler, die Bezeichnung änderte sich von Mark 3 D in 250-, 350- und 450-DESMO.



Kompromisslos, nur für eine Person gemacht, wie eben von der Rennstrecke abgebogen, stand sie da. Eine Wucht, die schönste Einzylinder-Königswellen-Ducati, die es je gegeben hatte. Racing pur, mit Höckersitzbank, langem Sporttank, Stummellenkern und hinten liegenden Fußrasten. Die vordere Radabdeckung, Tank, Seitendeckel und Höcker waren aus GFK gefertigt und in wunderschönem Silber-Metallic lackiert. Neu war auch die Marzocchi-Telegabel mit 35er Standrohren, die 18-Zoll Alu-Borrani-Hochschulterfelgen und im Vorderrad die Grimeca Doppel-Simplex-Trommelbremse. Selbst im Detail hatte man sich große Mühe gegeben. Links, wo der Kickstarter saß, musste nämlich vorm Ankicken Fußraste und Bremshebel hoch geklappt werden. Keinen Wert wurde auf Blinker, Rückspiegel, Luftfilter oder gar "TÜV-Auspuff" gelegt. Richtig rannte die DESMO sowieso nur mit dem vom Werk mitgelieferten, offenen Megaphon-Rohr. Wer mit der DESMO über verwinkelte Straßen räuberte, suchte nicht nur Kurven, sondern auch andere Motorradkollegen. Aber nicht um mit ihnen über Benzin zu reden, sondern um sie zu versägen. Zeigen, was eine Hacke ist und dann vielleicht doch später absteigen um ihnen so ganz nebenbei zu erklären, dass es sich ja nur um ein "Moped" mit 250 oder 350 ccm handele. Kein Wunder, dass der Straßenfeger bald seinen Spitznamen "Silver Shotgun" weg hatte, eine Bezeichnung, die allerdings nicht von Ducati stammt.



Ducati 250 "Silver Shotgun" von 1971





Zwei Jahre, 1971 und 1972, gab es den Silber-Vogel zu kaufen. Dann folgte für 1973 und 1974 die nächste und gleichzeitig letzte Evolutionsstufe in der Einzylinder-Königswellen-Desmo-Baureihe. Nun war das Gelb der großen Ducati 750 Sport Trumpf, der Höcker war eine Kombination mit der hinteren Radabdeckung, der Tank aus Stahlblech, die Seitendeckel waren nun wesentlich kleiner. Die Führung des Vorderrades übernahm eine 35er Ceriani-Telegabel, für Bremsverzögerung sorgte eine 280er Brembo-Scheiben-Bremsanlage.


Wahlweise gab es aber auch die Grimeca-Doppel-Simplex-Trommelbremse. Verantwortlich für das neue Design war Leopoldo Tartarini, und wieder war Ducati ein traumhaft schönes Motorrad gelungen, das es selbstverständlich in allen drei Hubraumklassen gab. Wovon die 350er mit Sicherheit die ausgewogenste Maschine war. Drehmoment, Leistungsentfaltung und Drehwilligkeit machten die 350 DESMO in der gesamten Modellreihe zum Hecht im Karpfenteich. Das Motorrad ließ sich spielerisch leicht fahren und machte einen Höllenspaß. Die 250er hatte unten nicht viel drin, lechzte nach Drehzahl und wollte immer ordentlich auf Touren gehalten werden. Mit der 450 DESMO, die eigentlich nur als großvolumiger Scrambler für den US-Markt geplant war, konnte man dafür sein blaues Wunder erleben. Der Motor hatte zwar genügend Durchzug aus dem Keller, dafür produzierte er kräftige Vibrationen und war längst nicht so agil wie die 350er.




Die Fangemeinde störte dies alles vorerst nicht, schließlich hatten sie ihren Desmo-Traum auf zwei Rädern. Ernüchterung kam spätestens bei der ersten großen Inspektion beim Einstellen der Ventile. Der Ottonormal-Fahrer war mit der filigranen Technik meist hilflos überfordert und Fachwerkstätten, die sich in der Materie auskannten, waren dünn gesät. Und dann gab es noch etwas, was man eigentlich so ganz und gar nicht wahrhaben wollte, eine gut eingestellte Duc mit Federkopf lief kaum schlechter als die Desmo. Heute weiß man natürlich alles viel besser, kennt diese Stärken und Schwächen. Unumstößlich ist allerdings, dass Fabio Taglioni mit der Einzylinder-Desmo-Baureihe den Grundstein für sämtliche späteren Erfolge mit den V2-Motorrädern gelegt hat.




Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die hochkarätigen "DESMO-Sportflitzer" parallel auch in abgespeckter Form mit Federkopf angeboten wurden. Hier nutzte Ducati das Baukastensystem bis zur letzten Lücke voll aus. Für die Modellpolitik war das aber unerheblich, längst war beschlossen alle Einzylinder-Maschinen aus dem Programm zu schmeißen, die Zukunft gehörte schließlich den neuen Ducati V2-Bikes.
Ganz so schnell kam das endgültige Aus nun aber doch nicht. In Spanien fertigte Mototrans die Singles in Lizenz bis in die 80er Jahre weiter, doch das ist eine andere Geschichte.


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