Benelli 750 Sei
"Kopier-Gerät"
Die ersten Nippon-Bikes
waren zweifellos freche Kopien
europäischer und amerikanischer Modelle.
1972 spickte Benelli
bei Honda ab. Was dabei herauskam: die Benelli 750
Sei.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Fromm, Werk
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Nach
dem Zweiten Weltkrieg bestimmten einfache, robuste und preisgünstige
Motorräder bei uns das Straßenbild. Auch als es wirtschaftlich steil
bergauf ging, änderte sich kaum etwas an der Situation. Maschinen aus
Japan kannte man in der Regel nur vom Hörensagen. Sie waren als
Billigprodukte und als dreiste Kopien verschrien. Sicherlich zu Recht.
Der Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung verlief in Japan
ähnlich wie bei uns. Schon Ende der vierziger Jahre schnurrte die
Produktion wieder auf Hochtouren. Keine Branche wurde von den fleißigen
Asiaten ausgelassen. Auch nicht das Motorrad. Langjährige
Entwicklungszeiten gab es allerdings nicht. Man orientierte sich einfach
an Mustern aus dem Westen und baute diese frech nach. Jedoch mit einem
ganz entscheidenden Unterschied: Fertigungstechnisch und in der
Qualitätskontrolle waren die Nippon-Bikes von Anfang an bedeutend
besser.
Eigene Konstruktionen ließen dann aber nicht mehr lange auf sich
warten. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre begann die "Eroberung"
des US-Marktes, und wenig später war Europa dran. Maschinen vom Schlag
der Honda CB450 und CB750, Kawasaki "Z1", Suzuki GT750 und
Yamaha XS650, um nur einige zu nennen, lösten weltweit einen ungeahnten
Motorradboom aus. Von japanischen "Kopien" sprach bald keiner
mehr. |
(Foto: Fromm)
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In
dieser Zeit dümpelte der europäische Motorradmarkt auf dem
Existenzminimum herum. Kein Mensch stieg freiwillig mehr aufs Krad. Wer
etwas auf sich hielt, fuhr Auto. Am ärgsten hatte es die englische
Motorradindustrie erwischt. Viele berühmte Firmen hatten längst für
immer ihre Tore geschlossen. Und über den wenigen, die noch
produzierten, kreiste permanent der Pleitegeier. Die Motorräder von
BSA, Triumph und Norton waren hoffnungslos veraltet und neue Konzepte
kaum in Sicht.
Lediglich in Italien tat sich was. MV Agusta brachte 1966 eine 600er mit
Vierzylinder-DOHC-Motor auf den Markt. Moto Guzzi sicherte sich 1967 mit
der V7 den Anschluss, Laverda stellt 1968 die 750GT vor, und Ducati
legte 1971 mit der 750er Königswellen-Generation den Grundstein für
den bis heute anhaltenden Erfolg. |
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Und
bei Benelli in Pesaro? Das Familienunternehmen baute seit 1911
Motorräder. Mit soliden Einzylinder-Maschinen verdiente man das Geld,
der Rennsport sorgte für den guten Ruf. Lange bevor japanische
Motorradingenieure an Mehrzylinder-Triebwerke dachten, gab es bereits
bei Benelli technische Kleinkunstwerke. Schon 1939 lief eine 45 PS
starke 250er Kompressor-Rennmaschine mit DOHC-Vierzylinder-Triebwerk als
Prototyp! Doch der Zweite Weltkrieg und der anschließende Wiederaufbau
verhinderten den erfolgreichen Einsatz. Erst 30 Jahre später war es
schließlich so weit. Der Australier Kel Carruthers gewann 1969 mit der
weiterentwickelten Vierzylinder-Rennmaschine die 250er
Weltmeisterschaft. Das kostspielige Sportengagement zahlte sich im
Absatz der Straßenmaschinen jedoch nicht aus. Sinkende Verkaufszahlen
brachten den kleinen Familienbetrieb an den Rand des Ruins. Als Retter
in größter Not trat der wohlhabende Italo-Argentinier Alejandro
deTomaso auf den Plan. Im Sommer 1971 kaufte er Benelli. |
"Japanisches Muster als Vorbild"
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DeTomaso,
cleverer Geschäftsmann und Designer, legte noch eins zu. Im zweiten
Handstreich kaufte er auch noch Moto Guzzi. Zunächst brachte er
frischen Wind in beide Motorradfirmen und wollte dann gemeinsam gegen
die japanische Monopolstellung vorgehen. Am besten, so war sich der neue
Chef sicher, schlüge man die Asiaten mit ihren eigenen Waffen. 1971
stellte Benelli die 500er Quattro vor. Die Ähnlichkeit zur
Vierzylinder-Honda CB500 war jedoch gewaltig. Böse Zungen behaupteten
sogar, dass viele Teile vom japanischen Pendant problemlos in den
Quattro-Motor passten. Lediglich Rahmen und Outfit trugen italienische
Handschrift.
Doch es sollte noch viel dicker
kommen. DeTomaso wollte alles bisher Dagewesene übertreffen. Von seinen
Technikern forderte er ein Motorrad der Superlativen. Der Motor sollte
vor Kraft strotzen und mit exzellenter Laufkultur glänzen, darüber
hinaus musste das Fahrzeug eine unverkennbare Optik besitzen. Sechs
Jahre bevor es von Honda die CBX1000 gab, fiel in Pesaro die
Entscheidung zum Bau der "750 Sei". |
Super-Sechs
(Foto:
Werk)
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Aus dem Bohrung x
Hub-Verhältnis von 56 x 50,6 mm resultiert 747 ccm für das neue "Super-Sechs"-Triebwerk. Im horizontal
geteilten Gehäuse lief die geschmiedete Kurbelwelle in sieben
Gleitlagern, die Hubzapfen waren 120 Grad versetzt. Der Antrieb zur obenliegenden Nockenwelle erfolgte via Kette, und pro Brennraum
betätigten Kipphebel je ein Ein- und Auslassventil. Als ausgesprochen
fortschrittlich galt der Primärantrieb mit Zwischenwelle und der hinter
dem Zylinderblock platzierte Generator. Durch diese konstruktive
Maßnahme ließ sich die Motorbreite auf nur 620 mm begrenzen. Im
Vergleich zum BMW R75/5-Boxermotor (730 mm) war die Sei sogar 110 mm
schmaler! Eine stabile Morse-Zahnkette beförderte die Kraft über eine
Zwischenwelle auf das Klauen geschaltete Fünfganggetriebe. Diese
Hilfswelle war für den Antrieb der 12 Volt Lichtmaschine und der
Eaton-Ölpumpe zuständig. Der Anlasser wirkte ebenfalls auf diese
Welle, als "Notstarter" gab es aber weiterhin den bewährten
Kickstarter. Für die Gemischaufbereitung waren drei
Dell`Orto-Flachschiebervergaser zuständig. Bei der Auspuffanlage wurde
dagegen nicht "gespart". Jeder Zylinder bekam sein eigenes
"Megaphon-Rohr"! Dieser Aufwand war beabsichtigt, schließlich
musste der Betrachter und natürlich auch der Zuhörer sofort erkennen,
dass es sich hier um die "Sei" handele.
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Drei Dell-Orto-VHB-24-Vergaser |
6-in-6-Auspuffanlage |
Der
Doppelschleifenrahmen mit 38er Marzocchi Telegabel und zwei
Sabac-Federbeinen sorgen für sportlichen Fahrkomfort. Die Federwege
sind kurz und hart. Auf die Speichenräder mit
Borrani-Alu-Hochschulterfelgen wurden von Pirelli neu entwickelte
Höchstgeschwindigkeits-Reifen, vorne 3.50 H 18 und hinten 4.25/85 H 18,
montiert. Der Zeit voraus war die Bremsanlage. Am Vorderrad waren zwei
hydraulisch betätigte Brembo-Scheibenbremsen mit 280 mm Durchmesser
für sensationelle Verzögerungswerte verantwortlich. Im Hinterrad
vertraute man auf eine Trommelbremse mit 200 mm Durchmesser. Das Styling
vom Topmodell übernahm deTomaso höchstpersönlich. Ohne einen
Millimeter des protzigen Motors zu verdecken, thront der Tank auf dem
Rahmen. Das bauchige Spritfass wirkte klein, fasste aber dennoch 23
Liter. Vom Tank zur flachen Sitzbank kommt so eine abfallende, geknickte
Linie zustande, die allerdings weder zu den eckigen Seitendeckeln noch
zu den hochgezogenen sechs Auspuffrohren passen wollte. Auch der Blick
auf die eckigen Armaturen von Veglia war gewöhnungsbedürftig, aber
ebenso absichtlich. Denn nicht nur die Sechszylinder-Technik, auch die
Optik sollte neue Maßstäbe setzen.
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Brembo-Scheibenbremsen mit 280 mm
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(2 Fotos: Fromm) |
Zurückblickend
bleibt es jedoch unverständlich, warum sich Benelli so offensichtlich
an der Honda CB500 orientiert hatte. In der Firma gab es qualifizierte
Ingenieure, die hinreichendes Know-How aus dem Rennsport besaßen, um
einen anspruchsvollen Mehrzylinder-Motor entwickeln und bauen zu
können. Doch sei es wie es will, hier haben eben die Europäer von den
Japanern abgekupfert. Eine Tatsache, die einige Unbelehrbare bis heute
jedoch noch nicht wahrhaben wollen. Den Sei-Besitzern kann dies
allerdings egal sein, besonders denen, die heute stolze Eigner sind.
"Vor 25 Jahren
kostete die Sei fast 11.000 Mark. Heute ist eine top-restaurierte
Maschine kaum noch unter 8.000 bis 10.000 Euro zu bekommen. Zerschundene und
abgewirtschafte Bikes gibt es zwar schon für rund 3.000 Euro, doch wer
die Sechszylinder originalgetreu auf Vordermann bringen will, ist ganz
schnell noch einmal 4.000 bis 6.000 Euro los", weiß Sei-Kenner Stefan
Leibfritz aus Erfahrung zu berichten. "Allein die bildschöne
6-in-6-Auspuffanlage verschlingt gut 2000 Euro, für eine neue Kurbelwelle
wird bis zu 2.000 Euro verlangt. Zwar passen etliche Teile von der
Benelli Quattro oder von einigen Guzzi-Modellen, doch bei anderen
Teilen, wie zum Beispiel den Instrumenten, kann man Pech haben. Manches
gibt es einfach nicht mehr neu nachzukaufen und dann hilft nur noch das
Suchen auf Teilemärkten."
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Am
27. Oktober 1972 wurde die Sei einem begeistertem Publikum präsentiert,
und ohne Zurückhaltung ließ deTomaso verlauten: "...Honda hat viel
davon gesprochen, eine Sechszylinder-Serienmaschine zu bauen. Wir haben
sie gebaut..."
Bis das Nobel-Bike
allerdings auf den Markt kam, wurde es 1974. Und erst ein Jahr später
war die italienische Traummaschine für knapp 11.000 Mark auch bei uns
zu haben. Von den ursprünglich 76 Cuna-PS blieben nach TÜV-Messung nur
noch 63 PS bei 8500/min übrig. Doch genug. Voll ausgefahren stieg die
Tachonadel der 235 kg schweren Maschine lässig bis auf die 200
km/h-Marke.
Die zunächst als
Supersportmaschine verkaufte Sei erhielt wenig später die neue
Bezeichnung "Grand-Tourisme"-Modell. Nichts änderte sich an
ihrer Einmaligkeit. Der Sechszylinder-Motor glänzte durch herausragende
Elastizität und vibrationsfreie Laufkultur. Ganz gleich, ob im Leerlauf
oder bei 8000/min, das Triebwerk schnurrte wie eine Turbine.
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(Foto: Fromm)
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Bis 1978 wurde das
Paradepferd gebaut. In den fünf Produktionsjahren verließ sie ohne
nennenswerte Änderungen das Werk in Pesaro. Die Optik blieb im
Wesentlichen, abgesehen von den Farbänderungen, gleich. Im Laufe der
Jahre fiel der Preis jedoch ständig. Kostete sie 1975 noch stolze
10.989 Mark, fiel er 1977 auf 9.940 Mark und 1978 verlangten die
Händler nur noch 8.995 Mark. Aus gut unterrichteten Quellen ist
bekannt, dass insgesamt nur 3500 Maschinen gebaut wurden. Gut die
Hälfte davon sind in die USA verkauft worden, und kaum mehr als 500
Fahrzeuge kamen nach Deutschland.
Wurde damals von der
"Sechszylinder" gesprochen, war die Benelli 750 Sei gemeint.
1978 änderte sich das Bild. Honda brachte die CBX1000 und Kawasaki die
Z1300 auf den Markt. Auf die japanische Sechszylinder-Invasion
antwortete deTomaso umgehend mit der 900 Sei. Doch die Emotionen, die
die 750 Sei ausgelöst hatte, erreichte die 900er nie. Und das hat sich
bis auf den heutigen Tag nicht geändert. Sie ist das "Original",
auch wenn es diese verflixte Konstruktionsähnlichkeit zu einer gewissen
Honda CB500 gibt...
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TECHNISCHE DATEN
Benelli 750 Sei
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Motor:
Fahrtwind gekühlter
Sechszylinder-Reihen-Viertaktmotor, eine Ketten getriebene, obenliegende
Nockenwelle, Kipphebel, zwei Ventile pro Zylinder, Stahlkurbelwelle
siebenfach gleitgelagert, Bohrung x Hub 56,0 x 50,6 mm,
Hubraum 747 ccm, Verdichtung 9,8:1,
Leistung: 63 PS bei 8500/min,
drei
Dell-Orto-VHB-24-Flachschiebervergaser, Ø 24 mm Durchlass, Batterie-Spulen-Zündung
mit drei Unterbrecherkontakten, 12 V/170 W Lichtmaschine, E.-Starter, Schmierung
Nasssumpfschmierung, 3,5
Liter Motoröl
Getriebe:
Primärantrieb über
Zahnräder, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Klauen geschaltetes
Fünfganggetriebe, Endantrieb über Kette, Kickstarter
Fahrwerk:
Doppelschleifen-Rohrrahmen,
Marzocchi-Telegabel mit 38 mm Standrohrdurchmesser, zwei
Sebac-Federbeine. Vorne Doppelscheibenbremse, Ø 280 mm, hinten
Grimeca-Trommelbremse, Ø 200 mm. Bereifung vorne 3.50 H 18 und hinten
4.25/85 H 18, Gewicht
235 kg
Höchstgeschwindigkeit:
200 km/h
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Mit freundlicher Unterstützung von Italospezialist Moto Stefano
in Balingen
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