Lifestyle


Cruising-Story

Let's go "cruising"

"Cruiser" und "Cruising" ist längst voll in Mode.
Damit ist aber nicht irgendein Bike, sondern eine
Lebensanschauung gemeint! So war es jedenfalls mal... 

Text&Fotos: Winni Scheibe



Die Verwirrung ist nahezu perfekt! Waren es vor Jahren noch Chopper, Softchopper und Custom-Bikes, die die Motorradszene bei uns aufmischten, sind es nun sogenannte "Cruiser". Aber was ist um Himmelswillen denn nun so anders bei den Cruisern? Jedenfalls nichts, was dem Außenstehenden sofort auffallen würde. Japanische Softchopper, Chopper, Custom-Bikes und Cruiser haben alle irgendwie eine Ähnlichkeit mit den Dickmännern aus Milwaukee und suggerieren so das berühmte "American Way of Life" feeling. Fürs Vorwärtskommen sorgt bei fast allen dieser "Easy-Rider-Nachahmer" ein Zweizylinder-V-Motor, der Tank ist tropfenförmig, die Lenkstange hoch und breit, das Sitzkissen tief, die Fahrerfußrasten liegen weit vorne, das Vorderrad ist spindeldürr und der hintere Pneu eine dicke Gummiwalze. Alle Klischees, die einen echten Chopper ausmachen, sind vorhanden.


Honda Cruiser


Eigentlich müsste es Willie G. Davidson, Enkel der HD-Firmengründer, mächtig stinken, mit welcher Dreistigkeit japanische Firmen, aber auch andere, die Harley-Philosophie kopieren. Aber weil er sich nicht grün und schwarz ärgern möchte, verkündet er selbstsicher: "Nur das Original ist echt, alles andere eine Kopie." Hat man vielleicht deswegen den Cruiser "erfunden"? Und deswegen aus dem Chopper für die "beinharten Biker" den Cruiser für vornehme Gentlemen gemacht? Weg vom "Hart-Bike" und hin zum luxuriösen Highway-Glider, so wie es die Elektra Glide oder der Fat Boy von Harley-Davidson schon längst sind.

Cruising hat aber eigentlich überhaupt nichts mit Motorrädern zu tun, sondern es ist eine Weltanschauung und Lebenseinstellung!

 

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, drehen wir das Rad der Zeit um einige Jahrzehnte zurück und machen einen Sprung über den Großen Teich ins Amerika der fünfziger Jahre. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren vergessen, wirtschaftlich und mit dem Lebenswohlstand gings steil bergauf. Das TV eroberte gerade Amerikas Wohnzimmer, vor dem Haus parkte ein ellenlanger Straßenkreuzer. Den Leuten ging es gut, verdammt gut sogar. Man war stolz auf die Nation, auf die Traditionen und die Kultur, kurz die Amis waren bürgerlich, verspießt und konservativ. Und weil dies alles ganz wichtige Güter der Freiheit waren, ließ man sich natürlich von niemandem etwas sagen, und schon gar nicht von den eigenen Kids. Doch die hatten ganz andere Sachen im Kopf. Auf althergebrachte Erziehungsmethoden pfiffen sie, ihre Erfahrungen wollten sie selbst machen. Dass diese Aufmüpfigkeit Probleme mit sich brachte, ist klar, und das nicht nur zu Hause, sondern auch in der High-School, im Job, eigentlich überall. Es bildeten sich Cliquen, und wenn so eine "Horde" Halbwüchsiger was ausheckte, blieb in aller Regel kein Auge trocken. 


Die ganz Harten fuhren Motorrad und gründeten "Gangs"

Salonfähig waren die Biker auf ihren skurrilen Gefährten mit ellenlanger Gabel, Hochlenker, Mini-Tank, vorverlegten Fußrasten, Fishtail-Auspuffanlage und starrer Hinterradachse jedoch nicht. Ganz im Gegenteil.  Am 4. Juli 1947 feierten die US-Bürger ihren Nationalfeiertag. Besonders dolle trieben es Motorradfahrer in Hollister, einem kleinen Kaff südlich von San Francisco. Es wurde gesoffen und derbe Sprüche rausgelassen. Angeblich soll es auch eine Keilerei gegeben haben. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, schließlich kam damals so etwas bei fast jedem amerikanischen Fest vor. Doch der Vorfall wurde in der Presse breitgetreten. Für die verspießte Gesellschaft war die Geschichte ein riesiger Skandal und jeder, der Motorrad fuhr, bekam sofort sein Fett weg. Auch Hollywood nahm sich der Story an. Mitte der fünfziger Jahre kam das Spektakel mit dem Titel "The Wild One" ("Der Wilde") ins Kino. Die Hauptrolle spielte Marlon Brando - er fuhr allerdings keine Harley-Davidson, sondern eine Triumph. "The Wild One" war der erste echte Motorradfilm, oder besser gesagt Biker-Film. In den nächsten Jahren folgten unter anderem "Die wilden Engel", "Hell´s Angels" und als Krönung "Easy Rider".

In genau die andere Richtung schlugen die "Teddies"

Grant Ecker

 

Mit den schmuddeligen, langhaarigen und rauhen Bikern hatten sie nichts am Hut. Im Nachhinein betrachtet waren es die "Sonnyboys" der damaligen Jugendrevolution. Zum Statussymbol gehörte ein Chrom überladener Straßenkreuzer mit riesigen Heckflossen. Die Dollars für den Schlitten hatten sie von Daddys Konto, und damit sie auf keine "dummen Gedanken" kamen, wurde das Taschengeld monatlich aufgestockt. In schicken Klamotten, das dicke Auto unterm Hintern und ein Pretty-Girl im Arm, damit ließ sich gut angeben. Es war eine irre Zeit. Nicht nur die Mode spielte verrückt, Girls trugen Petticoats, Boys liefen in Hosen mit mächtigem Schlag herum, auch in der Musikszene ging mächtig was ab. Little Richard, Bill Hailey, Chuck Berry und Elvis brachten den Leuten bei, was Rock 'n' Roll ist. Gegen Langeweile lutschte man Lollipops und mit Hula-Hoop machte man sich fit.

Damit die Kumpels immer genau wussten, wie die Aktien stehen, hatte man natürlich seine Treffs. In der Regel da, wo es große Parkplätze gab. Und so machten bald "Drive-Inns", "Diners" und Autokinos fette Umsätze. Hier ging die Post ab. Auf dem Hin- und Rückweg ließ man sich aber viel Zeit. Man "cruiste", auch "cruisin`" genannt, was so viel bedeutet wie "dahingleiten", "promenieren", "bummeln", „sehen und gesehen werden". Heute würde man so etwas "eine-Show-abziehen", oder einfach nur "angeben" nennen.

Im Prinzip wäre die Sache ja so OK gegangen, und niemand hätte sich aufgeregt. Doch nur beim "cruising" und "appointments" blieb es nicht. Schnell stellte sich nämlich heraus, dass sich mit einem aufgemotzten Wagen viel einfacher ein Girl aufreißen ließ. Und als sich auch das noch herumgesprochen hatte, entbrannte ein regelrechter Konkurrenzkampf. Es wurde aufgerüstet, als ob es keinen anderen Morgen mehr geben würde. Autoshops und Motorentuner verdienten sich eine goldene Nase, es wurde geschraubt, bis der Asphalt glühte. Locker quetschte man über 400 PS aus den V8-Triebwerken. Die Zeit, sich „nur zum Spaß treffen", war längst vorbei. Was in der Kiste - und einem selbst - steckte, musste man jetzt natürlich beweisen. Erst waren es kurze Sprint-Rennen, von Ampel zu Ampel. Als dies nicht mehr reichte, verabredete man sich zu illegalen Dragster-Rennen. Da diese aber verboten waren, wurden Ort und Zeitpunkt spontan festgelegt. Doch ganz so geheim war die Sache auch wieder nicht, schließlich brauchte man ja Publikum, oder wenigstens ein paar Fans, die klatschten. In dieser Zeit entstanden die berühmten "Hot-Rods" und "Low-Rider". Kult-Autos waren bereits damals der Ford Thunderbird, der `57 Chevy, Chevys "Hot One", die Corvette und Chevys Bel Air. 
Für Hollywood war das Ganze ein gefundenes Fressen. Und damit der Film richtig echt wirkte, wurde er im kalifornischen Provinznest Modesto, damals Metropole der Cruising-Szene, gedreht. "American Graffiti" wurde zum Knaller, und zum Kult-Film für alle Cruising-Fans. Wer ihn nicht kennt und immer noch nicht weiß, worum es eigentlich geht, sollte sich diesen Streifen schleunigst ansehen.

Und was hat das Ganze nun mit Motorrädern oder Choppern zu tun?


US-Cruiser: Boss Hoss

Eben nichts! Um aber trotzdem eine Verbindung zu schaffen, nehme man einfach die "Cruising-Philosophie" und schütte sie mit einem großen Eimer über ein dickes, fettes, komfortables, leistungsstarkes, geiles Bike und fertig ist der "Cruiser". Von Honda, Suzuki, Kawasaki, Yamaha, Boss Hoss und sogar von BMW gibt es sie mittlerweile. Die Chancen, dass Cruiser zur Erfolgstory werden, stehen recht gut. Straßencafes und Eisdielen gibt es genügend. Und auch das Publikum dreht sich hier die Hälse um, was will man eigentlich mehr?


Honda F6 Cruiser

     Harley-Davidson Power-Cruiser V-Rod


BMW Cruiser


Text-Archiv: Lifestyle


Home