Lexikon


Hobby Motorradfahren: für Freizeit und Alltag?

"Trend-Wende?"

In den letzten 50 Jahren hat sich das Motorrad enorm gewandelt.
Erst war es billiges Transportmittel, dann Gebrauchsfahrzeug,
heute ist es Hobby-Bike. Wird es morgen wieder zum Nutzgefährt?

Text&Fotos: Winni Scheibe



"Reisen & Erleben"
Mit dem Bike die Welt erkunden, gibt es eigentlich etwas Schöneres?


In der aktuellen Hitliste aller Freizeitangebote ist Motorradfahren nicht mehr weg zu denken. Der Markt bietet für alles und jeden etwas, noch nie war das Modellangebot so vielseitig. Motorradfahren ist zweifellos die schönste Sache der Welt, aber dafür auch die nebensächlichste Sache. Motorradfahren, nur weil man sich kein Auto leisten kann, muss heute bei uns keiner mehr. Das war längst nicht immer so. Seit 1945 hat das Motorrad bei uns eine erstaunliche Entwicklung mitgemacht. Zunächst war es ausschließlich ein kostengünstiges Beförderungsmittel, dann wurde es zum Gebrauchsfahrzeug und erst Anfang der Siebziger hat man es als Freizeitgefährt entdeckt.



DKW RT 200 "Brot & Butter" Maschine


Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lag Deutschland in Schutt und Asche. Doch es dauerte nicht lange, und es ging wirtschaftlich wieder bergauf. Motorradfahren gehörte im Wiederaufbau zum Alltag. Wer zur Arbeit musste, einen Termin hatte oder zu einer Verabredung wollte, hockte sich sommer- wie wintertags, bei Wind und Wetter, auf sein "Krad". Mitte der 50er Jahre waren im Bundesgebiet über 2,2 Millionen Maschinen zugelassen. Gut 40 Firmen bauten leichte Zweitakt-Maschinen mit 98, 125, 150, 200 oder 250 ccm Hubraum und maximal 10 PS Leistung. Diese bis 90 km/h schnellen Maschinen wurden als "Brot und Butter"- oder "Westerwald-Motorräder" bezeichnet. Sie waren günstig in Anschaffung, Unterhalt und Wartung. An die Technik wurde kaum Ansprüche gestellt, wichtig war nur, so musste simpel sein und funktionieren. Streikte sie doch einmal, konnte sich der Fahrer in den meisten Fällen selbst weiterhelfen und reparierte den Schaden gleich am Straßenrand.



125er MZ


500er BMW


Große Sprünge konnte man sich damals noch nicht erlauben. Wer mobil sein musste oder wollte, konnte froh sein, wenn er sich überhaupt so einen knatternden und stinkenden Feuerstuhl leisten konnte. Große Viertakt-Maschinen waren die Ausnahme und ließen sich an einer Hand abzählen. Von Horex gab es die 350er Regina, von NSU die 500er Konsul, von BMW die 250er R25/2, die 500er R51/2 und die 600er R67 und von Zündapp die 600er KS 601. Wer Mitte der fünfziger Jahre so eine Maschine besaß, war "King of the Road". An ein Auto war noch lange nicht zu denken, und nur ganz wenige konnten sich eins kaufen.



Horex Regina


Unter dem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard ging bald richtig die Post ab, und im Ausland sprach man respektvoll vom "Deutschen Wirtschaftswunder". Die Leute tauschten ihr klappriges Zweitakt-Motorrad gegen eine sportliche 250er NSU Max, eine robuste 350er Horex Regina oder sogar gegen eine schwere 600er BMW R68, eine Maschine, die 35 PS hatte und 160 Sachen schnell war. Für einen Großteil der Besitzer war das Motorrad allerdings weiterhin Transportmittel Nummer Eins, für andere wurde es aber auch zum Gebrauchsfahrzeug in der Freizeit. Man besuchte Freund, fuhr am Wochenende zum Tanz oder zu einer Rennveranstaltung oder in die Ferien. Wer ein Gespann hatte, konnte sogar Kind und Kegel mitnehmen. Rennveranstaltungen waren beliebte Wochenendziele. Hier traf man Gleichgesinnte, bei Lagerfeuerromantik wurden "Benzingespräche" geführt, man tauschte Schrauber-Tipps und Adressen von guten Motorradwerkstätten aus. Denn qualifizierte Motorradwerkstätten waren äußerst rar. Wer seine Maschine picobello in Schuss halten wollte, musste Wartungsarbeiten und Reparaturen selbst erledigen.


Englische Traum-Bikes aus den 60er Jahren


                                      Triumph Bonneville


Norton Café-Racer                                       



                                        1000er Vincent


Mit rasanter Geschwindigkeit verbesserte sich bei uns die wirtschaftliche Situation. Mit zunehmendem Wohlstand änderten sich aber auch die Ansprüche an die fahrbaren Untersätze. Vom Zweirad wollte bald kein Mensch mehr etwas wissen. Die Volksmobilisierung verlagerte sich innerhalb kürzester Zeit aufs Auto. Mitte der 60er Jahre rutschte der Motorradmarkt ins Bodenlose, 1964 ließen sich nur noch knapp 8000 Neumaschinen verkaufen. Von den einst über 40 Motorradherstellern waren gerade noch BMW, Maico, Hercules und Zündapp übrig geblieben. Wer in dieser Zeit trotzdem fuhr, war entweder "ein armes Schwein" oder restlos vom Motorradbazillus befallen. Diese Handvoll "Windgesichter" hatten mit Autos nichts am Hut. Lieber wären sie mit der Eisenbahn gefahren, bevor sie in einen Kabinenroller, ein Goggomobil oder einen VW-Käfer gestiegen wären. Sie fuhren aus Überzeugung, für sie war das Motorrad Hobby, Freiheit, Sport und Abenteuer zugleich. Neben den deutschen Marken standen Maschinen aus England besonders hoch im Kurs. Wenn irgendwo eine BSA, Triumph, Norton, Velocette, Royal Enfield, AJS oder gar Vincent auftauchte, war was geboten. Echte Exoten waren damals Maschinen von Ducati, Moto Guzzi, Aermacchi, MV Agusta, Harley-Davidson und natürlich von Honda.


Mit der Honda CB 750 Four begann
1968 ein neues Motorradzeitalter


Honda CB 750 Four

Von den einst über 2,2 Millionen Motorrädern in Deutschland schrumpfte bis 1971 der Fahrzeugbestand auf nur noch 133.000 Maschinen. Kein Mensch glaubte mehr ans Motorrad, bis zur IFMA im Herbst 1972. Die Firmen überschlugen sich mit der Präsentation neuer Modelle. Trendsetter waren Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki. Im beinharten Konkurrenzkampf versuchten sie sich gegenseitig mit immer größeren, stärkeren und schnelleren Bikes zu übertrumpfen. In den USA hatte man mit diesem Rezept bereits millionenfach Motorräder verkauft, jetzt hatten sich die Japaner den europäischen Markt vorgenommen. Der Motorradboom schlug wie eine Bombe ein. Die europäischen Hersteller profitierten ebenfalls von der Trendwende. Motorräder waren plötzlich wieder "in". Aber nicht mehr als billige Nutz- oder Gebrauchsfahrzeuge, sondern für Freizeit, Hobby und Fahrspaß.



Kawasaki Z 900 "Z1"



                                  Honda GL 1000 Gold Wing



Kawasaki Z 1300                                      



                                           Honda CBX


Von "müssen" war überhaupt keine Rede, wer aufs Bike stieg, hatte einfach Spaß an der Sache. Bald gab es Tourer und Super-Tourer, Sportler und Super-Sportler, Enduros und Chopper. Nach einem Alltags- oder Gebrauchsmotorrad verlangte keiner. Warum auch. Für einen Tausender gab es bereits einen mittelprächtigen Secondhand Opel, VW, Ford oder Audi. Mit dem Motorrad tagtäglich zur Schule, in die Uni oder zur Arbeit fahren machten die wenigsten. Erst als Mitte der 80er, Anfang der 90er Jahre der innerstädtische Verkehr immer dichter und das Parkplatzangebot immer knapper wurde, erinnerte man sich an die Beweglichkeit und das problemlose Abstellen eines Motorrades. Ob es nun Studenten waren, die zuerst auf die Idee kamen mit ihrer Yamaha XT500 zur Uni zu fahren, oder Berufstätige, die auf ihrer Honda CX500, der "Güllepumpe", oder Suzuki GS500 zur Arbeit fuhren, lässt sich im Hachhinein schwer sagen. Interessant ist die Entwicklung allemale. Motorräder sind längst nicht mehr nur noch die Spassvehicles, sondern werden zunehmend auch als praktische Nutzfahrzeuge bewegt. Zubehörfirmen haben ihren Teil dazu beigetragen. In den Seitenkoffern und im Topcase lassen sich mühelos Helm, Tourenkombi und Motorradstiefel verstauen. Bleibt nur noch die Aktion mit dem Umkleiden. Doch das geht ruckzuck, und während dieser Zeit sucht der Kollege für seinen PKW noch immer verzweifelt einen Parkplatz. Ob die Motorradindustrie diese "Marktnische" erkannt hat, ist im Moment fraglich. Echte Gebrauchs- und Nutzmotorräder lassen sich nämlich zur Zeit noch wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen.



BMW-Luxusiner für Touren bis ans "Ende der Welt"


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