Lexikon


"Fachchinesisch"

Keine Frage, die Motorradszene ist mächtig dynamisch. Modellvielfalt, Zubehörangebot und Fachausdrücke nehmen ständig zu. Wer durchblicken will,
muss auf dem Laufenden bleiben, muss das "Fachchinesisch" beherrschen.

Text&Fotos:Winni Scheibe



Wichtige Hinweisschilder
(hier ausnahmsweise auf Japanisch)


Biker haben's drauf. Wenn sie über ihr Hobby fachsimpeln, stehen Außenstehende meist auf dem Schlauch. Sie verstehen nur "Bahnhof". Die Experten unterhalten sich nämlich im "Fachchinesisch". Motorradnovizen oder Wiedereinsteiger gucken in die Röhre. Ausdrücke wie Burnout, Wheelie, Stoppies, Shimmy-Effekt, Upside-down-Gabel, O-Ring-Kette oder Setup haben sie noch nie gehört. Was dahinter steckt, ist vielfach hochtechnisch, es kann aber auch nur ein Wort für einen Schabernack sein.



Stoppie-Männchen:
Nicht unbedingt die "hohe Kunst" des Motorradfahrens, aber äußerst spektakulär


"ABS"
Antiblockiersystem


Triumph Sprint ST seit 2005 auch mit ABS


Motorradbremsen haben ihre Tücken. Bei einer Vollbremsung übernimmt in der Regel das Vorderrad die gesamte Verzögerung. Die optimale Bremsleistung wird kurz vor der Blockiergrenze erreicht, doch wehe es blockiert. Ein Sturz ist meist die Folge, Zweiradfahrer leben gefährlich. Was im PKW-Bereich bereits gang und gäbe ist, setzt sich bei Motorrädern leider nur zögernd durch: das ABS. Technisch längst ausgereift, verhindert das System, dass Vorder- oder Hinterrad blockieren.




Die Meinung, ABS tauge aber nur was für Anfänger, stimmt jedoch so nicht. Auch ein "Profi" kann mal in eine Schrecksekunde kommen. Dann überbremst auch er das Vorderrad und liegt auf der Gosche.


"ABE"
Allgemeine Betriebserlaubnis


Nachrüstauspuffanlagen sollten unbedingt eine gültige ABE besitzen

Zubehörteile, die man ans Motorrad bauen will, sollten unbedingt eine ABE, ein Teilegutachten oder einen Technischen Bericht haben. Sind die Sachen vorschriftsmäßig angebaut, dürfte es in aller Regel bei der TÜV-Abnahme keine Probleme geben.


"Airbrushen"
Luftpinsel

Lackieren kann im Prinzip jeder. Airbrushen dagegen ist Kunst.




Jedes Motiv entsteht in allen Arbeitsabschnitten in aufwändiger Handarbeit. Detailgenau, unter Berücksichtigung der Perspektive sowie des jeweiligen Schattenwurfes, wird auf den vorbereiteten Untergrund gebrusht. Um später eine optimale Wirkungskraft zu erzielen, bedient man sich zusätzlich der Pinsel-, Kratz- und Tupftechniken. Durch diese Arbeitskombination lassen sich Bildschöpfungen verwirklichen, die sich vielfach von einer Fotografie kaum unterscheiden lassen.


"Burnout"
Reifen durchdrehen lassen



Bei der "Bike-Week" in Daytona Beach und der "TT" auf der Isle of Man werden "Burnout-Kings" von der Polizei kurzerhand aus dem Verkehr gezogen, oft landen sie sogar für eine Nacht im Knast. Der Grund für die Maßregelung ist eine unter Bikern beliebte Showeinlage: das Burnout. Der Aktivist zieht die Vorderradbremse, legt den ersten Gang ein und beim Kupplungloslassen wird der Gashahn voll aufgedreht. Das Hinterrad, weil es nicht weiß wohin, dreht auf der Stelle durch. Den Zuschauern wird akustisch, optisch und geruchsmäßig ein kaum vergleichbares Spektakel geboten. Der Motor droht zu zerplatzen, das verbrannte Gummi qualmt wie verrückt, der Gestank ist bestialisch.


"Desmo"
Zwangsventilsteuerung


(Zeichnung: Werk)


Für das korrekte Schließen der Ein- und Auslass-Ventile sorgen in aller Regel Schraubenfedern. Nicht so bei Ducati. Das Werk aus Bologna vertraut auf desmodromische Ventilsteuerung. Eine kostspielige Bauart, die sehr aufwändig zu fertigen ist sowie hoher Präzision bedarf. Über einen Öffnungshebel wird das Ventil herabgedrückt, ein zweiter Hebel, durch eine gesonderte Nocke betätigt, zieht es "zwangsweise" auf den Ventilsitz zurück. Haargenaue Steuerzeiten sind beim Ducati-Motor somit gewährleistet, das gefürchtete "Ventilflattern" ist ausgeschlossen. Dieser Anspruch hat allerdings auch seinen Preis. Das Ventilspiel muss aufs Hundertstel exakt eingestellt werden, routinierte Mechaniker brauchen für die Wartungsarbeit mehrere Stunden.


"Diagonal- und Radialreifen"
Schmalspur- und Superbreit-Reifen


Superbreit-Reifen für Chopper-Modelle

Seit über siebzig Jahren ist der Diagonalreifen auf dem Markt. Mehrere Karkassenlagen (Reifenunterbau) liegen im Fadenwinkel von 25 bis 35 Grad diagonal übereinander. Bei hohen Tempi nimmt, durch die steigende Fliehkraft, der Umfang der Decke zu, Reifenbreite und Aufstandsfläche werden geringer. Die Folge: In der Reifenmitte setzt enormer Verschleiß ein.


Diagonal-Bauweise


Gürtelreifen-Bauweise

 (4 Zeichnung/Fotos: Werk)


Mitte der achtziger Jahre wurden die Bikes schwerer, stärker und schneller, die Reifenindustrie war gefordert. Mit Entwicklung der Radialreifen-Generation ließen sich alle Anforderungen erfüllen. Die Karkasse verläuft nun von Wulstkern zu Wulstkern, darüber liegt eine Gürtellage. Erst durch diese Bauweise ließen sich Superbreitreifen herstellen.


Schmalspur-Diagonalreifen


0-Grad-Radial-Gürtelreifen


Der Diagonalreifen ist deswegen aber noch lange nicht Out. Für kleine und Mittelklasse-Maschinen sind diese Pneus weiterhin bestens geeignet. Superbikes und Big-Bikes benötigen dagegen diese breiten Schlappen. Radialreifen haben eine hohe Tragfähigkeit, garantieren optimale Haftung und sind obendrein auch noch langlebig.


"Drehmoment und Leistung" 
Dampfhammer und Drehorgel


"Dampfhammer" alter Schule: BSA 500er Einzylinder-Motor
(Zeichnung: Werk)


Motorräder, die kräftigen "Bums aus dem Keller" haben, heißen "Dampfhämmer". Verantwortlich für diese Motorencharakteristik ist das Drehmoment. Ganz gleich, ob Zwei- oder Viertakter, wird das Gemisch im Zylinder entzündet, saust der Kolben nach unten. Der Druck wird auf den Kurbeltrieb übertragen, es entsteht ein Drehmoment, das in Nm angegeben wird.
Aus Drehmoment und Drehzahl ergibt sich die Leistung, die gern in PS genannt wird. Seit 1978 ist es allerdings vorgeschrieben, sie in kW (Kilowatt) anzugeben. 
1 PS=0,735 kW oder 1 kW=1,36 PS.



Triumph Daytona 650
Das Vierzylinder-Triebwerk dreht locker bis 14.000/min



"Federvorspannung" 

"Dämpfer Zug- und Druckstufen-Einstellung"
 
Fahrwerksabstimmung


Für schnelle Rundenzeiten ist ein optimal eingestelltes Fahrwerk wichtig


Die Federn tragen das Fahrzeug. Wird es abgebockt und durch den Fahrer belastet, sacken die Federn zusammen, diese Strecke ist der "Negativfederweg". Vom gesamten Federweg soll nun noch zwei Drittel, der "Positivfederweg", zur Verfügung stehen. Das Bike befindet sich nun auf seiner "fahrdynamischen Basis". Wird das Bike zusätzlich mit Beifahrer und Gepäck belastet, sacken die Federn ein weiteres Stück zusammen, die Maschine geht "in die Knie". Fahrsicherheit und Fahrkomfort verschlechtern sich. Aus diesem Grund lassen sich die Federn vorspannen, das Bike wird auf die "fahrdynamische Basis" zurückgehoben.
Dämpfer in modernen Federelementen (Telegabel und Hinterradfederung) lassen sich individuell verstellen. Mit der "Zugstufen"-Einstellung lässt sich die Ausfedergeschwindigkeit variieren. Steht sie auf "Soft", federt das Bike schnell aus, wird die Einstellschraube zugedreht, also auf "hart", federt das Bike ganz behutsam aus.
Die "Druckstufen"-Einstellung beeinflusst dagegen das Einfedern. Auf Stellung "Soft" taucht das Bike weich in die Federn ein, Stellung "Hart" bewirkt ein hartes Einfedern.

Einstellung der Federvorspannung

Gabel

Federbein




Dämpfereinstellung

Dämpferzugstufe

Dämpferdruckstufe


"G-Kat"
Abgasreinigung


Im Vergleich zum Auto sind Bikes wahre Dreckschleudern. Bis auf wenige Ausnahmen haben Motorräder nämlich noch keinen G-Kat. Geregelt wird beim G-Kat jedoch nicht der Katalysator, sondern das Motormanagement. Technisch wäre ein geregelter Katalysator für Bikes kein Problem. Warum die Werke trotzdem auf die Saubermänner verzichten, bleibt ihr Geheimnis. Dabei würde es sich lohnen. Die kleinen Wunderdinger entgiften die Abgasschadstoffe immerhin bis zu 90 Prozent!


"Integralbremse"
Verbundbremse

 


(Foto: BMW)

Bremsen will gelernt sein. Um eine optimale Verzögerung zu erreichen, müssen Vorderrad- und Hinterradbremse genau dosiert werden. In den meisten Fällen gelingt das aber nicht.
Moto Guzzi hatte sich 1974 da etwas einfallen lassen. Mit dem Fußhebel wird gleichzeitig Hinterradbremse und eine Vorderradbremse aktiviert. Die andere Vorderradbremse wird mit dem Handhebel betätigt. Das Verbundsystem wird daher Integralbremse genannt. Auch bei BMW, Honda und einigen Scootern gibt es inzwischen Modelle, die mit diesem System ausgestattet sind.


"OHV", "OHC", "DOHC"
Motorsteuerung


Japanisches Wunderwerk:
Yamaha DOHC-5-Ventil-Zylinderkopf
(Zeichnung: Werk)


Der Viertaktmotor hat eine Menge Bauteile. Für den Gaswechsel im Zylinderkopf sorgen Ventile. Wie diese Ventile auf Trab gebracht werden, verraten die Kürzel OHV, OHC und DOHC. OHV steht für "overhead valves" (obenhängende Ventile), OHC für "overhead camshaft" (obenliegende Nockenwelle) und DOHC für "double overhead camshaft" (zwei obenliegende Nockenwellen).


OHV-Steuerung


OHC-Steuerung


"O-Ring-Kette"
Sekundärantrieb


Zwischen den Laschen sind deutlich die O-Ringe zu erkennen


Biker, die eine Kettenmaschine bewegen, wissen, ein Lied zu singen. Alle Naselang muss die Antriebskette geschmiert und gespannt werden. So war es jedenfalls, als noch normale Rollenketten die Kraft zum Hinterrad lieferten. Mit Einführung der O-Ring-Kette hat sich das Schicksal deutlich gebessert. Der Kettenantrieb wurde erheblich belastbarer und langlebiger. Damit die Dauerschmierung zwischen Kettenbolzen und Kettenhülse nicht austreten kann, übernehmen kleine Gummi-O-Ringe die Abdichtung. Geschmiert werden muss das Gliederwerk allerdings weiterhin, da die Kette auf Ritzel und Kettenrad sonst trockenlaufen würde.


"Shimmy-Effekt"
Lenkerflattern


Motorräder sind im Grunde eine "Fehlkonstruktion". Wenn man sie im Stand nicht festhält, kippen sie einfach um, beim Losfahren steigt das Vorderrad in die Luft und beim Bremsen verliert das Hinterrad den Bodenkontakt. Dass es, unter normalen Umständen jedenfalls, dennoch fährt, liegt an den Kreiselkräften der Räder. Gebeutelt wird die Fahrdynamik allerdings von Bewegungen um die Längs-, Quer- und Hochachse. Zusätzlich wird der Fahrspaß durch das Lenkerflattern, "Shimmy-Effekt", genervt. Dieses Lenkerschlagen tritt, mal mehr, mal weniger, zwischen 40 bis 80 km/h auf.


"Setup"
Einstellungssache


MotoGP-Weltmeister
Valentino Rossi
(Fotos: Yamaha)

Das Setup hat nichts zu lachen. Wird das Rennen gewonnen, war das Setup OK. Landet der Knieschleifer auf einem der letzten Ränge, stimmte das Setup nicht. Ein gutes Setup bedeutet: optimale Reifen, top Bremsen, beste Fahrwerksabstimmung und prima Motoreinstellung.


"Stopper"
Bremszangen


Nachrüst-Zangen


Bremsen, bis die "Scheibe glüht", ist nicht jedermanns Sache. Experten wollen diesen "Adrenalinschub" allerdings nicht missen, nämlich dann, wenn sie bei Tempo 200 so in die Eisen steigen, dass das Hinterrad von der Fahrbahn abhebt. Mit der Serienanlage ist dieses Kunststück aber in den wenigsten Fällen möglich. Was gebraucht wird, ist eine Zubehörbremsanlage, möglichst mit Vier-, Sechs- oder gar Achtkolben-Sattel. Diese Kraftmeier nehmen die Bremsscheiben ohne Gnade in die Zange. Wer allerdings nicht aufpasst, macht einen Purzelbaum kopfüber.


"Super-Light"
Leichtbauteile


Kohlenfaser-Matten


CFK-Schwinge


Light ist in. Es gibt Coke-Light, Marlboro-Light und sogar Ducati hat eine Superlight. Was den einen recht, ist dem engagierten Biker längst teuer. Denn billig sind federleichte Bauteile aus Carbon (Kohlefaser verstärkter Kunststoff, CFK) gerade nicht. Neben Glasfaser, Kevlar und Hybrid-Gewebe hat die Kohlefaser inzwischen einen hohen Stellenwert eingenommen. Sie ist das High-Tech Material unter den Kunststoffen. Bauteile aus Kohlefaser lassen sich zwar lackieren, werden es aber kaum, da die schwarze Fadenstruktur (Kohlefaser) kompromisslosen Leichtbau symbolisiert. Aus dem Edelplastik gibt es Tanks, Radabdeckungen, Sitzbänke, Verkleidungen und vieles mehr.
Ans Kleingeld geht es beim Kauf von Leichtmetallschrauben. Und damit die Sache auch schön aussieht, sind Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben in Gold, Silber, Rot, Blau oder Violett farbig eloxiert. Wer jedoch auf das Gramm hinter der Kommastelle Wert legt, verwendet ausschließlich nur Titanschrauben. Gegenüber normalen Schrauben sind hochfeste Titanschrauben rund 50% leichter, allerdings gut zehnmal teurer.


"Upside-down-Gabel"
umgedrehte Telegabel


Die herkömmliche Telegabel besteht aus Gabelbrücken, Standrohren, Federn, Dämpferelementen sowie Tauchrohren, die am unteren Ende die Vorderachse aufnehmen. Wieder war es die Entwicklung immer schnellerer Maschinen, die  Anfang der 90er Jahre neue Lösungen suchte. Um die Gabel zu verbessern, erinnerte man sich an ein altes Prinzip und drehte sie einfach auf den Kopf. In den Gabelbrücken steckten nun die Tauchrohre, an die Standrohre wurden Aufnahmen für Vorderachse sowie Bremsanlage konstruiert. Biegt sich beim extremen Bremsen aus hoher Geschwindigkeit eine normale Telegabel regelrecht durch, verfügt die Upside-down-Gabel dagegen über bedeutend höhere Stabilität. Einen Gewichtsvorteil bringt sie dagegen nicht.


"Wheelies"
Stehaufmännchen


Eigentlich ist es nur eine Sache des Mutes. Wer sich traut ordentlich am Gashahn zu drehen, bekommt sogar eine 80er aufs Hinterrad. Bikes mit 100 und mehr PS sind für diese akrobatischen Vorführungen geradezu prädestiniert. Es soll Könner geben, die über einen Kilometer nur auf dem Hinterrad fahren. Etwas Geschick gehört allerdings dazu. Wird die Power nicht richtig dosiert, kann es zum Überschlag-Rückwärts kommen. Das tut in den meisten Fällen nicht nur weh, die Mühle ist dann auch im Eimer.


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