Harley-Davidson Pocketvalves
Board Tracker von 1918
Endstation Bahnsinn
Nach einer
seltenen Rudge-Whitworth von 1926 war Andreas Wehrmanns
nächster Traum eine Rennmaschine aus der Zeit vor
1920. Es sollte
ein 1000er Racer mit V2-Motor sein. Die Wahl fiel auf eine
Harley-Davidson Pocketvalves Board Tracker von 1918.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Winni Scheibe,
Archiv-Wehrmann,
Torsten Oertel,
Harley-Davidson |
Board Tracker in Darmstadt
YouTube-Video
Board
Tracker in Solingen
YouTube-Video

Andreas Wehrmanns Zeitreise:
Harley-Davidson Board Tracker und die
Rudge-Whitworth Bahnracer |

"Board
Track Arena" in den 1920er Jahren in den USA
Mit rund 200 Sachen rasten in den 1920er Jahren die Akteure über die ungehobelten Holzplanken
(Foto: Harley-Davidson)
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Traum-Bikes von Andreas Wehrmann

Rudge-Whitworth Bahnracer von 1926
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Harley-Davidson Pocketvalves Board Tracker
von 1918
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Ehrlich gesagt, es waren zwei Träume,
die sich erfüllten. Durch einen Zufall kam ich 1987 an Motorradteile eines
klassischen Einzylinders. Recherchen in den Büchern von Erwin Tragatsch
ergaben, dass es sich um eine äußerst seltene englische 500er
Rudge-Whitworth Rudiment von 1926 handelte. Doch für dieses
Vier-Ventil-Modell waren in "der Zone" partout keine Teile aufzutreiben",
beschreibt Andreas Wehrmann, Jahrgang 1958, seine damalige "Glück-im-Unglück-Situation"
in der DDR. Dann kam die Wende, und ab 1995 begann nach Vorbild der
legendären Brooklands-Bahnrenner die Restauration. Pünktlich zum Oldtimer-GP 1999 auf dem Hockenheimring war der Racer
fertig. "Bei dieser
Gelegenheit habe ich die Board Track-Experten Stefan und Thomas Bund mit
ihren außergewöhnlichen Rennern kennengelernt. Sofort wusste ich, so eine
Maschine aus der Pionierzeit des amerikanischen Rennsports fehlt zu meiner
wahren Motorrad-Glückseligkeit. Das nächste Traumbike stand im Geiste
schon vor mir", verrät der aus Thüringen stammende Oldtimerfan. |

Aus dem 500er
Rudge-Whitworth von 1926
"Werkstattfund" wurde ein beachtlicher Racer
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Andreas Wehrmann mit seinem Rudge-Whitworth Bahnracer in
Aktion
(Foto:
torsten.oertel@online.de) |
Motorrad- und
Oldtimerfan, solange Andreas Wehrmann denken kann
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Andreas Wehrmann und
seine NSU OSL 501 von 1935 |
Als 12jähriger hat mich unser Nachbar
auf seiner Vorkriegs-Zündapp KS 600 mitgenommen. Der Sound des kernigen
Boxermotors übte eine unbeschreibliche Faszination auf mich aus", erinnert
sich der sympathische Maschinenbauingenieur. Ähnlich wie seine Artgenossen
im Westen bastelte er an Mopeds herum. Bereits mit 17 begann er mit der
Restauration einer NSU OSL 501 von 1935 und lässt wissen: "Inzwischen
hatte ich das Abitur in einem Rutsch mit meiner
Zerspanungsmechaniker-Lehre bei Zeiss in meiner Heimatstadt Jena
bestanden. Mein Hobby brachte mich mit anderen Motorradverrückten
zusammen, in dieser Zeit habe ich auch mein handwerkliches Rüstzeug
gesammelt. Apropos OSL, den toprestaurierten Dampfhammer besitze ich noch
heute." |

Andreas Wehrmann 1986 mit seiner BMW R75/5
(Foto: Archiv-Wehrmann)
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Die
Lebensplanung verlief in festen Bahnen. 1978 ging es für eineinhalb Jahre
zum Grundwehrdienst, danach zum Maschinenbaustudium und anschließend
zurück zu Zeiss als Ingenieur in die Qualitätskontrolle. Motorräder
blieben auch weiterhin das Hobby. Alte Maschinen wurden aufgemöbelt,
getauscht, verkauft und sogar per Postpaket gegen "harte" West-Mark in den
Westen verschickt. Zum Glück
war der "Eiserne Vorhang" nicht ganz so dicht, ab 1985 war er stolzer
Besitzer einer BMW R75/5. Nach der Wiedervereinigung zog Familie Wehrmann
1991 von Jena nach Nordhessen. Eine neue berufliche Herausforderung fand
der Maschinenbauingenieur in einer Automobil-Zulieferfirma in
Witzenhausen. |

"Timetunnel"
Andreas Wehrmann mit seinem
Rudge-Whitworth Bahnracer von 1926
und dem Harley-Davidson Pocketvalves Board Tracker von 1918 |

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Ein Board Tracker für die
Glückseligkeit |

Harley-Davidson Werksteam um 1915
(Foto: Harley-Davidson)
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Nach
1999 in Hockenheim wurde Fachliteratur gewälzt, weitere Kontakte zur Tracker-Szene geknüpft. 2005 stand ein
1000er Harley-Davidson Pocketvalves-Serienmotor von 1918 auf der Werkbank,
womit sich der Racingfan auf eine gewaltige Herausforderung eingelassen
hatte. "Um Funktionsweise, Aufbau und die fast 100 Jahre alte artgerechte
Bewegung der Racer verstehen zu
können, ist ein fundiertes Hintergrundwissen über diese
Sportart unumgänglich", referiert Andreas Wehrmann. Da beim
Board Track fahrtechnisch, aber auch aus Gewichtsgründen auf Kupplung und
Getriebe verzichtet wurde, galt das Augenmerk dem zeitgenössischen
Frisieren des V2-Motors. Ein- und Auslasskanäle der i.o.e.-Steuerung
wurden überarbeitet, die Pleuel erleichtert, die Kurbelwelle feingewuchtet,
zwei Alu-Kolben eingebaut und der Vergaser optimiert.
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Boad Tracker Experte Andreas Wehrmann
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Der
spezielle ungefederte Keystoneframe für die Board Tracker konnte im Saarland organisiert werden. Andere Teile
ließen sich dagegen nur aus den USA besorgen. Im Gegensatz zum
Serienrohrrahmen war das Keystone-Chassis unten offen, der über
Knotenbleche verschraubte Motor saß tiefer im Rahmen. Mit diesem Trick
ließen sich, ohne dass der Motor ausgebaut werden musste, die
Zylinder abmontieren. Ein weiterer Vorteil war der tiefere
Schwerpunkt, der das Handling deutlich verbesserte. "In den 1910er Jahren
hatten die Harleys noch Pedalen. Über diese Tretkurbeln
wurde der Motor gestartet, die Hinterradbremse betätigt und falls der
Motor mal streikte, ließ sich per Pedes nach Hause trampeln. Da im Board
Track Bremsanlagen verboten waren, dienten die Pedalen als Fußrasten. Aus
Sicherheitsgründen habe ich bei meinem Racer die Hinterradbremse
beibehalten. Bei der Restauration legte ich aber
sonst größten Wert auf Detailtreue und Funktion, was Ausdruck in
Anerkennung durch Insider findet. Es war aber nicht nur allein die
Technik, auch die Aura des Board Track-Racing sollte zu einer großen
Leidenschaft werden", betont Andreas Wehrmann.
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Neck and Neck with Death |

Harley-Davidson
Board-Tracker
(Foto: Harley-Davidson)

Harley-Davidson teilten sich in den 1910er und
1920er Jahren mit weit
über 100 Motorradfirmen den US-Markt
(Foto: Harley-Davidson)
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Ab
1900 schossen in Nordamerika die Motorradmanufakturen überall im Land wie
Pilze aus dem Boden. Wer für Aufmerksamkeit sorgen wollte, beteiligte sich
an Wettbewerben. Jack Prince erfand nach Vorbild der Velodroms das Board
Track-Oval für Motorradrennen. Sein erstes ganz aus Holz gebautes Motordrome entstand 1909 in Los
Angeles. Schon bald folgten quer durch die Staaten weitere Arenen mit
jeweils zwei oft über 60 Grad geneigten Steilwandkurven.
Das Reglement der "American
Motordrome League" hatte als Vorbild den US-Baseball-Sport. Es gab A und B
Gruppen, Vorläufe, Ausscheidungsrennen, Einzel- und Teamwertung, Sprint-
und Langstreckenrennen.
Die Maschinen wurden entweder mit Muskelkraft
angeschoben oder von einem Serienmotorrad angezogen.
Lief der Motor, ging es gleich in die
Einführungsrunde, das Rennen begann mit einem fliegendem Start. Im Pulk
donnerten die Akteure mit Vollgas über die Holzplanken, Windschattenrennen
gehörten zur Tagesordnung. Wollte ein Fahrer das Tempo etwas reduzieren,
drückte er kurz auf den Killschalter. Board Tracks waren mit Abstand die
spektakulärsten, aber auch die gefährlichsten Motorradrennen in den USA.
Immer wieder kam es durch waghalsige Fahrmanöver, technische
Maschinendefekte oder ölverschmierte Bretterbahnen zu Unfällen mit
Schwerverletzten und Toten. Doch die Racing-Cracks, aber vor allem die
Schlachtenbummler, liebten den
"Neck and Neck with Death" Nervenkitzel in den "Murderdromes"
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William "Bill" Ottaway
(Foto: Harley-Davidson) |
Für
die 1913 neu gegründete Rennabteilung bei Harley-Davidson heuerte man den
von Thor abgeworbenen rennerfahrenen William "Bill" Ottaway an. Schon bald gab es käufliche
Pocketvalves Board Track-Rennmaschinen, und ab 1916 schob das Harley-Team
reinrassige 1000er Werksrennmaschinen mit Vier-Ventil-OHV-Technik an den
Start. Tracker mit i.o.e.-Steuerung kamen auf 160 Spitze, die
Vier-Ventil-Werksracer schafften 200 km/h, Dauergeschwindigkeit versteht
sich! In der Saison 1921 gewannen die Harleys im Prinzip alles, was es
damals zu gewinnen gab.
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Back to the Roots |

Board Tracker
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Harley-Davidson Board Tracker Werksmaschine
von 1926 mit Vier-Ventil-Zylinderköpfen
(Foto:
Archiv-Wehrmann)
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Dank
der "German Wrecking
Crew" wurde die Board Track-Historie in den letzten Jahren bei uns immer
bekannter. Bei Oldtimer-Veranstaltungen treten die Teams zu
Präsentationsläufen an. „Im Vergleich zu früher, als es für die Fahrer um
Ruhm und Ehre, vielfach aber auch um Kopf und Kragen ging, lassen wir es
gemütlicher angehen“, erzählt Andreas Wehrmann. "Der Fahrspaß liegt in der
Ursprünglichkeit. Kaum ein anderes Rennmotorrad ist so auf das
Wesentliche, Motor, Rahmen und Räder, reduziert. Sollten doch mal mit mir
die Pferde durchgehen, wird über die Ölhandpumpe am Tank der Motor
zusätzlich mit Schmierstoff versorgt. Die fast 100 Jahre alte Mechanik
will schließlich umsorgt sein."
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"Neck and Neck with Death" Präsentationslauf 2010 auf der
Beton-Radrennbahn in Bielefeld

# 7 Andreas Wehrmann
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Tracker in Deutschland
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Fahrerlager in der
Beton-Radrennbahnen Bielefeld

Board Tracker Helden:
Stefan Bund, Andreas Wehrmann, Thomas Bund, Thomas Trapp
(Foto:
Archiv-Wehrmann) |
Die
Board Track-Szene ist bei uns überschaubar. Im Kern besteht die „German Wrecking Crew“ aus
Stefan Bund, Thomas Bund, Thomas Trapp und Andreas Wehrmann. Ihr Fuhrpark
ist erstklassig und kann sich sehen lassen. Je nach Veranstaltung parken
im Fahrerlager ein Dutzend Tracker von Excelsior, Cleveland und
Harley-Davidson mit Zwei-Ventil-Steuerung und Vier-Ventil-Werksmotoren aus
den Jahren 1913 bis 1926. Zum Einsatz kommen die seltenen Racer bei
Präsentationsläufen auf den Beton-Radrennbahnen in Solingen, Bielefeld,
Darmstadt und je nach Terminlage auf den Kursen von Montlhéry und Dijon.
Ein Teil der seltenen Board
Track Racer steht als Sonderausstellung in der
Harley-Factory,
Wächtersbacher-Str. 83 in Frankfurt/Main. Hier lassen sich auch die
nächsten Termine erfragen.
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Technische Daten
Harley-Davidson “Pocketvalves“
Board Tracker von 1918
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Motor
Luftgekühlter 45-Grad V2-Viertakt-Motor (tuned stock ), i.o.e.-Steuerung (inlet
over exhaust), eine
untenliegende Nockenwelle, Bohrung x Hub 84 x 89 mm, 998 ccm (61 cui),
Schebler-Vergaser Typ H, Magnetzündung Bosch-USA, ca.
20 PS,
ohne Kupplung und Getriebe, Endantrieb über Kette
Fahrwerk
"Keystoneframe"
HD-Rennrahmen unten offen, Motor mit Knotenblechen verschraubt, Gabel und
Hinterrad ungefedert, 28 Zoll-Speichenräder, 28x2¼ Wulstreifen, Luftdruck
3 bar, Gewicht 100 kg, Dauergeschwindigkeit ca. 160 km/h,
Kontakt
Andreas Wehrman Blog:
murderdromecycles.blogspot.com
Buch-Tipp

Thomas Bund
"Flirt mit dem Tod"
ISBN: 978-3-00-027098-7
45,00 Euro
www.american-x.org
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