Daytona Beach in Florida
ist weltbekannter Urlaubsort. An Unterhaltung mangelt es nicht.
Berühmt ist der Küstenort durch seine spektakulären Auto-,
Motorrad- und Powerbootrennen, aber auch durch seinen
traumhaften, über 20 Meilen langen, Strand. Die Beach ist ein
Eldorado für jede Art von Wassersport, und den blauen Himmel
sowie täglichen Sonnenschein gibt es gratis dazu. Böse Zungen
behaupten allerdings, in Daytona Beach trifft man hauptsächlich
nur Rentner. Das Klischee scheint zu stimmen. Gut 50 Gäste sind
zur Party von Larry Wood gekommen. Die Gesellschaft ist leger
gekleidet, man flachst miteinander herum, lacht herzhaft,
prostet sich zu, die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen.
Wären die Herrschaften allerdings einige Jahrzehnte jünger,
könnte fast der Eindruck entstehen, man ist bei einer
Teenager-Party.
"Party-Time bei Larry"

himself: Larry
Wood
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Party-Star`s:
Boss Hoss... |

...und
"Hamburger-Harry" Harry Sperl (links) |
Doch ein Blick in die Runde belehrt eines
Besseren. Nur wenige sind unter Sechzig. Lediglich zwei "junge"
Burschen können notfalls den Altersschnitt senken. Mein Kumpel
Harry ist gerade 39 Jahre alt, und ich habe lediglich drei Jahre
mehr auf dem Buckel. Bei der Party sind wir sozusagen die "Küken".
Doch unter Motorradfahrern spielt das Alter bekanntlich ja keine
Rolle. In Daytona Beach ist "Bike-Week", und für Larrys
Freunde gehört seine Party schon zur Tradition. Harry kennt
etliche Leute, für mich ist die Sache neu. Da ich während der
Bike Week bereits einiges erlebt habe, gibt es eigentlich kaum
noch etwas, was mich überraschen kann. Doch Pustekuchen. Bei
Larrys Fete lerne ich eine ganz andere Seite der amerikanischen
Motorradszene kennen. Seine Freunde sind durch die Bank im
Rentenalter. Doch bekanntlich schützt Alter vor Torheit nicht.
Sie sind samt und sonders begeisterte und leidenschaftliche
Motorradfans und natürlich Harleyfahrer. Als jedoch Jake mit
seiner brandneuen Boss Hoss vorfährt, ist das Hallo groß. Die
Boss Hoss ist eine neue amerikanische Motorradmarke, bei der ein
gewaltiges 5,8 Liter V-8 Chevrolet-Triebwerk mit 345 PS für
brachialen Vorschub sorgt. Jake mit seinen 56 Lenzen betrachtet
das gut 500 kg schwere Monster als genau die richtige
Herausforderung für seinen Motorradfimmel. Doch der eigentliche
Star des Abends ist weder die Boss Hoss, noch Linda, die mit 68
Jahren immer noch ihre Harley-Davidson Elektra Glide chauffiert,
sondern das knallrote Indian-Gespann von 1914 unseres
Gastgebers. Erwartungen, bis spät in die Nacht die "Oldie-Fete"
ausgiebig genießen zu können, mit den Leuten "Benzin zu
reden" und Larrys Motorradsammlung anzusehen, werden
allerdings enttäuscht. Pünktlich um 10 Uhr PM ist der Spuk
vorbei. Die Gäste bedanken sich für die Einladung, einige
verabreden sich für den nächsten Tag zum Mittagessen oder zur
gemeinsamen Ausfahrt. Larry, dem mein Interesse für seine
Indian aufgefallen ist, lädt uns für den nächsten Morgen zum
American-Breakfast ein und verspricht, mir danach seine Indian
vorzuführen.

Larry und einige
Highlights aus seiner Sammlung |
Bis Ende der achtziger
Jahren war Larry Besitzer einer Firma, die Roboteranlagen
herstellte und für den europäischen Markt sogar ein Büro in
Paris unterhielt. Als er ins Rentenalter kam, verkaufte der
erfolgreiche Geschäftsmann sein Unternehmen und ließ sich 1992
im sonnigen Daytona Beach nieder. Hier baute er ein Haus, das
den Palästen aus der TV-Serie "Denver" oder "Dallas"
um nichts nachsteht, und genießt seitdem das Leben.
Mittlerweile ist der agile Rentner 66 Jahre alt, doch vom "Faulenzen"
oder "Ausruhen" hält er nicht viel. Sein Hobby sind alte
Motorräder, die er mit größter Hingabe und pedantischer
Perfektion restauriert. Sind die Bikes nach seinen Vorstellungen
in neuen Glanz versetzt, besucht er mit seinen Kostbarkeiten
Oldtimer-Rallys oder fährt nur so zum Spaß durch die Gegend.
Über ein Dutzend Maschinen von Harley-Davidson, Indian und
Henderson umfasst seine Kollektion. Prachtstück ist zweifellos
das Indian-Gespann. Diese Maschine ist dem leidenschaftlichen
Motorradfan besonders ans Herz gewachsen. Als er 1991 heiratete,
diente das Gespann als "Hochzeitskutsche" für die Fahrt
zum Standesamt. Larry, der seit über 20 Jahren Oldtimer
sammelt, wollte schon immer eine Zweizylinder-Indian aus der
frühen Firmengeschichte besitzen. 1978 war es soweit. Für eine
"Handvoll Dollar" kaufte er die Indian Big-Twin von 1914,
die, wie er sagt, ein "Haufen Müll" war und eigentlich
zum Restaurieren kaum noch geeignet schien.
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Genau in dieser Zeit,
1914, war das Motorradwerk in Springfield/Massachusetts in der
Hochblüte seiner 53jährigen Firmengeschichte, die bereits bis
dahin auf einen außergewöhnlichen Geschäftserfolg sowie
sensationelle technische Entwicklungen zurückblicken konnte.
Die "Hendee Manufacturing Company" wurde 1900 von dem
Fahrradfabrikanten George M. Hendee und dem in Schweden
geborenen Motorenkonstrukteur Carl Oskar Hedström gegründet.
Ein Jahr später brachten die beiden cleveren Jungunternehmer
ihr erstes Einzylinder-Viertakt-Motorrad mit 213 cm³ Hubraum
und 1,75 PS auf den Markt. Im Prinzip ähnelte dieses Gefährt
allerdings noch sehr einem Fahrrad mit Hilfsmotor, doch im
Gegensatz zu anderen Motorradherstellern, die auf Riemenantrieb
schworen, wurde bei der Indian das Hinterrad via Kette
angetrieben. Das Logo "Indian" hatten sich Hendee und
Hedström schützen lassen, sicherlich ohne bereits damals zu
ahnen, dass der Name "Indian Motocycle" (Moto..., ohne
„r"!) klangvoll in die Motorradgeschichte eingehen
sollte. Der flotte Einzylinder kam gut an. 1902 konnten sie 143
Maschinen und im nächsten Jahr bereits 377 Fahrzeuge verkaufen.
Hendee und Hedström hatten ihr Motorradwerk professionell
organisiert und nach modernsten Erkenntnissen eingerichtet.
Sechs Jahre nach Firmengründung konstruierte Hedström einen
Zweizylinder-V-Motor mit 42 Grad Zylinderwinkel, 633 cm³
Hubraum und 4 PS. 1907 konnte der Kunde zwischen der Indian mit
Einzylinder-Motor oder V-Motor wählen. Ab nun ging es mit der
Firma mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts. Landauf, landab wurden
an ausgewählte Händler Verträge vergeben, und Importeure in
Südamerika, Südafrika und Australien eingesetzt. Bis 1913
hatte sich das Unternehmen zu einem gewaltigen
Motorradproduzenten mit über 3.000 Mitarbeitern entwickelt, von
denen in diesem Jahr 32.000 Maschinen gefertigt wurden. Für den
Verkauf und die Wartung der Feuerrösser waren in den USA 1200
Motorradhändler und im Ausland über 1800 Vertragswerkstätten
zuständig. Weltweit war Indian somit zum größten
Motorradhersteller aufgestiegen. In den USA konnte das Werk 42
Prozent Marktanteil verbuchen. Auch im Rennsport sorgte man
ständig für Sensationen. Die prestigeträchtige "1000-Meilen-Fahrt"
quer durch England gewann 1907 T.K. Hastings auf einer Indian,
und 1911 brachte die amerikanische Marke die englische
Motorradindustrie und Motorradfans gänzlich aus dem Häuschen.
Bei der berühmten Senior-TT auf der Isle of Man belegten die
Indian-Fahrer Godfrey, Franklin und Moorhouse die ersten drei
Plätze. In den Staaten war es Werksfahrer Jack De Rosier, der
zwischen 1908 bis 1913 über 900 Siege für Indian holte.
Topmodell im Indian-Angebot 1914 war die 1000er Big-Twin „Hendee-Special"
mit Anlasser, elektrischer Beleuchtungsanlage, Tachometer,
Drehgasgriff, Kupplung, Zweiganggetriebe und "Vollschwingenfahrwerk".
Gleichzeitig konnte das Werk ein Jubiläum feiern. Seit 1907
waren 100.000 Indian-Twins verkauft worden!
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Larrys
Lieblingsbeschäftigung: Putzen und wienern |
In der Zeit,
"als die
Motorräder noch das Laufen lernten", war Indian in jeder
Hinsicht der Konkurrenz, und damit sind alle Motorradfirmen
weltweit gemeint, um viele Jahre voraus. Dieser hohe Standard
lässt sich bei Larrys Gespann deutlich ablesen. Doch bis der
Indianfan so weit war und das Fahrzeug originalgetreu
restauriert hatte, verging Jahr um Jahr. Die Beschaffung der
Ersatzteile war nämlich bedeutend schwieriger als angenommen.
Hinzu kam, dass der engagierte Edelschrauber 1982 einen
ebenfalls maroden Indian-Seitenwagen ergattern konnte, was die
Fertigstellung des Klassikers, nun zum Oldtimer-Gespann, noch
einmal verzögerte. Zum traditionellen Indian-Treffen in
Springfield 1988 hatte er es aber doch geschafft. Das Gespann
wurde zum Star des Meetings, und als Anerkennung für seine
Arbeit wurde ihm der erste Preis überreicht. Sicherlich zu
Recht. Der feuerrote Indianer strahlt wie in seinem
Produktionsjahr Anno 1914, und er ist obendrein voll funktions-
und fahrtüchtig.
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Das Herz des 80 Jahre
alten Motorrades ist ein luftgekühlter 42-Grad V-Motor mit
ioe-Steuerung (inlet over exhaust). Bei uns ist diese
Ventilbetätigung unter dem Begriff "wechselgesteuert"
bekannt. Das Einlassventil hängt im Zylinderkopf und wird über
Kipphebel, Stoßstange und Winkelhebel von der untenliegenden
Nockenwelle betätigt. Das Auslassventil steht, wird jedoch via
einem Winkelhebel direkt von der untenliegenden Nockenwelle
aktiviert. Durch die Verwendung der Winkelhebel benötigt der
Motor nur eine Nockenwelle. Aus 79,4 mm Bohrung und 100,8 mm Hub
resultieren 998 cm³ Hubraum, aus dem der V-Motor 7 PS schöpft.
Für die Gemischaufbereitung sorgt ein Hedström-Vergaser und
als hochmodern darf der Bosch-Magnetzünder, der über
Zahnräder angetrieben wird, bezeichnet werden. Das
Zweiganggetriebe ist hinter dem Motor angeblockt, der Endantrieb
zum Hinterrad erfolgt via Kette.
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Um dem Fahrzeug eine gute
Straßenlage zu spendieren, hatten sich die Techniker in
Springfield in den Jahren zwischen 1909 bis 1913 einiges
ausgedacht. Ein stabiler Einrohr-Schleifenrahmen kam ab 1909 zum
Einsatz und die Führung des 28 Zoll-Vorderrades erledigte die
"Indian-Blattfeder-Gabel". Dieses Baumuster sollte bis in
die dreißiger Jahre Markenzeichen der Motorräder aus
Springfield werden. Fast 40 Jahre bevor die restliche
Motorradwelt auf die Idee kam, ihren Fahrwerken eine
Hinterradfederung zu gönnen, führte Indian ab 1913
serienmäßig diesen Fahrwerkskomfort ein. Je eine Blattfeder
rechts und links am Rahmen ermöglichten dem, in einer Schwinge
geführten, Hinterrad Bewegungsfreiheit. Aber nicht nur auf
Fahr-, sondern auch auf Sitzkomfort legte man großen Wert.
Ähnlich wie die Cowboys im Wilden Westen sitzt der "Indian-Reiter"
aufrecht im bequemen Sattel, die Füße ruhen auf breiten
Trittbrettern, und die gewaltige U-förmige Lenkstange liegt
sicher in den Händen. Bereits seit 1905 gab es einen
Drehgasgriff, doch dieser saß am linken Lenkerende.
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Mit dem
rechten Drehgriff wird die Zündung verstellt.
Übermittelt werden die Befehle allerdings nicht über
Bowdenzüge, sondern über ein filigranes Hebelgestänge
mit Hubstangen und kleinen Kreuzgelenken.
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Ließ sich Anno 1914 nun
bedeutend bequemer über die holprigen Straßen kutschieren,
steckte die Bremsanlage noch in den Kinderschuhen. Für das
Vorderrad gibt es überhaupt keine Verzögerungseinrichtung.
Dagegen werkelt am Hinterrad eine "Duplex-Bremse". Über
die Trommelbremse hatten die Indian-Techniker zusätzlich eine
Außenbacken-Bremse installiert. Diese außergewöhnliche
Konstruktion wurde wegen den Zulassungsbestimmungen in England
gewählt, dort verlangte der Gesetzgeber für Motorräder
nämlich zwei Bremsen. Als Sonderzubehör wurde 1914 eine
Dynastartanlage und elektrische Beleuchtungsausrüstung
angeboten. Ein gutgemeinter Luxus, der allerdings schnell wieder
aus dem Angebot verschwand. Es gab nämlich noch keine
geeigneten Batterien, die auf Dauer die Beanspruchung
mitmachten, und so vertraute man weiterhin auf den bewährten
Kickstarter und die Karbidlampen. Bei Larrys Gespann sucht man
dieses Sonderzubehör auch vergeblich. "Diese technischen
Spielereien wurden erst etliche Jahre später serienreif und
gehören nicht zu dieser Motorradgeneration", ist seine
Meinung zum Thema.
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