Gespanne&Trikes


"Holz-Bock"

"Fred Feuerstein lässt schön grüßen"


Es ist weder Chopper noch Cruiser. Dafür aber ein echter Holz-Bock.
Genau so wie Fred Feuerstein immer einen haben wollte. Mit
2 PS-Triebwerk, vollautomatischem Getriebe und drei Rädern!

Text&Fotos: Winni Scheibe



Echt "Holzbockig": 3.20 Meter lang und 2 PS stark

Holzböcke sind eine ganz üble Sorte. Die kleinen Vampire zwicken, stechen, beißen sich fürchterlich fest, saugen sich mit Blut voll. Im Sommer sind sie eine wahre Landplage. Weder verwandt noch verschwägert ist der "Holz-Bock" von Dietrich, Matthias und Stefan. Ihr "Holz-Bock" ist 3.20 Meter lang, wiegt sechs Zentner, macht einen Heidenkrach, stinkt gewaltig, ist dafür aber welteinmalig. Eine Straßenzulassung wird das Vehikel allerdings nie und nimmer bekommen. Auch kein Wunder. Die hintere Radabdeckung ist nämlich viel zu kurz!


Doch Spaß beiseite. Als Harleyfahrer Dietrich Ende 1996 auf die Idee kam, war's ihm tierisch ernst. Und für dieses todernste Vorhaben brauchte er seine Freunde Matthias und Stefan dann auch erst gar nicht lange überreden. Aber die Zeit drängte. Spätestens zur Karnevalzeit sollte das super Show-Bike fertig sein. Doch wer jetzt gleich an diese unheimlich teuren und wahnsinnig aufgemotzten Harleys denkt, liegt voll daneben. Sie wollten ihr Custom-Bike im wahrsten Sinne des Wortes selbst schnitzen, aus bestem Bauholz versteht sich. Diesen edlen Werkstoff gibt's fast in jedem OBI, und seit es sich herumgesprochen hat, wie vielseitig das Material ist, führen es auch ausgewählte Sachs-Vertragshändler.




Die Beschaffung des erforderlichen, allerdings gut abgelagerten, Fahrwerksmaterials war also nicht das Problem. "Viel schwieriger war es, ein entsprechendes Triebwerk aufzutreiben", verrät Dietrich und hat gleich wieder diese Sorgenfalten auf der Stirn. "Die erste Bedingung war nämlich, der Motor durfte nichts kosten. Zweitens, er musste voll funktionstüchtig sein, drittens mindestes zwei oder besser, noch über zwei PS leisten und viertens, er musste unbedingt ein Automatikgetriebe haben".



Präzisionsarbeit:
2-PS-Triebwerk im Vierkant-Rahmen und filigrane Fußrasten


Wie der Bock aussehen sollte, hatte das Trio längst auf einen Bierdeckel gemalt und somit unumgänglich festgelegt. Ein bisschen im Easy Rider-Stil, lange Gabel, Starrrahmen, überbreites Hinterrad aber gemixt mit echter amerikanischer Cruiser-Philosophie. Und dazu gehört ein breiter und flacher Lenker und eben besagtes Automatikgetriebe. Denn alle, in den 60er Jahren zum Cruising umgefuckelten Ami-Straßenkreuzer, hatten solch ein Automatikgetriebe. Und somit war die Motorenauswahl von vornherein eingegrenzt. Schließlich wurde man aber doch fündig. Ein gut 2 PS starker luftgekühlter 49,8 ccm Sachs-Zweitaktmotor mit Automatikgetriebe löste alle Sorgen.




Beim Fahrwerksbau hielt man sich an klassische Vorbilder. Vom Steuerkopf verlaufen zwei 10x10 cm starke Kanthölzer "echt Fichte" auf direktem Wege zur starren Hinterachse. Die beiden Rahmenunterzüge sind ebenfalls aus diesem Werkstoff, die Verbindung hoch zum Steuerkopf übernimmt allerdings nur ein Kantholz. Entgegen gebräuchlicher Zimmermannsgepflogenheiten wurde das Gestell allerdings nicht zusammengenagelt, sondern nach Kfz-Lehrbuch mit 12er und 14er Edelstahl-Schrauben verschraubt. Für die Betriebsfestigkeit ist das zwar nicht sonderlich wichtig, es sieht jedoch professioneller aus. Auf eine Oberflächenbehandlung verzichtete man gänzlich. „Vernickelte oder gar verchromte Fahrwerke machen zweifellos enorm was her. Doch unser Balken-Chassis glattzuhobeln und mit Farbe anzustreichen, kam überhaupt nicht in die Tüte," hält Dietrich klipp und klar fest. "Das natürliche Finish wollten wir auf keinen Fall verunstalten".

Die 1,60 Meter lange Vordergabel besteht von oben bis unten ebenfalls aus zwei massiven 10x10 cm dicken Kanthölzern. Laut Konstruktionszeichnung waren für die Vorderradführung zwar zunächst Rundhölzer vorgesehen, doch vom Chassisbau hatte man einfach zuviel Material übrig. Absichtlich hat man auf moderne, vielfach verstellbare Feder- und Dämpferelemente verzichtet. Und das hat einen triftigen Grund. "In der Zeit von Fred Feuerstein waren diese Komfortverbesserer ja überhaupt noch nicht erfunden worden," verweist Fahrwerksbauer Stefan auf den technischen Stand von damals. Nicht ganz so eng sah man es bei den Gummiwalzen. Auf der Vorderachse dreht sich ein 225/70 SR 15 Schlappen und hinten hat man für eine bessere Traktion gleich zwei 175/70 SR 13 Autoreifen auf die Achse gesteckt.


Diese Anordnung ist nach Insidereinschätzung welteinmalig, und das Trio denkt bereits darüber nach, sich die Idee patentieren zu lassen. Diese Zwillingsbereifung bringt tatsächlich erhebliche Vorteile. Spielend lässt sich unendlich viel Kraft auf den Asphalt bringen. Nach ersten Berechnungen ist von mehr als 590 PS die Rede! Die Doppelbereifung bringt aber auch ungeahnte Stabilität. Ohne Haupt- oder Seitenständer bleibt das Einspurfahrzeug auch im Stand vollkommen sicher stehen. Ein absolutes Novum in der Zweiradtechnik. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis ein japanisches Motorradwerk diese Idee abkupfert. Ein zwillingsbereiftes Bike würde haargenau in den Einsteiger-Markt passen. Bekanntlich haben ja gerade Anfänger einen riesigen Bammel davor, dass ihnen die Maschine ständig umfällt. Für den Fall, dass es aber doch einmal passiert, hat Stefan vorgesorgt. Die vorverlegten Fußrasten, handwerklich eine meisterliche Arbeit, stehen so weit vom Rahmen ab, dass sich die Maschine maximal nur 18,7 Grad zur Seite neigen kann. Im Fahrbetrieb hat dies aber enorme Nachteile. Schräglagefahren ist kaum möglich. Spricht man das Trio darauf an, will man Konstruktionsmängel jedoch nicht gelten lassen, auch die Herstellerhaftung wird strikt abgelehnt.


6-Gallonen-Tank


Ersatz-Kerzen und Typenschild


Die Montage des Triebwerks war reine Formsache, nur wie man den Antrieb zum Hinterrad bewerkstelligen sollte, kostete Gehirnschmalz. Beschleunigung, Durchzug und Höchstgeschwindigkeit hängen unmittelbar mit dem Übersetzungsverhältnis des Endantriebes zusammen. Und um hier auf gute Werte zu kommen, war ein riesiger Zahnkranz am Hinterrad erforderlich. Dietrich hatte ein Übersetzungsverhältnis von 8 errechnet. Das bedeutete 11 Zähne am Getriebeausgang und 88 Zähne fürs Kettenrad. Da aber weder Hein Gericke, Polo noch Detlev Louis solche Größen im Angebot haben, musste das Zahnrad aus dem Vollen gefertigt werden. Für die Beschaffung der Ausstattung waren wieder Wege in die Nachbargemeinden fällig. Von einem ehemaligen Zweirad-Fachhändler besorgte man sich den Kraftstoffbehälter eines unbekannten Moped-Herstellers, die vordere Navigationsbeleuchtung brachte Dietrich vom zufälligen Besuch eines Flohmarktes mit. Was zur endgültigen Fertigstellung dann noch fehlte, wurde in mühevoller Handarbeit selbst gemacht.


"Holz-Bock-Team":
Dietrich, Matthias und Stefan

Pünktlich zum Hockenheimer Faschingsumzug 1997 war die Arbeit geschafft. Mit stimmungsvollen "Helau" und "Helaf" wurden über 120 Teilnehmer vom Publikum bejubelt. Dietrich und Co. mittendrin, der Rummel ging runter wie Öl. Doch es sollte noch viel besser kommen. In der Wertung originellster Teilnehmer landeten sie auf dem vierten Platz! Was allerdings aus den 700 Mark Preisgeld geworden ist, will keiner verraten. 


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