Fahrberichte

Triumph Bonneville
Modelljahr 2000

"M.B.E."


Für besondere Verdienste gibt es im englischen Königreich das
"M.B.E.". Die neue Triumph Bonneville hat diese Auszeichnung
"Member of the British Empire" zwar noch nicht bekommen,
die Nominierung wird hiermit aber beantragt.

Text&Fotos: Winni Scheibe



Tester: Peter Frohnmeyer 


Zu den ganz großen Hits der Beatles gehört "Yesterday". Auch wenn Paul McCartney ihn allein geschrieben hat. "Yesterday" ist auch die neue Triumph Bonneville, was jedenfalls das Outfit angeht. Von ein paar Meter Entfernung betrachtet, könnte man fast meinen, da steht eine ehrwürdige Bonneville aus den 60er Jahren. Damals war sie Triumphs Topseller. Ein Bike, das 30 Jahre gebaut wurde, sich über 250.000 Mal verkaufte, ein Traummotorrad und Mythos und eine Rennlegende. Spektakulärster Erfolg war der Geschwindigkeitsrekord 1956: mit 345 Sachen bretterte der frisierte 650er-Twin über den Bonneville Salzsee in Utah/USA. Der Grundstein für die unvergleichliche "Bonneville" Modellgeschichte war gelegt.



Triumph 650 T120 Bonneville von 1968

Die neue Bonnie sieht der "alten" zum Verwechseln ähnlich und das sogar mit voller Absicht. Erklärtes Ziel ist es nämlich, an die ruhmreiche Vergangenheit anzuknüpfen. Triumph war nicht nur einst weltgrößter Zweiradhersteller, Triumph ist auch die älteste Motorradfirma. Noch ein Jahr älter als Harley-Davidson, 2002 kann die englische Traditionsmarke ihren 100sten Geburtstag feiern. Doch Achtung: wer mit dem Club der Beat, Rock´n´Roll, Oldie und Nostalgie-Bike Fans nichts am Hut hat, braucht erst gar nicht weiter zu lesen. Man muss sogar eindringlich davor warnen: der Bazillus könnte überspringen und dann hilft auch kein Gejammere beim Arzt oder Apotheker. Damit sind eigentlich die Claims abgesteckt. Die Heizer-Fraktion, die ihre Aktien bei den PS-starken und knapp 300 Klamotten schnellen Superbikes geordert haben, dürfte diese Geschichte wohl kaum interessieren. Allen andern präsentieren wir dafür einen Vorgeschmack, was mit der britischen Lady auf sie zukommen kann.




Zuerst jedoch für die "alten Windgesicher" eine schlechte Nachricht. Die neue Bonnie sieht zwar uralt aus, technisch ist sie aber absolut up-to-date. Wer wie früher Material zerstörende Vibrationen und den obligatorischen Ölfleck unterm Motor erwartet und sehnlichst hofft, man müsste ständig an ihr herumschrauben, wird gewaltig enttäuscht. Von all dem alten Kram hat der neue Twin nichts geerbt. Zwar gibt es noch keine Langstreckenerfahrungen, aber schon bald wird sich herausstellen, dass sie als zuverlässiges und langlebiges Bike prima in unsere heutige Zeit passt.
Und nun die gute Nachricht: die Bonnie ist ein Meilenstein in der Motorradgeschichte: "Back to the Future". Auf kein anderes Bike passt dieser Satz so trefflich. Nicht zu vergleichen mit der Kawasaki W650. Das ist eine ganz andere Geschichte, denn nicht die Kawasaki, sondern die Bonneville ist schließlich das Original.


Eben so original, als ob die Bonnie von Gestern, oh pardon "Yesterday" wäre. Mit nichts verrät der neue Dampfhammer die beiden obenliegenden Nockenwellen, die vier Ventile pro Brennraum, die kontaktlose Zündanlage, die zwei Ausgleichswellen, das Sekundärluftsystem und den U-Kat. Alles steckt schön versteckt im original nach "klassisch englischen Baustil" erschaffenen 780ccm Twin, fast wie "damals". Früher saß allerdings der Schalthebel rechts, zum Anlassen gabs nur den Kickstarter und der Sound war echt hämmrig. Heute wird links geschaltet, via E-Starter springt der Motor an und blubbert dann gemütlich, fast möchte man sagen flüsternd, vor sich hin. Keine Oma muss sich erschrecken und kein Kind die Ohren zuhalten. Lärmende Donnerbolzen haben in der heutigen Welt nichts mehr verloren.




Der erste Gang flutscht wie von allein rein und ab geht die Post. Schwupp, schwupp, im Nu ist man im fünften Gang und tuckert lässig durch die Ortschaft. Spielerisch leicht lässt sich die Bonnie dirigieren, trotz 230 kg ist das Handling ein Gedicht. Das liegt natürlich auch an der Sitzposition. Dafür waren englische Motorräder früher berühmt. Nichts drückt oder kneift, der Biker sitzt lässig und aufrecht auf der Maschine, "die Nase im Wind". Fast hatte man diese Art von Fortbewegung schon vergessen. Keiner treibt einen, das Verlangen mit Vollgas über Landstraßen zu brettern, kommt erst gar nicht auf. Die Lust liegt in der Beschaulichkeit. Der fünfte Gang bleibt eingelegt, den Fahrrhythmus bestimmt die Gashand. Man sucht immer wieder Nebenstraßen, freut sich auf die nächste Kurve. Zugegeben, leise ist die Bonneville, zu leise allerdings auch nicht. Das Motorgestampfe bekommt man gut mit und wer sich etwas anstrengt, spürt sogar Vibrationen. Und dann dauert es auch nicht mehr lange und der Fahrer fühlt sich mit der Maschine eins. Früher, Yesterday, sagte man dazu "Motorradfahren".



Experte: Karl-Heinz Stefani

Nun sitzt man natürlich nicht ständig auf der Bonneville, man hat schließlich Ziele. Zum Beispiel Freunde, denen man das neue Bike unbedingt vorführen muss und von denen man wissen will, was sie davon halten. Peter Frohnmeyer, Ex-GP-Rennfahrer und Zweizylinderfan ist von der Bonnie begeistert, lässt sich für eine Probefahrt nicht zweimal bitten. Das ist es, lautet kurz und bündig sein Testurteil, die würde ich mir kaufen. Nächster Kandidat ist Karl-Heinz, Engländer Fan und Besitzer etlicher BSA Motorräder aus den 60er und 70er Jahren. Ihm kann man so leicht nichts vormachen, schließlich haben die Briten Motorradgeschichte geschrieben. Karl-Heinz Stefani möchte sich mit Angucken und Probesitzen nicht zufrieden geben. Er behält die Bonnie für ein paar Tage, fährt über 1000 Kilometer. Besucht seinen Spezi Theo, der gleich einen ganzen Stall voll alter Briten-Bikes und natürlich auch eine Bonneville von 1967 besitzt. Sie vergleichen, diskutieren, tauschen die Bikes, fahren noch eine Runde, diskutieren weiter und tauschen noch einmal. Zum Schluss sind sich beide Experten einig, hätte Triumph die Bonnie weiterentwickelt, wären sie genau dahingekommen, wo die neue heute steht und, das ist der entschiedene Satz, beide würden sich den Twin kaufen. Ein größeres Kompliment könnte die englische Lady kaum bekommen. Das wird John Bloor, Boss der Triumph-Factory in Hinckley, freuen. Der Autor schließt sich den Eindrücken seiner Freunde an, Triumph ist mit der Bonneville ein toller Wurf gelungen. Ein außergewöhnliches Bike, das längst nicht nur nostalgisch angegraute Motorradfans anspricht. Etwas fürs Herz und für die Seele und für unvergessene Fahrerlebnisse. 




Und was hat das jetzt mit Yesterday und den Beatles zu tun. Nun, ganz einfach, die aktuelle CD der Fab-Four "Nr 1" hat im Handumdrehen die Charts erobert. Alles alte "Kamellen", schießt es einem durch den Kopf, Songs, die man von Radio Luxemburg kennt und stundenlang auf dem Schallplattenspieler gedudelt hat. Damals gab es nichts anderes. Heute ist Qualität angesagt, ein CD-Player ist das Mindeste und noch immer hört sich die Musik granatenmäßig an. Das geht doch runter wie Öl - oder? 


Technische Daten
Triumph Bonneville
Baujahr 2000

Motor: 
Fahrtwindgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor; zwei obenliegende, Ketten getriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, zwei Ausgleichswellen, Bohrung x Hub 86 x 68 mm, Hubraum 790 ccm, Verdichtung 9,2:1, Leistung 44 kW (60 PS) bei 7000/min, max. Drehmoment 62 Nm (6,2 kpm) bei 3500/min, kontaktlose Zündanlage, zwei Gleichdruck-Vergaser, Ø 36 mm, Sekundärluftsystem und U-Kat, E-Starter 


Kraftübertragung: 
Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Klauen geschaltetes Fünfganggetriebe, Sekundärantrieb über X-Ring-Kette

Fahrwerk:
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, Telegabel, Standrohrdurchmesser 41 mm, Stahl-Schwinge, zwei Federbeine, Federbasis einstellbar

 

 

Räder und Bremsen:
Speichenräder, Bereifung vorne 100/90R19, hinten 130/80R18. Vorne eine Scheibenbremse, Ø 310 mm, Doppelkolben-Bremszange, hinten Scheibenbremse, Ø 220 mm, Doppelkolben-Bremszange


Maße und Gewichte: 
Radstand 1493 mm,
Sitzhöhe 775 mm, Leergewicht fahrfertig 230 kg, Zul. Gesamtgewicht 430 kg, Tankinhalt 16 Liter

Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h

Preis: 14.990 Mark



Text-Archiv: Fahrberichte


Home