Fahrberichte


Umbau Dötsch Kawasaki W650 Scrambler

Scrambler-Nostalgie

Urahnen heutiger Enduros waren Scrambler. Pfiffige Funbikes,
die dank breitem Lenker, hochgelegter Auspuffanlage,
Cross-Schutzblechen und Stollenreifen auch für gelegentliche
Abstecher ins Gelände geeignet waren. Der Thüringer
Kawasaki-Händler Bruno Dötsch holt die Vergangenheit
zurück und zaubert aus der klassischen W650 einen
traumhaft schönen Retro-Scrambler.


Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Kawasaki


Dötsch-Kawasaki W650 Scrambler


Déjà vu! Das Gefühl, dass man so etwas schon mal erlebt hat. Ungläubig stehe ich vor dem Motorrad und reibe mir die Augen. Solche Maschinen gab es doch mal in den Sechziger- und Siebzigerjahren. In einer Zeit, als Motorradfahren für das Gros der Biker noch Freiheit und echtes Abenteuer bedeutete. Wettfahrten gegen die Kumpels, Posieren vor der Disco und staubige Ausflüge in die Pampa als Mutprobe inklusive. Scrambler sind eine amerikanische Erfindung. Kein Wunder, in den Weiten der USA gab es Offroad-Areale bis zum Abwinken, wo man sich ohne Gesetzesverstoß nach Lust und Laune austoben konnte. Mit Schlamm- und Geröllbezwingungen hatte das allerdings wenig zu tun und mit einer Sahara-Durchquerung schon gar nichts. Scrambler waren schlichtweg lustige Grasnarbenhüpfer. Häufig direkt aus Straßenmodellen abgeleitet. Logisch, dass es da mit der echten Geländetauglichkeit nicht so weit her war. Nicht "Enduro", "Super-Enduro" oder "Hard-Enduro", sondern Scrambler eben. Wörtlich übersetzt heißt das englische Wort "to scramble" nämlich "klettern", "krabbeln", "kraxeln". Fast alle großen Marken hatten solche easy Dreckspatzen im Angebot. Auch das 650er-Topmodell von Kawasaki Mitte der Sechzigerjahre gab es als W2TT im besagten Offroad-Look.


Rückkehr des klassischen Twins


King-side:
Kawasaki W650 von 1999



Kerniger Viertakt-Twin
(Foto: Kawasaki)


Als Kawasaki 1999 die W650 auf den Markt brachte, war die Sensation perfekt. Jeder, der die Marke gut kennt, weiß, dass die Kawa-Leute eigentlich nie genug bekommen können. Nie genug Leistung, nie genug Topspeed und nie genug Performance. Für ihre Bikes, versteht sich. Kawasaki-Motorräder waren und sind immer einen Tick stärker und schneller als die anderen. Und dann plötzlich die W650. Ein Bike, das aussah wie ein echter Oldtimer, aber taufrisch vom Fließband lief. Eine ideale Ergänzung des Modellprogramms. Längst gibt es eine große Fangemeinde eingefleischter W650-Fahrer. Die Philosophie des stollenbereiften Scramblers wurde aber bis zum letzten Modelljahr der W650 in 2006 nie in Serie umgesetzt. Die W650 blieb bis zum Schluss auch optisch ein rein klassisches Straßenmotorrad.



Die hochgelegte Auspuffanlage ist ein typisches Merkmal von Scramblern


Gut für die Zubehör- und Umbau-Szene. Denn auch die Nostalgie-Fraktion steht auf Individualismus. Herausragendes Beispiel für diese Kreativ-Zunft ist Bruno Dötsch, Jahrgang 1956, aus Hildburghausen, mitten im Thüringer Wald. "So lange ich denken kann, schlägt mein Herz für kernige Viertakt-Twins. Alles, was ich über diese Dampfhämmer erfahren konnte, habe ich regelrecht verschlungen. Für uns ehemalige DDR-Bürger blieben solche Maschinen allerdings kaum erreichbare Traumbikes", verrät der sympathische Kawasaki-Händler. Nach Grenzöffnung bewarb sich der Motorradenthusiast bei der Kawasaki-Werksniederlassung in Friedrichsdorf als Vertragshändler. Schon 1991 waren alle Tücher im Trockenen. In und um Hildburghausen sah man plötzlich jede Menge japanische Bikes im typischen Kawasaki-Grün. "Mir war von Anfang an klar, dass ich mich neben Verkauf, Beratung, Service und Reparatur auch speziellen Klassiker-Umbauten widmen werde", so der auf Perfektion bedachte Kfz-Schlosser. Als wir die erste W650 bekamen, dauerte es dann auch nicht lange, bis wir uns ein Café-Racer-Projekt vornahmen. Nach englischem Vorbild erhielt der 650er-Twin Stummellenker, Alutank, Höckersitzbank, Edelstahl-Schutzbleche und als Highlight eine klassische Doppelduplex-Trommelbremse von Grimeca im Vorderrad." Damit legte Bruno Dötsch den Grundstein für imponierende W650-Umbauten. Von denen, emotional betrachtet, seine Scrambler das Highlight ist.


Steve McQueen lässt grüßen


In seinen Filmen verkörperte Steve McQueen cool den charismatischen Helden. Und auch privat war er alles andere als ein Leisetreter. Auf Neudeutsch: kein Warmduscher. Besonders dann, wenn es um schnelle Autos oder Motorräder ging. Waghalsige Filmszenen drehte er meist selbst, mit einem Stunt-Double brauchte ihm keiner zu kommen. Im wirklichen Leben war McQueen leidenschaftlicher Motorradfahrer, auf der Straße und im Gelände. Hätte es damals schon die W650 Scrambler von Bruno Dötsch gegeben, sie hätte mit Sicherheit in Steves Garage gestanden.



Nun muss man natürlich nicht unbedingt McQueen heißen, um sich für dieses außergewöhnliche Bike zu begeistern. Spätestens nach einer genussreichen Probefahrt hat einen der Scrambler-Bazillus befallen. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Zunächst das gute Gefühl, das sich hinter der breiten Lenkstange einstellt. Mit der Nase im Wind durchschneidet man die Landschaft. Stress, Hektik und der Drang, die nächste Kurve noch einen Zahn schneller zu schnippeln, kommen erst gar nicht auf. Das urige Gebrabbel des Twins überträgt sich auf den Fahrer, gibt ihm zu verstehen: Der Weg ist das Ziel. Alles, was man dabei rechts und links neben der Straße so entdeckt, wird in sich aufgesogen. Fahr- und Landschaftserlebnis pur! Und in Ortschaften drehen sich etliche Köpfe nach einem um. Die Show schlechthin.


Attraktion fürs Auge



Erst recht in den Fahrpausen. An der Tanke, beim kurzen Stopp am Bäckerladen oder vor dem Eiscafé. Stets zieht die Scrambler die Blicke auf sich. Wie magnetisiert bleiben Passanten kurzentschlossen stehen, um einen näheren Blick zu riskieren. Im Handumdrehen wird der Fahrer mit Fragen gelöchert. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass jemand die tolle Restauration des Oldtimers lobt. Verraten wird natürlich nichts. Das überlassen wir lieber Bruno Dötsch, die Scrambler ist schließlich sein Werk. Er kennt sie in- und auswendig, weiß, wieviel Mühe allein in der selbstgebogenen Auspuffanlage steckt. Der Vater der Kult-650er lässt uns aber auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern wissen, dass es sich bei dem 14-Liter-Tank nicht um eine Spezialanfertigung, sondern um das ehemalige Spritfass einer 250er-Estrella handelt. Nur das erkennt heute keiner mehr. Die originalen W1-Tank-Embleme bestellte der Thüringer direkt in Japan. Den kleinen Gepäckträger auf dem Tank gab es dagegen nirgends zu kaufen, er wurde selbst gemacht.



Der kleine Gepäckträger auf dem Tank ist Marke Eigenbau


Eigentlich kann Kawa-Experte Dötsch zu jedem Detail eine Geschichte erzählen. Und das tut er gern, seine Scrambler ist schließlich keine Stangenware. Schnell wird einem bewusst, hier ist ein Mann mit Herzblut am Werk, der genau weiß, wovon er spricht und was der Spaß kosten darf. "Das 21-Zoll- Vorderrad stammt zum Beispiel von der KLR 650, das hintere Schutzblech samt Rücklicht von der 250er einer anderen japanischen Marke und die modifizierte Sitzbank von einem österreichischen Produkt. Nur so lassen sich die Umbaukosten in Grenzen halten. Die Kunden können aus unserem Angebot wählen, sich für einzelne Komponenten entscheiden oder auch einen kompletten Umbau zum Scrambler, Café Racer oder Flat Tracker ordern", betont Bruno Dötsch.

 


W650 Café Racer


W650 Flat Tracker


Die Idee ist genial. Von der W650 wurden in Deutschland über 4000 Maschinen verkauft – ein ordentliches Potenzial. Wer seine W650 individuell gestalten möchte, bekommt hier unzählige Möglichkeiten aufgezeigt. Ein Besuch im Thüringer Wald lohnt sich allemal. Am besten mit Voranmeldung!





Kundenberatung: Bruno Dötsch empfiehlt die Scrambler


Kontakt:
Zweiradshop Bruno Dötsch
Wallrabser Straße 6
98646 Hildburghausen
Telefon: (03685) 703212
www.zweirad-doetsch.de


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